When it comes to law and order, East Texas plays by its own rules--a fact that Darren Mathews, a black Texas Ranger, knows all too well. Deeply ambivalent about growing up black in the lone star state, he was the first in his family to get as far away from Texas as he could. Until duty called him home. When his allegiance to his roots puts his job in jeopardy, he travels up Highway 59 to the small town of Lark, where two murders--a black lawyer from Chicago and a local white woman--have stirred up a hornet's nest of resentment. Darren must solve the crimes--and save himself in the process--before Lark's long-simmering racial fault lines erupt. A rural noir suffused with the unique music, color, and nuance of East Texas, Bluebird, Bluebird is an exhilarating, timely novel about the collision of race and justice in America."--
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2019Das ist auch mein Land
Wenn ein weißes Mädchen tot aufgefunden wird, interessiert ein toter Schwarzer keinen: In Attica Lockes beunruhigendem Roman "Bluebird, Bluebird" zeigt Amerika sein wahres Gesicht.
Wenn sich im Café Geneva's seit dem Tod von Jim Crow vor mehr als vierzig Jahren nicht viel verändert hat, dann liegt das vor allem daran, dass auch drum herum alles beim Alten ist. Es ist noch immer der einzige Rastplatz - Forellen, Teigtaschen mit Obstfüllung, Bourbon - für Schwarze, die sonst nirgendwo einkehren können. Denn das Geneva's liegt in Lark, einem fiktiven Städtchen im osttexanischen Shelby County, das an Louisiana grenzt und damit schon so gut wie zum Süden der Vereinigten Staaten gehört. Früher war der Ort eine Plantage, Läden wie das Kay's Kountry Kitchen mit ihren drei K sind hier auch im Jahr 2016 noch allgegenwärtig.
"Als Folge von Obama hatte Amerika sein wahres Gesicht gezeigt," schreibt Attica Locke in "Bluebird, Bluebird", und spätestens mit der Wahl Donald Trumps hat dieser Satz, hat ihr ganzes Werk eine neue Dringlichkeit bekommen. Es ist der vierte Roman der gebürtigen Texanerin, die zuletzt auch als Drehbuchautorin und Produzentin des Hip-Hop-Serienepos "Empire" arbeitete, ausgezeichnet mit dem Edgar. Ihr Lark liegt direkt am Highway 59, der Südtexas mit den Nordstaaten verbindet, deswegen kommen häufig Fremde durch. Wie der schwarze Anwalt aus Chicago, der kurz darauf ermordet im Bayou liegt. Als wäre das für eine Kleinstadt nicht aufreibend genug, liegt dort etwas später eine zweite Leiche. Diesmal von hier, eine Kellnerin. "Sie verschwenden keinen Gedanken mehr an den Mann", sagen die Leute im Geneva's voraus. "Nicht, wenn ein weißes Mädchen tot aufgefunden wird."
Besonders in den detaillierten Beschreibungen dieses Milieus und der Atmosphäre fühlt man sich in "Bluebird, Bluebird" an Dokumentarfilme jüngeren Datums erinnert, die den Alltag schwarzer Communities durch teilnehmende Beobachtung erfahrbar machen: Roberto Minervinis "What You Gonna Do When The World's One Fire?" oder RaMell Ross' "Hale County This Morning, This Evening". Lockes empathischer Blick auf ihre Figuren entwickelt eine vergleichbare Nähe zu ihren Protagonisten; sie zeigt, wie sehr alltäglicher und institutioneller Rassismus das Leben der Schwarzen in sämtlichen Daseinsbereichen bestimmt.
Die Leute im Geneva's sprechen in elliptischen Sätzen, abgehackt und abgekürzt, wie man eben miteinander redet, weil es aus gegenseitiger Vertrautheit nur das Nötigste zu sagen gilt. Oder weil ein paar fremde Ohren mithören. Die Ohren gehören Darren Mathews, der die Laufbahn als Texas Ranger einst der bequemeren Anwaltskarriere vorzog und sich nun in Lark umhört. Er ist dem ersten Mordopfer nicht unähnlich: ebenfalls Schwarzer mit texanischen Wurzeln, mit kriselnder Ehe und Alkoholproblem.
"Oh, bluebird, take this letter down south for me", heißt es im Song von John Lee Hooker, nach dem der Roman betitelt ist, und die sehnsüchtige Melancholie, die den Sänger darin mit dem Süden verbindet, spürt auch Mathews. Er schleppt nicht nur das persönlich empfundene Pflichtbewusstsein für die Aufklärung der Mordfälle mit sich herum, sondern auch den Ballast seiner eigenen Geschichte, die dem texanischen Boden tief eingeschrieben ist, den seine Vorfahren als Sklaven, später als Farmer bestellten und in dem sie begraben liegen. Den Gegenpol zu Mathews hat Locke mit der Witwe des Ermordeten geschaffen: einer Außenstehenden, für die diese enge Bindung an einen derart feindlichen Ort nur schwer nachvollziehbar ist. Sie unterscheidet sich durch ihren edlen Kaschmirmantel ebenso stark von den Bewohnern Larks wie durch die naive Unerschrockenheit, mit der sie anfangs selbst offensichtlichen Rassisten entgegentritt.
Die Gesellschaft, die Attica Locke zeichnet, ist nicht nur in Schwarz und Weiß gespalten. Die Risse verlaufen zugleich horizontal und vertikal: Stadt und Land, Norden und Süden, Arm und Reich, wir und die. "Das ist auch mein Grund und Boden, mein Staat, mein Land, und ich laufe nicht davon. Ich kann auch hier meinen Mann stehen. Meine Leute haben das hier aufgebaut, und wir gehen nirgendwohin", versucht Mathews der Witwe seinen Standpunkt zu erklären. Auch das ist Texas.
Attica Locke unterstreicht diese Legitimation, indem sie Gegenstände mit identitätspolitischer Symbolik auflädt: Die Gitarre etwa, eine 1955er Les Paul, die im Geneva's hängt. Aber vor allem Mathews' fünfzackiger Stern des Texas Rangers, von ihm geradezu fetischisiert als ultimativer Ausweis seiner Daseinsberechtigung selbst an Orten, an denen Schwarze üblicherweise gefragt werden, ob sie sich verlaufen hätten, bevor im schlimmsten Fall jemand eine Waffe zückt. Als er wegen eines den Lark-Morden ähnlich gelagerten Falles suspendiert wird, bekommt der Stern für ihn eine noch größere Bedeutung. "Ohne die Marke war er lediglich ein Schwarzer, der allein über einen Highway fuhr", heißt es einmal, und der Satz lässt zwei mögliche Konsequenzen zu, die sich auf eine beunruhigend existentielle Frage herunterbrechen lassen: Ist Mathews im Shelby County mit oder ohne Stern eher zum Abschuss freigegeben?
Dass es darauf keine einfachen Antworten geben kann, weiß Attica Locke. In ihrem Text türmen sich die Nebensätze, Details, Beobachtungen regelrecht auf und mit jeder erreichten Höhe wird eine neue, vormals verborgene Ebene sichtbar, fügt sie der Geschichte weitere Nuancen hinzu, die sämtliche Erwartungen und Schlüsse unterlaufen.
KATRIN DOERKSEN
Attica Locke:
"Bluebird, Bluebird".
Kriminalroman.
Aus dem Amerikanischen von Susanna Mende.
Polar Verlag, Hamburg 2019. 280 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn ein weißes Mädchen tot aufgefunden wird, interessiert ein toter Schwarzer keinen: In Attica Lockes beunruhigendem Roman "Bluebird, Bluebird" zeigt Amerika sein wahres Gesicht.
Wenn sich im Café Geneva's seit dem Tod von Jim Crow vor mehr als vierzig Jahren nicht viel verändert hat, dann liegt das vor allem daran, dass auch drum herum alles beim Alten ist. Es ist noch immer der einzige Rastplatz - Forellen, Teigtaschen mit Obstfüllung, Bourbon - für Schwarze, die sonst nirgendwo einkehren können. Denn das Geneva's liegt in Lark, einem fiktiven Städtchen im osttexanischen Shelby County, das an Louisiana grenzt und damit schon so gut wie zum Süden der Vereinigten Staaten gehört. Früher war der Ort eine Plantage, Läden wie das Kay's Kountry Kitchen mit ihren drei K sind hier auch im Jahr 2016 noch allgegenwärtig.
"Als Folge von Obama hatte Amerika sein wahres Gesicht gezeigt," schreibt Attica Locke in "Bluebird, Bluebird", und spätestens mit der Wahl Donald Trumps hat dieser Satz, hat ihr ganzes Werk eine neue Dringlichkeit bekommen. Es ist der vierte Roman der gebürtigen Texanerin, die zuletzt auch als Drehbuchautorin und Produzentin des Hip-Hop-Serienepos "Empire" arbeitete, ausgezeichnet mit dem Edgar. Ihr Lark liegt direkt am Highway 59, der Südtexas mit den Nordstaaten verbindet, deswegen kommen häufig Fremde durch. Wie der schwarze Anwalt aus Chicago, der kurz darauf ermordet im Bayou liegt. Als wäre das für eine Kleinstadt nicht aufreibend genug, liegt dort etwas später eine zweite Leiche. Diesmal von hier, eine Kellnerin. "Sie verschwenden keinen Gedanken mehr an den Mann", sagen die Leute im Geneva's voraus. "Nicht, wenn ein weißes Mädchen tot aufgefunden wird."
Besonders in den detaillierten Beschreibungen dieses Milieus und der Atmosphäre fühlt man sich in "Bluebird, Bluebird" an Dokumentarfilme jüngeren Datums erinnert, die den Alltag schwarzer Communities durch teilnehmende Beobachtung erfahrbar machen: Roberto Minervinis "What You Gonna Do When The World's One Fire?" oder RaMell Ross' "Hale County This Morning, This Evening". Lockes empathischer Blick auf ihre Figuren entwickelt eine vergleichbare Nähe zu ihren Protagonisten; sie zeigt, wie sehr alltäglicher und institutioneller Rassismus das Leben der Schwarzen in sämtlichen Daseinsbereichen bestimmt.
Die Leute im Geneva's sprechen in elliptischen Sätzen, abgehackt und abgekürzt, wie man eben miteinander redet, weil es aus gegenseitiger Vertrautheit nur das Nötigste zu sagen gilt. Oder weil ein paar fremde Ohren mithören. Die Ohren gehören Darren Mathews, der die Laufbahn als Texas Ranger einst der bequemeren Anwaltskarriere vorzog und sich nun in Lark umhört. Er ist dem ersten Mordopfer nicht unähnlich: ebenfalls Schwarzer mit texanischen Wurzeln, mit kriselnder Ehe und Alkoholproblem.
"Oh, bluebird, take this letter down south for me", heißt es im Song von John Lee Hooker, nach dem der Roman betitelt ist, und die sehnsüchtige Melancholie, die den Sänger darin mit dem Süden verbindet, spürt auch Mathews. Er schleppt nicht nur das persönlich empfundene Pflichtbewusstsein für die Aufklärung der Mordfälle mit sich herum, sondern auch den Ballast seiner eigenen Geschichte, die dem texanischen Boden tief eingeschrieben ist, den seine Vorfahren als Sklaven, später als Farmer bestellten und in dem sie begraben liegen. Den Gegenpol zu Mathews hat Locke mit der Witwe des Ermordeten geschaffen: einer Außenstehenden, für die diese enge Bindung an einen derart feindlichen Ort nur schwer nachvollziehbar ist. Sie unterscheidet sich durch ihren edlen Kaschmirmantel ebenso stark von den Bewohnern Larks wie durch die naive Unerschrockenheit, mit der sie anfangs selbst offensichtlichen Rassisten entgegentritt.
Die Gesellschaft, die Attica Locke zeichnet, ist nicht nur in Schwarz und Weiß gespalten. Die Risse verlaufen zugleich horizontal und vertikal: Stadt und Land, Norden und Süden, Arm und Reich, wir und die. "Das ist auch mein Grund und Boden, mein Staat, mein Land, und ich laufe nicht davon. Ich kann auch hier meinen Mann stehen. Meine Leute haben das hier aufgebaut, und wir gehen nirgendwohin", versucht Mathews der Witwe seinen Standpunkt zu erklären. Auch das ist Texas.
Attica Locke unterstreicht diese Legitimation, indem sie Gegenstände mit identitätspolitischer Symbolik auflädt: Die Gitarre etwa, eine 1955er Les Paul, die im Geneva's hängt. Aber vor allem Mathews' fünfzackiger Stern des Texas Rangers, von ihm geradezu fetischisiert als ultimativer Ausweis seiner Daseinsberechtigung selbst an Orten, an denen Schwarze üblicherweise gefragt werden, ob sie sich verlaufen hätten, bevor im schlimmsten Fall jemand eine Waffe zückt. Als er wegen eines den Lark-Morden ähnlich gelagerten Falles suspendiert wird, bekommt der Stern für ihn eine noch größere Bedeutung. "Ohne die Marke war er lediglich ein Schwarzer, der allein über einen Highway fuhr", heißt es einmal, und der Satz lässt zwei mögliche Konsequenzen zu, die sich auf eine beunruhigend existentielle Frage herunterbrechen lassen: Ist Mathews im Shelby County mit oder ohne Stern eher zum Abschuss freigegeben?
Dass es darauf keine einfachen Antworten geben kann, weiß Attica Locke. In ihrem Text türmen sich die Nebensätze, Details, Beobachtungen regelrecht auf und mit jeder erreichten Höhe wird eine neue, vormals verborgene Ebene sichtbar, fügt sie der Geschichte weitere Nuancen hinzu, die sämtliche Erwartungen und Schlüsse unterlaufen.
KATRIN DOERKSEN
Attica Locke:
"Bluebird, Bluebird".
Kriminalroman.
Aus dem Amerikanischen von Susanna Mende.
Polar Verlag, Hamburg 2019. 280 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.04.2019Unter Scheinheiligen
Rassismus definiert die Regeln des Zusammenlebens in einem kleinen Ort im Osten von Texas:
Attica Locke erzählt in „Bluebird, Bluebird“ von Hass, Ehre, Angst und Begehren
VON STEFAN FISCHER
Die Reihenfolge der zwei Morde irritiert den Texas Ranger Darren Matthews. Zuerst liegt ein schwarzer Mann tot im Attoyac Bayou. Wenige Tage später eine weiße Frau. Matthews kennt ein anderes Muster im ländlichen Texas: Dass erst ein Weißer ermordet und infolgedessen ein Schwarzer das Opfer von Rachlust wird.
So tief sitzt der Rassismus im Osten von Texas nach wie vor, dass die Schwarzen dort sich ihres Lebens nicht sicher sein können. Zudem gilt wie beinahe überall in den USA: Werden Schwarze Opfer von Gewaltverbrechen, haben die Täter kaum etwas zu befürchten. Und ist das Opfer weiß, wird zwangsläufig ein Schwarzer verdächtigt. Derart feindselig und unversöhnlich jedenfalls schildert Attica Locke die Atmosphäre in Shelby County. Schwarzen wird hier mitunter schon zum Verhängnis, dass sie ihre Ausgrenzung nicht akzeptieren. Eine Bar zu betreten, mit einer Weißen zu flirten, all das kann tödliche Konsequenzen haben.
Diese grundlegende Front des amerikanischen Rassenkonflikts bildet jedoch nur die oberste, am klarsten fassbare Schicht des Romans „Bluebird, Bluebird“. Sie definiert die Regeln des Zusammen- und Nebeneinanderherlebens in dem kleinen, fiktiven Ort Lark. Doch diese Regeln werden unentwegt gedehnt, unterlaufen und gebrochen – mal heimlich, hin und wieder offen. Das erzeugt einen Druck, der mehrfach zu gewaltigen Explosionen führt.
Attica Locke, die als Autorin und Produzentin an der US-Serie „Empire“ über die Verwerfungen rund um ein Hip-Hop-Label mitarbeitet, dringt tief ein in das beklemmende Milieu von Lark in ihrem mit dem Edgar Allen Poe Award prämierten Krimi, dessen Titel sich von einem John-Lee-Hooker-Song ableitet; eine Anspielung, die man spät im Buch begreift: „Bluebird, Bluebird, take this letter down south for me“ heißt die Zeile.
Als Randie Wright, die Witwe des toten, ortsfremden Schwarzen, in Lark eintrifft und mit vehementer Selbstverständlichkeit ihr Recht auf eine rasche und rücksichtslose Aufklärung des Mordes einfordert, weiß man als Leser längst, dass dieser Weg nicht zum Ziel führen und Darren Matthews, der Texas Ranger aus dem drei Autostunden entfernten Houston, ihn auch nicht beschreiten wird. Man nimmt das als frustrierende und schockierende Realität in Teilen der USA: Dass Polizisten in einer Demokratie taktieren müssen, um dem Recht ausnahmsweise Geltung zu verschaffen.
Matthews ist sich bewusst, dass er nach der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten einer Illusion aufgesessen ist. Der Mittvierziger hatte geglaubt, er gehöre der letzten Generation Schwarzer an, die wegen ihrer Hautfarbe auf der Hut sein und viel härter kämpfen müssen als Weiße, um dasselbe zu erreichen wie sie. „Doch in Wirklichkeit war genau das Gegenteil passiert. Als Folge von Obama hatte Amerika sein wahres Gesicht gezeigt“, räumt Matthews ein, der einer alteingesessenen Familie angehört, die reich genug ist, um in Texas bleiben zu können. Ihre Mitglieder müssen nicht in den Großstädten des
Nordens Arbeit suchen. Eine Familie, die sich als Teil von Texas definiert und bereit ist, für den Staat einzutreten, anstatt ihn hasserfüllten Weißen zu überlassen.
Darren Matthews sieht die Dinge klar, was ihm zugleich mitunter den Blick verstellt. Er bemüht sich um Neutralität, aber das ist viel verlangt von einem, dem kaum einmal jemand unbefangen gegenübertritt. Hinter Jeff’s Juice House in Lark, in dem sich die Rednecks treffen, von denen einige Mitglieder in der Arischen Bruderschaft Texas sind, wird Matthews sogar offen mit dem Tod bedroht.
Dass er ein Schwarzer ist, der sich in die Angelegenheiten von Weißen einmischt, wiegt so schwer, dass sein Status als Polizist keine Rolle spielt. Seine Ermordung wäre für den Witwer der toten Weißen die Eintrittskarte in die Bruderschaft. Die Angreifer wissen überdies, dass da eine merkwürdige Sache war, unmittelbar bevor Darren nach Lark gekommen ist und derentwegen er vorübergehend suspendiert war: der Mord an einem weißen Rassisten, ein schwarzer Freund von Matthews, eine verschwundene Tatwaffe …
Jeff’s Juice House ist der eine Pol in Lark, Geneva Sweet’s Sweets am gegenüberliegenden Ortsausgang der andere – der Treffpunkt der Schwarzen und für Darren Matthews eine Art Hauptquartier, in dem er allerdings nur mittelprächtig gut gelitten ist. Sein Verhältnis zu Randie Wright ist lange Zeit schwierig, ebenso das zu Geneva Sweet und vielen ihrer Stammkunden. Solidarität unter Schwarzen ist kein Automatismus. Etliche Menschen im Ort, darunter auch Schwarze, haben mehr zu verlieren als zu gewinnen durch Matthews’ Ermittlungen. Und sei es der notdürftig errungene Anschein von Seelenfrieden.
Der Rassismus ist die Triebkraft hinter allem, das legt Attica Locke mit einer stringenten Eindringlichkeit dar, die keine Ausflüchte zulässt. Er allein reicht aber nicht aus als Erklärung für insgesamt vier Morde. Da ist noch mehr: Stolz, Ehre, Angst, Rache und Begehren.
Der Rassismus macht die Menschen zu Gefangenen, auch etliche Weiße: den örtlichen Sheriff, der weiß, wann er sich mit wem anlegen kann und wann nicht; den Patron des Ortes, Wally Jefferson, der ein denkbar krudes Verhältnis zu seiner schwarzen Nachbarin Geneva hat, und Missy Dale, die eben mehr auf schwarze Männer steht. Keiner von ihnen rüttelt wirklich an den Grundfesten der dörflichen Gesellschaft. Dazu bräuchte es viel Mut und auch den Willen.
Doch die Bande zwischen Weißen und Schwarzen in Lark sind enger, als es die verabscheuungswürdigen Sitten zulassen. Rassistischer Hass ist der Katalysator, aber nicht das zentrale Motiv für die meisten der Morde in Lark, Shelby County, Osttexas.
„Als Folge von Obama
hatte Amerika sein
wahres Gesicht gezeigt.“
Attica Locke:
Bluebird, Bluebird.
Aus dem
Amerikanischen von Susanna Mende.
Polar Verlag,
Stuttgart 2019.
330 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Rassismus definiert die Regeln des Zusammenlebens in einem kleinen Ort im Osten von Texas:
Attica Locke erzählt in „Bluebird, Bluebird“ von Hass, Ehre, Angst und Begehren
VON STEFAN FISCHER
Die Reihenfolge der zwei Morde irritiert den Texas Ranger Darren Matthews. Zuerst liegt ein schwarzer Mann tot im Attoyac Bayou. Wenige Tage später eine weiße Frau. Matthews kennt ein anderes Muster im ländlichen Texas: Dass erst ein Weißer ermordet und infolgedessen ein Schwarzer das Opfer von Rachlust wird.
So tief sitzt der Rassismus im Osten von Texas nach wie vor, dass die Schwarzen dort sich ihres Lebens nicht sicher sein können. Zudem gilt wie beinahe überall in den USA: Werden Schwarze Opfer von Gewaltverbrechen, haben die Täter kaum etwas zu befürchten. Und ist das Opfer weiß, wird zwangsläufig ein Schwarzer verdächtigt. Derart feindselig und unversöhnlich jedenfalls schildert Attica Locke die Atmosphäre in Shelby County. Schwarzen wird hier mitunter schon zum Verhängnis, dass sie ihre Ausgrenzung nicht akzeptieren. Eine Bar zu betreten, mit einer Weißen zu flirten, all das kann tödliche Konsequenzen haben.
Diese grundlegende Front des amerikanischen Rassenkonflikts bildet jedoch nur die oberste, am klarsten fassbare Schicht des Romans „Bluebird, Bluebird“. Sie definiert die Regeln des Zusammen- und Nebeneinanderherlebens in dem kleinen, fiktiven Ort Lark. Doch diese Regeln werden unentwegt gedehnt, unterlaufen und gebrochen – mal heimlich, hin und wieder offen. Das erzeugt einen Druck, der mehrfach zu gewaltigen Explosionen führt.
Attica Locke, die als Autorin und Produzentin an der US-Serie „Empire“ über die Verwerfungen rund um ein Hip-Hop-Label mitarbeitet, dringt tief ein in das beklemmende Milieu von Lark in ihrem mit dem Edgar Allen Poe Award prämierten Krimi, dessen Titel sich von einem John-Lee-Hooker-Song ableitet; eine Anspielung, die man spät im Buch begreift: „Bluebird, Bluebird, take this letter down south for me“ heißt die Zeile.
Als Randie Wright, die Witwe des toten, ortsfremden Schwarzen, in Lark eintrifft und mit vehementer Selbstverständlichkeit ihr Recht auf eine rasche und rücksichtslose Aufklärung des Mordes einfordert, weiß man als Leser längst, dass dieser Weg nicht zum Ziel führen und Darren Matthews, der Texas Ranger aus dem drei Autostunden entfernten Houston, ihn auch nicht beschreiten wird. Man nimmt das als frustrierende und schockierende Realität in Teilen der USA: Dass Polizisten in einer Demokratie taktieren müssen, um dem Recht ausnahmsweise Geltung zu verschaffen.
Matthews ist sich bewusst, dass er nach der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten einer Illusion aufgesessen ist. Der Mittvierziger hatte geglaubt, er gehöre der letzten Generation Schwarzer an, die wegen ihrer Hautfarbe auf der Hut sein und viel härter kämpfen müssen als Weiße, um dasselbe zu erreichen wie sie. „Doch in Wirklichkeit war genau das Gegenteil passiert. Als Folge von Obama hatte Amerika sein wahres Gesicht gezeigt“, räumt Matthews ein, der einer alteingesessenen Familie angehört, die reich genug ist, um in Texas bleiben zu können. Ihre Mitglieder müssen nicht in den Großstädten des
Nordens Arbeit suchen. Eine Familie, die sich als Teil von Texas definiert und bereit ist, für den Staat einzutreten, anstatt ihn hasserfüllten Weißen zu überlassen.
Darren Matthews sieht die Dinge klar, was ihm zugleich mitunter den Blick verstellt. Er bemüht sich um Neutralität, aber das ist viel verlangt von einem, dem kaum einmal jemand unbefangen gegenübertritt. Hinter Jeff’s Juice House in Lark, in dem sich die Rednecks treffen, von denen einige Mitglieder in der Arischen Bruderschaft Texas sind, wird Matthews sogar offen mit dem Tod bedroht.
Dass er ein Schwarzer ist, der sich in die Angelegenheiten von Weißen einmischt, wiegt so schwer, dass sein Status als Polizist keine Rolle spielt. Seine Ermordung wäre für den Witwer der toten Weißen die Eintrittskarte in die Bruderschaft. Die Angreifer wissen überdies, dass da eine merkwürdige Sache war, unmittelbar bevor Darren nach Lark gekommen ist und derentwegen er vorübergehend suspendiert war: der Mord an einem weißen Rassisten, ein schwarzer Freund von Matthews, eine verschwundene Tatwaffe …
Jeff’s Juice House ist der eine Pol in Lark, Geneva Sweet’s Sweets am gegenüberliegenden Ortsausgang der andere – der Treffpunkt der Schwarzen und für Darren Matthews eine Art Hauptquartier, in dem er allerdings nur mittelprächtig gut gelitten ist. Sein Verhältnis zu Randie Wright ist lange Zeit schwierig, ebenso das zu Geneva Sweet und vielen ihrer Stammkunden. Solidarität unter Schwarzen ist kein Automatismus. Etliche Menschen im Ort, darunter auch Schwarze, haben mehr zu verlieren als zu gewinnen durch Matthews’ Ermittlungen. Und sei es der notdürftig errungene Anschein von Seelenfrieden.
Der Rassismus ist die Triebkraft hinter allem, das legt Attica Locke mit einer stringenten Eindringlichkeit dar, die keine Ausflüchte zulässt. Er allein reicht aber nicht aus als Erklärung für insgesamt vier Morde. Da ist noch mehr: Stolz, Ehre, Angst, Rache und Begehren.
Der Rassismus macht die Menschen zu Gefangenen, auch etliche Weiße: den örtlichen Sheriff, der weiß, wann er sich mit wem anlegen kann und wann nicht; den Patron des Ortes, Wally Jefferson, der ein denkbar krudes Verhältnis zu seiner schwarzen Nachbarin Geneva hat, und Missy Dale, die eben mehr auf schwarze Männer steht. Keiner von ihnen rüttelt wirklich an den Grundfesten der dörflichen Gesellschaft. Dazu bräuchte es viel Mut und auch den Willen.
Doch die Bande zwischen Weißen und Schwarzen in Lark sind enger, als es die verabscheuungswürdigen Sitten zulassen. Rassistischer Hass ist der Katalysator, aber nicht das zentrale Motiv für die meisten der Morde in Lark, Shelby County, Osttexas.
„Als Folge von Obama
hatte Amerika sein
wahres Gesicht gezeigt.“
Attica Locke:
Bluebird, Bluebird.
Aus dem
Amerikanischen von Susanna Mende.
Polar Verlag,
Stuttgart 2019.
330 Seiten, 20 Euro.
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