Alle Bauernhoftiere sind lieb und nett. Und alle können auch anders. Nur das Pferd scheint selbst für kleine Boshaftigkeiten zu brav. Doch als eine Maus herbeiraschelt, hebt das Pferd den Huf und tritt - klack! - auf die Maus. Alle sind fassungslos: Eine Maus zu zertreten ist nicht nur böse, sondern furchtbar gemein. Das Pferd aber sieht die Katze funkelnd an und verlangt, dass sie das Mausen in Zukunft bleiben lässt: »Von jetzt an gehören alle Mäuse mir!« Die Katze nickt und geht. Dann hebt das Pferd den Huf: »Danke!«, fiept die Maus, die sich im Hufeisen verstecken konnte. Eine hintergründige Geschichte über Abgründe und Gründe, über Sicht und Absicht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2016Lasst uns leise kichern über die Gemeinheit der Welt
Im Bilderbuch "Böse" werfen Lorenz Pauli und Kathrin Schärer Fragen auf und wissen nichts mit ihnen anzufangen.
So kann es gehen, wenn man ausgelassen beisammensitzt: Der Erste macht einen Spaß, der nächste versucht, ihn zu überbieten. Alle lachen. Oder fast alle. Warum sollte das auf dem Bauernhof anders sein?
In "Böse", dem neuen Bilderbuch von Lorenz Pauli mit Illustrationen von Kathrin Schärer sitzen Ziege und Pferd, Hund und Katze, Taube und drei Schweine zusammen, und als Erstes geht der Hund kurz auf den Hof und erschreckt mit lautem Kläffen den ahnungslosen Hahn. Dann futtert sich die Ziege durch den bäuerlichen Blumengarten, hinterlässt die Taube einen Fleck auf dem Hut des Bauern, tut das eine Schwein so, als hätte es den anderen geschwind alles weggefressen: allgemeine Ausgelassenheit, und selbst, wenn einer sich empört, trägt das nur zum Vergnügen der anderen bei.
Bis die Katze dran ist. Sie drängt sich vor, das Pferd sei zu brav und könne die versammelten Tiere nicht zum Lachen bringen, verkündet sie. Und sieht die Maus aus dem Stroh kommen. Was jetzt passiert, ist bestimmt nicht lustig, da sind sich die anderen Tiere mit ihren schreckgeweiteten Augen sicher. Gehört es überhaupt noch zum Spiel, oder hat die Katze gerade Wichtigeres, Aufregenderes vor, als die anderen zu unterhalten? Für die jedenfalls gibt es nichts Aufregenderes, als der Katze zuzusehen, wie sie sich anschleicht und zum Sprung duckt, als die Maus gerade ein paar Körner in der Nähe des Pferdes entdeckt hat. Und nichts Entsetzlicheres, als mit ansehen zu müssen, wie das Pferd - zu brav, um die anderen Tiere zum Lachen zu bringen, wie die Katze sagt - das rechte Vorderbein hebt und kurzerhand auf die Maus tritt.
Allgemeine Entgeisterung, erst recht, als das Pferd den anderen bescheidet, sie könnten noch froh sein, dass es nicht Funken schlage mit seinen Hufen und so den ganzen Hof anbrenne - und der Katze, künftig gehörten alle Mäuse allein ihm, sie solle das Mausen sein lassen. Die Katze schleicht sich kleinlaut, und das Pferd hat Gelegenheit, den anderen zu zeigen, wie viel Platz unter seinem Huf ist.
Eine dramatische Geschichte mit Pointe und Moral zu Bildern, in denen sich Natürlichkeit und Karikatur die Waage halten: Auch in ihrem neuen Buch haben Pauli und Schärer alles für ein weiteres Werk beisammen, was groß und klein schnell ans Herz wächst. Doch diesmal bleibt das so eingespielte wie erfolgreiche Duo hinter seinen Möglichkeiten zurück. Weil es die in ihm angelegten Feinheiten einem allzu schmalzigen Schlussakkord opfert.
Wann hört der Spaß auf, wann wird aus einer Frechheit eine Fiesheit? Was ist, wenn eine Tat noch weit darüber hinausgeht? Und was ist mit den Reaktionen darauf? Schon der Hahn nimmt den anderen den Spaß übel, als der Hund ihn erschreckt hat, und ruft den Bauern, als die Ziege gerade die Kapuzinerkresse aus dem Blumenbeet auf die Hörner nimmt. Als die anderen Schweine noch glauben, das eine habe ihnen das ganze Futter weggefressen, beißen sie es sogar ins Ohr. Einerseits ist dieser Angriff wichtig: Kathrin Schärer zeigt seine Blutspuren auf fünf folgenden Bildern. Andererseits bleibt diese Verletzung seltsam unkommentiert: Weder der Erzähler noch die anderen Tiere nehmen dazu Stellung, dass hier eine im Grunde harmlose Behauptung mit körperlicher Gewalt beantwortet wird. Dabei sind gerade diese Fragen für Kinder hochinteressant, die im Vorschulalter an den Grenzen des Erlaubten und dem Vergnügen wichtige Erfahrungen dabei machen, diese Grenzen in Frage zu stellen. Auch wenn es seinen Preis hat.
Als kurz darauf das Pferd die kleine Maus unter seinem Huf begräbt und alle Tiere annehmen, es habe sie zertreten, wird es für die Tiere vollends schwierig - ohne dass Autor und Illustratorin aus dieser Schwierigkeit erzählerischen Gewinn schlügen. "Das ist nicht nur böse, das ist furchtbar gemein", kommentiert der Hund den Anschlag auf die Maus. "Furchtbar gemein", das ist alles. Dabei müssen die anderen Tiere annehmen, das Pferd habe die Maus kaltblütig zertreten. Wenn es in den wechselseitigen Überbietungen der Zumutung eine Grenze gibt, dann ist sie hier eindeutig überschritten, in einer Weise, der traurige Blicke und mahnende Worte nicht gerecht werden.
Im Gegenteil: Wie schwach diese Vorwürfe letztlich wirken, wie seltsam es ist, dass nur Taube und Hund dem Pferd die Meinung sagen, muss die kindlichen Leser irritieren. Und müsste aufgefangen oder auf eine Art offengelassen werden, die nahelegt, dass sie anschließend darüber sprechen können. Der letzte Satz des Buchs allerdings ist von einer Betulichkeit, die jedes Unbehagen überdecken soll. Als sich das Pferd erklärt und die Maus bedankt hat, heißt es: "Möglichst leise, damit die Katze nicht misstrauisch wird, kichern alle über die liebste Gemeinheit der Welt."
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Lorenz Pauli, Kathrin Schärer: "Böse".
Atlantis Verlag, Zürich 2016. 32 S., geb., 14,95 [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Bilderbuch "Böse" werfen Lorenz Pauli und Kathrin Schärer Fragen auf und wissen nichts mit ihnen anzufangen.
So kann es gehen, wenn man ausgelassen beisammensitzt: Der Erste macht einen Spaß, der nächste versucht, ihn zu überbieten. Alle lachen. Oder fast alle. Warum sollte das auf dem Bauernhof anders sein?
In "Böse", dem neuen Bilderbuch von Lorenz Pauli mit Illustrationen von Kathrin Schärer sitzen Ziege und Pferd, Hund und Katze, Taube und drei Schweine zusammen, und als Erstes geht der Hund kurz auf den Hof und erschreckt mit lautem Kläffen den ahnungslosen Hahn. Dann futtert sich die Ziege durch den bäuerlichen Blumengarten, hinterlässt die Taube einen Fleck auf dem Hut des Bauern, tut das eine Schwein so, als hätte es den anderen geschwind alles weggefressen: allgemeine Ausgelassenheit, und selbst, wenn einer sich empört, trägt das nur zum Vergnügen der anderen bei.
Bis die Katze dran ist. Sie drängt sich vor, das Pferd sei zu brav und könne die versammelten Tiere nicht zum Lachen bringen, verkündet sie. Und sieht die Maus aus dem Stroh kommen. Was jetzt passiert, ist bestimmt nicht lustig, da sind sich die anderen Tiere mit ihren schreckgeweiteten Augen sicher. Gehört es überhaupt noch zum Spiel, oder hat die Katze gerade Wichtigeres, Aufregenderes vor, als die anderen zu unterhalten? Für die jedenfalls gibt es nichts Aufregenderes, als der Katze zuzusehen, wie sie sich anschleicht und zum Sprung duckt, als die Maus gerade ein paar Körner in der Nähe des Pferdes entdeckt hat. Und nichts Entsetzlicheres, als mit ansehen zu müssen, wie das Pferd - zu brav, um die anderen Tiere zum Lachen zu bringen, wie die Katze sagt - das rechte Vorderbein hebt und kurzerhand auf die Maus tritt.
Allgemeine Entgeisterung, erst recht, als das Pferd den anderen bescheidet, sie könnten noch froh sein, dass es nicht Funken schlage mit seinen Hufen und so den ganzen Hof anbrenne - und der Katze, künftig gehörten alle Mäuse allein ihm, sie solle das Mausen sein lassen. Die Katze schleicht sich kleinlaut, und das Pferd hat Gelegenheit, den anderen zu zeigen, wie viel Platz unter seinem Huf ist.
Eine dramatische Geschichte mit Pointe und Moral zu Bildern, in denen sich Natürlichkeit und Karikatur die Waage halten: Auch in ihrem neuen Buch haben Pauli und Schärer alles für ein weiteres Werk beisammen, was groß und klein schnell ans Herz wächst. Doch diesmal bleibt das so eingespielte wie erfolgreiche Duo hinter seinen Möglichkeiten zurück. Weil es die in ihm angelegten Feinheiten einem allzu schmalzigen Schlussakkord opfert.
Wann hört der Spaß auf, wann wird aus einer Frechheit eine Fiesheit? Was ist, wenn eine Tat noch weit darüber hinausgeht? Und was ist mit den Reaktionen darauf? Schon der Hahn nimmt den anderen den Spaß übel, als der Hund ihn erschreckt hat, und ruft den Bauern, als die Ziege gerade die Kapuzinerkresse aus dem Blumenbeet auf die Hörner nimmt. Als die anderen Schweine noch glauben, das eine habe ihnen das ganze Futter weggefressen, beißen sie es sogar ins Ohr. Einerseits ist dieser Angriff wichtig: Kathrin Schärer zeigt seine Blutspuren auf fünf folgenden Bildern. Andererseits bleibt diese Verletzung seltsam unkommentiert: Weder der Erzähler noch die anderen Tiere nehmen dazu Stellung, dass hier eine im Grunde harmlose Behauptung mit körperlicher Gewalt beantwortet wird. Dabei sind gerade diese Fragen für Kinder hochinteressant, die im Vorschulalter an den Grenzen des Erlaubten und dem Vergnügen wichtige Erfahrungen dabei machen, diese Grenzen in Frage zu stellen. Auch wenn es seinen Preis hat.
Als kurz darauf das Pferd die kleine Maus unter seinem Huf begräbt und alle Tiere annehmen, es habe sie zertreten, wird es für die Tiere vollends schwierig - ohne dass Autor und Illustratorin aus dieser Schwierigkeit erzählerischen Gewinn schlügen. "Das ist nicht nur böse, das ist furchtbar gemein", kommentiert der Hund den Anschlag auf die Maus. "Furchtbar gemein", das ist alles. Dabei müssen die anderen Tiere annehmen, das Pferd habe die Maus kaltblütig zertreten. Wenn es in den wechselseitigen Überbietungen der Zumutung eine Grenze gibt, dann ist sie hier eindeutig überschritten, in einer Weise, der traurige Blicke und mahnende Worte nicht gerecht werden.
Im Gegenteil: Wie schwach diese Vorwürfe letztlich wirken, wie seltsam es ist, dass nur Taube und Hund dem Pferd die Meinung sagen, muss die kindlichen Leser irritieren. Und müsste aufgefangen oder auf eine Art offengelassen werden, die nahelegt, dass sie anschließend darüber sprechen können. Der letzte Satz des Buchs allerdings ist von einer Betulichkeit, die jedes Unbehagen überdecken soll. Als sich das Pferd erklärt und die Maus bedankt hat, heißt es: "Möglichst leise, damit die Katze nicht misstrauisch wird, kichern alle über die liebste Gemeinheit der Welt."
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Lorenz Pauli, Kathrin Schärer: "Böse".
Atlantis Verlag, Zürich 2016. 32 S., geb., 14,95 [Euro]. Ab 4 J.
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»Eine großartige Parabel auf Gut und Böse - und manchmal trügt der Schein, sodass junge Leser am Ende doch aufatmen können.« Börsenblatt