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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2000

Augen zu beim Weg in die Moderne!
Peter Bexte sieht im Blinden die Modellfigur, die im siebzehnten Jahrhundert die alten Lehren der Malerei kippt

Kunstgeschichte, sollte man meinen, ist eine Geschichte des Sehens. Doch es gibt eine Nachtseite dieser Geschichte, die Blindheit, die immer schon Thema der Bilder war, je nach Epoche und Temperament des Künstlers ein angstbesetztes, philosophisches oder spöttisches Thema. Es gehört zu den jüngsten Einsichten der Kunstwissenschaft, dass die Geschichte des Sehens auch eine Geschichte des Nicht-Sehens ist, in der die Blindheit ein kompliziertes, aber hochinteressantes Unterkapitel bildet. Da ist die Schwierigkeit, als Sehender die Frage, was Blindheit bedeutet, sicher zu beantworten. Und man sollte sich hüten, Blindheit mit Unsichtbarkeit zu verwechseln.

Peter Bexte unternimmt in seiner Dissertation mit dem paradoxen Titel "Blinde Seher" den Versuch, Blindheit als philosophische Metapher in der Wahrnehmungstheorie des siebzehnten Jahrhunderts mit Stationen einer Ikonographie des Blinden in der Malerei von Brueghel bis Goya zu behandeln. Das Buch beginnt mit der späten Entdeckung eines anatomischen Details des menschlichen Auges, des blinden Flecks, den Edme Mariotte 1668 erstmalig als "defaut de vision" beschrieb. Bexte zeigt auf, wie Mariottes Entdeckung die Wahrnehmungstheorien seiner Zeit, die von Keplers mathematischer Dioptrik gespeist wurden, ins Wanken bringt. Hatte man sich den Ort des Wahrnehmungsbildes bis dato als eine Projektion auf der Netzhaut vorgestellt, das entweder als "natürliche Malerei" bezeichnet wurde oder wie eine Camera obscura funktionieren sollte, so führten die Erkundigungen über die Anatomie des Auges zu der Erkenntnis Diderots, dass das Auge sich nicht selbst sehen könne.

Bextes These lautet, dass Optik und Kunst sich immer aufeinander berufen haben, ohne wirklich eine Beziehung miteinander eingegangen zu sein. Der Blinde markiert eine Leerstelle zwischen Blick und Bild. Das klingt interessant und wird, was die philosophischen Traktate betrifft, vom Autor eindrucksvoll bewiesen. Was die im Buch behandelten Gemälde und Stiche angeht, so setzt Bexte zwar die paradoxe Struktur des Sichtbarmachens von Blindheit voraus - sie stellt ein verzwicktes, weil logisch in die Aporie führendes Problem der Selbstreferenz des medialen Bildes dar -, doch flüchtet sich der Autor in die sicheren Gefilde der Texte, auf die sich die Bilder beziehen, und betreibt damit überwiegend traditionelle Ikonografie. Die bildtheoretische Frage, die sich anhand der behandelten Bilder über Blindheit und Blendung stellt, mit welchen vielfältigen bildnerischen Mitteln die Künstler versuchen, Sichtbarkeit im Bild zu negieren, ist kein eigenes Thema, sondern wird nur, wie in Rembrandts Triumph der Dalila, gestreift.

Im Zentrum der Untersuchung steht eine Textillustration aus Descartes' "Discours de la méthode", die in der Erstausgabe von 1637 gleich zweimal erscheint. Der Holzstich zeigt einen in die Ferne schauenden, antik gewandeten Philosophen, der mit zwei Stöcken in der Weise hantiert, dass diese sich nach Art einer Wünschelrute mit den Spitzen vor seinem Körper berühren. Der Illustrator verlängerte die Stöcke mit gepunkteten Linien zu einer Figur zweier sich schneidender Geraden. Bexte identifiziert die Gestalt als blinden Geometer und interpretiert ihn als Symbolfigur einer neuen Philosophie, die sich vom veralteten Modell des Nicht-Erkennens, das in Ripas Personifikation des Irrtums als mit verbundenen Augen herumirrender Wanderer Bild geworden war, abwendet. Stattdessen wird Blindheit als Modell der Erkenntnis und Metapher der Theoriebildung propagiert. Der blinde Geometer wird zum Modell des sehenden Philosophen.

Descartes' blinden Seher, der mit dem "Errore" von Ripa leicht verwechselt werden konnte, erfährt in der Ausgabe des "Discours" von 1724 eine Mutation zum Höfling mit verbundenen Augen, den Bexte in den Darstellungen des Colin Maillard, des Blindekuhspiels, präfiguriert sieht. Bexte schließt nun das Kapitel der philosophischen Wahrnehmungstheorie und begibt sich mitten in die heiter-verspielte Kunstwelt des Barock und des Rokoko, die dem Schäferdrama "Il Pastor fido" die Figur der Blindekuh, Opfer des blinden Amors, entnahm. Die Frage, wie nun beides, blinder Seher und Blindekuh, miteinander zusammenhängt, bleibt unbeantwortet. Offenbar handelt es sich um eine Laune der Ikonografie. Im letzten Kapitel des Buches folgen eilige Deutungsversuche einer losen Bilderreihe, die das Motiv des die Sinne verwirrenden Spiels von Nicht-Sehen und Gesehenwerden eint. Bei Bramer sei Berkeleys "Esse est percipi" dargestellt, Watteau habe den Widerstreit von Auge und Ohr thematisiert, Pater den ersten Blick als Ursprung der Wahrnehmung. Bei Goya schließlich gerate alles zur Parodie - der Autor senkt die Stimme und beschwört in suggestiven Metaphern die Blindheit als Drama einer neuen Malerei, die, so darf man schließen, den Beginn der Moderne ankündigt.

CHRISTIANE KRUSE

Peter Bexte: "Blinde Seher". Die Wahrnehmung von Wahrnehmung in der Kunst des 17. Jahrhunderts. Verlag der Kunst, Dresden 1999. 207 S., 45 Abb., br., 58,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

In ihrer kurzen Besprechung preist Petra Kipphoff das Buch als spannende Lektüre, das trotz seiner wissenschaftlichen Aufmachung -viele Fußnoten und ein Anhang - gut zu lesen sei. Die beeindruckte Rezensentin sieht sich in dem geschichtlichen Abriß der "Wahrnehmung der Wahrnehmung der Kunst" von frühen wissenschaftlichen Untersuchungen der Optik über die Mythologie und Emblemliteratur bis zur Philosophie der Wahrnehmung geführt. Allein die Pointe des Buches - dass nämlich, wie der Autor schreibt, im 18. Jahrhundert die Kunst "nicht mehr den Raum, sondern die Zeit vermisst" - kommt ihr ein wenig zu überraschend und nicht plausibel begründet daher.

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