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Sie war ein echtes Multitalent: Erika Mann, die älteste Tochter von Katia und Thomas Mann. Zum ersten Mal werden jetzt ihre wichtigsten journalistischen Arbeiten in einem Buch zusammengefasst. Die Texte, von denen viele bisher ungedruckt waren, spiegeln ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches, rasantes Frauenleben - und ein wichtiges Stück Zeitgeschichte.

Produktbeschreibung
Sie war ein echtes Multitalent: Erika Mann, die älteste Tochter von Katia und Thomas Mann. Zum ersten Mal werden jetzt ihre wichtigsten journalistischen Arbeiten in einem Buch zusammengefasst. Die Texte, von denen viele bisher ungedruckt waren, spiegeln ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches, rasantes Frauenleben - und ein wichtiges Stück Zeitgeschichte.
Autorenporträt
wurde am 9. November 1905 in München geboren. Sie arbeitete zunächst als Schauspielerin und Journalistin. Anfang 1933 gründete sie in München das Kabarett "Die Pfeffermühle"; wenige Wochen später ging sie mit der gesamten Truppe ins Exil. Ab 1936 lebte sie überwiegend in den USA, als Vortragsrednerin und Publizistin. Während des Zweiten Weltkriegs wirkte sie unter anderem an den Deutschland-Programmen der BBC mit und war Kriegsberichtserstatterin für die Alliierten. 1952 kehrte sie mit den Eltern zurück nach Europa. Am 27. August 1969 starb sie in Zürich. Irmela von der Lühe, geb. 1947, lehrt als Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Sie veröffentlichte zahlreiche Studien, vor allem über Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit Uwe Naumann gibt sie die Werke Erika Manns heraus. Uwe Naumann, geboren 1951 in Hamburg. Studium der Germanistik, Soziologie und Pädagogik in Hamburg und Marburg. 1976 Erstes, 1979 Zweites Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien. 1983 Promotion. 1984 bis 1985 Mitarbeiter der Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur, Universität Hamburg. Seit 1985 Mitarbeit im Lektorat der Rowohlt Verlage, 2000 bis 2012 Programmleiter Sachbuch bei Rowohlt, danach Koordinator E-Book. Seit Ende 2016 im Ruhestand, weiterhin beratende Tätigkeit für Rowohlt. Lehrbeauftragter an den Universitäten Lüneburg und Mainz. Herausgeber der Reihe 'rowohlts monographien'. Features, Essays und Kritiken für verschiedene Rundfunkanstalten. Herausgeber der Werke von Klaus und Erika Mann und von Heinar Kipphardt. Edierte die Bildbände '¿Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß¿. Klaus Mann (1906-1949)', 1999, und 'Die Kinder der Manns. Ein Familienalbum', 2005. Zahlreiche weitere Editionen, vor allem zur deutschsprachigen Exilliteratur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Unordnung und frühes Auto
Europa ist ein Ding zum Durchfahren: Erika Manns gesammelte Prosa / Von Heinrich Detering

Gäbe es das Adjektiv "automobil" nicht schon seit Erfindung des gleichnamigen Verkehrsmittels - für Erika Mann hätte man es erfinden müssen. Automobil ist diese Schriftstellerin von Beginn ihrer Karriere an gewesen. "Europa", kabelt die Fünfundzwanzigjährige von einem Autorennen quer durch die Länder, "Europa ist für uns ein Ding zum Durchfahren", und übermütig fügt sie hinzu, Rom sei unter diesen Umständen "nur eine Waschgelegenheit". In Wahrheit sind diese atemlosen Reportagen hellwach vor Weltoffenheit und trunken von Abenteuerlust. In Marokko erlebt sie die Frühsommerhitze, in Finnland, mit Klaus, nordische Kühle; zwischen Balkan und Barcelona verlaufen die Reiserouten, zwischen Oberammergau und Hollywood. Auch die zeitgemäße Erotik ist eine Tempofrage. "Willst du jemand ausprobieren - Dame oder Herrn -, geh nicht ins Theater, auch nicht tanzen und dinieren -, geh auf Reisen, aber auf sportliche": So haben auch die als Literary Mann Twins auftretenden Geschwister Damen und Herren ausprobiert und Texte erzeugt, die von einem Leben in Höchstgeschwindigkeit erzählen.

Bewegung ist ihr Normalzustand, und das Automobil ist ihr Emblem. Nicht nur schildert Erika Mann anschaulich, "Wie ich Automonteur lernte"; sie nennt sich auch einen "Autler". Das Wort bezeichnet einen enthusiastischen Automobilisten; auf den Begriff gebracht ist die Autonomie einer jungen Intellektuellen, für die das Wort "emanzipiert" zu altmodisch wäre. In der Weimarer Republik, zu deren bekanntesten Enfants terribles die Autlerin gehörte, entstehen diese feuilletonistischen Plaudereien. "Schmonzetten" nennt die Autorin sie selbstironisch; und man wundert sich nicht im geringsten, daß die meisten in einer Berliner Tageszeitung erscheinen, die Tempo heißt. In einem dieser Texte wird, unter der spöttischen Überschrift "Frau und Buch", "ein neuer Typ Schriftstellerin" proklamiert: "Die Frau, die Reportage macht, in Aufsätzen, Theaterstücken, Romanen." Einundachtzig solcher Reportagen sind hier gesammelt: Glossen, Reden und Aufsätze aus vierzig Jahren, klug ausgewählt, prägnant annotiert. Von den "Schmonzetten" ist im Eröffnungsteil etwa ein Viertel aufgenommen. Gerade in diesen frühen Arbeiten zeigt sich, aus welchen Wurzeln auch das politische Werk dieser Schriftstellerin seine Vitalität bezieht.

Die letzte "Schmonzette" erzählt vom Münchner Fasching. "Nichts hat sich hier verändert seit Jahren", seufzt die Besucherin erleichtert; "es fließt, als sei nichts geschehen, der Sekt", sogar "mit einem ganz berühmten Nazi" tanzt man im Überschwang und aus Versehen. Es ist Januar 1933, drei Tage vor Hitlers Machtübernahme. "Unpolitisch" nennt sich die Tänzerin noch; und wie gern wäre auch sie es geblieben. Indem sie es nicht blieb, blieb sie sich treu. Noch im selben Jahr führt sie ein Gastspiel ihres "Pfeffermühle"-Kabaretts in Prag mit den Worten ein, sie könne "gar keinen Vortrag halten, - ich habe noch nie im Leben einen gehalten, und ich weiß buchstäblich nicht, wie man es macht". Sieben Jahre und hundertfünfzig Druckseiten später blickt sie zurück auf ihre Erfahrungen als professioneller Lecturer: "Ich habe etwa vierhundert Vorträge gehalten, bin dafür etwa 140 000 Meilen gereist und habe vor etwa 200 000 Menschen gesprochen." Und das ist erst der Anfang. Schon am spanischen Bürgerkrieg hat die einstige Kolumnistin des Tempo als Berichterstatterin teilgenommen, mit Reportagen, die hier erstmals vollständig nachzulesen sind. Jetzt, im Kampf gegen Hitlers Herrschaft, geht sie selbst an die Front. Sie reist durch die Kontinente, redet in London, Paris und Lissabon und unternimmt monatelange Vortragstourneen durch die Vereinigten Staaten.

Ihr Patriotismus artikuliert sich um diese Zeit, in einem Brief an Carl Zuckmayer, in drei Worten, die man nicht ohne Bewegung lesen kann. Sie lauten: "Deutschland war schön." In die häßlich gewordene Heimat hinein redet sie via BBC mit derselben berühmt gewordenen Anrede wie ihr Vater: "Deutsche Hörer". Beschwörend spricht sie vor deutschen Ohren aus, was "die inneren Stimmen" schon heimlich geflüstert haben müßten: "Deutschlands Schicksal muß in Deutschland entschieden werden - von Ihnen, durch Sie!" Wie sehr ihr dabei die Demokratie zur Umgangs- und Lebensform geworden ist, zeigt sich in einem beiläufigen Detail. Im Unterschied zu ihrem Vater redet Erika Mann die deutschen Hörer mit "Sie" an.

Daß sie weiterschreibt, trotz Verdächtigungen durch das FBI und Morddrohungen von Nazi-Sympathisanten, das verdankt sich auch der Vitalität der alten Weltneugier. Ihr "Vaterland", notiert die Autlerin, sei der Pullman-Wagen der amerikanischen Eisenbahnen. Wie viele Exilanten fragt sie sich, wohin der Palästina-Konflikt führt. Gedacht, getan: "Ich fuhr nach Palästina, um die Möglichkeit einer Lösung zu untersuchen." An Ort und Stelle spricht sie mit arabischen Aktivisten und zionistischen Vorkämpfern, darunter Ben Gurion, diskutiert die Möglichkeiten eines Friedenabkommens zwischen Juden und Palästinensern und entscheidet sich für "Lösung Nummer fünf": "Zweivölkerstaat mit gleichen Rechten für beide Parteien". (Das ist 1944.) Nach dem Krieg nimmt sie als Beobachterin an den Nürnberger Prozessen teil, besucht Göring in der Zelle und notiert kühl, daß die Zivilbevölkerung die Regierung Hitlers "nicht wegen ihrer Verbrechen" anklage, "sondern wegen ihres Versagens". Sie kommentiert die Anfänge des Kalten Krieges und bleibt noch im zeittypischen Wohlwollen gegenüber der Sowjetunion nüchtern.

Selbst ihr Gespür für Komik verläßt sie nicht. Schon aus der Sammlung "Mein Vater, der Zauberer" kennt man die fiktiven Rundfunkdialoge, die sie nach dem Vorbild Karl Valentins verfaßte. Damals fand sie für Thomas Mann den Kalauer vom "Wälzerkönig"; diesmal albert sie sich zu Horkheimers Rektoratsfeier durch die Frankfurter Schule. (Das liest sich hübsch, erblüht aber erst in den privaten Schallplattenaufnahmen - wäre da nicht einmal eine CD fällig?) Der Band endet mit einer Liebeserklärung an den Bruder Golo: "Eben noch war er winzig und jetzt ist er sechzig. Meinerseits bekam ich ihn, als ich dreieinhalb war und allen Ernstes glaubte, die Mama habe ihn mir gekauft. Er war mein."

Denn wenn es etwas gibt, das mit Erika Manns Abenteuergeist wetteifern kann, dann ist es ihr Mannscher Familiensinn. "Tochter-Adjutantin" hat sie sich selbst genannt, später einen "bleichen Nachlaßschatten"; und zu lange hat die Nachwelt sie auch nur so wahrgenommen. Daß sie seit ein paar Jahren als Schriftstellerin wiederentdeckt wird, ist vor allem Irmela von der Lühe und Uwe Naumann zu danken.

Erika Mann: "Blitze überm Ozean". Aufsätze, Reden, Reportagen. Herausgegeben von Irmela von der Lühe und Uwe Naumann. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000. 508 S., geb., 68,- DM.

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