Produktdetails
  • Verlag: Murmann Publishers
  • Seitenzahl: 495
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 1000g
  • ISBN-13: 9783932425127
  • ISBN-10: 393242512X
  • Artikelnr.: 23931080
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.1999

Ein verteufelt teurer Saft
Das Blut: Douglas Starr beschreibt die Karriere einer Ware

Zu den vielen Greuelmeldungen aus dem Kosovo gehören auch die Berichte von Flüchtlingen, daß junge Kosovo-Albaner von serbischen Sondereinheiten als "lebende Blutbanken" mißbraucht würden. Auch wenn es bislang keine unabhängige Bestätigung dafür gibt, so mag diese Behauptung durchaus eine reale Basis haben. Denn in Kriegszeiten sind Blutreserven von strategischer Bedeutung, wie sich im Zweiten Weltkrieg erstmals gezeigt hat.

Zu Beginn des Jahrhunderts war man, wie bei Douglas Starr nachzulesen ist, noch auf "lebende Blutkonserven" angewiesen. Allerdings war die Bluttransfusion damals eine riskante Sache. Zwar kannte man bereits die Blutgruppen und konnte somit die Abwehrreaktion des Immunsystems beim Empfänger weitgehend verhindern, doch war man damals noch auf die direkte Übertragung des Spenderbluts angewiesen. Wegen der unvermeidlichen Blutgerinnung mußte man die Transfusion nach spätestens drei bis fünf Minuten abbrechen, weil dann die Nadeln und Schläuche verstopft waren.

Eine indirekte Blutspende, wie sie heute üblich ist, wurde erst möglich, als der am Mount Sinai Hospital in New York tätige Arzt Richard Lewinsohn entdeckte, daß ein geringer Zusatz von Natriumcitrat das Spenderblut flüssig hält. Als er 1915, mitten im Ersten Weltkrieg seine bahnbrechenden Forschungen veröffentlichte, schien auch die letzte Hürde vor dem Einsatz der Bluttransfusion als medizinische Routinetechnik genommen zu sein. Welcher bedeutende Fortschritt damit erzielt war, schilderte ein anderer Pionier auf dem Gebiet der Bluttransfusion, Bertram Bernheim: "Für meine erste Transfusion benötigte ich sieben Stunden; ich nahm einem Spender bis zu seiner völligen Erschöpfung Blut ab und hätte den zweiten fast getötet . . . Und dann kommt ein Mann, der mit seinen Paar Tropfen einer klaren, wäßrigen Flüssigkeit, die alle Risiken ausschaltet, das Ganze töricht erscheinen läßt." Bis zu diesem Durchbruch, der allerdings nur den wenigsten Verwundeten im Ersten Weltkrieg zugute kam, war es ein langer Weg.

Daß es durchaus nützlich ist, ein Buch über die Geschichte des Blutspendewesens und der Transfusionsmedizin (samt einem kurzen Blick auf die lange Tradition des Aderlasses, der im neunzehnten Jahrhundert aus der Mode kam), zu veröffentlichen, zeigt eine Umfrage unter Tübinger Blutspendern Anfang der neunziger Jahre. Dabei stellte sich heraus, daß nicht wenige, insbesondere ältere Patienten ihre Blutspende nicht nur als gute Tat, sondern auch als einen einfachen Weg ansehen, zur Ader gelassen zu werden. Leider finden sich in diesem Kapitel über die Vorgeschichte der Bluttransfusion einige sachliche Irrtümer und Übersetzungsfehler. Von einem Bürgerkrieg in Deutschland gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts wissen die Geschichtsbücher üblicherweise nichts zu berichten. Johann Baptist Helmont war ein flämischer und kein belgischer Arzt. Hinter dem merkwürdigen deutschen Ausdruck "Radikalmedizin" verbirgt sich vermutlich der anglo-amerikanische Quellenbegriff "heroic medicine" als zeitgenössische Sammelbezeichnung für das therapeutische Dreigestirn von Aderlaß, Brech- und Abführmittel.

Die eigentliche Geschichte der Transfusionsmedizin beginnt in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, nachdem man in der Renaissance bereits Überlegungen angestellt hatte, ob man nicht vielleicht einen Menschen mit liederlichem Lebenswandel durch die Übertragung des Blutes eines moralisch integren Altersgenossen auf den Pfad der Tugend zurückbringen könne. Den äußerst gewagten Schritt, diese Idee in die Praxis umzusetzen, unternahm der französische Arzt Jean-Baptiste Denis im Juni 1667, als er einem offensichtlich an manischen Zuständen leidenden Patienten mehrmals Kalbsblut übertrug. Der (für uns heute vorhersehbare) tragische Verlauf dieser Transfusion und das anschließende Untersuchungsverfahren führten dazu, daß auf diesem Gebiet anderthalb Jahrhunderte nicht weiter experimentiert wurde.

Als sich der Londoner Arzt Thomas Blundell um 1815 - nicht ohne Erfolg - an der Transfusion von Mensch zu Mensch versuchte, hatte sich auch das Therapieziel geändert: Nicht mehr Geistes- oder Gemütskranke, sondern Menschen, die an starken Blutungen litten, sollten Transfusionen erhalten. Obwohl Blundell vor der Verwendung von Tierblut gewarnt hatte, feierte die Lammbluttransfusion im neunzehnten Jahrhundert wieder fröhliche Urständ. Das soll den Chirurgen Richard von Volkmann (1830 bis 1898) zu der zynischen Bemerkung veranlaßt haben: "Zu einer Lammbluttransfusion gehören immer drei Schafe: der Patient, der transfundierende Arzt und das Lamm als Spender."

Der Hauptteil des Buches besteht aus einer nachdenklich stimmenden Geschichte des modernen Blutspendewesens und der Transfusionsmedizin. Als in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts die ersten Blutbanken eingerichtet wurden, ließ sich nicht mehr verleugnen, daß sich Blut zu einem begehrten Rohstoff zu entwickeln begann. Einen weiteren Schritt in Richtung Kommerzialisierung brachten Versuche mit Blutplasma. Als Erwin J. Cohn zu Beginn des Zweiten Weltkriegs der entscheidende Schritt zur Herstellung von gefriergetrocknetem Plasma gelang, war die weitere Fraktionierung von Bestandteilen des Blutes (wie Albumin) nur eine Frage der Zeit. Um Albumin und Trockenplasma herzustellen, benötigt man große Mengen Blut. Im Zweiten Weltkrieg warben in den Vereinigten Staaten Plakate, auf denen ein verwundeter Soldat zu sehen war, für eine Blutspende mit der Aufschrift "Er gab sein Blut, werden Sie Ihres geben?"

Nach dem Krieg wuchs der Markt für Blutprodukte aufgrund der Fortschritte in der Chirurgie und der Intensivmedizin ständig. Während man in Frankreich lange Zeit noch auf freiwillige Blutspenden setzte, um den Bedarf zu decken, ging man in den Vereinigten Staaten schon frühzeitig dazu über, die Blutspender zu bezahlen, was auch dort nicht unumstritten war. Insbesondere die Kommerzialisierung der Plasmaspende führe zu skandalösen Zuständen und zur Ausbeutung von Spendern, die lange Zeit und in überwiegendem Maße aus den Unterschichten und Randgruppen (und wie wir heute wissen: Risikogruppen) rekrutiert wurden.

Es sind jedoch nicht so sehr die wirtschaftlichen Auswüchse, die Bildung von Kartellen und dubiose Geschäftemacherei, die die Problematik der Beschaffung immer größerer Mengen an Spenderblut nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa, Japan und den Vereinigten Staaten kennzeichneten. Als man in den sechziger Jahren feststellte, daß ein Großteil der Blutreserven den Hepatitis-Erreger erhielt, wurden erstmals die Risiken, die verseuchtes Blut barg, einer größeren Öffentlichkeit bewußt. Doch als sich zu Beginn der achtziger Jahre Berichte über eine neue, sich rasch ausbreitende Infektionskrankheit häuften, die unter dem Akronym AIDS bekannt wurde, schrillten bei den Transfusionsmedizinern nicht die Alarmglocken.

Die deutsche chronique scandaleuse wird in Egmont Kochs Buch "Böses Blut" (1990) behandelt, das von dem Schicksal der Hämophilen berichtet, die mit von HIV-Erregern kontaminierten Blutpräparaten behandelt wurden. Wie auch in anderen Ländern die Risiken bei der Bluttransfusion trotz besseren Wissens aus handfesten ökonomischen und standespolitischen Interessen in der Öffentlichkeit heruntergespielt wurden, davon gibt dieses gutrecherchierte Buch eines amerikanischen Wissenschaftsjournalisten, das die publikumswirksame Bezeichnung "Starr-Report" wirklich verdient hätte, ein aufrüttelndes Zeugnis ab.

ROBERT JÜTTE

Douglas Starr: "Blut". Stoff für Leben und Kommerz. Aus dem Amerikanischen von Inge Leipold. Gerling Akademie Verlag, München 1999. 512 S., 34 Abb., geb. 64,- DM.

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