"Verena Boos verbindet großes Erzähltalent mit historischer Präzision." Jan Brandt
Für die junge Spanierin Maite ist das Studium in München vor allem eine Chance, ihrem konservativen Elternhaus zu entfliehen. Ihre Heimat Valencia, berühmt für den Handel mit makellosen Orangen, wird ihr allmählich fremd. Sie verliebt sich in Carlos, der aus einer deutsch-spanischen Familie stammt, und befreundet sich mit seinem Großvater Antonio. Der alte Emigrant berichtet von nie gehörten Ereignissen und erzählt doch nicht alles. Eines Tages wird aus der Zuhörerin eine Fragerin: Wie gelangte ihr Vater in eine deutsche Uniform?
"Verena Boos verknüpft deutsche und spanische Geschichte über einen Zeitraum von achtzig Jahren hinweg, mit Eindringlichkeit und narrativer Vielfalt. Der Leser hält einen erstaunlichen und höchst lesenswerten Debütroman in den Händen, der mit einer enormen Stoffvielfalt aufwartet, wie man sie nur von großen Romanciers kennt." Thomas Lehr
Für die junge Spanierin Maite ist das Studium in München vor allem eine Chance, ihrem konservativen Elternhaus zu entfliehen. Ihre Heimat Valencia, berühmt für den Handel mit makellosen Orangen, wird ihr allmählich fremd. Sie verliebt sich in Carlos, der aus einer deutsch-spanischen Familie stammt, und befreundet sich mit seinem Großvater Antonio. Der alte Emigrant berichtet von nie gehörten Ereignissen und erzählt doch nicht alles. Eines Tages wird aus der Zuhörerin eine Fragerin: Wie gelangte ihr Vater in eine deutsche Uniform?
"Verena Boos verknüpft deutsche und spanische Geschichte über einen Zeitraum von achtzig Jahren hinweg, mit Eindringlichkeit und narrativer Vielfalt. Der Leser hält einen erstaunlichen und höchst lesenswerten Debütroman in den Händen, der mit einer enormen Stoffvielfalt aufwartet, wie man sie nur von großen Romanciers kennt." Thomas Lehr
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2015Die unwissenden Enkel werden sich wundern
Verena Boos hat einen entlarvenden Roman über das franquistische Spanien geschrieben: "Blutorangen"
Das Buch beginnt mit einer Exhumierung. Gebeine werden aus dem staubigen Boden gegraben. Die Toten in einem Dorf nahe Valencia haben nie ein offizielles Grab erhalten. Ihr Tod kam plötzlich, denn sie wurden erschossen, dann hastig verscharrt. Von Francos Schergen erledigt, in eine Grube geworfen, mit Erde bedeckt, dann in Schweigen gehüllt. Erst die Generation der Enkel, zu der sich altersmäßig auch die deutsche Autorin von "Blutorangen" zählen darf, stellt Fragen, will Geschichte rekonstruieren und Beweise liefern. Verena Boos hat einen beeindruckenden Roman über das franquistische Spanien geschrieben, über seine Verstrickungen im Zweiten Weltkrieg, seine Rolle im internationalen Faschismus oder wie die Autorin bei ihrer Buchpremiere in Berlin sagte: innerhalb der "faschistischen Familie Europas".
Die lange gültige und einer aktuellen Umfrage zufolge noch immer weitverbreitete Geschichtsschreibung geht so: Franco hat sich rausgehalten. Er hat in den entscheidenden Jahren nicht mit Hitler paktiert, wenngleich seine Sympathie wohl eindeutig den Achsenmächten galt. Inzwischen gibt es solide Beweise dafür, dass Franco, der sich 1939 an die Macht putschte und erst 1975 im Amt starb, detailliert über Hitlers Judenvernichtungsindustrie Bescheid wusste. Als Gegenleistung für seine Loyalität im Kampf gegen den Bolschewismus hatte Hitler Franco beim Bau von Konzentrationslagern unterstützt. Umgekehrt lieferte man Rohstoffe nach Deutschland, bot geheimdienstliche Unterstützung an und, was heute nur den wenigsten bekannt sein dürfte: Franco lieh Hitler knapp fünfzigtausend Soldaten für seinen Russlandfeldzug. Die sogenannte "Blaue Division", die ihren Namen von den blauen Hemden der spanischen Falangisten erhalten hat, zog 1941 an die Ostfront. 1943 hatte Franco die Vergeblichkeit des Unterfangens erkannt und die Überlebenden zurück nach Spanien geholt, wo sie oft Karriere in der Guardia Civil machten. Während der Franco-Diktatur wurde die paramilitärische Polizeieinheit als Repressionsinstrument gegen politische Feinde eingesetzt. Es kam unter anderem zu Erschießungen von Partisanen.
Vor diesem Hintergrund erzählt Verena Boos in ihrem Debütroman die Geschichte zweier spanischer Familien. Die eine besteht aus Kämpfern der Republik, die andere aus wohlhabenden Obstplantagenbesitzern, die in Bürgerkriegszeiten um ihren Besitz bangen. Der älteste Sohn meldet sich freiwillig im Rekrutierungsbüro der Faschisten und gelangt dadurch als Fünfzehnjähriger an die Ostfront. Als er zurückkehrt, ist er kein Held, sondern ein Häuflein Elend. Seine Braut ist mit dem Bruder durchgebrannt. Francisco findet eine andere, macht steil Karriere in der Guardia Civil, bekommt vier Kinder, die alle keine Fragen stellen, und verstummt. Bis Maite, die jüngste Tochter, ein Studium in München beginnt und dort mit einem Viertelspanier anbandelt. Carlos ist der Spross eines Vaters, dessen eigener Vater auf dem Wochenmarkt Orangen verkauft. Nach und nach stellt sich jedoch heraus, dass dieser Antonio ursprünglich anderes im Sinn hatte, dass er nämlich studieren wollte, dass ihm sein Republikanismus einen Strich durch die Rechnung machte und er deportiert wurde. Wie durch ein Wunder gelang ihm die Flucht aus dem Güterzug nach Mauthausen. Was man ebenfalls bei Verena Boos erfährt: Es waren spanische Gefangene, die am Bau des Konzentrationslagers beteiligt waren. Die meisten von ihnen haben es nicht überlebt.
Erst die Begegnung der Enkel, genauer, ein plötzlich auftauchendes Foto, das Maites Vater in Wehrmachtsuniform zeigt, ermöglicht nun die Rekonstruktion der Familienschicksale. In alternierenden Episoden verzahnt Verena Boos die Lebenswege von Francisco und Antonio. Für eine Versöhnung ist es längst zu spät, aber nicht für die Wahrheit. So kommt es, dass sich heute eine Gruppe junger Spanier für die Exhumierung gefallener Soldaten in Russland und der ermordeten Regimegegner zu Hause einsetzt.
Das Buch ist nicht nur eine Abrechnung mit der ersten Generation aus der Zeit der Diktatur. Es beschreibt auch die stumme Generation der Töchter und Söhne sowie die "spektakulär unwissende" dritte der Enkel. Noch immer glauben heute viele Spanier, Franco sei ein Ehrenmann gewesen, der sein Volk heldenhaft gegen Hitlers Faschismus verteidigt hat. Doch spätestens mit den Protesten gegen die etablierten Regierungsparteien begann 2011 eine ganze Generation, die postfranquistische Gesellschaft und ihre politischen Institutionen zu hinterfragen. Auf diese neuesten politischen Entwicklungen in Spanien geht Verena Boos, deren Roman im Jahr 2004 bei einer von Maite initiierten Exhumierung endet, nicht ein. Man kann sich aber ohne weiteres in eine zukünftige Geschichtsschreibung hineindenken, die ganz im Sinne der neuen Protestpartei Podemos die Erzählung von der sanften demokratischen "transición" nach Francos Tod als Mythos entlarvt.
Die Orangen, die Antonio seit der Nachkriegszeit auf dem Münchner Markt verkauft, sind in seinem Fall tatsächlich Blutorangen. Verena Boos hat ein schönes Dingsymbol für ihre Erzählung gefunden. Es ist, als würden die Spanier die Zitrusfrucht, die sie vor allem nach dem Krieg in den kälteren Teilen Europas beliebt gemacht hat, nicht los. Maite schmeißt am Ende des Romans ihr Studium, heiratet ihren Freund Carlos und übernimmt den Marktstand ihres Schwiegeropas. Damit wird ein Kreis geschlossen. Einerseits. Gleichzeitig wird in ihrem Buch aber eine andere Genealogie verweigert. Zwischen Zitrusfrucht und Leibesfrucht besteht kein Zusammenhang, auch wenn das Geschäft noch so gut läuft und alles nach Versöhnung schreit. Es gibt einen Kinderwunsch, der nicht in Erfüllung geht. Zumindest noch nicht in jenem Jahr, mit dem Verena Boos ihren Roman enden lässt.
KATHARINA TEUTSCH.
Verena Boos: "Blutorangen". Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2015. 411 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verena Boos hat einen entlarvenden Roman über das franquistische Spanien geschrieben: "Blutorangen"
Das Buch beginnt mit einer Exhumierung. Gebeine werden aus dem staubigen Boden gegraben. Die Toten in einem Dorf nahe Valencia haben nie ein offizielles Grab erhalten. Ihr Tod kam plötzlich, denn sie wurden erschossen, dann hastig verscharrt. Von Francos Schergen erledigt, in eine Grube geworfen, mit Erde bedeckt, dann in Schweigen gehüllt. Erst die Generation der Enkel, zu der sich altersmäßig auch die deutsche Autorin von "Blutorangen" zählen darf, stellt Fragen, will Geschichte rekonstruieren und Beweise liefern. Verena Boos hat einen beeindruckenden Roman über das franquistische Spanien geschrieben, über seine Verstrickungen im Zweiten Weltkrieg, seine Rolle im internationalen Faschismus oder wie die Autorin bei ihrer Buchpremiere in Berlin sagte: innerhalb der "faschistischen Familie Europas".
Die lange gültige und einer aktuellen Umfrage zufolge noch immer weitverbreitete Geschichtsschreibung geht so: Franco hat sich rausgehalten. Er hat in den entscheidenden Jahren nicht mit Hitler paktiert, wenngleich seine Sympathie wohl eindeutig den Achsenmächten galt. Inzwischen gibt es solide Beweise dafür, dass Franco, der sich 1939 an die Macht putschte und erst 1975 im Amt starb, detailliert über Hitlers Judenvernichtungsindustrie Bescheid wusste. Als Gegenleistung für seine Loyalität im Kampf gegen den Bolschewismus hatte Hitler Franco beim Bau von Konzentrationslagern unterstützt. Umgekehrt lieferte man Rohstoffe nach Deutschland, bot geheimdienstliche Unterstützung an und, was heute nur den wenigsten bekannt sein dürfte: Franco lieh Hitler knapp fünfzigtausend Soldaten für seinen Russlandfeldzug. Die sogenannte "Blaue Division", die ihren Namen von den blauen Hemden der spanischen Falangisten erhalten hat, zog 1941 an die Ostfront. 1943 hatte Franco die Vergeblichkeit des Unterfangens erkannt und die Überlebenden zurück nach Spanien geholt, wo sie oft Karriere in der Guardia Civil machten. Während der Franco-Diktatur wurde die paramilitärische Polizeieinheit als Repressionsinstrument gegen politische Feinde eingesetzt. Es kam unter anderem zu Erschießungen von Partisanen.
Vor diesem Hintergrund erzählt Verena Boos in ihrem Debütroman die Geschichte zweier spanischer Familien. Die eine besteht aus Kämpfern der Republik, die andere aus wohlhabenden Obstplantagenbesitzern, die in Bürgerkriegszeiten um ihren Besitz bangen. Der älteste Sohn meldet sich freiwillig im Rekrutierungsbüro der Faschisten und gelangt dadurch als Fünfzehnjähriger an die Ostfront. Als er zurückkehrt, ist er kein Held, sondern ein Häuflein Elend. Seine Braut ist mit dem Bruder durchgebrannt. Francisco findet eine andere, macht steil Karriere in der Guardia Civil, bekommt vier Kinder, die alle keine Fragen stellen, und verstummt. Bis Maite, die jüngste Tochter, ein Studium in München beginnt und dort mit einem Viertelspanier anbandelt. Carlos ist der Spross eines Vaters, dessen eigener Vater auf dem Wochenmarkt Orangen verkauft. Nach und nach stellt sich jedoch heraus, dass dieser Antonio ursprünglich anderes im Sinn hatte, dass er nämlich studieren wollte, dass ihm sein Republikanismus einen Strich durch die Rechnung machte und er deportiert wurde. Wie durch ein Wunder gelang ihm die Flucht aus dem Güterzug nach Mauthausen. Was man ebenfalls bei Verena Boos erfährt: Es waren spanische Gefangene, die am Bau des Konzentrationslagers beteiligt waren. Die meisten von ihnen haben es nicht überlebt.
Erst die Begegnung der Enkel, genauer, ein plötzlich auftauchendes Foto, das Maites Vater in Wehrmachtsuniform zeigt, ermöglicht nun die Rekonstruktion der Familienschicksale. In alternierenden Episoden verzahnt Verena Boos die Lebenswege von Francisco und Antonio. Für eine Versöhnung ist es längst zu spät, aber nicht für die Wahrheit. So kommt es, dass sich heute eine Gruppe junger Spanier für die Exhumierung gefallener Soldaten in Russland und der ermordeten Regimegegner zu Hause einsetzt.
Das Buch ist nicht nur eine Abrechnung mit der ersten Generation aus der Zeit der Diktatur. Es beschreibt auch die stumme Generation der Töchter und Söhne sowie die "spektakulär unwissende" dritte der Enkel. Noch immer glauben heute viele Spanier, Franco sei ein Ehrenmann gewesen, der sein Volk heldenhaft gegen Hitlers Faschismus verteidigt hat. Doch spätestens mit den Protesten gegen die etablierten Regierungsparteien begann 2011 eine ganze Generation, die postfranquistische Gesellschaft und ihre politischen Institutionen zu hinterfragen. Auf diese neuesten politischen Entwicklungen in Spanien geht Verena Boos, deren Roman im Jahr 2004 bei einer von Maite initiierten Exhumierung endet, nicht ein. Man kann sich aber ohne weiteres in eine zukünftige Geschichtsschreibung hineindenken, die ganz im Sinne der neuen Protestpartei Podemos die Erzählung von der sanften demokratischen "transición" nach Francos Tod als Mythos entlarvt.
Die Orangen, die Antonio seit der Nachkriegszeit auf dem Münchner Markt verkauft, sind in seinem Fall tatsächlich Blutorangen. Verena Boos hat ein schönes Dingsymbol für ihre Erzählung gefunden. Es ist, als würden die Spanier die Zitrusfrucht, die sie vor allem nach dem Krieg in den kälteren Teilen Europas beliebt gemacht hat, nicht los. Maite schmeißt am Ende des Romans ihr Studium, heiratet ihren Freund Carlos und übernimmt den Marktstand ihres Schwiegeropas. Damit wird ein Kreis geschlossen. Einerseits. Gleichzeitig wird in ihrem Buch aber eine andere Genealogie verweigert. Zwischen Zitrusfrucht und Leibesfrucht besteht kein Zusammenhang, auch wenn das Geschäft noch so gut läuft und alles nach Versöhnung schreit. Es gibt einen Kinderwunsch, der nicht in Erfüllung geht. Zumindest noch nicht in jenem Jahr, mit dem Verena Boos ihren Roman enden lässt.
KATHARINA TEUTSCH.
Verena Boos: "Blutorangen". Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2015. 411 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
" [...] Verena Boos [fesselt] durch ihren frappierenden knappen Stil, mit ihrer frischen und unverbraucht plastischen Sprache [...] " Lübecker Stadtzeitung 20160223
» Ein großer, komplexer, klug konstruierter Roman. « Bücher - Das Magazin 20170301