Produktdetails
- Europa erlesen
- Verlag: Wieser
- Seitenzahl: 250
- Erscheinungstermin: Herbst 2007
- Unbestimmt
- Abmessung: 160mm x 100mm x 21mm
- Gewicht: 214g
- ISBN-13: 9783851296839
- ISBN-10: 3851296834
- Artikelnr.: 22918088
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.02.2008Bücherecke
Viele Wahrheiten
Drei literarische Anthologien über habsburgische Grenzlande
Das vorherrschende Bild haben sich andere gemacht. Mal als bedauernswert zurückgeblieben, dann wieder als glücklich aufgrund ihrer natürlichen Einfachheit werden die Bewohner des Böhmerwalds, die Waldler, beschrieben. Die Wahrheit ist, wie so oft, um vieles differenzierter. Allerdings hat ein Waldler gehörigen Anteil an der Verklärung: Adalbert Stifter siedelte seine Erzählungen im heimatlichen Böhmerwald an, den „er mit Maleraugen sieht”, schreibt Gerold Dvorak, also „noch völlig heil”. An Stifter wird „die Böhmerwaldliteratur fortan gemessen, und das heißt: Der Maßstab wird sehr hoch gelegt”, ergänzt Ivo Kares in seinem Aufsatz „Was ist Böhmerwaldliteratur?”. Das beschönigende Bild wird nicht überprüft, sondern übernommen und weiter simplifiziert, bis am Ende die oben genannten Klischees stehen.
Der von Norbert Schreiber zusammengestellten Anthologie über den Böhmerwald ist also das Misstrauen gegenüber derartigen schriftstellerischen Zeugnissen bereits eingepflanzt. Und dennoch beharrt der Klagenfurter Verleger Lojze Wieser zurecht darauf, dass man, wie er seine Buchreihe nennt, „Europa erlesen” könne, und dies der schönste Weg sei, den Kontinent kennenzulernen.
Die drei „Europa-erlesen”-Bände, die der Wieser Verlag zuletzt herausgegeben hat, haben jeder ein habsburgisches Grenzland zum Thema. Ihnen gelingt, in der Summe einen Mehrwert zu schaffen, weil die drei Eckpunkte Böhmerwald, Collio/Brda und Galizien ein Feld abstecken, in dem zwangsläufig auch die Verhältnisse in den österreichischen und teils auch ungarischen Kernlanden des Habsburgerreiches in den Blick geraten. Zugleich spielen Einflüsse anderer Mächte in allen drei Regionen eine große Rolle. „Ist es unter diesen Umständen verwunderlich, dass wir auf viele Wahrheiten pochen? Wir hatten auch viele zu schwören”, äußert Jiri Grusa stellvertretend.
Aus dem kulturellen Gedächtnis der Böhmerwälder sind die Hussitenkriege nicht wegzudenken. Galizien wiederum ist überhaupt erst nach der ersten polnischen Teilung geschaffen worden, der Region fehlt jegliche einigende Erfahrung. Nebeneinander her lebten Juden, Polen, Ukrainer und Deutsche, hinzu kamen kleinere Gruppen: Armenier, Ungarn, Slowaken, Huzulen . . . Karl Markus Gauß und Martin Pollack haben für ihren wiederaufgelegten Band „Das reiche Land der armen Leute” längere Textpassagen ausgewählt, um ihren Lesern diese Kulturlandschaft zu erschließen. Eine Kleinteiligkeit, wie sie sich in den beiden anderen Bänden zu einem Mosaik fügt, findet hier mangels einer prägenden Kultur keine Basis, auf der sich ein Bild zusammensetzen ließe. Gauß und Pollack schaffen eine solche erst, mit Hilfe der Werke von Bruno Schulz oder des wieder zu entdeckenden Wenzel Cäsar Messenhauser.
Das kleinste und von daher auch recht einheitliche Gebiet sind der Collio und die Brda – aber auch das an einer Grenze gelegen, halb in Italien, halb in Slowenien, mit Einflüssen der lateinischen, der slawischen und der deutschen Sprache und Kultur. In seiner Literatur hat die Kulinarik und vor allem der Wein einen festen Platz. STEFAN FISCHER
NORBERT SCHREIBER (Hrsg.): Europa erlesen – Böhmerwald. Wieser Verlag, Klagenfurt 2007. 248 Seiten, 12,95 Euro.
HANS KITZMÜLLER, LOJZE WIESER (Hrsg.): Europa erlesen – Collio/Brda. Wieser Verlag, Klagenfurt 2007. 286 Seiten, 12,95 Euro.
KARL MARKUS GAUSS, MARTIN POLLACK (Hrsg.): Europa erlesen – Das reiche Land der armen Leute. Wieser Verlag, Klagenfurt 2007. 302 Seiten, 12,95 Euro.
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Viele Wahrheiten
Drei literarische Anthologien über habsburgische Grenzlande
Das vorherrschende Bild haben sich andere gemacht. Mal als bedauernswert zurückgeblieben, dann wieder als glücklich aufgrund ihrer natürlichen Einfachheit werden die Bewohner des Böhmerwalds, die Waldler, beschrieben. Die Wahrheit ist, wie so oft, um vieles differenzierter. Allerdings hat ein Waldler gehörigen Anteil an der Verklärung: Adalbert Stifter siedelte seine Erzählungen im heimatlichen Böhmerwald an, den „er mit Maleraugen sieht”, schreibt Gerold Dvorak, also „noch völlig heil”. An Stifter wird „die Böhmerwaldliteratur fortan gemessen, und das heißt: Der Maßstab wird sehr hoch gelegt”, ergänzt Ivo Kares in seinem Aufsatz „Was ist Böhmerwaldliteratur?”. Das beschönigende Bild wird nicht überprüft, sondern übernommen und weiter simplifiziert, bis am Ende die oben genannten Klischees stehen.
Der von Norbert Schreiber zusammengestellten Anthologie über den Böhmerwald ist also das Misstrauen gegenüber derartigen schriftstellerischen Zeugnissen bereits eingepflanzt. Und dennoch beharrt der Klagenfurter Verleger Lojze Wieser zurecht darauf, dass man, wie er seine Buchreihe nennt, „Europa erlesen” könne, und dies der schönste Weg sei, den Kontinent kennenzulernen.
Die drei „Europa-erlesen”-Bände, die der Wieser Verlag zuletzt herausgegeben hat, haben jeder ein habsburgisches Grenzland zum Thema. Ihnen gelingt, in der Summe einen Mehrwert zu schaffen, weil die drei Eckpunkte Böhmerwald, Collio/Brda und Galizien ein Feld abstecken, in dem zwangsläufig auch die Verhältnisse in den österreichischen und teils auch ungarischen Kernlanden des Habsburgerreiches in den Blick geraten. Zugleich spielen Einflüsse anderer Mächte in allen drei Regionen eine große Rolle. „Ist es unter diesen Umständen verwunderlich, dass wir auf viele Wahrheiten pochen? Wir hatten auch viele zu schwören”, äußert Jiri Grusa stellvertretend.
Aus dem kulturellen Gedächtnis der Böhmerwälder sind die Hussitenkriege nicht wegzudenken. Galizien wiederum ist überhaupt erst nach der ersten polnischen Teilung geschaffen worden, der Region fehlt jegliche einigende Erfahrung. Nebeneinander her lebten Juden, Polen, Ukrainer und Deutsche, hinzu kamen kleinere Gruppen: Armenier, Ungarn, Slowaken, Huzulen . . . Karl Markus Gauß und Martin Pollack haben für ihren wiederaufgelegten Band „Das reiche Land der armen Leute” längere Textpassagen ausgewählt, um ihren Lesern diese Kulturlandschaft zu erschließen. Eine Kleinteiligkeit, wie sie sich in den beiden anderen Bänden zu einem Mosaik fügt, findet hier mangels einer prägenden Kultur keine Basis, auf der sich ein Bild zusammensetzen ließe. Gauß und Pollack schaffen eine solche erst, mit Hilfe der Werke von Bruno Schulz oder des wieder zu entdeckenden Wenzel Cäsar Messenhauser.
Das kleinste und von daher auch recht einheitliche Gebiet sind der Collio und die Brda – aber auch das an einer Grenze gelegen, halb in Italien, halb in Slowenien, mit Einflüssen der lateinischen, der slawischen und der deutschen Sprache und Kultur. In seiner Literatur hat die Kulinarik und vor allem der Wein einen festen Platz. STEFAN FISCHER
NORBERT SCHREIBER (Hrsg.): Europa erlesen – Böhmerwald. Wieser Verlag, Klagenfurt 2007. 248 Seiten, 12,95 Euro.
HANS KITZMÜLLER, LOJZE WIESER (Hrsg.): Europa erlesen – Collio/Brda. Wieser Verlag, Klagenfurt 2007. 286 Seiten, 12,95 Euro.
KARL MARKUS GAUSS, MARTIN POLLACK (Hrsg.): Europa erlesen – Das reiche Land der armen Leute. Wieser Verlag, Klagenfurt 2007. 302 Seiten, 12,95 Euro.
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