Vierzehn Millionen Menschen wurden in den Bloodlands ermordet, den Territorien, die zwischen 1933 und 1945 unter deutscher oder sowjetischer Herrschaft gestanden haben: Polen, Weißrussland, Ukraine, baltische Staaten.
In dieser Region ließen die Sowjets Millionen verhungern, deportieren, erschießen, drangsalierten ab Herbst 1939 die Bevölkerung im russisch besetzten Teil Polens und ermordeten einen großen Teil der Elite. Hier wüteten die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg mit Unterdrückung, Zwangsumsiedlungen, dem vorsätzlichen Aushungern der Kriegsgefangenen, hier ermordeten sie sechs Millionen Juden aus ganz Europa.
"Nirgendwo ist der Horror der ukrainischen Hungersnot, der Deportationen und des Massenterrors packender und ergreifender beschrieben worden." Jörg Baberowski
"Eine nuancierte, originelle und eindringliche Analyse der europäischen Killing Fields zwischen Deutschland und Russland." Timothy Garton Ash
"Bloodlands wird für Jahrzehnte das wichtigste Buch zum Thema sein." Tony Judt
In dieser Region ließen die Sowjets Millionen verhungern, deportieren, erschießen, drangsalierten ab Herbst 1939 die Bevölkerung im russisch besetzten Teil Polens und ermordeten einen großen Teil der Elite. Hier wüteten die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg mit Unterdrückung, Zwangsumsiedlungen, dem vorsätzlichen Aushungern der Kriegsgefangenen, hier ermordeten sie sechs Millionen Juden aus ganz Europa.
"Nirgendwo ist der Horror der ukrainischen Hungersnot, der Deportationen und des Massenterrors packender und ergreifender beschrieben worden." Jörg Baberowski
"Eine nuancierte, originelle und eindringliche Analyse der europäischen Killing Fields zwischen Deutschland und Russland." Timothy Garton Ash
"Bloodlands wird für Jahrzehnte das wichtigste Buch zum Thema sein." Tony Judt
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2012Nichts Neues im Osten
Historiker über Timothy Snyders "Bloodlands"
Timothy Snyders Befund in seinem Buch "Bloodlands" (Europa zwischen Hitler und Stalin, C. H. Beck Verlag, München 2011) war: In der Region, die vom Baltikum bis zur Ukraine reicht, wurden zwischen 1932 und 1945 mehr als vierzehn Millionen Menschen ermordet. Zunächst fielen Millionen ukrainischer Landbewohner dem Plan Stalins zum Opfer, die Sowjetunion zu industrialisieren, wofür man ihnen die Nahrung wegnahm oder sie auf der Suche nach angeblich verstecktem Getreide tötete. Snyder spricht von einem Klassengenozid.
Zugleich entfaltet sich ein Terror gegen andere Nationalitäten, insbesondere gegen Sowjetbürger polnischer Abstammung. 1937/38 wurden 111 000 von ihnen wegen Spionage exekutiert. Zwischen 1939 und 1941 sorgte der Hitler-Stalin-Pakt dafür, dass dieses Morden und Deportieren sich auch nach Polen selbst erstreckte. Danach standen die deutschen Einsatzgruppen in den "Bloodlands", und die Massenvernichtung nahm mit dem programmierten Judenmord und dem Verhungernlassen von Kriegsgefangenen eine weitere Stufe, die nach dem geplanten Kriegsgewinn noch überboten werden sollte.
Die Schlussfolgerung, die das Buch nahelegt, lautet, dass im "staatsfernen Gewaltraum" (Jörg Baberowski) Terror möglich war, der andernorts nicht in diesen Ausmaßen stattfand. So stellte die Wehrmacht, als sie in die "Bloodlands" einrückte, fest, dass die SS Balten und Ukrainer nicht lange zum Mitmachen beim Morden überreden musste. Snyder wendet sich auch gegen den unvorsichtigen Gebrauch der Formel "industrielles Töten" zur Beschreibung des Holocaust, indem er darauf hinweist, dass die meisten Ermordeten erschossen wurden. Das Töten war nicht "bürokratisch" oder "totalitär", sondern "persönlich", wie Snyder schreibt, die Täter sahen den Sterbenden zu.
Das "Journal of Modern European History" hat jetzt eine Diskussion über Snyders Buch begonnen, in der sich zunächst Osteuropahistoriker geäußert haben (Bd. 10, 2012/13, Verlag C. H. Beck). Und zwar sehr kritisch. Manfred Hildermeier (Göttingen) etwa kann an Snyders Buch eigentlich nur die effektvolle Erzählung loben. Für den Spezialisten enthalte sie nichts Neues. Ein Mehrwert der räumlichen Perspektive sei zweifelhaft. Die Kasachen seien, verglichen mit ihrer Bevölkerungsgröße, mit 1,3 Millionen Toten vom Hungermord noch stärker betroffen gewesen. Dass er auch in den "Bloodlands" stattfand, sei sekundär und habe seinen Charakter nicht geprägt. "Aber den der Ukraine", könnte Snyders Replik hierauf vielleicht lauten. Doch auch das bestreitet Hildermeier, der Nachweis einer "Interaktion" beider totalitären Systeme gelinge Snyder nicht. Die Opfer seien aufgrund von Ideologien gestorben, nicht aufgrund der Situation in einer Region.
Demgegenüber hätte sich der polnische Historiker Dariusz Stola von Snyder noch mehr Konsequenz bei der Durchführung seines "spatial turn" gewünscht. Die Kürze der Zeit, die geringe Fläche, auf der solche ungeheuren Mordzahlen anfielen, und die bevölkerrungspolitischen Motive sprächen für diesen "turn" einer "Inhumangeographie". Doch für Stola bleibt unverständlich, dass Morde dritter Parteien auf demselben Territorium, etwa staatlicher Akteure im Baltikum, in Rumänien und der Ukraine - 300 000 Juden wurden von Rumänen getötet, 100 000 Polen von Ukrainern -, keinen Eingang in das Buch gefunden hätten.
Schließlich kommentiert mit Dietrich Beyrau (Tübingen) ein Historiker Snyders Buch, dem wohl das Erstentdeckungsrecht am Thema zusteht (Schlachtfeld der Diktatoren. Osteuropa im Schatten von Hitler und Stalin, Göttingen 2000). Und den man verstehen kann, wenn er Snyders Pose, das alles zum ersten Mal ans Licht zu bringen, "irritierend" nennt. Er hält überdies die politischen Ziele der deutschen und sowjetischen Seite, die Erfahrungen der ethnischen Gruppen und die Chronologie der Gewaltpolitik für so heterogen, dass sich daraus "keine wie auch immer geartete Raumerfahrung ergeben dürfte". Snyder vertrete, dass die Bloodlands mit den Grenzen der alten polnischen Adelsrepublik weitgehend kongruent seien, mitunter eine "sehr polnische Sicht auf die Geschicke des östlichen Europa".
Bemerkenswert seien dagegen Beobachtungen wie die, Stalin habe das Verhungernlassen und Liquidieren als Herrschaftstechnik gebraucht, während es den Deutschen gerade nicht gelang, die besetzten Gebiete zu beherrschen. Politisches Kalkül auf der Seite Stalins, Wahngebilde auf der Hitlers, der das Kriegsziel durch die "Endlösung" ersetzte. Darauf habe schon Sebastian Haffner hingewiesen. Der Versuch, eine Interaktion zwischen beiden Regimen zu beweisen, hätte Snyder auch nicht zur Behauptung von Parallelen - etwa die sowjetische Westverschiebung Polens als umgekehrter "Generalplan Ost" - führen müssen. Stalin habe auf die Nationalsozialisten reagiert, aber viel taktischer und klassisch imperialistischer als diese auf ihn.
JÜRGEN KAUBE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Historiker über Timothy Snyders "Bloodlands"
Timothy Snyders Befund in seinem Buch "Bloodlands" (Europa zwischen Hitler und Stalin, C. H. Beck Verlag, München 2011) war: In der Region, die vom Baltikum bis zur Ukraine reicht, wurden zwischen 1932 und 1945 mehr als vierzehn Millionen Menschen ermordet. Zunächst fielen Millionen ukrainischer Landbewohner dem Plan Stalins zum Opfer, die Sowjetunion zu industrialisieren, wofür man ihnen die Nahrung wegnahm oder sie auf der Suche nach angeblich verstecktem Getreide tötete. Snyder spricht von einem Klassengenozid.
Zugleich entfaltet sich ein Terror gegen andere Nationalitäten, insbesondere gegen Sowjetbürger polnischer Abstammung. 1937/38 wurden 111 000 von ihnen wegen Spionage exekutiert. Zwischen 1939 und 1941 sorgte der Hitler-Stalin-Pakt dafür, dass dieses Morden und Deportieren sich auch nach Polen selbst erstreckte. Danach standen die deutschen Einsatzgruppen in den "Bloodlands", und die Massenvernichtung nahm mit dem programmierten Judenmord und dem Verhungernlassen von Kriegsgefangenen eine weitere Stufe, die nach dem geplanten Kriegsgewinn noch überboten werden sollte.
Die Schlussfolgerung, die das Buch nahelegt, lautet, dass im "staatsfernen Gewaltraum" (Jörg Baberowski) Terror möglich war, der andernorts nicht in diesen Ausmaßen stattfand. So stellte die Wehrmacht, als sie in die "Bloodlands" einrückte, fest, dass die SS Balten und Ukrainer nicht lange zum Mitmachen beim Morden überreden musste. Snyder wendet sich auch gegen den unvorsichtigen Gebrauch der Formel "industrielles Töten" zur Beschreibung des Holocaust, indem er darauf hinweist, dass die meisten Ermordeten erschossen wurden. Das Töten war nicht "bürokratisch" oder "totalitär", sondern "persönlich", wie Snyder schreibt, die Täter sahen den Sterbenden zu.
Das "Journal of Modern European History" hat jetzt eine Diskussion über Snyders Buch begonnen, in der sich zunächst Osteuropahistoriker geäußert haben (Bd. 10, 2012/13, Verlag C. H. Beck). Und zwar sehr kritisch. Manfred Hildermeier (Göttingen) etwa kann an Snyders Buch eigentlich nur die effektvolle Erzählung loben. Für den Spezialisten enthalte sie nichts Neues. Ein Mehrwert der räumlichen Perspektive sei zweifelhaft. Die Kasachen seien, verglichen mit ihrer Bevölkerungsgröße, mit 1,3 Millionen Toten vom Hungermord noch stärker betroffen gewesen. Dass er auch in den "Bloodlands" stattfand, sei sekundär und habe seinen Charakter nicht geprägt. "Aber den der Ukraine", könnte Snyders Replik hierauf vielleicht lauten. Doch auch das bestreitet Hildermeier, der Nachweis einer "Interaktion" beider totalitären Systeme gelinge Snyder nicht. Die Opfer seien aufgrund von Ideologien gestorben, nicht aufgrund der Situation in einer Region.
Demgegenüber hätte sich der polnische Historiker Dariusz Stola von Snyder noch mehr Konsequenz bei der Durchführung seines "spatial turn" gewünscht. Die Kürze der Zeit, die geringe Fläche, auf der solche ungeheuren Mordzahlen anfielen, und die bevölkerrungspolitischen Motive sprächen für diesen "turn" einer "Inhumangeographie". Doch für Stola bleibt unverständlich, dass Morde dritter Parteien auf demselben Territorium, etwa staatlicher Akteure im Baltikum, in Rumänien und der Ukraine - 300 000 Juden wurden von Rumänen getötet, 100 000 Polen von Ukrainern -, keinen Eingang in das Buch gefunden hätten.
Schließlich kommentiert mit Dietrich Beyrau (Tübingen) ein Historiker Snyders Buch, dem wohl das Erstentdeckungsrecht am Thema zusteht (Schlachtfeld der Diktatoren. Osteuropa im Schatten von Hitler und Stalin, Göttingen 2000). Und den man verstehen kann, wenn er Snyders Pose, das alles zum ersten Mal ans Licht zu bringen, "irritierend" nennt. Er hält überdies die politischen Ziele der deutschen und sowjetischen Seite, die Erfahrungen der ethnischen Gruppen und die Chronologie der Gewaltpolitik für so heterogen, dass sich daraus "keine wie auch immer geartete Raumerfahrung ergeben dürfte". Snyder vertrete, dass die Bloodlands mit den Grenzen der alten polnischen Adelsrepublik weitgehend kongruent seien, mitunter eine "sehr polnische Sicht auf die Geschicke des östlichen Europa".
Bemerkenswert seien dagegen Beobachtungen wie die, Stalin habe das Verhungernlassen und Liquidieren als Herrschaftstechnik gebraucht, während es den Deutschen gerade nicht gelang, die besetzten Gebiete zu beherrschen. Politisches Kalkül auf der Seite Stalins, Wahngebilde auf der Hitlers, der das Kriegsziel durch die "Endlösung" ersetzte. Darauf habe schon Sebastian Haffner hingewiesen. Der Versuch, eine Interaktion zwischen beiden Regimen zu beweisen, hätte Snyder auch nicht zur Behauptung von Parallelen - etwa die sowjetische Westverschiebung Polens als umgekehrter "Generalplan Ost" - führen müssen. Stalin habe auf die Nationalsozialisten reagiert, aber viel taktischer und klassisch imperialistischer als diese auf ihn.
JÜRGEN KAUBE
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'Bloodlands', ausgezeichnet mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, sollte jeder lesen, der das 'Zeitalter der Extreme' (Hobsbawm) verstehen will. Florian Welle Süddeutsche Zeitung, 5.März 2013