Erstmals und vollständig in deutscher Sprache: Bloys wichtigster Erzählungsband, ein Skandalon ebenso wie ein Kultbuch für Carl Schmitt und Ernst Jünger. Die 30 Erzählungen, die erstmals 1893 erschienen, sind schaurig-blutige Geschichten aus dem Deutsch-Französischen Krieg von 187 0/71 in der Tradition der Contes Cruels und Edgar Allan Poes. Bloy verarbeitet darin seine eigenen Erfahrungen als 'franc-tireur' in diesem grausamen Krieg, er nahm damit die »heutige Landschaft der Partisanen und Maquisards« (E. Jünger) vorweg.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2011Gott ist Frankreich
Das Absolute stets im Blick: In "Blutschweiß" verknüpft Léon Bloy den Krieg mit der Heilsgeschichte - und steuert in rasender Fahrt auf die letzten Dinge zu.
Nach einer alten Ehrenformel ist die französische Kirche die älteste Tochter Roms oder gleich etwas vollmundiger: Frankreich ist die älteste Tochter der Kirche. In Kreisen des französischen politischen Katholizismus verzichtete man nach 1789 selten auf diese Wendung. Aber sie ließ sich durchaus noch steigern. Keiner hat das mit mehr Verve vorgeführt als der gegen Mitte des 19. Jahrhunderts geborene Léon Bloy. Sein bedingungsloser Enthusiasmus ließ noch alle konservativ-politischen Abzweckungen hinter sich, um in Frankreichs Geschick nichts anderes als die Leiden und Taten Gottes zu sehen. Rom kam da nur noch am Rande vor.
Es ging um die "symbolische Identität von Frankreich mit dem, was man das Reich Gottes nennt". So hat er es selbst in seinem 1893 erschienenen Buch formuliert, dessen Titel schon die Maßlosigkeit dieses heilsgeschichtlichen Anspruchs anklingen lässt. Denn "Sueur de Sang" nimmt die Beschreibung des auf dem Ölberg betenden Christus auf, an dem der Schweiß nach Lukas wie Blutstropfen zur Erde geronnen sei. Und dazu die Erläuterung: "Wenn Frankreich leidet, dann ist es Gott, der leidet, dann ist es der schreckliche Gott, der für die ganze Welt im Todeskampf ringt, indem er Blut schwitzt."
Das ist natürlich gar nicht mehr katholisch, was Bloy auch wusste und es gerade deshalb - allen Vernünftigen und den "guten Katholiken" zum Trotz - ungeschützt hinsetzte. Um klarzumachen, dass er solche Überzeugung nicht zu begründen gedachte, sondern sie mit der unverlierbaren Einsicht in das "Mysterium der Vorherbestimmung" verglich. Deshalb auch habe er sich nicht gefürchtet, fügt er noch an, den Vers des Evangelisten für sein Buch zu verwenden.
Nichts spricht dagegen, diese trotzige Verklammerung von politischer und Heilsgeschichte für wahnwitzig zu halten. Aber auf dem Feld der Literatur gibt eine solche Diagnose nicht den Ausschlag. "Blutschweiß" ist ein Buch, an dem man die Vorsicht gegenüber einem allzu schnell an sie geknüpftes Urteil gut lernen kann. Denn weder muss man Sympathie für den Habitus dieses Autors hegen noch seinen biographischen Verquältheiten zuneigen - um doch von einem sprachlichen Furor beeindruckt zu sein, dem sich grandiose Bilder und Passagen verdanken.
Der Gegenstand der Erzählungen, die Bloy in seinem Buch versammelt, sind Begebnisse im Deutsch-Französischen Krieg von 1870. Diese mehr als zwanzig Jahre zurückliegende Niederlage, aus der auch die Pariser Kommune und ihre Niederschlagung hervorgingen, sind ihm der Stoff, an dem die Sendung Frankreichs gerade in seiner tiefsten Demütigung greifbar werden soll. Dass Bloy selbst sich damals zu einer Freischärlertruppe gemeldet hatte, ist dafür kaum von Gewicht. Erinnerungen an persönliche Erlebnisse reichen nicht an die Aufgabe heran, die er gegen alle realistischen Schilderungen - Zolas Roman über 1870, "La Débâcle", war gerade erst erschienen - verfolgte: in den Grausamkeiten des Kriegs das alles Menschliche übersteigende Absolute zu beschwören.
Deshalb scheint hinter jeder gewaltsamen Begebenheit gleich ein überhöhter Archetyp der Grausamkeit auf, steht hinter jeder Racheaktion und jedem Scharmützel immer der Endkampf in heilsgeschichtlicher Zuspitzung, sind die Deutschen - Katholizismus bayerischer Infanteristen hin oder her - verworfene Statthalter der feindlichen Mächte schlechthin, ist noch das brutalste Morden der Franzosen vor höchster Instanz gerechtfertigt und wird noch drastischer als die Bestialität der Sieger in Szene gesetzt.
Ohne stilistische Überlastungen und manche Elemente der Schauerliteratur geht das nicht ab. Aber gerade auf diesen Wegen, geleitet von seinen theologisch befestigten Obsessionen, findet Bloy zu jenen Geschichten, Bildern und einzelnen Wendungen, die zu faszinieren vermögen. Wenn etwa die abends am Rande des Schlachtfelds auftauchenden Gestalten, die Leichen und Verletzte ausrauben, als "Golgathaspinnen" bezeichnet werden (und kaum etwas könnte bündiger den theologischen Hintergrundsinn von Bloys Erzählen durchscheinen lassen); wenn sich Gesichtszüge "wie ein Blutgerinnsel" in der Seele absetzen oder die Einfügung in einem groß inszenierten Tableau einem jener kleinen, fast unsichtbaren Esel gilt, wie sie "Gott erschaffen zu haben schien, um sich über die maßlose Großartigkeit seines Universums zu trösten": Von den unscheinbaren zu den letzten Dingen ist es bei Bloy nur ein solch kleiner Schritt. Und wenn eine Figur mit einem "verleumdeten Einhorn im Wappenschild eines der Felonie oder der Grausamkeit überführten Hospitaliters" verglichen wird, scheint noch Lautréamont herüberzugrüßen, den Bloy ja tatsächlich früh als Faszinosum entdeckt hatte.
Auch ganze Geschichten können so in Bann ziehen. Jene etwa über die "Messe der kleinen Verreckten", in der Kriegsgemetzel und Gottesdienst jenseits aller Ambitionen auf Realismus zusammengezwungen werden. Bloy ist da in seinem Element, bei dieser Messe von jungen französischen Freiwilligen aus besseren Familien, in die die Wut der Schlacht in Gestalt preußischer Bataillone hereinbricht. Aber die Messe darf, das ist das höhere Gesetz, nicht unterbrochen werden. Sie wird zum furchtbar schönen Opferritus, im geistlichen und zugleich einem älteren Sinn, dem Bloy dieses Schlussbild abgewinnt: "Und als sich der Priester nach vollendeter Messe umwandte, um seine Zuhörer bei der Entlassung zu segnen, sah er sich der bleichen Stirn der Sieger gegenüber, bis auf Augenhöhe verrammelt von einem Berg Sterbender und Toter."
Bloy wusste schon, warum er im Vorspruch schrieb, dass die meisten Zeitgenossen ihn für chauvinistisch oder dumm oder rasend halten werden, aber ihm das ganz gleichgültig sei - was auch ins unabdingbare Repertoire seiner Selbstdarstellung als Underdog einer aus der Zeit gefallenen Wahrheit gehörte. Zum großen Publikum hat er tatsächlich kaum gefunden, aber wohl zu Lesern, die ihn im Spiel hielten, so wie in Deutschland Heinrich Böll und Ernst Jünger - und schon diese recht spezielle Konstellation unter seinen deutschen Bewunderern sollte eigentlich auf ihn neugierig machen können. Alexander Pschera erweist sich in dieser ersten deutschen Ausgabe von "Blutschweiß" als vorzüglicher Kenner des Autors, in der Übersetzung wie in den hilfreichen Kommentaren und dem Essay über Léon Bloy, der den Band beschließt.
HELMUT MAYER.
Léon Bloy: "Blutschweiß".
Aus dem Französischen von Alexander Pschera. Illustrationen von Heidi Sill. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2011. 294 S., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Absolute stets im Blick: In "Blutschweiß" verknüpft Léon Bloy den Krieg mit der Heilsgeschichte - und steuert in rasender Fahrt auf die letzten Dinge zu.
Nach einer alten Ehrenformel ist die französische Kirche die älteste Tochter Roms oder gleich etwas vollmundiger: Frankreich ist die älteste Tochter der Kirche. In Kreisen des französischen politischen Katholizismus verzichtete man nach 1789 selten auf diese Wendung. Aber sie ließ sich durchaus noch steigern. Keiner hat das mit mehr Verve vorgeführt als der gegen Mitte des 19. Jahrhunderts geborene Léon Bloy. Sein bedingungsloser Enthusiasmus ließ noch alle konservativ-politischen Abzweckungen hinter sich, um in Frankreichs Geschick nichts anderes als die Leiden und Taten Gottes zu sehen. Rom kam da nur noch am Rande vor.
Es ging um die "symbolische Identität von Frankreich mit dem, was man das Reich Gottes nennt". So hat er es selbst in seinem 1893 erschienenen Buch formuliert, dessen Titel schon die Maßlosigkeit dieses heilsgeschichtlichen Anspruchs anklingen lässt. Denn "Sueur de Sang" nimmt die Beschreibung des auf dem Ölberg betenden Christus auf, an dem der Schweiß nach Lukas wie Blutstropfen zur Erde geronnen sei. Und dazu die Erläuterung: "Wenn Frankreich leidet, dann ist es Gott, der leidet, dann ist es der schreckliche Gott, der für die ganze Welt im Todeskampf ringt, indem er Blut schwitzt."
Das ist natürlich gar nicht mehr katholisch, was Bloy auch wusste und es gerade deshalb - allen Vernünftigen und den "guten Katholiken" zum Trotz - ungeschützt hinsetzte. Um klarzumachen, dass er solche Überzeugung nicht zu begründen gedachte, sondern sie mit der unverlierbaren Einsicht in das "Mysterium der Vorherbestimmung" verglich. Deshalb auch habe er sich nicht gefürchtet, fügt er noch an, den Vers des Evangelisten für sein Buch zu verwenden.
Nichts spricht dagegen, diese trotzige Verklammerung von politischer und Heilsgeschichte für wahnwitzig zu halten. Aber auf dem Feld der Literatur gibt eine solche Diagnose nicht den Ausschlag. "Blutschweiß" ist ein Buch, an dem man die Vorsicht gegenüber einem allzu schnell an sie geknüpftes Urteil gut lernen kann. Denn weder muss man Sympathie für den Habitus dieses Autors hegen noch seinen biographischen Verquältheiten zuneigen - um doch von einem sprachlichen Furor beeindruckt zu sein, dem sich grandiose Bilder und Passagen verdanken.
Der Gegenstand der Erzählungen, die Bloy in seinem Buch versammelt, sind Begebnisse im Deutsch-Französischen Krieg von 1870. Diese mehr als zwanzig Jahre zurückliegende Niederlage, aus der auch die Pariser Kommune und ihre Niederschlagung hervorgingen, sind ihm der Stoff, an dem die Sendung Frankreichs gerade in seiner tiefsten Demütigung greifbar werden soll. Dass Bloy selbst sich damals zu einer Freischärlertruppe gemeldet hatte, ist dafür kaum von Gewicht. Erinnerungen an persönliche Erlebnisse reichen nicht an die Aufgabe heran, die er gegen alle realistischen Schilderungen - Zolas Roman über 1870, "La Débâcle", war gerade erst erschienen - verfolgte: in den Grausamkeiten des Kriegs das alles Menschliche übersteigende Absolute zu beschwören.
Deshalb scheint hinter jeder gewaltsamen Begebenheit gleich ein überhöhter Archetyp der Grausamkeit auf, steht hinter jeder Racheaktion und jedem Scharmützel immer der Endkampf in heilsgeschichtlicher Zuspitzung, sind die Deutschen - Katholizismus bayerischer Infanteristen hin oder her - verworfene Statthalter der feindlichen Mächte schlechthin, ist noch das brutalste Morden der Franzosen vor höchster Instanz gerechtfertigt und wird noch drastischer als die Bestialität der Sieger in Szene gesetzt.
Ohne stilistische Überlastungen und manche Elemente der Schauerliteratur geht das nicht ab. Aber gerade auf diesen Wegen, geleitet von seinen theologisch befestigten Obsessionen, findet Bloy zu jenen Geschichten, Bildern und einzelnen Wendungen, die zu faszinieren vermögen. Wenn etwa die abends am Rande des Schlachtfelds auftauchenden Gestalten, die Leichen und Verletzte ausrauben, als "Golgathaspinnen" bezeichnet werden (und kaum etwas könnte bündiger den theologischen Hintergrundsinn von Bloys Erzählen durchscheinen lassen); wenn sich Gesichtszüge "wie ein Blutgerinnsel" in der Seele absetzen oder die Einfügung in einem groß inszenierten Tableau einem jener kleinen, fast unsichtbaren Esel gilt, wie sie "Gott erschaffen zu haben schien, um sich über die maßlose Großartigkeit seines Universums zu trösten": Von den unscheinbaren zu den letzten Dingen ist es bei Bloy nur ein solch kleiner Schritt. Und wenn eine Figur mit einem "verleumdeten Einhorn im Wappenschild eines der Felonie oder der Grausamkeit überführten Hospitaliters" verglichen wird, scheint noch Lautréamont herüberzugrüßen, den Bloy ja tatsächlich früh als Faszinosum entdeckt hatte.
Auch ganze Geschichten können so in Bann ziehen. Jene etwa über die "Messe der kleinen Verreckten", in der Kriegsgemetzel und Gottesdienst jenseits aller Ambitionen auf Realismus zusammengezwungen werden. Bloy ist da in seinem Element, bei dieser Messe von jungen französischen Freiwilligen aus besseren Familien, in die die Wut der Schlacht in Gestalt preußischer Bataillone hereinbricht. Aber die Messe darf, das ist das höhere Gesetz, nicht unterbrochen werden. Sie wird zum furchtbar schönen Opferritus, im geistlichen und zugleich einem älteren Sinn, dem Bloy dieses Schlussbild abgewinnt: "Und als sich der Priester nach vollendeter Messe umwandte, um seine Zuhörer bei der Entlassung zu segnen, sah er sich der bleichen Stirn der Sieger gegenüber, bis auf Augenhöhe verrammelt von einem Berg Sterbender und Toter."
Bloy wusste schon, warum er im Vorspruch schrieb, dass die meisten Zeitgenossen ihn für chauvinistisch oder dumm oder rasend halten werden, aber ihm das ganz gleichgültig sei - was auch ins unabdingbare Repertoire seiner Selbstdarstellung als Underdog einer aus der Zeit gefallenen Wahrheit gehörte. Zum großen Publikum hat er tatsächlich kaum gefunden, aber wohl zu Lesern, die ihn im Spiel hielten, so wie in Deutschland Heinrich Böll und Ernst Jünger - und schon diese recht spezielle Konstellation unter seinen deutschen Bewunderern sollte eigentlich auf ihn neugierig machen können. Alexander Pschera erweist sich in dieser ersten deutschen Ausgabe von "Blutschweiß" als vorzüglicher Kenner des Autors, in der Übersetzung wie in den hilfreichen Kommentaren und dem Essay über Léon Bloy, der den Band beschließt.
HELMUT MAYER.
Léon Bloy: "Blutschweiß".
Aus dem Französischen von Alexander Pschera. Illustrationen von Heidi Sill. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2011. 294 S., geb., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wer Gustav Seibts Kritik liest, fragt sich, warum dieser Band überhaupt übersetzt und in aufwendiger Ausgabe neu herausgebracht wurde. Es handelt sich laut Seibt um ein blutrünstiges Stück Nationalismus, geschrieben aus dem Furor der französischen Niederlage von 1871, der allenfalls einen Vorgeschmack gibt auf die finsteren Passionen des nahenden 20. Jahrhunderts und so gesehen von dokumentarischem Wert sein könnte. Die Deutschen, so Seibt, werden als völlig entmenschte Wesen geschildert. Mit großer literarischer Könnerschaft werde ausgemalt, wie deutsche Soldaten bei lebendigem Leib verbrannt werden. Bismarck werde als "fassartiger Unhold" dargestellt. Angesichts des Hasses, den Bloy hier artikuliert, fragt sich Seibt, ob Bismarck der Annexion Elsass-Lothringens nur zustimmte, um Deutschland mit Festungen "für den erwarteten Revanchekrieg" abzusichern. Den Kommentar des Herausgebers und Übersetzers kann Seibt nur mit Einschränkungen empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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