"Außen am Haus stand BOARDING HOME, aber ich wußte, daß es mein Grab sein würde. Es war eins jener Heime für Menschen, die das Leben aussortiert hat. Für Idioten vor allem. Manchmal aber auch für alte Leute, die von ihren Familien hier abgegeben wurden, damit sie vor Einsamkeit sterben und den Siegern nicht in die Suppe spucken."
William Figueras, ein kubanischer Schriftsteller, den die Revolution nicht gefressen, aber seiner Illusionen beraubt hat, ist auf der Flucht vor "der Kultur, der Musik, der Literatur, dem Fernsehen, den Sportereignissen, der Geschichte und der Philosophie Kubas". In der Tasche nicht mehr als seine zerlesene Ausgabe englischer Romantiker, wird er von seinen Verwandten in Miami bald nach seiner Ankunft dort ins Heim abgeschoben; mehr könne man nicht tun, das werde er verstehen. Er versteht.
Das Heim ist eine höllische Zuflucht, in der alle Opfer sind und doch jeder, so gut er kann, als Täter agiert. Kein Entrinnen scheint es zu geben, weil jenseits ihrer of
William Figueras, ein kubanischer Schriftsteller, den die Revolution nicht gefressen, aber seiner Illusionen beraubt hat, ist auf der Flucht vor "der Kultur, der Musik, der Literatur, dem Fernsehen, den Sportereignissen, der Geschichte und der Philosophie Kubas". In der Tasche nicht mehr als seine zerlesene Ausgabe englischer Romantiker, wird er von seinen Verwandten in Miami bald nach seiner Ankunft dort ins Heim abgeschoben; mehr könne man nicht tun, das werde er verstehen. Er versteht.
Das Heim ist eine höllische Zuflucht, in der alle Opfer sind und doch jeder, so gut er kann, als Täter agiert. Kein Entrinnen scheint es zu geben, weil jenseits ihrer of
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004Gespenster, die nicht in die Suppe spucken
Was bleibt: Guillermo Rosales erzählt in "Boarding Home" von Menschen, die das Leben aussortiert hat / Von Paul Ingendaay
Aus der Entfernung gesehen, kann Tragik ergreifend, erbaulich und manchmal sogar schön sein. Sie kann das Herz rühren und die Tränen zum Fließen bringen. Die Tragik im Leben des kubanischen Schriftstellers Guillermo Rosales, der 1946 in Havanna als Sohn eines Rechtsanwalts geboren wurde und sich 1993 in Miami erschoß, gehört nicht zu dieser Sorte. Und dennoch besitzt sein hundert Seiten langes Prosastück "Boarding Home", das von einer scheußlichen Existenz in einem Heim für Geistesgestörte, Ausgestoßene und Übriggebliebene berichtet, große Schönheit. Sie liegt in der Lakonie und äußersten Verdichtung von Rosales' Stil.
Denn hier schreibt einer um sein Leben oder das, was davon noch übrig ist. Um seinen Verstand zu retten, etwas Würde zu bewahren. Um letzte Meldung zu erstatten, bevor das Licht ausgeht. Daß es unweigerlich ausgehen wird, ahnen wir schon nach zwei Sätzen. "Außen am Haus stand Boarding Home, aber ich wußte, daß es mein Grab sein würde." So beginnt der Erzähler William Figueras, der seinem Schöpfer Guillermo Rosales ziemlich ähnlich sieht, seinen Bericht. "Es war eins jener Heime für Menschen, die das Leben aussortiert hat." Willkommen in den Zonen des Unbürgerlichen, Schmierigen und Kaputten, für die sich die Literatur schon immer zuständig fühlte und in denen einer nur richtig erzählen können muß, um sich die Hauptrolle in seinem eigenen Leben zumindest für die Länge eines Buches zurückzugeben. Das fahle Licht dieser Bewußtseinslandschaften, um einmal die Koordinaten zu nennen, stammt aus "Woyzeck" und "Einer flog übers Kuckucksnest".
Früher, in Kuba, da war William Figueras jemand und hatte kühne Ideen. "Mit fünfzehn hatte ich den großen Proust, Hesse, Joyce, Miller und Mann gelesen. Sie waren für mich, was für einen gläubigen Christen die Heiligen sind." Er schrieb einen Roman, den die kubanische Zensur als morbide und pornographisch einstufte. Dann ging etwas in ihm kaputt. Seitdem hörte er Stimmen, fühlte sich verfolgt und sah Teufel an der Wand. Die Politik wurde ihm egal, auch die Alphabetisierung und der Kommunismus. Für einen Verrückten aber war auf der Insel der Revolutionäre kein Platz, für einen schreibenden, subversiven Verrückten noch weniger. Als er Kuba endlich verlassen durfte, wollte ihn die kubanische Verwandtschaft im Exil von Miami als einen der Ihren begrüßen, sie erwartete vielleicht einen optimistischen Macher, einen Kandidaten für Haaröl und Goldkettchen. "Wer aber am Tag meiner Ankunft am Flughafen erschien, war ein übergeschnappter, magerer, verängstigter Typ mit stark gelichtetem Gebiß, den man noch am gleichen Tag in eine psychiatrische Klinik einweisen mußte, weil er die ganze Familie mißtrauisch beäugte und sie nicht etwa umarmte und küßte, sondern beschimpfte." Und so, als Idiot, Gescheiterter, Gestrandeter, landet Figueras im Boarding Home. "Es ist eines jener Häuser, die den Ausschuß des Lebens auffangen. Menschliche Wesen mit leerem Blick, hohlen Wangen, zahnlosen Mündern, dreckigen Leibern. Solche Orte, glaube ich, gibt es nur in den Vereinigten Staaten . . . Es sind private Häuser, die jeder aufmachen kann, der eine behördliche Genehmigung erhält und einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert." Genauer, es sind profitable Unternehmen, die an der völligen Hilflosigkeit der Insassen und der Gleichgültigkeit von deren Angehörigen verdienen. Señor Curbelo, der Patron, kassiert das Kostgeld und die Sozialunterstützung für Geistesgestörte. Gelegentlich kommt er vorbei, kontrolliert die Medikamentenzuteilung und verteilt an die Insassen ein paar Zigaretten. Im Grunde aber macht er, was er will. Arsenio, sein Mann fürs Grobe, streicht mit der Bierdose durch die Zimmer und wacht über die Disziplin. Eine umnachtete Alte ist sein kommodes Sexualobjekt. Daß geklaut und geprügelt wird, gehört für alle zur Normalität. Irgendwann schlägt auch William Figueras zu, ohne Sinn oder Ziel. Seine kleine Liebesgeschichte, der einzige Hoffnungsschimmer des Buches, beginnt damit, daß er die hilflose Frau fast erwürgt. Er legt ihr auch die Hände um den Hals, wenn er mit ihr schläft, er kann nicht anders. Liebe und Haß sind in seinem kranken Kopf eins geworden.
Guillermo Rosales braucht nur ein paar Striche, um sein kleines Universum aus Irrsinn, Gewalt und Verzweiflung, verdreckten Fluren und verstopften Toiletten zu beschreiben. Seine Schilderung geht durch Mark und Bein, weil sie ohne Attitüde und sichtbaren Stilwillen daherkommt. Der Ton dieses Elenden, der selbst an kaum etwas schuld ist, aber auch niemanden anders dafür verantwortlich machen will, ist empfindsam, nicht larmoyant; dabei gelassen, nicht kalt. Rosales schreibt genau auf Augenhöhe mit seinem Schicksal, so daß der Leser dieselben Zeichen liest, dieselben Schlüsse ziehen muß wie er. "Ich schaue zur Decke. Die Decke ist blau, brüchig und von winzigen, lilabraunen Kakerlaken bevölkert. Das ist also mein Ende. Die letzte Station auf meiner Reise. Nach diesem Boarding Home kommt nichts mehr." Es geht hier um mehr als den soziologischen Befund über die arme Minderheit innerhalb der Minderheit der kubanischen Emigration. Es geht um das totale Exil, den Ruin der Politik und des politischen Bewußtseins zugleich, um unerträglichen Außendruck wie Innendruck. Gleich einem Talisman trägt Figueras seine Anthologie der englischen Romantiker mit sich herum, zitiert Blake und Coleridge. Manchmal bekommt er Besuch von einem Freund, manchmal macht er einen Spaziergang um den Block. Merkwürdigerweise reichen fünf Zeilen, um uns davon zu überzeugen, daß Figueras ein ernsthafter Schriftsteller ist. Aber dieser Schriftsteller sieht Gespenster, sieht selber wie eins aus, und seine depravierte Umgebung verseucht das letzte, was er hat. Er ist der Zeuge, der spürt, wie er sich in einen Komplizen verwandelt und von seiner privaten Hölle verschlungen wird.
Wäre dieses Buch reine Erfindung, hätte Beckett es vielleicht gern geschrieben. So aber genügt es, die biographischen Realien nachzutragen, die es ausspart. (Manche von ihnen erwähnt der glänzende Übersetzer Christian Hansen in seinem kurzen Nachwort, andere liefert der ausführliche Essay in der spanischen Neuausgabe bei Siruela.) Guillermo Rosales starb arm, einsam und vergessen - mit siebenundvierzig Jahren und aus eigener Entscheidung. Der kurze Moment streng begrenzten Ruhms kam 1987, als der Schriftsteller in Miami den Literaturpreis "Letras de Oro" erhielt. Octavio Paz trat dabei als Laudator und Vorsitzender der Jury auf. Doch zu mehr als gelegentlichen Zeitschriftenveröffentlichungen in der literarischen Szene des kubanischen Exils reichte es für Rosales nicht. Miami wurde (und wird) aus politischen Gründen mit Mißtrauen betrachtet, und die Diaspora-Kultur aus dem Umfeld der radikalen Castro-Gegner ist nicht salonfähig.
Im wirklichen Leben verhielt sich Guillermo Rosales wohl noch unberechenbarer und gewalttätiger als sein Alter ego in "Boarding Home". Aber auch sein Humor, seine Fabulierlust und sein Sarkasmus waren allgemein bekannt. Die Schizophrenie machte sich schon früh bemerkbar. Ob Rosales dem Militärdienst entkam, weil er den Verrückten spielte, oder ob er damals bereits geistesgestört war, ist eine offene Frage. In den sechziger Jahren jedenfalls setzte die politische Ernüchterung ein, die ihm in Kuba Publikationsverbot eintrug und ihn später zur Ausreise zwang. Vor "Boarding Home" schrieb er einen Roman, den er auswendig rezitieren konnte. Das meiste andere vernichtete er. In seinen letzten Lebensjahren, abgemagert, zahnlos und mittellos, verfiel er schnell. Das Vorbild für das Heim in seinem Buch nannte sich übrigens "Happy Home". Auf den bösen Witz dieses Namens verzichtete Rosales, als er davon erzählte. Am Ende, ganz am Ende, traute er seinem Schreiben, das immer von den Verlierern der Castro-Diktatur handelt, nichts mehr zu.
Manches spricht dafür, daß sein Buch zum Untergrund-Klassiker wird. Ob der Suhrkamp Verlag gut daran getan hat, den völlig unbekannten Guillermo Rosales, von dem in der spanischsprachigen Welt nur ein einziges unscharfes Foto kursiert, gleich in die Bibliothek Suhrkamp zu befördern, statt mit ein bißchen Lärm und einem bunten Umschlag auf den Markt zu ziehen, ist fraglich. Das einzige Werk des Autors, das zu seinen Lebzeiten erschien, hat einen Platz gleich neben "Bevor es Nacht wird" von Reinaldo Arenas verdient. Die beiden Unglücksvögel waren sogar miteinander befreundet. Ob man es als Roman oder dürftig maskierte Autobiographie liest, "Boarding Home" dürfte zu der Handvoll Bücher gehören, die von der modernen kubanischen Literatur übrigbleiben.
Guillermo Rosales: "Boarding Home". Aus dem Spanischen übersetzt von Christian Hansen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 109 S., geb., 10,80 [Euro].
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Was bleibt: Guillermo Rosales erzählt in "Boarding Home" von Menschen, die das Leben aussortiert hat / Von Paul Ingendaay
Aus der Entfernung gesehen, kann Tragik ergreifend, erbaulich und manchmal sogar schön sein. Sie kann das Herz rühren und die Tränen zum Fließen bringen. Die Tragik im Leben des kubanischen Schriftstellers Guillermo Rosales, der 1946 in Havanna als Sohn eines Rechtsanwalts geboren wurde und sich 1993 in Miami erschoß, gehört nicht zu dieser Sorte. Und dennoch besitzt sein hundert Seiten langes Prosastück "Boarding Home", das von einer scheußlichen Existenz in einem Heim für Geistesgestörte, Ausgestoßene und Übriggebliebene berichtet, große Schönheit. Sie liegt in der Lakonie und äußersten Verdichtung von Rosales' Stil.
Denn hier schreibt einer um sein Leben oder das, was davon noch übrig ist. Um seinen Verstand zu retten, etwas Würde zu bewahren. Um letzte Meldung zu erstatten, bevor das Licht ausgeht. Daß es unweigerlich ausgehen wird, ahnen wir schon nach zwei Sätzen. "Außen am Haus stand Boarding Home, aber ich wußte, daß es mein Grab sein würde." So beginnt der Erzähler William Figueras, der seinem Schöpfer Guillermo Rosales ziemlich ähnlich sieht, seinen Bericht. "Es war eins jener Heime für Menschen, die das Leben aussortiert hat." Willkommen in den Zonen des Unbürgerlichen, Schmierigen und Kaputten, für die sich die Literatur schon immer zuständig fühlte und in denen einer nur richtig erzählen können muß, um sich die Hauptrolle in seinem eigenen Leben zumindest für die Länge eines Buches zurückzugeben. Das fahle Licht dieser Bewußtseinslandschaften, um einmal die Koordinaten zu nennen, stammt aus "Woyzeck" und "Einer flog übers Kuckucksnest".
Früher, in Kuba, da war William Figueras jemand und hatte kühne Ideen. "Mit fünfzehn hatte ich den großen Proust, Hesse, Joyce, Miller und Mann gelesen. Sie waren für mich, was für einen gläubigen Christen die Heiligen sind." Er schrieb einen Roman, den die kubanische Zensur als morbide und pornographisch einstufte. Dann ging etwas in ihm kaputt. Seitdem hörte er Stimmen, fühlte sich verfolgt und sah Teufel an der Wand. Die Politik wurde ihm egal, auch die Alphabetisierung und der Kommunismus. Für einen Verrückten aber war auf der Insel der Revolutionäre kein Platz, für einen schreibenden, subversiven Verrückten noch weniger. Als er Kuba endlich verlassen durfte, wollte ihn die kubanische Verwandtschaft im Exil von Miami als einen der Ihren begrüßen, sie erwartete vielleicht einen optimistischen Macher, einen Kandidaten für Haaröl und Goldkettchen. "Wer aber am Tag meiner Ankunft am Flughafen erschien, war ein übergeschnappter, magerer, verängstigter Typ mit stark gelichtetem Gebiß, den man noch am gleichen Tag in eine psychiatrische Klinik einweisen mußte, weil er die ganze Familie mißtrauisch beäugte und sie nicht etwa umarmte und küßte, sondern beschimpfte." Und so, als Idiot, Gescheiterter, Gestrandeter, landet Figueras im Boarding Home. "Es ist eines jener Häuser, die den Ausschuß des Lebens auffangen. Menschliche Wesen mit leerem Blick, hohlen Wangen, zahnlosen Mündern, dreckigen Leibern. Solche Orte, glaube ich, gibt es nur in den Vereinigten Staaten . . . Es sind private Häuser, die jeder aufmachen kann, der eine behördliche Genehmigung erhält und einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert." Genauer, es sind profitable Unternehmen, die an der völligen Hilflosigkeit der Insassen und der Gleichgültigkeit von deren Angehörigen verdienen. Señor Curbelo, der Patron, kassiert das Kostgeld und die Sozialunterstützung für Geistesgestörte. Gelegentlich kommt er vorbei, kontrolliert die Medikamentenzuteilung und verteilt an die Insassen ein paar Zigaretten. Im Grunde aber macht er, was er will. Arsenio, sein Mann fürs Grobe, streicht mit der Bierdose durch die Zimmer und wacht über die Disziplin. Eine umnachtete Alte ist sein kommodes Sexualobjekt. Daß geklaut und geprügelt wird, gehört für alle zur Normalität. Irgendwann schlägt auch William Figueras zu, ohne Sinn oder Ziel. Seine kleine Liebesgeschichte, der einzige Hoffnungsschimmer des Buches, beginnt damit, daß er die hilflose Frau fast erwürgt. Er legt ihr auch die Hände um den Hals, wenn er mit ihr schläft, er kann nicht anders. Liebe und Haß sind in seinem kranken Kopf eins geworden.
Guillermo Rosales braucht nur ein paar Striche, um sein kleines Universum aus Irrsinn, Gewalt und Verzweiflung, verdreckten Fluren und verstopften Toiletten zu beschreiben. Seine Schilderung geht durch Mark und Bein, weil sie ohne Attitüde und sichtbaren Stilwillen daherkommt. Der Ton dieses Elenden, der selbst an kaum etwas schuld ist, aber auch niemanden anders dafür verantwortlich machen will, ist empfindsam, nicht larmoyant; dabei gelassen, nicht kalt. Rosales schreibt genau auf Augenhöhe mit seinem Schicksal, so daß der Leser dieselben Zeichen liest, dieselben Schlüsse ziehen muß wie er. "Ich schaue zur Decke. Die Decke ist blau, brüchig und von winzigen, lilabraunen Kakerlaken bevölkert. Das ist also mein Ende. Die letzte Station auf meiner Reise. Nach diesem Boarding Home kommt nichts mehr." Es geht hier um mehr als den soziologischen Befund über die arme Minderheit innerhalb der Minderheit der kubanischen Emigration. Es geht um das totale Exil, den Ruin der Politik und des politischen Bewußtseins zugleich, um unerträglichen Außendruck wie Innendruck. Gleich einem Talisman trägt Figueras seine Anthologie der englischen Romantiker mit sich herum, zitiert Blake und Coleridge. Manchmal bekommt er Besuch von einem Freund, manchmal macht er einen Spaziergang um den Block. Merkwürdigerweise reichen fünf Zeilen, um uns davon zu überzeugen, daß Figueras ein ernsthafter Schriftsteller ist. Aber dieser Schriftsteller sieht Gespenster, sieht selber wie eins aus, und seine depravierte Umgebung verseucht das letzte, was er hat. Er ist der Zeuge, der spürt, wie er sich in einen Komplizen verwandelt und von seiner privaten Hölle verschlungen wird.
Wäre dieses Buch reine Erfindung, hätte Beckett es vielleicht gern geschrieben. So aber genügt es, die biographischen Realien nachzutragen, die es ausspart. (Manche von ihnen erwähnt der glänzende Übersetzer Christian Hansen in seinem kurzen Nachwort, andere liefert der ausführliche Essay in der spanischen Neuausgabe bei Siruela.) Guillermo Rosales starb arm, einsam und vergessen - mit siebenundvierzig Jahren und aus eigener Entscheidung. Der kurze Moment streng begrenzten Ruhms kam 1987, als der Schriftsteller in Miami den Literaturpreis "Letras de Oro" erhielt. Octavio Paz trat dabei als Laudator und Vorsitzender der Jury auf. Doch zu mehr als gelegentlichen Zeitschriftenveröffentlichungen in der literarischen Szene des kubanischen Exils reichte es für Rosales nicht. Miami wurde (und wird) aus politischen Gründen mit Mißtrauen betrachtet, und die Diaspora-Kultur aus dem Umfeld der radikalen Castro-Gegner ist nicht salonfähig.
Im wirklichen Leben verhielt sich Guillermo Rosales wohl noch unberechenbarer und gewalttätiger als sein Alter ego in "Boarding Home". Aber auch sein Humor, seine Fabulierlust und sein Sarkasmus waren allgemein bekannt. Die Schizophrenie machte sich schon früh bemerkbar. Ob Rosales dem Militärdienst entkam, weil er den Verrückten spielte, oder ob er damals bereits geistesgestört war, ist eine offene Frage. In den sechziger Jahren jedenfalls setzte die politische Ernüchterung ein, die ihm in Kuba Publikationsverbot eintrug und ihn später zur Ausreise zwang. Vor "Boarding Home" schrieb er einen Roman, den er auswendig rezitieren konnte. Das meiste andere vernichtete er. In seinen letzten Lebensjahren, abgemagert, zahnlos und mittellos, verfiel er schnell. Das Vorbild für das Heim in seinem Buch nannte sich übrigens "Happy Home". Auf den bösen Witz dieses Namens verzichtete Rosales, als er davon erzählte. Am Ende, ganz am Ende, traute er seinem Schreiben, das immer von den Verlierern der Castro-Diktatur handelt, nichts mehr zu.
Manches spricht dafür, daß sein Buch zum Untergrund-Klassiker wird. Ob der Suhrkamp Verlag gut daran getan hat, den völlig unbekannten Guillermo Rosales, von dem in der spanischsprachigen Welt nur ein einziges unscharfes Foto kursiert, gleich in die Bibliothek Suhrkamp zu befördern, statt mit ein bißchen Lärm und einem bunten Umschlag auf den Markt zu ziehen, ist fraglich. Das einzige Werk des Autors, das zu seinen Lebzeiten erschien, hat einen Platz gleich neben "Bevor es Nacht wird" von Reinaldo Arenas verdient. Die beiden Unglücksvögel waren sogar miteinander befreundet. Ob man es als Roman oder dürftig maskierte Autobiographie liest, "Boarding Home" dürfte zu der Handvoll Bücher gehören, die von der modernen kubanischen Literatur übrigbleiben.
Guillermo Rosales: "Boarding Home". Aus dem Spanischen übersetzt von Christian Hansen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 109 S., geb., 10,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Eine grenzenlos tragische Geschichte, ganz ohne Licht oder Erbauung, aber voller Schönheit - und die, so der Rezensent Paul Ingendaay, "liegt in der Lakonie und der äußersten Verdichtung von Guillermo Rosales' Stil". Die Tragik ist umso größer, als es sich um eine autobiografische Geschichte handelt, denn der Autor lebte, bevor er sich das Leben nahm, in einem "Boarding Home" wie in seinem Buch, und genau wie sein Protagonist war er schizophren und gehörte nirgends hin - nicht in Castros Kuba, nicht in die exilkubanische Gemeinde Miamis. Also kam er, kam sein Protagonist ins Heim, zu den anderen Verrückten und Gescheiterten. Er wusste, schreibt Ingendaay, am Ende nicht mehr, dass er ein bedeutender Künstler war, aber es ist so: "Guillermo Rosales braucht nur ein paar Striche, um sein kleines Universum aus Irrsinn, Gewalt und Verzweiflung, verdreckten Fluren und verstopften Toiletten zu beschreiben. Seine Schilderung geht durch Mark und Bein, weil sie ohne Attitüde und sichtbaren Stilwillen daherkommt." Dieses Buch wird eines von denen sein, "die von der modernen kubanischen Literatur übrigbleiben", ist sich der Rezensent sicher. Nicht so sicher ist er dagegen, ob es eine gute Idee war, den schmalen Band gleich in die Edition Suhrkamp zu stecken, "statt mit ein bisschen Lärm und einem bunten Umschlag auf den Markt zu ziehen".
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