Die -geistig-moralische Wende- von 1982 löste auch in den Hochschulen eine Phase der Restauration aus. Studentische Verbindungen, die im Gefolge der Studentenbewegung von 1968 politisch fast bedeutungslos geworden waren, haben wieder Zulauf und gewinnen in der (universitären) Öffentlichkeit an Boden. In der vorliegenden Studie wird deutlich, wie völkisch-nationalistisches Denken das burschenschaftliche Weltbild von Beginn an formte und bis heute prägt. Es bildet die Basis für ein Gesellschafts- (besser: Volksgemeinschafts-), Politik- und Staatsverständnis, das im Widerspruch zu den Grundsätzen demokratisch verfaßter Gesellschaften steht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.1997Das braune Band der Antipathie
Ein trauriges Bild von lustigen Haufen: Burschenschaften
Das politische Spektrum der Burschenschaften war besonders in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts noch recht breit. Karl Marx und Ferdinand Lassalle waren ebenso Burschenschafter wie Robert Blum oder Max Weber. Trotz der liberalen und linken Exponenten aus der Zeit der älteren Burschenschaften, deren sie sich selbst auch gerne rühmen, geriet die Bewegung seit den 1880er Jahren in rechte Strudel, aus denen sie sich nie wirklich befreien wollte.
Die universitäre Geschichtsforschung hat die Studentenverbindungen lange mißachtet. In den letzten Jahren ist jedoch eine beachtliche Zahl von historischen Publikationen zum Thema auf den Markt gekommen. Die meisten wurden allerdings von ehemaligen Burschenschaftern verfaßt und zeichneten sich durch Distanzlosigkeit zum Thema und analytische Blindheit aus. Von der Fachwelt und der Öffentlichkeit werden diese Werke zu Recht kaum beachtet. Mit der jetzt erschienenen Studie "Blut und Paukboden" legen Dietrich Heither, Michael Gehler, Alexandra Kurth und Gerhard Schäfer dagegen eine Geschichte der Burschenschaften aus äußerst kritischer Perspektive vor.
Hier steht nicht die sonst immer wieder gern beschworene liberale Tradition der Urburschenschaft im Zentrum, sondern die Kontinuität des "völkischen" und antidemokratischen Denkens, das sich wie ein brauner Faden bis zum Wartburgfest von 1817, der ersten großen urburschenschaftlichen Manifestation, zurückverfolgen läßt. Damit werden die deutschen Burschenschaften "paradigmatisch für die Entwicklung einer politischen und ideologischen Strömung der deutschen Geistes-, Sozial-und Politikgeschichte" und somit auch für Außenstehende interessant.
Das Wartburgfest, das gemeinhin als Ikone des frühen Liberalismus in Deutschland gilt, gerät in einen beklemmenden Kontext. Die bekannte Bücherverbrennung umfaßte neben dem "Code Napoléon" vor allem Werke von Juden und von Autoren, die vor einem übersteigerten "Deutschtum" warnten. Hier ist bereits die zukünftige Rolle der Burschenschaften vorweggenommen. Und auch im Folgenden wird die übliche Gewichtung umgekehrt, indem der Schwerpunkt der Untersuchung nicht in die sogenannte Blütezeit der Burschenschaften, sondern ins zwanzigste Jahrhundert gelegt wird. Die weitgehend chronologisch gehaltene Darstellung der Ideengeschichte wird ergänzt durch eine quantifizierende Analyse über das Verhältnis der Korporationsstudenten zum Nationalsozialismus in Österreich vor 1938.
Weitgehend ausgeblendet bleibt das sogenannte Verbindungsleben, die Funktion der Mensur und des Comments, also derjenigen Instrumente, die den Burschenschaften den Charakter von "Prägestätten" (Norbert Elias) gaben. Ohne Berücksichtigung des Comments aber bleibt unklar, weshalb die Burschenschaften (und mit ihnen auch die anderen Studentenverbindungen) die jungen Studenten so nachhaltig zu faszinieren vermochten, weshalb sich junge Männer auch heute wieder in zunehmendem Maße für die burschenschaftlichen Erziehungsideale einsetzen und sich den rigiden Regeln und Ritualen unterziehen. Hier zeigen sich die Grenzen der distanzierten analytischen Herangehensweise des Autorenteams.
Fast gleichzeitig mit dieser Burschenschaftsgeschichte ist im Universitätsverlag Winter in Heidelberg der erste Band eines "Biografischen Lexikons der Deutschen Burschenschaft" von Helge Dvorak erschienen. Das "Lexikon", das "einen historischen Beitrag zum Verständnis der Vergangenheit leisten will", indem es die "gerade für uns Heutige hochinteressanten Lebensläufe bedeutender Männer, aus denen ihre großen Leistungen deutlich werden", vorstellt, ist ein übles Beispiel für die unkritische apologetische Haltung der Burschenschaften ihrer NS-Vergangenheit gegenüber. Wenn der Verfasser, der immer wieder als Propagandist für rechtsextremes Gedankengut in den Burschenschaften in Erscheinung getreten ist, im Vorwort schreibt, daß der Einsatz des Burschenschafters "für das Vaterland" heute noch in der Verpflichtung besteht, "sich für die freie Entfaltung deutschen Volkstums einzusetzen und dabei alle Teile des deutschen Volkes zu berücksichtigen", tritt die völkische Ideologie unverhüllt zutage.
Dieses "Lexikon" ist nur ein Argument mehr für die Stichhaltigkeit der Thesen von Dietrich Heither, Michael Gehler, Alexandra Kurth und Gerhard Schäfer: Burschenschaften waren und sind bis heute einem rechten bis rechtsextremen Gedankengut verpflichtet, das es zu beobachten gilt. LYNN BLATTMANN
Helge Dvorak: "Biografisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft". Band I: Politiker, Teil 1: A-E. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1996. XIII, 98 S., Abb., geb., 128,- DM
Dietrich Heither, Michael Gehler, Alexandra Kurth, Gerhard Schäfer: "Blut und Paukboden". Eine Geschichte der Burschenschaften. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1997, 412 S., br., 24,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein trauriges Bild von lustigen Haufen: Burschenschaften
Das politische Spektrum der Burschenschaften war besonders in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts noch recht breit. Karl Marx und Ferdinand Lassalle waren ebenso Burschenschafter wie Robert Blum oder Max Weber. Trotz der liberalen und linken Exponenten aus der Zeit der älteren Burschenschaften, deren sie sich selbst auch gerne rühmen, geriet die Bewegung seit den 1880er Jahren in rechte Strudel, aus denen sie sich nie wirklich befreien wollte.
Die universitäre Geschichtsforschung hat die Studentenverbindungen lange mißachtet. In den letzten Jahren ist jedoch eine beachtliche Zahl von historischen Publikationen zum Thema auf den Markt gekommen. Die meisten wurden allerdings von ehemaligen Burschenschaftern verfaßt und zeichneten sich durch Distanzlosigkeit zum Thema und analytische Blindheit aus. Von der Fachwelt und der Öffentlichkeit werden diese Werke zu Recht kaum beachtet. Mit der jetzt erschienenen Studie "Blut und Paukboden" legen Dietrich Heither, Michael Gehler, Alexandra Kurth und Gerhard Schäfer dagegen eine Geschichte der Burschenschaften aus äußerst kritischer Perspektive vor.
Hier steht nicht die sonst immer wieder gern beschworene liberale Tradition der Urburschenschaft im Zentrum, sondern die Kontinuität des "völkischen" und antidemokratischen Denkens, das sich wie ein brauner Faden bis zum Wartburgfest von 1817, der ersten großen urburschenschaftlichen Manifestation, zurückverfolgen läßt. Damit werden die deutschen Burschenschaften "paradigmatisch für die Entwicklung einer politischen und ideologischen Strömung der deutschen Geistes-, Sozial-und Politikgeschichte" und somit auch für Außenstehende interessant.
Das Wartburgfest, das gemeinhin als Ikone des frühen Liberalismus in Deutschland gilt, gerät in einen beklemmenden Kontext. Die bekannte Bücherverbrennung umfaßte neben dem "Code Napoléon" vor allem Werke von Juden und von Autoren, die vor einem übersteigerten "Deutschtum" warnten. Hier ist bereits die zukünftige Rolle der Burschenschaften vorweggenommen. Und auch im Folgenden wird die übliche Gewichtung umgekehrt, indem der Schwerpunkt der Untersuchung nicht in die sogenannte Blütezeit der Burschenschaften, sondern ins zwanzigste Jahrhundert gelegt wird. Die weitgehend chronologisch gehaltene Darstellung der Ideengeschichte wird ergänzt durch eine quantifizierende Analyse über das Verhältnis der Korporationsstudenten zum Nationalsozialismus in Österreich vor 1938.
Weitgehend ausgeblendet bleibt das sogenannte Verbindungsleben, die Funktion der Mensur und des Comments, also derjenigen Instrumente, die den Burschenschaften den Charakter von "Prägestätten" (Norbert Elias) gaben. Ohne Berücksichtigung des Comments aber bleibt unklar, weshalb die Burschenschaften (und mit ihnen auch die anderen Studentenverbindungen) die jungen Studenten so nachhaltig zu faszinieren vermochten, weshalb sich junge Männer auch heute wieder in zunehmendem Maße für die burschenschaftlichen Erziehungsideale einsetzen und sich den rigiden Regeln und Ritualen unterziehen. Hier zeigen sich die Grenzen der distanzierten analytischen Herangehensweise des Autorenteams.
Fast gleichzeitig mit dieser Burschenschaftsgeschichte ist im Universitätsverlag Winter in Heidelberg der erste Band eines "Biografischen Lexikons der Deutschen Burschenschaft" von Helge Dvorak erschienen. Das "Lexikon", das "einen historischen Beitrag zum Verständnis der Vergangenheit leisten will", indem es die "gerade für uns Heutige hochinteressanten Lebensläufe bedeutender Männer, aus denen ihre großen Leistungen deutlich werden", vorstellt, ist ein übles Beispiel für die unkritische apologetische Haltung der Burschenschaften ihrer NS-Vergangenheit gegenüber. Wenn der Verfasser, der immer wieder als Propagandist für rechtsextremes Gedankengut in den Burschenschaften in Erscheinung getreten ist, im Vorwort schreibt, daß der Einsatz des Burschenschafters "für das Vaterland" heute noch in der Verpflichtung besteht, "sich für die freie Entfaltung deutschen Volkstums einzusetzen und dabei alle Teile des deutschen Volkes zu berücksichtigen", tritt die völkische Ideologie unverhüllt zutage.
Dieses "Lexikon" ist nur ein Argument mehr für die Stichhaltigkeit der Thesen von Dietrich Heither, Michael Gehler, Alexandra Kurth und Gerhard Schäfer: Burschenschaften waren und sind bis heute einem rechten bis rechtsextremen Gedankengut verpflichtet, das es zu beobachten gilt. LYNN BLATTMANN
Helge Dvorak: "Biografisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft". Band I: Politiker, Teil 1: A-E. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1996. XIII, 98 S., Abb., geb., 128,- DM
Dietrich Heither, Michael Gehler, Alexandra Kurth, Gerhard Schäfer: "Blut und Paukboden". Eine Geschichte der Burschenschaften. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1997, 412 S., br., 24,90 DM.
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