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Europa ist sich (fast) einig: Die Zeit der Kriege ist vorbei (hoffentlich!), und der Euro kommt (wahrscheinlich!). Doch eines wird es niemals geben: eine europäische Sprache. Zum Glück, denn mit Hilfe unserer sprachlichen Eigenheiten können wir uns gegenseitig noch immer ganz schön "auf die Füße treten". Stephen Burgens Tour durch das Schimpfwörterarsenal von 21 europäischen Sprachen ist nicht nur witzig zu lesen, sondern auch höchst informativ: die Begriffe werden in ihrem alltäglichen Kontext dargestellt und miteinander verglichen, so dass, unterstützt durch die jeweilige Übersetzung, ein buntes Bild der "schmutzigen Sprachen" entsteht. …mehr

Produktbeschreibung
Europa ist sich (fast) einig: Die Zeit der Kriege ist vorbei (hoffentlich!), und der Euro kommt (wahrscheinlich!). Doch eines wird es niemals geben: eine europäische Sprache. Zum Glück, denn mit Hilfe unserer sprachlichen Eigenheiten können wir uns gegenseitig noch immer ganz schön "auf die Füße treten". Stephen Burgens Tour durch das Schimpfwörterarsenal von 21 europäischen Sprachen ist nicht nur witzig zu lesen, sondern auch höchst informativ: die Begriffe werden in ihrem alltäglichen Kontext dargestellt und miteinander verglichen, so dass, unterstützt durch die jeweilige Übersetzung, ein buntes Bild der "schmutzigen Sprachen" entsteht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.1998

Hallo, wildes Weib, wie steht's?
Schimpf- und Grußformen sind in manchen Sprachen direkt poetisch

Treffen sich ein Rosbif, ein Kraut und ein Froschfresser. Sagt der eine: "Die europäische Einigung ermangelt einer kulturellen Dimension", dann denken die anderen dabei sicherlich zuletzt an eine Vereinheitlichung der Umgangssprachen. Hier bleibt die Gemeinschaft dem Subsidiaritätsprinzip treu, keine Euro-Norm pfuscht dem Fluchenden ins Mundwerk. Aber wurden die Folgen dieser sprachpflegerischen langen Leine ausreichend bedacht? Während der polyglotte Intellektuelle das Fehlen gesamteuropäischer Fernsehkanäle verschmerzen dürfte, stellt die Zersplitterung der Schimpfkultur ein hohes zwischenstaatliches Konfliktpotential dar. Kann der englische Hooligan seinem Kontrahenten vom Festland sein Anliegen überhaupt verständlich machen? Reicht der Touristenführer hin, um auf die Anmache eines italienischen Machos etwas angemessen Hartgesottenes zu erwidern? Und wie verträgt sich die Rechristianisierung des Kontinents mit der spanischen Vermischung von Analem und Sakralem?

Der Journalist Stephen Burgen zeichnet in seinem ebenso unterhaltsamen wie lehrreichen Führer durch die Niederungen europäischer Slangausdrücke einen Sprachenatlas als Flickenteppich. Die babylonische Verwirrung beginnt schon bei den Bedeutungen, die Nationalitäten im jeweiligen sexuellen Vokabular zukommt. Während "französisch" nahezu europaweit als Umschreibung des Oralverkehrs gilt (nicht zu verwechseln mit dem french kissing), ist die anale Penetration, die gemeinhin die "griechische" Variante ist, in Frankreich durch das Verb anglaiser zu bezeichnen. Eine casamento à inglesa (englische Hochzeit) bedeutet im Portugiesischen den Partnertausch. Die Spanier verwenden inglès als Attribut eines Menschen, der zu Sadomasochismus neigt, das italienische montar a la inglesa (wie die Engländer reiten) meint jedoch ganz harmlos den Damensitz auf dem Sattel. Aber ach, Europa! Mit alemanita (kleine Deutsche) verniedlichen die Spanier die Masturbation.

"Bastard" gehört ebenso wie "Hurensohn" zur äußerst begrenzten lingua franca der Beschimpfungen, ebenso wie der auf Musikkanälen längst gesellschaftsfähige motherfucker, den auch die südeuropäischen Sprachen kennen. Die einfachste Möglichkeit, sich während des nächsten Mittelmeerurlaubs Nervenkitzel zu verschaffen, besteht in anzüglichen Bemerkungen über die weibliche Verwandtschaft der Dorfproleten. Einen Italiener einen Gehörnten zu heißen wirkt ebenso todsicher, während Nordeuropäer eher eine Gleichsetzung mit weiblichen Genitalien auf die Palme bringt, die einen Südländer völlig kaltließe.

Doch warum führen wir Deutschen (wie auch die angeblich so "trockenen" Briten) bloß ständig unsere Exkremente im Munde? In Europa kommen da nur die Spanier mit, die sich verbal um Gott und die Welt einen Dreck scheren. Michail Bachtin hatte in seinem Buch über Rabelais die groteske Leiblichkeit und das Skatologische als vorherrschenden Gegenstand einer karnevalesken Volkskultur herausgearbeitet. In den Hochburgen der Gegenreformation scheint sie sich am stärksten erhalten zu haben. Von "Gottes Herz" über die "Heilige Hostie" bis zur "Milch der Hurenmutter, die dich geboren hat" können die Spanier alles in den Schmutz ziehen. Ein Dorf, das die Deutschen auf der Rückseite des Weltkörpers ansiedeln, lokalisieren sie in einer herrlich rätselhaften Wendung dort, "wo Christus sein Feuerzeug verloren hat".

In vielen Wendungen der Umgangssprache ist die sexistische, fremden- oder homosexuellenfeindliche Komponente offensichtlich. Die Schnittmenge europäischer Beleidigungen ist entlarvenderweise der "Schwanzlutscher". Daher redet Burgen auch klugerweise keiner herrschaftskritischen Idealisierung der Volkskultur das Wort, was der blasphemische Inhalt vieler Flüche nahelegen könnte. "Wenn jedes dritte Wort fuck lautet, darf man das nicht mit sexueller Befreiung verwechseln." Beschimpfungen seien vielmehr "unverdünnte Ideologie". Und, so könnte man in Hinblick auf die nationalen Stereotypen hinzufügen, eine Art kollektives Elefantengedächtnis, das der Überwindung europäischer "Erzfeindschaften" eher entgegensteht.

Anders als beim Beschimpfen ist bei der Grußkultur ein gegenseitiges Nichtverstehen in jedem Fall bedauerlich. Der Zürcher Volkskundler Albert Hauser hat eine quellengesättigte Studie über die Schweizer Gruß- und Umgangsformen seit dem siebzehnten Jahrhundert verfaßt. In der frühen Neuzeit waren die Grußbräuche eingebunden in stabile, religiös geprägte Lebenswelten und enthielten stets Wendungen zu Gott. Beim Auftrieb etwa grüßte man den Hirten mit "Hälf Gott, dass du wohl alpest und giot entalpest". Bedeutete daher schon die Säkularisierung eine Verarmung, so nahm die Verstädterung dem Grüßen auch seine soziale Funktion. War das Nichtgrüßen einst eine schwere soziale Sanktion und, man denke an den Gessler-Hut, eine Provokation gegenüber Höhergestellten, so ist es heute nur noch Resultat lebensweltlicher Anonymität. Der multikulturellen Gesellschaft sind feste Grußrituale eher ein Integrationshindernis. Die Nichtbeherrschung der korrekten Formen stellt Fremde bloß. Die Schweiz mit ihrer starken umgangssprachlichen Zersplitterung stellt somit ein nicht sonderlich ermutigendes Modell dessen dar, was auf Europa zukommen könnte.

So bricht Hauser auch nicht in ein kulturkritisches Lamento aus, sondern liest die reduzierten Grußformeln der Jugendkultur als Hoffnungszeichen: "Alle, selbst die verzerrtesten und kürzesten Formen und Formeln sind in ihrem Wesen schlussendlich gleich; die sind Ausdruck von menschlicher Zuneigung, vielleicht auch von Phantasie und sogar Ehrfurcht." Wie Burgen erkennt, "daß sich der englische Diskurs auf ein einziges Wort eindampfen läßt: fuck", so gibt sich der Ethnologe mit der Strukturanalogie von "Bhüeti Gott" und "Hoi" zufrieden und zitiert ein Sprichwort des neunzehnten Jahrhunderts: "E Schmutz (Kuss) und e Furz und e Grüez isch alls s'zäme glich guets." So wäre dann das Spektrum menschlicher Gefühlsregungen auf die Opposition Lust und Unlust, Anziehung und Abstoßung zurückgeführt, eine wahrhaft universell anschlußfähige Digitalisierung: "Hi" oder "Fuck off". Und jeder hörte sie in seiner Zunge reden.

RICHARD KÄMMERLINGS

Stephen Burgen: "Bloody hell, verdammt noch mal!" Eine europäische Schimpfkunde. Aus dem Englischen von Hartmut Schickert. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1998. 256 S., kt., 16,90 DM.

Albert Hauser: "Grüezi und Adieu". Gruss- und Umgangsformen vom siebzehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1998. 200 S., Abb., geb., 48,- DM.

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