Erstmals in deutscher Übersetzung ausgewählte Storys von Tove Ditlevsen, Autorin der gefeierten »Kopenhagen-Trilogie«
»Ditlevsen schreibt Sätze, die eigentlich Gemälde sind.« FAS
»Von hypnotischer Qualität.« THE NEW YORK TIMES
»Es ist kein Zufall, dass Tove Ditlevsen gerade wieder entdeckt wird. Man hat ihre sezierende Prosa mit der Annie Ernauxs verglichen. Der Vergleich ist berechtigt. Was sie verbindet, ist ihre Fähigkeit, einer widrigen Wirklichkeit standzuhalten. Im Leben, und wenn nicht im Leben, dann in der Literatur.« TAZ
»Diese funkelnden Geschichten beschwören tiefste Gefühlsquellen herauf.« VOGUE
»Ditlevsen kann mit wenigen Worten eine ganze Welt erstehen lassen.« THE TIMES
»Eine monumentale Autorin.« PATTI SMITH
Eine frisch verheiratete Frau sehnt sich obsessiv nach einem gelben Regenschirm. Ein Ehemann verjagt die geliebte Katze seiner Frau. Eine betrogene Mutter entlässt impulsiv ihre Haushälterin. Unter derOberfläche dieser unbeirrbar scharf beobachteten Geschichten über Liebe und Beziehungen im Kopenhagen des 20. Jahrhunderts pulsieren Verlangen und Verzweiflung. Während vor allem die Frauen darum kämpfen, den ihnen zugewiesenen Rollen zu entkommen, träumen sie davon, frei und glücklich zu werden - ohne je ganz zu verstehen, was das wahrhaft bedeuten könnte. Luzide kartografiert Ditlevsen Momente des Alltags, die ein Leben in eine andere Richtung wenden. Der Band »Böses Glück« zeigt sie als Meisterin der kurzen Form.
»Ditlevsen schreibt Sätze, die eigentlich Gemälde sind.« FAS
»Von hypnotischer Qualität.« THE NEW YORK TIMES
»Es ist kein Zufall, dass Tove Ditlevsen gerade wieder entdeckt wird. Man hat ihre sezierende Prosa mit der Annie Ernauxs verglichen. Der Vergleich ist berechtigt. Was sie verbindet, ist ihre Fähigkeit, einer widrigen Wirklichkeit standzuhalten. Im Leben, und wenn nicht im Leben, dann in der Literatur.« TAZ
»Diese funkelnden Geschichten beschwören tiefste Gefühlsquellen herauf.« VOGUE
»Ditlevsen kann mit wenigen Worten eine ganze Welt erstehen lassen.« THE TIMES
»Eine monumentale Autorin.« PATTI SMITH
Eine frisch verheiratete Frau sehnt sich obsessiv nach einem gelben Regenschirm. Ein Ehemann verjagt die geliebte Katze seiner Frau. Eine betrogene Mutter entlässt impulsiv ihre Haushälterin. Unter derOberfläche dieser unbeirrbar scharf beobachteten Geschichten über Liebe und Beziehungen im Kopenhagen des 20. Jahrhunderts pulsieren Verlangen und Verzweiflung. Während vor allem die Frauen darum kämpfen, den ihnen zugewiesenen Rollen zu entkommen, träumen sie davon, frei und glücklich zu werden - ohne je ganz zu verstehen, was das wahrhaft bedeuten könnte. Luzide kartografiert Ditlevsen Momente des Alltags, die ein Leben in eine andere Richtung wenden. Der Band »Böses Glück« zeigt sie als Meisterin der kurzen Form.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezenent Jens Uthoff schreibt nichts Neues über Tove Ditlevsen. Vom "Sound" der wiederentdeckten Autorin, die sich 1976 das Leben nahm, haben wir schon oft gelesen. Laut Uthoff tönen auch Ditlevsens Erzählungen so: leise, verdichtet, voll von verhaltenen Ängsten, die beim Leser nachklingen. Uthoff vermerkt, dass die Texte um das Unglück in der Ehe kreisen, um kleine Fluchten und die patriachalische Gesellschaft, in der Ditlevsen lebte. Unverstellte Psychogeografien von Beziehungen sind die Texte für ihn.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.05.2023Die Sehnsucht
ist ein räudiges Tier
In Deutschland wurde die Dänin Tove Ditlevsen
mit ihrer Kopenhagen-Trilogie erst
posthum berühmt. Jetzt erscheint ein neuer
Erzählband. Er ist ein Schlüssel zu ihrem Werk
VON MAIKE ALBATH
Weiblichkeit war nie eine einfache Sache, nicht einmal in Dänemark und schon gar nicht in den 1950er-Jahren. Mit knappen Sätzen, dürren Worten und untergründigem Spott demontiert Tove Ditlevsen ihre Heldin Helga: Weder Herkunft noch Begabung noch ihr Äußeres stünden in irgendeinem Verhältnis zu Helgas überzogenen Hoffnungen. Dennoch, so stellt sie fest, hält das einfältige Hausmädchen in der Erzählung „Der Regenschirm“ unbeirrbar an ihren Vorstellungen fest, wartet erst auf den richtigen Mann, dann auf das Eheglück und verlagert sich schließlich, nach einer gewissen Ernüchterung, auf den Wunsch nach einem Regenschirm.
Als Kind hatte sie nämlich in ihrer Nachbarschaft eine Dame aus dem käuflichen Gewerbe für den Besitz eines herrlichen Seidenschirms bewundert. Sie hegt und pflegt diesen Wunsch wie einen heimlichen Geliebten, was den Verdacht ihres Mannes weckt. In einem Anflug von trotzigem Freiheitswillen kauft sie den Schirm, den ihr Gatte dann wütend zerbricht. Eine schwer benennbare Sehnsucht arbeitet in Helga, eine tiefe Bedürftigkeit, und dies verbindet sie mit den anderen Hauptfiguren aus diesen Kurzgeschichten. Tove Ditlevsen versteht sich glänzend auf die Schilderung von Aggressionen und deren zerstörerischer Kraft. Familienbindungen werden nie idealisiert, im Gegenteil. Zwar pflegen viele der Mütter, Kinder und Väter enge Beziehungen zueinander; dennoch ähneln Ehe und Elternschaft meistens eher einem Schlachtfeld.
„Böses Glück“ heißt der klug komponierte Band, in dem fünfzehn Erzählungen aus zwei im Original 1952 und 1963 erschienenen Sammlungen zusammengestellt sind. Man gewinnt einen Einblick in die zentralen Themen der 1917 geborenen Schriftstellerin und lernt ihre spezifische Ästhetik der Verknappung kennen. Auf engstem Raum, oft nur in ein paar Zeilen, vermittelt Ditlevsen Milieu, Lebensideale, zerstobene Träume. Ein Knäuel aus Gefühlen, die meistens nicht formulierbar sind, hält ihre Figuren in Schach. Ob Frauen, Männer oder Kinder, alle leiden unter etwas, das sie nur in Umrissen wahrnehmen.
„Böses Glück“ komplettiert das mittlerweile auf Deutsch vorliegende Werk der dänischen Lyrikerin und Romanautorin, die mit ihrem Gespür für zwischenmenschliche Abgründe zu Lebzeiten ein Star war. Dass Tove Ditlevsen nebenbei für die Illustrierte Familie Journalen auch noch eine Kolumne mit Ratschlägen für Frauen in allen Lebenslagen verfasste, trug enorm zu ihrer Popularität bei. Wie eine gute Freundin schien sie ein Ohr für die Nöte ihrer Leserinnen zu haben. Auch ihr Suizid 1976 tat der Verehrung keinen Abbruch.
In Deutschland hat man ihr schroffes Werk erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt und größtenteils erstmals übersetzt. Ihre Trilogie „Kindheit“, „Jugend“ und „Abhängigkeit“, noch während eines Psychiatrieaufenthalts entstanden und zwischen 1968 und 1971 veröffentlicht, brach mit der Selbststilisierung autobiografischen Schreibens und schilderte gnadenlos die Brüchigkeit des Subjekts. Denn Gegenstand ist nicht die triumphale Entfaltung einer schon in der Kindheit angelegten, in sich gefestigten Identität, wie es in der klassischen Autobiografie seit Goethes „Dichtung und Wahrheit“ der Fall ist, sondern ein zerklüftetes Ich.
Ditlevsens Trilogie mit dem dort geschilderten mühsamen Weg in die Autonomie, der Befreiung von ihrer einfachen Herkunft, der Entdeckung der Lyrik als Schutzraum, ersten Erfolgen und dem Absturz in die Sucht gilt heute als frühes Beispiel für Autofiktionalität. Auf sie passt der kontroverse Begriff, den der psychoanalytisch und poststrukturalistisch gestählte französische Schriftsteller und Literaturtheoretiker Serge Doubrovsky 1977 bei assoziativen Lockerungsübungen erfand – übrigens, wie man seit 2014 weiß, tatsächlich im Auto nach einer anstrengenden Stunde mit seinem Analytiker –, dann auf eigene Selbsterkundungen anwandte und auf dem Buchumschlag seines Romans „Fils“ abdruckte. Annie Ernaux, Édouard Louis, Rachel Cusk und neuerdings Julia Schoch führen diese Spielart autobiografischen Schreibens bis in die Gegenwart fort.
Auch wenn die Erzählungen aus „Böses Glück“ stärker fiktional geprägt sind und mit erfundenen Figuren arbeiten, sind einem doch etliche Handlungskonstellationen aus der Trilogie vertraut. Vor allem die Titelgeschichte liest sich wie eine knappe Skizze des zweiten Bandes der Trias „Jugend“: Die Eltern der Ich-Erzählerin ziehen in eine kostspieligere Wohnung, zu deren Miete die junge Frau, die eigentlich Gedichte schreiben will, ihren Lohn als Blechdosenverpackerin beitragen muss. Auch hier tauchen dann eine sterbende Tante auf und ein Bruder, der einspringen muss.
Ebenfalls verwandt sind die Erzählung „Die kleinen Schuhe“ und der Roman „Gesichter“ von 1968, in dem der Ausbruch einer Psychose protokolliert wird. Die Geschichte deutet den Wirklichkeitsverlust der Ich-Figur, einer ausgelaugten Familienmutter, die sich den Einmischungen ihrer hippiehaften Haushaltshilfe hilflos ausgeliefert fühlt, nur an, erprobt aber bereits das Kräftespiel zwischen Ehepaar und Eindringling. Der Band „Böses Glück“ gibt also Aufschluss über die Textwerkstatt Ditlevsens, über die Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung von Stoffen und Personal. Ein zentrales ästhetisches Kennzeichen ist immer wieder die Verdichtung. Zu ihren Stilmitteln zählen lyrische Vergleiche, die gerade im Zusammenklang mit dem konzentrierten Satzbau und der sonst eher spröden Sprache ihre Wirkung entfalten: Helgas schwärmerischer Charakter lässt ihre Seele „wie der Frühlingswind die jungen Blätter erzittern“, wobei hier Ironie mitschwingt, denn Helga gefällt sich in ihrer romantischen Haltung. „Etwas Helles tauchte in ihm auf“, bemerkt eine Tochter über ihren Vater, an dem sie plötzlich eine ungewohnte Seite entdeckt. Ein Kind „war wie ein lebendiger Ball aus Freude“.
Immer wieder gelingen Tove Ditlevsen Szenen, die das Dilemma selbstbestimmter Weiblichkeit in scharfen Kontrasten auf den Punkt bringen. In „Die Katze“ ärgert sich ein aufstiegsbesessener Ehemann, dass seine schwangere Frau ein räudiges Tier in ihr feines Haus lässt. Als sie nach einer Fehlgeburt aus dem Krankenhaus kommt, ist die Katze weg. Der Mann hat sie verjagt, aber seine Frau zwingt ihn zur Suche. Die Sehnsucht ist ein wildes, fauchendes Tier.
Ein zentrales ästhetisches
Kennzeichen ist immer
wieder die Verdichtung
Sie bringt das Dilemma
selbstbestimmter Weiblichkeit
immer wieder auf den Punkt
Tove Ditlevsen:
Böses Glück.
Erzählungen.
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein.
Aufbau Verlag Berlin,
172 Seiten, 20 Euro.
Oft benötigt Tove Ditlevsen nur ein paar Zeilen und ihr gelingt, Milieu, Lebensideale, ein Knäuel aus Gefühlen und zerstobene Träume zu vermitteln.
Foto: Jette Ladegaard/AP
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
ist ein räudiges Tier
In Deutschland wurde die Dänin Tove Ditlevsen
mit ihrer Kopenhagen-Trilogie erst
posthum berühmt. Jetzt erscheint ein neuer
Erzählband. Er ist ein Schlüssel zu ihrem Werk
VON MAIKE ALBATH
Weiblichkeit war nie eine einfache Sache, nicht einmal in Dänemark und schon gar nicht in den 1950er-Jahren. Mit knappen Sätzen, dürren Worten und untergründigem Spott demontiert Tove Ditlevsen ihre Heldin Helga: Weder Herkunft noch Begabung noch ihr Äußeres stünden in irgendeinem Verhältnis zu Helgas überzogenen Hoffnungen. Dennoch, so stellt sie fest, hält das einfältige Hausmädchen in der Erzählung „Der Regenschirm“ unbeirrbar an ihren Vorstellungen fest, wartet erst auf den richtigen Mann, dann auf das Eheglück und verlagert sich schließlich, nach einer gewissen Ernüchterung, auf den Wunsch nach einem Regenschirm.
Als Kind hatte sie nämlich in ihrer Nachbarschaft eine Dame aus dem käuflichen Gewerbe für den Besitz eines herrlichen Seidenschirms bewundert. Sie hegt und pflegt diesen Wunsch wie einen heimlichen Geliebten, was den Verdacht ihres Mannes weckt. In einem Anflug von trotzigem Freiheitswillen kauft sie den Schirm, den ihr Gatte dann wütend zerbricht. Eine schwer benennbare Sehnsucht arbeitet in Helga, eine tiefe Bedürftigkeit, und dies verbindet sie mit den anderen Hauptfiguren aus diesen Kurzgeschichten. Tove Ditlevsen versteht sich glänzend auf die Schilderung von Aggressionen und deren zerstörerischer Kraft. Familienbindungen werden nie idealisiert, im Gegenteil. Zwar pflegen viele der Mütter, Kinder und Väter enge Beziehungen zueinander; dennoch ähneln Ehe und Elternschaft meistens eher einem Schlachtfeld.
„Böses Glück“ heißt der klug komponierte Band, in dem fünfzehn Erzählungen aus zwei im Original 1952 und 1963 erschienenen Sammlungen zusammengestellt sind. Man gewinnt einen Einblick in die zentralen Themen der 1917 geborenen Schriftstellerin und lernt ihre spezifische Ästhetik der Verknappung kennen. Auf engstem Raum, oft nur in ein paar Zeilen, vermittelt Ditlevsen Milieu, Lebensideale, zerstobene Träume. Ein Knäuel aus Gefühlen, die meistens nicht formulierbar sind, hält ihre Figuren in Schach. Ob Frauen, Männer oder Kinder, alle leiden unter etwas, das sie nur in Umrissen wahrnehmen.
„Böses Glück“ komplettiert das mittlerweile auf Deutsch vorliegende Werk der dänischen Lyrikerin und Romanautorin, die mit ihrem Gespür für zwischenmenschliche Abgründe zu Lebzeiten ein Star war. Dass Tove Ditlevsen nebenbei für die Illustrierte Familie Journalen auch noch eine Kolumne mit Ratschlägen für Frauen in allen Lebenslagen verfasste, trug enorm zu ihrer Popularität bei. Wie eine gute Freundin schien sie ein Ohr für die Nöte ihrer Leserinnen zu haben. Auch ihr Suizid 1976 tat der Verehrung keinen Abbruch.
In Deutschland hat man ihr schroffes Werk erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt und größtenteils erstmals übersetzt. Ihre Trilogie „Kindheit“, „Jugend“ und „Abhängigkeit“, noch während eines Psychiatrieaufenthalts entstanden und zwischen 1968 und 1971 veröffentlicht, brach mit der Selbststilisierung autobiografischen Schreibens und schilderte gnadenlos die Brüchigkeit des Subjekts. Denn Gegenstand ist nicht die triumphale Entfaltung einer schon in der Kindheit angelegten, in sich gefestigten Identität, wie es in der klassischen Autobiografie seit Goethes „Dichtung und Wahrheit“ der Fall ist, sondern ein zerklüftetes Ich.
Ditlevsens Trilogie mit dem dort geschilderten mühsamen Weg in die Autonomie, der Befreiung von ihrer einfachen Herkunft, der Entdeckung der Lyrik als Schutzraum, ersten Erfolgen und dem Absturz in die Sucht gilt heute als frühes Beispiel für Autofiktionalität. Auf sie passt der kontroverse Begriff, den der psychoanalytisch und poststrukturalistisch gestählte französische Schriftsteller und Literaturtheoretiker Serge Doubrovsky 1977 bei assoziativen Lockerungsübungen erfand – übrigens, wie man seit 2014 weiß, tatsächlich im Auto nach einer anstrengenden Stunde mit seinem Analytiker –, dann auf eigene Selbsterkundungen anwandte und auf dem Buchumschlag seines Romans „Fils“ abdruckte. Annie Ernaux, Édouard Louis, Rachel Cusk und neuerdings Julia Schoch führen diese Spielart autobiografischen Schreibens bis in die Gegenwart fort.
Auch wenn die Erzählungen aus „Böses Glück“ stärker fiktional geprägt sind und mit erfundenen Figuren arbeiten, sind einem doch etliche Handlungskonstellationen aus der Trilogie vertraut. Vor allem die Titelgeschichte liest sich wie eine knappe Skizze des zweiten Bandes der Trias „Jugend“: Die Eltern der Ich-Erzählerin ziehen in eine kostspieligere Wohnung, zu deren Miete die junge Frau, die eigentlich Gedichte schreiben will, ihren Lohn als Blechdosenverpackerin beitragen muss. Auch hier tauchen dann eine sterbende Tante auf und ein Bruder, der einspringen muss.
Ebenfalls verwandt sind die Erzählung „Die kleinen Schuhe“ und der Roman „Gesichter“ von 1968, in dem der Ausbruch einer Psychose protokolliert wird. Die Geschichte deutet den Wirklichkeitsverlust der Ich-Figur, einer ausgelaugten Familienmutter, die sich den Einmischungen ihrer hippiehaften Haushaltshilfe hilflos ausgeliefert fühlt, nur an, erprobt aber bereits das Kräftespiel zwischen Ehepaar und Eindringling. Der Band „Böses Glück“ gibt also Aufschluss über die Textwerkstatt Ditlevsens, über die Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung von Stoffen und Personal. Ein zentrales ästhetisches Kennzeichen ist immer wieder die Verdichtung. Zu ihren Stilmitteln zählen lyrische Vergleiche, die gerade im Zusammenklang mit dem konzentrierten Satzbau und der sonst eher spröden Sprache ihre Wirkung entfalten: Helgas schwärmerischer Charakter lässt ihre Seele „wie der Frühlingswind die jungen Blätter erzittern“, wobei hier Ironie mitschwingt, denn Helga gefällt sich in ihrer romantischen Haltung. „Etwas Helles tauchte in ihm auf“, bemerkt eine Tochter über ihren Vater, an dem sie plötzlich eine ungewohnte Seite entdeckt. Ein Kind „war wie ein lebendiger Ball aus Freude“.
Immer wieder gelingen Tove Ditlevsen Szenen, die das Dilemma selbstbestimmter Weiblichkeit in scharfen Kontrasten auf den Punkt bringen. In „Die Katze“ ärgert sich ein aufstiegsbesessener Ehemann, dass seine schwangere Frau ein räudiges Tier in ihr feines Haus lässt. Als sie nach einer Fehlgeburt aus dem Krankenhaus kommt, ist die Katze weg. Der Mann hat sie verjagt, aber seine Frau zwingt ihn zur Suche. Die Sehnsucht ist ein wildes, fauchendes Tier.
Ein zentrales ästhetisches
Kennzeichen ist immer
wieder die Verdichtung
Sie bringt das Dilemma
selbstbestimmter Weiblichkeit
immer wieder auf den Punkt
Tove Ditlevsen:
Böses Glück.
Erzählungen.
Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein.
Aufbau Verlag Berlin,
172 Seiten, 20 Euro.
Oft benötigt Tove Ditlevsen nur ein paar Zeilen und ihr gelingt, Milieu, Lebensideale, ein Knäuel aus Gefühlen und zerstobene Träume zu vermitteln.
Foto: Jette Ladegaard/AP
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»ein wahrer Schatz« Frauke Böger Der SPIEGEL 20230517