Der Titel Blue Box, Barbara Köhlers zweiter Gedichtband, spielt an auf jenes filmtechnische Verfahren zur Schaffung künstlicher Effekte, bei dem die vor einem blauen Hintergrund entstandenen Bilder uns in neuen Räumen überraschen: virtuelle Welten. So suchen Barbara Köhlers poetische "Elementarsätze" Klärungen. Diese Gedichte wollen Sprachräume ausschreiten und ausweiten, denn die Sprache ist "Dazwischen", die "Schnittstelle" zwischen uns, den Dingen und den anderen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.1995Alleinsein ist eine gute Sache
Erfolgsstreik: Barbara Köhler besucht virtuelle Welten
"Deutsches Roulette", Barbara Köhlers erster Gedichtband, fand bei seinem Erscheinen vor vier Jahren großen und berechtigten Beifall und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Die Chemnitzerin des Jahrgangs 1959 hatte aus dem Zusammenbruch der DDR nicht bloß ihre Verletzungen gerettet, sondern auch eine Reihe von Gedichten.
Auf dieser Linie hätte die Autorin weitermachen können, und niemand hätte es ihr verübelt. Barbara Köhler hat es anders gewollt. Sie wählte das Risiko, den äußersten Anspruch. Ja, sie betreibt etwas, das man als Erfolgsstreik bezeichnen muß. An die Spitze ihres ostentativ schmalen zweiten Gedichtbuches setzt die Sechsunddreißigjährige ein Statement, das mit dem Pathos letztwilliger Verfügung operiert: "Ich übe das Alleinsein, und ich denke, ich habe es darin schon ziemlich weit gebracht. Ich rede mit der Sprache, manchmal antwortet sie. Manchmal antwortet auch jemand anders. Ich rechne nicht mehr damit, verstanden zu werden. Mathematik ist nicht mein Fach."
Das ist schroff und will schroff sein. Dagegen wirkt Ingeborg Bachmanns Dictum "Denken ist solitär, Alleinsein ist eine gute Sache" fast versöhnlich. Das Alleinsein mit der Sprache ist nicht ohne Tradition. Auch Barbara Köhler versichert sich einer Überlieferung von Sprach- und Medienreflexion, wofür bei ihr Namen wie Wittgenstein, Mandelbrot und McLuhan stehen.
Die zitierten Autoritäten markieren das Feld, auf dem die Autorin ihre lyrischen Exerzitien betreibt: Es geht ihr um die Sprache und das Sprechen inmitten medialer und virtueller Welten. Darauf spielt auch das Titelgedicht "Blue Box" an. Das sogenannte Bluebox-Verfahren, eine Tricktechnik zur künstlichen Hintergrundgestaltung, arbeitet mit zwei Kameras. Während die eine den Nachrichtensprecher vor einem intensiv blauen Schirm aufnimmt, registriert die zweite Kamera das im Lauf der Sendung wechselnde Hintergrundbild, etwa eine Landkarte. Der Trickmischer setzt die beiden Bildsignale zu einem Bild zusammen.
Nun ist das Gedicht kein Trickmischer. Es operiert allenfalls analog, indem es Sprachgeschichten gegen- und ineinander verschiebt. Das lyrische Resultat ist so ziemlich das Gegenteil von Medienglanz und -optimismus, und so ist Köhlers "Blue Box"-Gedicht eher ein resignierter Kommentar als die Illustration des Trickmisch-Verfahrens. Da ist von der "Ausweglosigkeit / des Sprechens" die Rede; und solche Ausweglosigkeit drückt sich auch in der gestauchten Sprache des Schlusses aus: "Es bleibt / nichts übrig hinterm Trauerrand der Liebe / nicht der Frau eines Mannes nicht dem Mann / einer Frau sind Taten sächlich kann Gegen warten / für ein Stück Blau laß mich bleiben: es".
Auch nach mehrfacher Lektüre bleibt das unkommunizierbar. Der "Blue Box"-Text ist kein Gedicht, sondern eher eine "Demonstration" im Sinne Heißenbüttels. Von dieser Art gibt es in dem Band noch andere Exempel. Sie belegen allenfalls, daß Barbara Köhler das von Wittgenstein, Mandelbrot oder MacLuhan Vorgedachte auf sprachliche Modelle bringen, also nachgestalten kann. Sie sind offenbar der Versuch, sich des für philosophisch aktuell Gehaltenen zu versichern - auch um den Preis des Hölderlin strapazierenden Kalauers: "KOMM! INS OFF, FREUND!"
Barbara Köhler hat die deutsche Wirklichkeit mit virtuellen Welten vertauscht. Das sollte nicht ihr letztes Wort sein. Zum Glück bietet der Band auch Beispiele dafür, daß die Dichterin ihr poetisches Talent nicht völlig hat reglementieren, ja strangulieren können. Ein schönes Beispiel steht gleich neben dem "Blue Box"-Text. Hier zeigt sich in Reim und Rhythmus noch einmal die Vollmacht der Poesie: der Zauber der Sprache und der Eros des Miteinander. Das Gedicht beginnt: "Selbander: wir beide / und ein verlorenes Wort", und es endet mit den Zeilen: "wo wir uns treffen / wächst das Selbdritte / was wir begreifen / ist schon der Rand." Im wirklichen Gedicht ist eben kein Wort verloren. HARALD HARTUNG
Barbara Köhler: "Blue Box". Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 63 S., geb., 28,- DM.
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Erfolgsstreik: Barbara Köhler besucht virtuelle Welten
"Deutsches Roulette", Barbara Köhlers erster Gedichtband, fand bei seinem Erscheinen vor vier Jahren großen und berechtigten Beifall und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Die Chemnitzerin des Jahrgangs 1959 hatte aus dem Zusammenbruch der DDR nicht bloß ihre Verletzungen gerettet, sondern auch eine Reihe von Gedichten.
Auf dieser Linie hätte die Autorin weitermachen können, und niemand hätte es ihr verübelt. Barbara Köhler hat es anders gewollt. Sie wählte das Risiko, den äußersten Anspruch. Ja, sie betreibt etwas, das man als Erfolgsstreik bezeichnen muß. An die Spitze ihres ostentativ schmalen zweiten Gedichtbuches setzt die Sechsunddreißigjährige ein Statement, das mit dem Pathos letztwilliger Verfügung operiert: "Ich übe das Alleinsein, und ich denke, ich habe es darin schon ziemlich weit gebracht. Ich rede mit der Sprache, manchmal antwortet sie. Manchmal antwortet auch jemand anders. Ich rechne nicht mehr damit, verstanden zu werden. Mathematik ist nicht mein Fach."
Das ist schroff und will schroff sein. Dagegen wirkt Ingeborg Bachmanns Dictum "Denken ist solitär, Alleinsein ist eine gute Sache" fast versöhnlich. Das Alleinsein mit der Sprache ist nicht ohne Tradition. Auch Barbara Köhler versichert sich einer Überlieferung von Sprach- und Medienreflexion, wofür bei ihr Namen wie Wittgenstein, Mandelbrot und McLuhan stehen.
Die zitierten Autoritäten markieren das Feld, auf dem die Autorin ihre lyrischen Exerzitien betreibt: Es geht ihr um die Sprache und das Sprechen inmitten medialer und virtueller Welten. Darauf spielt auch das Titelgedicht "Blue Box" an. Das sogenannte Bluebox-Verfahren, eine Tricktechnik zur künstlichen Hintergrundgestaltung, arbeitet mit zwei Kameras. Während die eine den Nachrichtensprecher vor einem intensiv blauen Schirm aufnimmt, registriert die zweite Kamera das im Lauf der Sendung wechselnde Hintergrundbild, etwa eine Landkarte. Der Trickmischer setzt die beiden Bildsignale zu einem Bild zusammen.
Nun ist das Gedicht kein Trickmischer. Es operiert allenfalls analog, indem es Sprachgeschichten gegen- und ineinander verschiebt. Das lyrische Resultat ist so ziemlich das Gegenteil von Medienglanz und -optimismus, und so ist Köhlers "Blue Box"-Gedicht eher ein resignierter Kommentar als die Illustration des Trickmisch-Verfahrens. Da ist von der "Ausweglosigkeit / des Sprechens" die Rede; und solche Ausweglosigkeit drückt sich auch in der gestauchten Sprache des Schlusses aus: "Es bleibt / nichts übrig hinterm Trauerrand der Liebe / nicht der Frau eines Mannes nicht dem Mann / einer Frau sind Taten sächlich kann Gegen warten / für ein Stück Blau laß mich bleiben: es".
Auch nach mehrfacher Lektüre bleibt das unkommunizierbar. Der "Blue Box"-Text ist kein Gedicht, sondern eher eine "Demonstration" im Sinne Heißenbüttels. Von dieser Art gibt es in dem Band noch andere Exempel. Sie belegen allenfalls, daß Barbara Köhler das von Wittgenstein, Mandelbrot oder MacLuhan Vorgedachte auf sprachliche Modelle bringen, also nachgestalten kann. Sie sind offenbar der Versuch, sich des für philosophisch aktuell Gehaltenen zu versichern - auch um den Preis des Hölderlin strapazierenden Kalauers: "KOMM! INS OFF, FREUND!"
Barbara Köhler hat die deutsche Wirklichkeit mit virtuellen Welten vertauscht. Das sollte nicht ihr letztes Wort sein. Zum Glück bietet der Band auch Beispiele dafür, daß die Dichterin ihr poetisches Talent nicht völlig hat reglementieren, ja strangulieren können. Ein schönes Beispiel steht gleich neben dem "Blue Box"-Text. Hier zeigt sich in Reim und Rhythmus noch einmal die Vollmacht der Poesie: der Zauber der Sprache und der Eros des Miteinander. Das Gedicht beginnt: "Selbander: wir beide / und ein verlorenes Wort", und es endet mit den Zeilen: "wo wir uns treffen / wächst das Selbdritte / was wir begreifen / ist schon der Rand." Im wirklichen Gedicht ist eben kein Wort verloren. HARALD HARTUNG
Barbara Köhler: "Blue Box". Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 63 S., geb., 28,- DM.
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