In ganz Katanien ist schon seit Monaten kein Drache mehr gesichtet worden. Kein Ringelschwänziger Stachelhopser, kein Farbwechselnder Kragendrache und schon gar kein Schimmernder Blassling. Und das, wo Bos Vater Harold doch gerade sein Heldendiplom abgeschlossen hat! Wie soll er seinen Beruf ausüben, wenn es keine Drachen mehr gibt? Und was soll aus der Rüstung werden, die Bo und ihre Mutter so liebevoll für ihn aufgemöbelt haben? Bo würde ihm so gerne helfen aber wie? Da wird mitten in der Nacht die leere Rüstung plötzlich lebendig, erzählt vom Wilden Land und nimmt Bo mit auf Drachensuche.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2006Heldendiplom
Lena Kugler auf Drachenjagd
Die Drachen sind verschwunden, und die Bürger in Katanien feiern. Schon weil sie jetzt nicht mehr fürchten müssen, daß die tolpatschigen Wesen die Dächer ihrer Häuser eintreten. Nur die kleine Bo ist traurig. Denn ihr Vater ist frisch diplomierter Held von Beruf und ohne Drachen also arbeitslos. So begibt sich Bo auf die Suche nach den Fabelwesen ins Land jenseits der Grenzen von Katanien, auch wenn es heißt, daß "dort die Riesenkinder keine Puppen, sondern Menschenkinder zum Geburtstag bekommen" und ihnen "irgendwann auch das süßeste Kind nur noch fade" wird: "Sie werfen es in die Ecke und wollen ein neues."
"Bo im wilden Land" ist das erste Kinderbuch der 1974 geborenen Lena Kugler, die vor fünf Jahren mit "Wie viele Züge" ein bemerkenswertes Debüt vorlegte. In "Bo" zeigt sie sich nun als phantasiebegabte Erzählerin, etwa wenn es um das Ersinnen von Drachenarten geht: Es begegnen uns Farbwechselnde Kragendrachen, Ringelschwänzige Stachelhopser, Blasbalgrige Natternzüngler, Fünfköpfige Rothäupter und Schimmernde Blaßlinge, und es ist jammerschade, daß die Bilder im Buch von Ludvik Glazer-Naudé nicht so bunt sind wie die Titelillustration.
Die liebevoll gestaltete Geschichte bedient sich wesentlicher Elemente der Fantasy-Literatur, ohne sie platt zu übernehmen. Bos Abenteuer beginnt, als die verbeulte Rüstung ihres Vaters zum Leben erwacht und der kuriose Ritter Sir Robert vom Mitleidigen Blech scheppernd über ihr Skateboard stolpert und schimpft, warum ihr Zimmer - "der reinste Saustall" - nicht aufgeräumt sei. Dabei beläßt es der Erzähler nicht: "Wie hättet ihr reagiert", fragt er im Vorlese-Gestus, "wenn euch mitten in der Nacht eine Rüstung aus dem Schlaf geholt hätte, die leer war wie eine geplünderte Plätzchendose?"
Spätestens nach ein paar Seiten ist klar, daß "Bo" ein klares Anliegen hat: Das Buch will Eltern wieder zum Geschichtenerzählen an der Bettkante verführen. Im sechsten Kapitel werden beispielsweise - so lautet sein Titel - "Drängende Fragen (die allesamt nicht beantwortet werden)" an die bis dahin gesponnene Erzählung gestellt: "Aber leider muß ich euch mit einer Antwort darauf auf später vertrösten." Denn die Helden "waren erst einmal rechtschaffen müde". Sie treten aus dem Rahmen ihrer Geschichte heraus und landen direkt im Kinderbett, und man sieht förmlich den vorlesenden Elternteil, wie er das Buch an dieser Stelle zuklappt.
Nur an ganz wenigen Stellen vergreift sich Lena Kugler leider in ihrer Wortwahl. Müssen Kinder etwa wirklich als "renitent" statt als "widerspenstig" bezeichnet werden, muß man also ohne Not eine Stilebene in den Text einführen, die möglicherweise an den Zuhörern vorbeigeht?
Doch insgesamt bereitet "Bo im wilden Land" auch den Vorlesern Freude. In der leichtfüßigen Satire des verfehlten Heldentums von Bos Vater Harold mag mancher den eigenen Ausbildungsverlauf wiedererkennen, denn Bos Vater hat zwar jahrelang Drachenanatomie gebüffelt ("Ohne ein anständiges Diplom in der Tasche durfte damals ein Held in Katanien nicht mal ausziehen, um einen frisch geschlüpften Drachen zum Kampf aufzufordern"), darüber aber angesichts des allmählichen Verschwindens der Drachen beide Augen fest zugekniffen - ein Schweinezyklus, wenn es je einer war.
Auch für kleine Drachen braucht es also studierte Helden und für Kinderbücher sorgfältige Schriftsteller. Lena Kuglers Erzählung verdient ein Heldendiplom.
FRANZISKA BOSSY
Lena Kugler: "Bo im wilden Land". Mit Bildern von Ludvik Glazer-Naudé. Fischer Schatzinsel, Frankfurt 2006. 185 S., geb., 12,50 [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lena Kugler auf Drachenjagd
Die Drachen sind verschwunden, und die Bürger in Katanien feiern. Schon weil sie jetzt nicht mehr fürchten müssen, daß die tolpatschigen Wesen die Dächer ihrer Häuser eintreten. Nur die kleine Bo ist traurig. Denn ihr Vater ist frisch diplomierter Held von Beruf und ohne Drachen also arbeitslos. So begibt sich Bo auf die Suche nach den Fabelwesen ins Land jenseits der Grenzen von Katanien, auch wenn es heißt, daß "dort die Riesenkinder keine Puppen, sondern Menschenkinder zum Geburtstag bekommen" und ihnen "irgendwann auch das süßeste Kind nur noch fade" wird: "Sie werfen es in die Ecke und wollen ein neues."
"Bo im wilden Land" ist das erste Kinderbuch der 1974 geborenen Lena Kugler, die vor fünf Jahren mit "Wie viele Züge" ein bemerkenswertes Debüt vorlegte. In "Bo" zeigt sie sich nun als phantasiebegabte Erzählerin, etwa wenn es um das Ersinnen von Drachenarten geht: Es begegnen uns Farbwechselnde Kragendrachen, Ringelschwänzige Stachelhopser, Blasbalgrige Natternzüngler, Fünfköpfige Rothäupter und Schimmernde Blaßlinge, und es ist jammerschade, daß die Bilder im Buch von Ludvik Glazer-Naudé nicht so bunt sind wie die Titelillustration.
Die liebevoll gestaltete Geschichte bedient sich wesentlicher Elemente der Fantasy-Literatur, ohne sie platt zu übernehmen. Bos Abenteuer beginnt, als die verbeulte Rüstung ihres Vaters zum Leben erwacht und der kuriose Ritter Sir Robert vom Mitleidigen Blech scheppernd über ihr Skateboard stolpert und schimpft, warum ihr Zimmer - "der reinste Saustall" - nicht aufgeräumt sei. Dabei beläßt es der Erzähler nicht: "Wie hättet ihr reagiert", fragt er im Vorlese-Gestus, "wenn euch mitten in der Nacht eine Rüstung aus dem Schlaf geholt hätte, die leer war wie eine geplünderte Plätzchendose?"
Spätestens nach ein paar Seiten ist klar, daß "Bo" ein klares Anliegen hat: Das Buch will Eltern wieder zum Geschichtenerzählen an der Bettkante verführen. Im sechsten Kapitel werden beispielsweise - so lautet sein Titel - "Drängende Fragen (die allesamt nicht beantwortet werden)" an die bis dahin gesponnene Erzählung gestellt: "Aber leider muß ich euch mit einer Antwort darauf auf später vertrösten." Denn die Helden "waren erst einmal rechtschaffen müde". Sie treten aus dem Rahmen ihrer Geschichte heraus und landen direkt im Kinderbett, und man sieht förmlich den vorlesenden Elternteil, wie er das Buch an dieser Stelle zuklappt.
Nur an ganz wenigen Stellen vergreift sich Lena Kugler leider in ihrer Wortwahl. Müssen Kinder etwa wirklich als "renitent" statt als "widerspenstig" bezeichnet werden, muß man also ohne Not eine Stilebene in den Text einführen, die möglicherweise an den Zuhörern vorbeigeht?
Doch insgesamt bereitet "Bo im wilden Land" auch den Vorlesern Freude. In der leichtfüßigen Satire des verfehlten Heldentums von Bos Vater Harold mag mancher den eigenen Ausbildungsverlauf wiedererkennen, denn Bos Vater hat zwar jahrelang Drachenanatomie gebüffelt ("Ohne ein anständiges Diplom in der Tasche durfte damals ein Held in Katanien nicht mal ausziehen, um einen frisch geschlüpften Drachen zum Kampf aufzufordern"), darüber aber angesichts des allmählichen Verschwindens der Drachen beide Augen fest zugekniffen - ein Schweinezyklus, wenn es je einer war.
Auch für kleine Drachen braucht es also studierte Helden und für Kinderbücher sorgfältige Schriftsteller. Lena Kuglers Erzählung verdient ein Heldendiplom.
FRANZISKA BOSSY
Lena Kugler: "Bo im wilden Land". Mit Bildern von Ludvik Glazer-Naudé. Fischer Schatzinsel, Frankfurt 2006. 185 S., geb., 12,50 [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hinreißend findet Rezensentin Franziska Bossy dieses Kinderbuch, das Lena Kugler vorgelegt hat. Die Autorin lobt sie als "phantasiebegabte Erzählerin", die in der "liebevoll gestalteten Geschichte" Elemente der Fantasy-Literatur aufgreife, ohne sie platt zu übernehmen. Ein Anliegen des Buchs scheint ihr, Eltern wieder zum Geschichtenerzählen zu verführen. Freude beim Vorlesen des Buchs werden sie nach Ansicht Bossys jedenfalls haben. Gefallen haben ihr auch die Illustrationen von Ludvik Glazer-Naude. Dabei bedauert sie nur, dass die Bilder im Buch nicht so bunt sind wie die Titelillustration.
© Perlentaucher Medien GmbH
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