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Werner Ross porträtiert die Glanzzeit Münchens um 1900: Dichter und Denker, Maler und Musiker, Schauspieler und Lebenskünstler. Leuchten und Wetterleuchten "München leuchtete" - diese Charakterisierung Thomas Manns aus dem Jahr 1902 beschreibt die Faszination, die von der Isar- Stadt in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg ausging. München zog damals die Künstler aus ganz Deutschland an - Thomas Mann kam aus Lübeck, Stefan George aus Bingen am Rhein, Lovis Corinth aus einem Dorf in Ostpreußen. Und zuletzt wurde München das, wozu die Wittelsbacher Könige es immer hatten machen wollen: das…mehr

Produktbeschreibung
Werner Ross porträtiert die Glanzzeit Münchens um 1900: Dichter und Denker, Maler und Musiker, Schauspieler und Lebenskünstler. Leuchten und Wetterleuchten "München leuchtete" - diese Charakterisierung Thomas Manns aus dem Jahr 1902 beschreibt die Faszination, die von der Isar- Stadt in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg ausging. München zog damals die Künstler aus ganz Deutschland an - Thomas Mann kam aus Lübeck, Stefan George aus Bingen am Rhein, Lovis Corinth aus einem Dorf in Ostpreußen. Und zuletzt wurde München das, wozu die Wittelsbacher Könige es immer hatten machen wollen: das geheime geistige Zentrum Deutschlands. Werner Ross, seit seiner Nietzsche-Biographie und den Büchern über Lou Andreas- Salomé und der "Venezianischen Promenade," einer der großen Kulturhistoriker Deutschlands, unternimmt es hier zum ersten Mal, die Beziehungen zwischen ihnen allen zu schildern - von der irritierenden Schönheit der jungen Aristokratin Franziska zu Reventlow bis zu den beiden "Propheten", Ludwig Klages und Karl Wolfskehl, deren Bild Thomas Mann in "Gladius Dei" unvergeßlich gezeichnet hat.
Autorenporträt
Werner Ross, geboren 1912, war von 1964 bis 1972 Direktor des Goethe-Instituts in München, danach Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität München. 1992 erhielt er den Ernst-Robert-Curtius-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997

Die Jugend saß in kosmischer Runde
Plädoyer für Lebenskunst: Werner Ross läßt München kräftig leuchten / Von Thomas Medicus

In seinen "Autobiographischen Schriften" bekennt Friedrich Meinecke, er sei schon bald nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum dem Schluß gekommen, nur wer vor 1914 gelebt habe, wisse eigentlich, was Leben heißt. Im Kollektivgedächtnis der Deutschen aber ist die Vorstellung eines durch den Ersten Weltkrieg abrupt beendeten "Goldenen Zeitalters" anders als bei ihren Nachbarn kaum ausgeprägt. Während sich die Briten an das liberale Edwardian Age als an eine einzige sonnige "garden party" erinnern, lebt bei den Franzosen die Champagnermythologie der künstlerisch so ertragreichen Belle Epoque fort. Den Deutschen bleibt nur die unspezifische, stets unter Ideologieverdacht stehende Rede von der "guten alten Zeit", bei der keiner so genau weiß, wann und wo sie begann und endete.

Werner Ross weiß es. Ideologisierungsvorwürfe scheren ihn wenig, Gedächtnisverlusten hilft er dafür um so mehr auf die Sprünge. Sein Goldenes Zeitalter ist weder gut noch alt, sondern jung und neu und kennt Ort und Datum: im München um die Jahrhundertwende, während der Regierungszeit des Prinzregenten Luitpold, als die künstlerische Moderne in der Hauptstadt des bayrischen Königreiches Triumphe feierte, wußte man, was Leben heißt. Wenn Ross aus seinen Sympathien für die Münchner, wie auch deren großes Vorbild, die Pariser Belle Epoque, kein Geheimnis macht, so nicht aus Nostalgie. Das Plädoyer des eleganten Causeurs und ausgewiesenen Kenners des Fin de siècle hat vielmehr kulturpolitisches Raffinement.

Wohin es zielt, machen nicht allein die ästhetischen Parteinahmen deutlich, die Ross im Laufe seiner Entstehungsgeschichte der Münchner Moderne trifft. Stets erkennbarer Argumentationshorizont ist eine kulturelle Geographie, innerhalb derer die königlich-bayrische Kunststadt als Antipodin der Reichshauptstadt, des preußischen Berlin, figuriert. Daß Ross in seiner Kulturgeschichte der Münchner Jahrhundertwende manches Bekannte wiederholt und sich manches Neue von jüngeren wissenschaftlichen Arbeiten ausborgt, hat mit seiner aufklärerischen Absicht zu tun, Vermittler für ein nichtspezialisiertes Lesepublikum zu sein. Er hat dabei einen Kerngedanken: er will die Liberalität eines weltzugewandten Lebenskünstlertums, in dem sich bayerische Volkstümlichkeit mit Elementen französischer Zivilisation verbindet, als empfehlenswertes Kulturmodell präsentieren.

Damit sind in Ross' Koordinatensystem die kulturelle Grenzen gezogen und ist die Deutungsperspektive justiert. Stets reicht der panoramatische Blick des Buches über die Epoche des Prinzregenten hinaus: der Bogen spannt sich vom städtischen Gesamtkunstwerk Ludwigs I. bis zum Ende der volkstümlichen Biergartengemütlichkeit durch die Herrschaft völkischer Kleinbürgerlichkeit nach 1918. Ob Traditionalisten oder Moderne, Ross läßt noch einmal die Legion der großen und kleinen Heroen vorbeiziehen, die das immer leuchtendere München an der Wende zum neuen Jahrhundert stärker denn je anzog. Kaum einer, den der Reigen biographischer Porträts ausließe: hier die Maler- und Dichterfürsten à la Piloty und Lenbach sowie Heyse und Halbe; dort die Gruppe der notorischen Sezessionisten, denen der Autor von Herzen zugetan ist - die Bohemiens.

Mit Leibl, Stuck, Klee, den Wellenlinien und vegetabilischen Ornamenten der Zeitschriften "Pan" und "Jugend", dem "Blauen Reiter" zumal kommt auch die bildende Kunst zum Zuge. Das Hauptaugenmerk gilt jedoch der literarischen Moderne. Schriftsteller bilden in diesem Buch den harten Kern der Bohème und führen nach Schwabing, in Münchens vitalistisches Gravitationszentrum jener dynamischen Jahre. An der Belle Epoque schätzt Ross die Wechselwirkung zwischen "comme il faut" und Nonkonformismus, die Existenz sozialer Konvention also, aus denen der Tabubruch des Exzentrikers hervorgeht. Daß die Schwabinger "Kosmische Runde" um Ludwig Klages, Alfred Schuler, Karl Wolfskehl und Stefan George die Doppelgesichtigkeit solch moderner Aufbruchsemphase am deutlichsten zeigt, ist dabei nicht erstaunlich. Ebensowenig die Abfuhr, die Ross der regressiven und mythenseligen Zivilisationskritik Klages' erteilt.

Bemerkenswert allerdings, mit welcher Leidenschaft die wahren Heroen präsentiert werden: allein Franziska zu Reventlow und Frank Wedekind bewahren für Ross die Erinnerung an das tolerante kulturelle Klima der Münchner Vorkriegszeit. Ins Pantheon der Schwabinger Bohème läßt er sie einziehen, weil ihr Neuheidentum ohne die antizivilisatorischen und antigesellschaftlichen Ressentiments à la Klages oder Schuler auskomme. Sowohl die Reventlow als auch Wedekind sind für Ross Repräsentanten eines von französischer Zivilisation geprägten Traditionsraums. Wedekind gilt ihm als "unter den namhaften Figuren von 1900 . . . der genialste Bohémien", weil er die Maske des Dandys trägt; die Reventlow, weil sie nach der Trennung von ihrem Geliebten Klages und den Kosmikern gemeinsame Sache mit der frankophilen Rokoko-Fraktion um Franz Hessel, Franz Blei und Oskar A. H. Schmitz machte. Diese Traditionslinie wirkt zwar etwas konstruiert, weckt aber in Anbetracht ihrer kosmopolitischen Universalität volle Sympathie.

Worum es geht, wenn dergestalt die französische Eleganz über den wilhelminischen Pomp, das Haus Wittelsbach über die Hohenzollern, der Katholizismus über den Protestantismus den Sieg davonträgt, liegt nahe. Weil die Kulturgeographie Deutschlands heute wieder derjenigen von vor hundert Jahren ähnelt, tut Ross zufolge Selbstvergewisserung über bayerische Liberalität not. Der Perspektive eines Frank Wedekind entsprechend, soll München erneut in die kulturelle Nähe von Paris und Rom rücken. Vorbei die Blütenträume von der heimlichen Hauptstadt, es lebe der liberale Kunstsinn der Residenzstadt: eine Liebeserklärung, die bei Werner Ross eine alles andere als antiquarische Geschichtsschreibung nach sich zieht. Seine Geistesgegenwart lenkt den Blick des fünfundachtzigjährigen Autors vom jetzigen Fin de siècle zurück auf das vor hundert Jahren.

Werner Ross: "Bohemiens und Belle Epoque. Als München leuchtete". Siedler Verlag, Berlin 1997. 333 S., 62 Abb., geb., 39,80 DM.

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