Kurz vor seinem 30. Hochzeitstag fällt Eddas Vater vom Pferd. Zwar bricht er sich bloß ein paar Rippen, doch seine älteste Tochter, die sogleich aus Leipzig anreist, wittert Unheil. Ihr neuer Freund Hans, ein schweigsamer Maler, begleitet sie. Er scheint ebenso aus der Zeit gefallen zu sein wie das niedersächsische Heimatdorf Odinsgrund mit seinen Seltsamkeiten: Dort fährt ein freundlicher Riese Motorrad, die Mutter nimmt Betrunkenen Blut ab, aus dem Acker wachsen Muscheln, und ob der Hund wirklich ein Hund ist, muss sich erst noch rausstellen.Kein Wunder also, dass dieser Ort Edda beeinflusst und ihre Wahrnehmung verändert. Denn auch, wenn es allen um sie herum gut geht, meint sie immerzu, ein Unglück herannahen zu spüren. Was Edda in ihrer Jugend nämlich gelernt hat: Man muss immer auf das Schlimmste gefasst sein. Doch jetzt ist Hans an ihrer Seite. In seiner Gegenwart gelingt es Edda, sich von den alten Geschichten zu lösen. Gemeinsam müssen sie nun gleich zwei Wunderlandschaften durchqueren, um wieder im Hier und Jetzt anzukommen.Lisa Kreißlers Debüt Blitzbirke erzählt eine einfache Liebesgeschichte: Ein Mädchen befreit sich durch das Wunder der Liebe aus den Fängen ihrer Vergangenheit. Doch erst vor dem märchenhaften, naturromantischen Hintergrund der Geschichte kommt das eigentliche Thema des Textes zum Tragen: die fabelhafte Kraft der Gegenwart.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Stark und zart zugleich erscheint Meike Fessmann dieses Debüt von Lisa Kreißler. Wie die Autorin in ihrem Roman das Gefühl erkundet, als Erwachsener noch einmal im Elternhaus Kind sein zu wollen, findet sie gelungen. Gefallen hat ihr auch, dass das Schreckliche und Gewöhnliche an Familienfesten, Streitereien und Todesfällen offenbar wird in dieser Coming-of-Age-Geschichte, die für Fessmann eine stark märchenhafte Grundierung hat. Die schlichte Sprache des Textes schätzt Fessmann wegen ihrer Energie und wegen eines "liebevoll Lebhaften", das ihr darüber zu schweben scheint.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2014Eine Familie mit Geheimnissen
Lisa Kreissler vermischt Provinzatmosphäre und nordische Mythologie zu einem rätselhaften Debüt
Städter um die dreißig, die in die Provinzlandschaften ihrer Kindheit zurückkehren, sind in deutschsprachigen Debütromanen keine Seltenheit. Aus der Konfrontation mit der Vergangenheit, die in der vertrauten Gegend, durch Menschen und Orte katalytisch befördert, wieder lebendig wird, lässt sich so mancher Erzählfunke schlagen. Auch "Blitzbirke" von Lisa Kreissler, Jahrgang 1983 und seit 2010 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studierend, gehört in das Sujet dieser Romane. Erzählt wird die Geschichte der jungen Theaterautorin Edda, die mit ihrem Malerfreund Hans aus Leipzig in das nach der nordischen Gottheit benannte fiktive Dorf Odinsgrund fährt, um ihre Familie zu besuchen. Der dreißigste Hochzeitstag der Eltern steht an. Der Vater ist beim Ausreiten vom Pferd gefallen und hat sich die Rippen gebrochen. Weitere Komplikationen sind absehbar.
In Eddas Heimat, einem "Autobahndorf", wie Hans konstatiert, wird man nicht nur mit öden Provinzlandschaften vertraut gemacht, gibt es nicht nur einen verschrobenen, unverheirateten Onkel namens Magic, eine Schwester, die nach der nordischen Göttin der Jagd den Namen Skadi trägt und, anders als Edda, im Dorf geblieben ist. Es gibt mit Pferd, Hund und Hühnern, die hier immerhin nicht blutig auf dem Hackklotz geschlachtet werden, auch die für das Dorfromansetting typische Menagerie. Es gibt missgebildete, fotosensible Nachbarskinder, die nur nachts das Haus verlassen und draußen ihr Unwesen treiben. Es gibt Kränkungen, die ausgesprochen wurden und von denen eine dem Roman mittelbar seinen bedeutungsträchtigen Titel liefert. Es wird auch einiges Düsteres enthüllt, alte psychische und alte und neue physische Verletzungen werden sichtbar: "Es könnte sich da draußen um eine Ibsen-Inszenierung handeln: eine Familie, ein Fremder, Köpfe, Geheimnisse." Es gibt jede Menge Staub, Sprachlosigkeit und einen Steinbruch, in dem der Roman sein offenes Ende findet.
Nichts als Klischees, könnte man meinen. Doch "Blitzbirke" weicht in mancher Hinsicht vom bekannten Strickmuster des skizzierten Sujets ab. Kreissler treibt die Handlung teilweise theatral in Wechselreden voran. "Man spricht nicht in der dritten Person über anwesende Leute", heißt es einmal im Roman, und diese Aussage ist übertragbar auf die Haltung der erzählenden Instanz, die Gespräche der Figuren häufig unkommentiert lässt. Was die Figuren einander nicht sagen, bleibt in der Schwebe. Diese Offenheit fordert, in Verbindung mit der durch die Figuren- und Ortsnamen Edda und Skadi und Odinsgrund nahegelegte, nicht einfach zu entschlüsselnde Bezugnahme auf die nordische Mythologie, Phantasie und Deutungsvermögen heftig heraus. Mit lautmalerischen Effekten und einer verbkräftigen, eigenwilligen Sprache, die Naturphänomene den Seelenlandschaften der Figuren zuordnet, die "Wetterleuchten explodieren" lässt und in der sich die Sonne "dickflüssig auf den Horizont ergießt", entpuppt sich "Blitzbirke" als vielversprechendes Debüt, das gut in das Programm des einer sprachbewussten und experimentierfreudigen Prosa sehr zugetanen Mairisch Verlags passt. Die Handlung ist oft mäandernd und zögerlich, aber die Spannung bleibt dennoch aufrechterhalten. Lisa Kreissler gelingt es, Eddas Geschichte bei allem Facettenreichtum und aller Bruchstückhaftigkeit einige Tiefenschärfe einzuschreiben.
BEATE TRÖGER.
Lisa Kreissler: "Blitzbirke". Roman.
Mairisch Verlag, Hamburg 2014, 192 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lisa Kreissler vermischt Provinzatmosphäre und nordische Mythologie zu einem rätselhaften Debüt
Städter um die dreißig, die in die Provinzlandschaften ihrer Kindheit zurückkehren, sind in deutschsprachigen Debütromanen keine Seltenheit. Aus der Konfrontation mit der Vergangenheit, die in der vertrauten Gegend, durch Menschen und Orte katalytisch befördert, wieder lebendig wird, lässt sich so mancher Erzählfunke schlagen. Auch "Blitzbirke" von Lisa Kreissler, Jahrgang 1983 und seit 2010 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studierend, gehört in das Sujet dieser Romane. Erzählt wird die Geschichte der jungen Theaterautorin Edda, die mit ihrem Malerfreund Hans aus Leipzig in das nach der nordischen Gottheit benannte fiktive Dorf Odinsgrund fährt, um ihre Familie zu besuchen. Der dreißigste Hochzeitstag der Eltern steht an. Der Vater ist beim Ausreiten vom Pferd gefallen und hat sich die Rippen gebrochen. Weitere Komplikationen sind absehbar.
In Eddas Heimat, einem "Autobahndorf", wie Hans konstatiert, wird man nicht nur mit öden Provinzlandschaften vertraut gemacht, gibt es nicht nur einen verschrobenen, unverheirateten Onkel namens Magic, eine Schwester, die nach der nordischen Göttin der Jagd den Namen Skadi trägt und, anders als Edda, im Dorf geblieben ist. Es gibt mit Pferd, Hund und Hühnern, die hier immerhin nicht blutig auf dem Hackklotz geschlachtet werden, auch die für das Dorfromansetting typische Menagerie. Es gibt missgebildete, fotosensible Nachbarskinder, die nur nachts das Haus verlassen und draußen ihr Unwesen treiben. Es gibt Kränkungen, die ausgesprochen wurden und von denen eine dem Roman mittelbar seinen bedeutungsträchtigen Titel liefert. Es wird auch einiges Düsteres enthüllt, alte psychische und alte und neue physische Verletzungen werden sichtbar: "Es könnte sich da draußen um eine Ibsen-Inszenierung handeln: eine Familie, ein Fremder, Köpfe, Geheimnisse." Es gibt jede Menge Staub, Sprachlosigkeit und einen Steinbruch, in dem der Roman sein offenes Ende findet.
Nichts als Klischees, könnte man meinen. Doch "Blitzbirke" weicht in mancher Hinsicht vom bekannten Strickmuster des skizzierten Sujets ab. Kreissler treibt die Handlung teilweise theatral in Wechselreden voran. "Man spricht nicht in der dritten Person über anwesende Leute", heißt es einmal im Roman, und diese Aussage ist übertragbar auf die Haltung der erzählenden Instanz, die Gespräche der Figuren häufig unkommentiert lässt. Was die Figuren einander nicht sagen, bleibt in der Schwebe. Diese Offenheit fordert, in Verbindung mit der durch die Figuren- und Ortsnamen Edda und Skadi und Odinsgrund nahegelegte, nicht einfach zu entschlüsselnde Bezugnahme auf die nordische Mythologie, Phantasie und Deutungsvermögen heftig heraus. Mit lautmalerischen Effekten und einer verbkräftigen, eigenwilligen Sprache, die Naturphänomene den Seelenlandschaften der Figuren zuordnet, die "Wetterleuchten explodieren" lässt und in der sich die Sonne "dickflüssig auf den Horizont ergießt", entpuppt sich "Blitzbirke" als vielversprechendes Debüt, das gut in das Programm des einer sprachbewussten und experimentierfreudigen Prosa sehr zugetanen Mairisch Verlags passt. Die Handlung ist oft mäandernd und zögerlich, aber die Spannung bleibt dennoch aufrechterhalten. Lisa Kreissler gelingt es, Eddas Geschichte bei allem Facettenreichtum und aller Bruchstückhaftigkeit einige Tiefenschärfe einzuschreiben.
BEATE TRÖGER.
Lisa Kreissler: "Blitzbirke". Roman.
Mairisch Verlag, Hamburg 2014, 192 S., geb., 18,- [Euro].
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