Bombay, alias Mumbai, ist für Dilip Chitre "die verrückteste Metropole der Welt". Ihre chaotisch durcheinander drängende Bevölkerung hat heute bereits die Fünfzehnmillionengrenze überschritten.
Bombay bildet den Türrahmen für eine Metapher. Es ist dieStadt, in der Menschen ihren Sehnsüchten oder Hirngespinsten nachjagen und die Wirklichkeit und ihre tragischen Ironien, durchwürzt von magischen Offenbarungen, zu kosten bekommen.
Dilip Chitre hat viele Jahre in Bombay gelebt - auf oder unter einer Brücke, die zwei Zivilisationen verbindet.
Von diesem Aussichtspunkt aus hat er das BombayQuartett komponiert, das aus vier verdichteten Erzählungen besteht, die man auch als Märchen, Fabeln oder Parabeln lesen kann.
Bombay bildet den Türrahmen für eine Metapher. Es ist dieStadt, in der Menschen ihren Sehnsüchten oder Hirngespinsten nachjagen und die Wirklichkeit und ihre tragischen Ironien, durchwürzt von magischen Offenbarungen, zu kosten bekommen.
Dilip Chitre hat viele Jahre in Bombay gelebt - auf oder unter einer Brücke, die zwei Zivilisationen verbindet.
Von diesem Aussichtspunkt aus hat er das BombayQuartett komponiert, das aus vier verdichteten Erzählungen besteht, die man auch als Märchen, Fabeln oder Parabeln lesen kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2003Dezembermond
Bombay untergründig: Dilip Chitres zerfaserte Geschichten
Dilip Chitre gehört zu jener Handvoll indischer Autoren, die immer wieder Einladungen nach Deutschland bekommen und auf keiner einschlägigen Veranstaltung zur indischen Literatur fehlen. Dies verdankt er seiner Vielseitigkeit als Prosaist, Lyriker und Übersetzer, als Filmemacher und Maler. Dabei hilft, daß er sowohl in seiner Muttersprache Marathi als auch auf englisch schreibt. Im Jahr 2000 erschien seine beeindruckende Nachdichtung des mystischen Marathi-Poeten Tukaram auf deutsch, im Herbst ein Gedichtzyklus, den Chitre gemeinsam mit Gert Heidenreich schrieb.
Nun erschienen zum ersten Mal längere Prosaarbeiten Chitres auf deutsch. Die vier "Stories" haben Handlungsort und literarische Methode gemeinsam. Sie sind in Bombay lokalisiert und kreisen um ein Ding oder eine Gestalt, die der Autor nicht in einer linearen Handlung, sondern durch immer neue assoziative Ansätze zu erfassen sucht. Außerdem haben sie die Ich-Perspektive und die autobiographischen Züge gemeinsam. "Saphir" beschreibt die Faszination für den Edelstein, die sich bis zum Rausch steigern kann. Auf magische Weise kann er Glück bringen, und zwar so viel Glück, daß der Betroffene den Halt im Leben verliert - der Stein kann aber auch direkt ins Unglück stoßen. "Rudhiraksha" beschäftigt sich mit der Faszination fürs Eklige, für Abwässer und Müll. "Vollmond im Winter" war der Spitzname, den ein Collegemädchen von seinen feixenden Verehrern erhielt. Jahrzehnte später treffen sie sich wieder, und sie beklagt, daß dieser Name ihr Leben verdorben habe. "Abrahams Notizbuch" schließlich handelt von einem alten jüdischen Freund, der dem Dichter sein Notizbuch hinterlassen hat.
Nach klar skizzierten und einfallsreichen Ausgangssituationen zerfasern sich die Geschichten in essayistische Einschübe, Rückblenden und Nebenhandlungen. Sie stellen das Interesse des Lesers auf eine harte Probe. Chitre rührt kräftig schwarze Magie, indisches Tantra, Drogen-Halluzinationen und Sex impressionistisch zusammen und pfeffert den Brei mit teilweise abgeschmackten psychedelischen Einlagen. Dabei hat er oft blendende sprachliche Einfälle und entwirft brillante kleine Szenen. Dennoch hält dieses Gewirr nicht zusammen, und der Leser fragt sich nach jeder Geschichte, warum er sie eigentlich gelesen hat. Grund ist nicht nur die ausufernde Erzählweise, sondern auch der Mangel an sprachlicher Disziplin: Auf zahlreiche Wiederholungen und Parallelismen hätte man eigentlich gern verzichtet.
MARTIN KÄMPCHEN
Dilip Chitre: "Bombay Quartett". Stories. Aus dem Englischen übersetzt von Wieland Grommes. A1 Verlag, München 2002. 220 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bombay untergründig: Dilip Chitres zerfaserte Geschichten
Dilip Chitre gehört zu jener Handvoll indischer Autoren, die immer wieder Einladungen nach Deutschland bekommen und auf keiner einschlägigen Veranstaltung zur indischen Literatur fehlen. Dies verdankt er seiner Vielseitigkeit als Prosaist, Lyriker und Übersetzer, als Filmemacher und Maler. Dabei hilft, daß er sowohl in seiner Muttersprache Marathi als auch auf englisch schreibt. Im Jahr 2000 erschien seine beeindruckende Nachdichtung des mystischen Marathi-Poeten Tukaram auf deutsch, im Herbst ein Gedichtzyklus, den Chitre gemeinsam mit Gert Heidenreich schrieb.
Nun erschienen zum ersten Mal längere Prosaarbeiten Chitres auf deutsch. Die vier "Stories" haben Handlungsort und literarische Methode gemeinsam. Sie sind in Bombay lokalisiert und kreisen um ein Ding oder eine Gestalt, die der Autor nicht in einer linearen Handlung, sondern durch immer neue assoziative Ansätze zu erfassen sucht. Außerdem haben sie die Ich-Perspektive und die autobiographischen Züge gemeinsam. "Saphir" beschreibt die Faszination für den Edelstein, die sich bis zum Rausch steigern kann. Auf magische Weise kann er Glück bringen, und zwar so viel Glück, daß der Betroffene den Halt im Leben verliert - der Stein kann aber auch direkt ins Unglück stoßen. "Rudhiraksha" beschäftigt sich mit der Faszination fürs Eklige, für Abwässer und Müll. "Vollmond im Winter" war der Spitzname, den ein Collegemädchen von seinen feixenden Verehrern erhielt. Jahrzehnte später treffen sie sich wieder, und sie beklagt, daß dieser Name ihr Leben verdorben habe. "Abrahams Notizbuch" schließlich handelt von einem alten jüdischen Freund, der dem Dichter sein Notizbuch hinterlassen hat.
Nach klar skizzierten und einfallsreichen Ausgangssituationen zerfasern sich die Geschichten in essayistische Einschübe, Rückblenden und Nebenhandlungen. Sie stellen das Interesse des Lesers auf eine harte Probe. Chitre rührt kräftig schwarze Magie, indisches Tantra, Drogen-Halluzinationen und Sex impressionistisch zusammen und pfeffert den Brei mit teilweise abgeschmackten psychedelischen Einlagen. Dabei hat er oft blendende sprachliche Einfälle und entwirft brillante kleine Szenen. Dennoch hält dieses Gewirr nicht zusammen, und der Leser fragt sich nach jeder Geschichte, warum er sie eigentlich gelesen hat. Grund ist nicht nur die ausufernde Erzählweise, sondern auch der Mangel an sprachlicher Disziplin: Auf zahlreiche Wiederholungen und Parallelismen hätte man eigentlich gern verzichtet.
MARTIN KÄMPCHEN
Dilip Chitre: "Bombay Quartett". Stories. Aus dem Englischen übersetzt von Wieland Grommes. A1 Verlag, München 2002. 220 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der Autor gehört zu den indischen Autoren, die Martin Kämpchen zufolge besonders häufig bei internationalen Veranstaltungen "herumgereicht" werden, da Chitre nicht nur Schriftsteller, Essayist und Übersetzer, sondern auch Maler und Filmemacher ist. Erstmals liegen nun vier Erzählungen von Chitre vor, die die Geduld des Rezensenten wohl auf eine harte Probe gestellt haben. Den vier Geschichten ist der Handlungsort, nämlich Bombay, gemeinsam, berichtet Kämpchen, und die literarische Methode, ihr Thema assoziativ zu umkreisen, statt in eine lineare Handlung zu packen. Die Ausgangssituationen zumindest sind klar skizziert, hält Kämpchen fest, doch anschließend zerfaserten die Erzählungen durch Rückblenden, Nebenhandlungen und essayistische Einschübe. Zugleich mische Chitre "abgeschmackte psychedelische Einlagen", Sex und schwarze Magie darunter, die Kämpchen etwas derb oder zu grell erscheinen. Trotz hervorragender sprachlicher Einfälle und treffender kleiner Szenen mangelt es dem Autor entschieden an sprachlicher Disziplin, schließt Kämpchen, der auf viele Wiederholungen und Parallelismen gern verzichtet hätte.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH