Produktdetails
  • Verlag: NordSüd Verlag
  • ISBN-13: 9783314015144
  • ISBN-10: 3314015143
  • Artikelnr.: 20863968
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.07.2011

Kameraden
Eine Jugend in Angola
Die Sonne brannte und die Tante griff nach ihrem Hut. „Neeein“, schreit entsetzt ihr Neffe – der Erzähler dieses Buchs, dieser Jugend in Angola –, und auch der Genosse João kommt ganz schön ins Schwitzen, der Chauffeur, der die beiden zum Strand fahren soll. Ein schlimmer Fehlgriff, ausgerechnet in diesem Moment. Die drei stehen neben ihrem Wagen am Straßenrand, und eben braust die Kolonne des Genossen Präsident an ihnen vorbei. Da sollte man wirklich keine unbedachten Bewegungen machen, am besten bleibt man ganz ruhig stehen, bis sie vorbei ist. Damit man nicht die Blicke der FAPLAs auf sich zieht, der Mitglieder der Volksarmee zur Befreiung Angolas, die verantwortlich sind für die Sicherheit des Genossen Präsident. Und die hinter jeder unbedachten Bewegung natürlich gleich einen Anschlag vermuten müssen.
Tante Dada weiß von diesen Selbstverständlichkeiten des Alltags in Luanda, der Hauptstadt Angolas, nichts. Sie ist aus Portugal gekommen zu Besuch, hat Geschenke mitgebracht, Kartoffeln und Schokolade, und einige erstaunliche Einsichten – zum Beispiel, dass man in Portugal keine Bezugskarten dafür braucht.
Eine Jugend in Angola, Anfang der Neunziger, das gesellschaftliche System ist sozialistisch, aber man redet von demokratischen Wahlen, und dass es dann nicht nur eine, sondern mehrere Parteien geben könnte. Die Regierung wird von anderen sozialistischen Staaten unterstützt, in der Schule unterrichten junge Lehrer aus Kuba, die rührend sind in ihrem Engagement, ihrer Naivität, ihrem Glauben an die Zukunft und ihre Parolen: „Lernen ist eine Schlacht“. Natürlich gibt’s bei anderen immer noch wehmütige Erinnerungen an vor 1975, die Kolonialzeit der Portugiesen – als es zwar keine Freiheit gab, aber alles funktionierte, die Stadt war sauber und die Machimbombos, die Busse, fuhren regelmäßig.
Zwei paradiesische, glückliche Zeiten überlagern sich im Erinnerungsbuch von Ondjaki (geb. 1977, eigentlicher Name: Ndalu de Almeida), die der Kindheit und die der kommunistischen Utopie. Und deren heute stark diskreditierten Vorstellungen von einer Zukunft, in der das Leben weniger egoistisch und entfremdet ist, entfalten noch einmal ihre ursprüngliche Unschuld. Natürlich gibt es Reste von Bürgerlichkeit in der Familie, der Vater arbeitet in einem Ministerium, die Mutter ist Lehrerin, es gibt immer genug zu essen im Kühlschrank und auch die Wasserversorgung klappt tadellos, zum Trinken wie zum Duschen. Und der Eigentumsbegriff gilt weiterhin – eine Avocado, die morgens vom Baum im Garten fällt, wird gleich geschnappt und im Kühlschrank deponiert, mit eingeritzten Initialen für den Finder reserviert.
Ein liebevolles Erinnern und Erzählen, ohne Sentimentalität und Indoktrination: „Manchmal findet man in einer kleinen Sache all die großen Dinge des Lebens wieder, man muss gar nicht viel erklären, sondern einfach bloß hinsehen.“ Der Sozialismus als Tom-Sawyer-und-Huck-Finn-Land, in dem auch echte knallharte Abenteuer möglich sind. Die Untaten der Terrorbande des Leeren Sargs zum Beispiel, die, so wird erzählt, der Reihe nach die Schulen der Stadt überfallen, und vor der man sich nur – unter Aufgabe jeglichen Kampfgeistes – in einer überstürzten Flucht in Sicherheit bringen könnte. FRITZ GÖTTLER
ONDJAKI: Bom dia camaradas. Ein Roman aus Angola. Aus dem Portugiesischen von Claudia Stein. NordSüd Verlag (Reihe Baobab). 148 Seiten, 12 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

In einem autobiografisch gefärbten Roman, der sich mit den späten achtziger Jahren im Bürgerkriegsland Angola auseinandersetzt, erwartet man gewöhnlich die Schilderung schlimmster Verbrechen, vermutet die Rezensentin Birgit Dankert. Nichts davon sei jedoch in den Kindheitserinnerungen des 1977 in Angola geborenen und heute in Portugal lebenden Autors Ondjaki zu finden. Als Schelmenroman angelegt, erzählt er aus der Sicht eines privilegierten zwölfjährigen Sprosses aus einer Beamtenfamilie zwar auch von den chaotischen revolutionären Verhältnissen und grassierender Armut. Im Vordergrund steht dabei aber die Beziehung des Jungen zu seinem Freund Antonio, dem Koch der Familie, der seine Tätigkeit als aktives Mitglied des Untergrunds mit dem Leben bezahlt. Ondjaki beschreibe sehnsuchtsvoll und magisch seine verlorene Heimat und Kindheit, und finde starke Bilder für das kindliche Glück mitten im Elend, lobt die Rezensentin.

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