Darius und Hakan sind seit der Grundschulzeit Freunde und vertrauen einander blind - auch bei gemeinsamen Aktionen gegen Neonazis. Aber Hakans neueste Idee hat Sprengkraft: Obgleich er selbst türkischer Herkunft ist, will er Front machen gegen aggressive Türken und Araber. Schließlich sind sie es, die im Viertel für den meisten Ärger sorgen, wie Hakan findet. Wer ist Nazi, wer Rassist? Und was soll am Ende daraus werden: Deutsche gegen Türken, Polen gegen Araber? Als die Gewalt eskaliert, muss sich Darius entscheiden ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2011Im Doppelpack
Kampf um
Ehre und Respekt
Für die meisten ist es ganz normal in die Schule zu gehen und wieder nach Hause, ohne dass irgendetwas passiert. Für Darius ist das anders. Sein Zuhause, wo nur sein betrunkener Vater auf ihn wartet, gibt ihm keine Sicherheit, genauso wenig wie die Nachbarschaft, in der es gilt, immer auf der Hut zu sein. Einzig die Antifa-Gruppe, mit der er Aktionen gegen Neonazis plant, gibt ihm Halt und hilft ihm, bis zu seinem 18. Geburtstag durchzuhalten. Doch plötzlich scheint alles auseinanderzubrechen, und sein bester Freund Hakan ist der Meinung, dass nicht die Rechtsradikalen das Problem des Viertels seien, sondern vielmehr die Migranten, die ihre eigenen Regeln aufstellen wollen. Doch worauf soll das alles hinauslaufen? Deutsche gegen Türken? Polen gegen Araber? Darius muss sich entscheiden, was der richtige Weg ist, gegen die Bedrohungen seiner Welt anzukämpfen. Darius’ Geschichte ist feinfühlig und sensibel geschildert, ohne mitleidheischend zu wirken. Für manche mag ein solches Leben unvorstellbar sein, doch die Wahrheit ist, dass überall solche Zustände herrschen könnten und es bequemer scheint, einfach die Augen davor zu verschließen. Gerade für solche Jugendliche ist Blutsbrüder ein sehr empfehlenswertes Buch, da Darius ein ganz normaler Teenager ist – Schule, Freunde, Mädchen. Die Chance auf eine normale Jugendzeit hat er allerdings nicht, dafür hat er schon zu viel gesehen und erlebt. Daher kommt auch sein Gefühl in Gefahrensituationen, in denen er instinktiv weiß, was zu tun ist, um sich und seine Freunde zu schützen, auch wenn er die damit zwangsläufig einhergehende Gewalt eigentlich hasst. Keine Wahl zu haben gehört nun mal oft dazu in seiner Welt. Erschreckend nah an der Wirklichkeit ist Michael Wildenhains Buch, das nicht zwangsläufig in Berlin spielt, denn solche Problemviertel gibt es überall, in denen Jugendliche aus unterschiedlichen Ländern friedlich nebeneinander leben müssen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Denn meistens geht es um Ehre und Respekt und da verstehen viele keinen Spaß. So auch Emre, der endlich seinen jahrelangen Konflikt mit Hakan austragen will. Und das kann nicht gutgehen, da ist sich Darius sicher. Aber was tun, wenn die Gewalt allgegenwärtig wird? Dieser Frage stellen die Leser sich unwillkürlich selbst während des Lesens. Was würde ich tun? Und stellen fest, dass es oft keine alleinige „richtige“ Lösung gibt.
Claire Carlson (16)
Ein aufrüttelndes Buch, führt es doch in eine ganz andere Welt als jene der meisten SZ-Redakteure und SZ-Leser. In der Welt von Darius, Hakan und Alina, die sich in einer Antifa-Clique zusammengefunden haben, ist fast niemand behütet, außer Jan-Niklas, der mit seinen Eltern in einer Designer-Dachterrassen-Wohnung lebt und bald auf ein englisches Internat gehen wird. Heilsam wirklichkeitsnah sind die Familienverhältnisse von Darius und seinem alkoholkranken Vater beschrieben, von Hakan, dessen deutsche Mutter putzt, nachdem sie den türkischen Vater verlassen hat, als der anfing, nicht nur sie, sondern auch den Sohn zu schlagen.
Jeanne Rubner
Michael Wildenhain
Blutsbrüder
Ravensburger 2011. 256 Seiten,
14,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kampf um
Ehre und Respekt
Für die meisten ist es ganz normal in die Schule zu gehen und wieder nach Hause, ohne dass irgendetwas passiert. Für Darius ist das anders. Sein Zuhause, wo nur sein betrunkener Vater auf ihn wartet, gibt ihm keine Sicherheit, genauso wenig wie die Nachbarschaft, in der es gilt, immer auf der Hut zu sein. Einzig die Antifa-Gruppe, mit der er Aktionen gegen Neonazis plant, gibt ihm Halt und hilft ihm, bis zu seinem 18. Geburtstag durchzuhalten. Doch plötzlich scheint alles auseinanderzubrechen, und sein bester Freund Hakan ist der Meinung, dass nicht die Rechtsradikalen das Problem des Viertels seien, sondern vielmehr die Migranten, die ihre eigenen Regeln aufstellen wollen. Doch worauf soll das alles hinauslaufen? Deutsche gegen Türken? Polen gegen Araber? Darius muss sich entscheiden, was der richtige Weg ist, gegen die Bedrohungen seiner Welt anzukämpfen. Darius’ Geschichte ist feinfühlig und sensibel geschildert, ohne mitleidheischend zu wirken. Für manche mag ein solches Leben unvorstellbar sein, doch die Wahrheit ist, dass überall solche Zustände herrschen könnten und es bequemer scheint, einfach die Augen davor zu verschließen. Gerade für solche Jugendliche ist Blutsbrüder ein sehr empfehlenswertes Buch, da Darius ein ganz normaler Teenager ist – Schule, Freunde, Mädchen. Die Chance auf eine normale Jugendzeit hat er allerdings nicht, dafür hat er schon zu viel gesehen und erlebt. Daher kommt auch sein Gefühl in Gefahrensituationen, in denen er instinktiv weiß, was zu tun ist, um sich und seine Freunde zu schützen, auch wenn er die damit zwangsläufig einhergehende Gewalt eigentlich hasst. Keine Wahl zu haben gehört nun mal oft dazu in seiner Welt. Erschreckend nah an der Wirklichkeit ist Michael Wildenhains Buch, das nicht zwangsläufig in Berlin spielt, denn solche Problemviertel gibt es überall, in denen Jugendliche aus unterschiedlichen Ländern friedlich nebeneinander leben müssen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Denn meistens geht es um Ehre und Respekt und da verstehen viele keinen Spaß. So auch Emre, der endlich seinen jahrelangen Konflikt mit Hakan austragen will. Und das kann nicht gutgehen, da ist sich Darius sicher. Aber was tun, wenn die Gewalt allgegenwärtig wird? Dieser Frage stellen die Leser sich unwillkürlich selbst während des Lesens. Was würde ich tun? Und stellen fest, dass es oft keine alleinige „richtige“ Lösung gibt.
Claire Carlson (16)
Ein aufrüttelndes Buch, führt es doch in eine ganz andere Welt als jene der meisten SZ-Redakteure und SZ-Leser. In der Welt von Darius, Hakan und Alina, die sich in einer Antifa-Clique zusammengefunden haben, ist fast niemand behütet, außer Jan-Niklas, der mit seinen Eltern in einer Designer-Dachterrassen-Wohnung lebt und bald auf ein englisches Internat gehen wird. Heilsam wirklichkeitsnah sind die Familienverhältnisse von Darius und seinem alkoholkranken Vater beschrieben, von Hakan, dessen deutsche Mutter putzt, nachdem sie den türkischen Vater verlassen hat, als der anfing, nicht nur sie, sondern auch den Sohn zu schlagen.
Jeanne Rubner
Michael Wildenhain
Blutsbrüder
Ravensburger 2011. 256 Seiten,
14,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Cornelia Geißler hat Michael Wildenhain zu einer Lesung aus seinem neuen Roman "Blutsbrüder" vor Berliner Jugendlichen begleitet. Das Jugendbuch ist sprachlich und topografisch nah an der Kreuzberger Realität, und nicht selten hat man beim Lesen den Eindruck, die Figuren und ihre Sprüche stammten direkt aus der Wirklichkeit, findet die Rezensentin. Der Autor stellt darin die Konflikte einer multikulturellen Gesellschaft aus der Perspektive Jugendlicher dar, die "verhärteten Fronten" zwischen auf einen "Ehrbegriff" festgelegten türkischen und arabischen Jugendlichen, jungen Nazis und der Antifa, so Geißler interessiert. Sie berichtet noch vom Engagement des Autors, ehemals in der Hausbesetzerszene und heute unter anderem als Fußballtrainer aktiv, um das "soziale Klima in den sogenannten Problembezirken". Und wenn sie auch nicht allzu intensiv auf den Roman "Blutsbrüder" eingeht so wird doch deutlich, dass nicht nur die bei der Lesung anwesenden Schüler, sondern auch die Rezensentin von der Lebensnähe solcher Sätze wie "Ey Alter, isch fick disch, ey Alter, ich schwöre" beeindruckt sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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