Produktdetails
- Verlag: Helmer
- Seitenzahl: 175
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 232g
- ISBN-13: 9783897411739
- ISBN-10: 3897411733
- Artikelnr.: 13506744
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2005Die Karriere endete, bevor sie begonnen hatte
Ein Buch erzählt die Geschichte der Nanny Becker und ihrer Flucht vor den Nazis
Der Karriere wegen sei sie in die Schweiz gegangen. So berichtet es eine Fechenheimer Chronik. Welch ein Irrtum! Nanny Becker hat Deutschland 1939 verlassen müssen, um ihre Haut zu retten. Ein SS-Mann hatte sie gewarnt, die Gestapo habe es auf sie abgesehen, worauf sie sich zur Flucht entschloß. Doch wohin? Und vor allem wie aus einem Land ausreisen, dessen Grenzen verriegelt waren? Nanny Becker, die Nachtigall aus Fechenheim, die so gerne an einer deutschen Bühne als Opernsoubrette Karriere gemacht hätte, kam dank der Hilfe eines kolumbianischen Honorarkonsuls namens Ernst Langenbach, mit dessen Tochter sie befreundet war, zu einem Visum für die Schweiz. Die junge Frau sei bei schlechter Gesundheit und müsse in Kur gehen, gab er bei der zuständigen Behörde an und verschaffte ihr auch noch die notwendigen Hotelgutscheine.
Sie erinnert sich erstaunlich gut an Einzelheiten aus ihrem Leben, die 91 Jahre alte Nanny Becker, die heute in Steinfurth bei Bad Nauheim wohnt. Was ihr widerfahren ist und wie sie ihr gewiß nicht leichtes Schicksal meisterte, hat sie der Autorin Petra Bonavita erzählt, die daraus ein Buch mit dem Titel "Bombenapplaus" gemacht hat, das jetzt im Ulrike Helmer Verlag erschienen ist.
Die Karriere der Opernsoubrette Nanny Becker aus Fechenheim endete, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Kein deutsches Theater wollte die junge Sängerin engagieren - nicht weil sie kein Talent hatte, sondern weil sie mit einem "Webfehler" behaftet war. Webfehler? So nennt Frau Becker ihre nicht "rassenreine" Abstammung, weshalb sie die Nationalsozialisten zu einem "Mischling ersten Grades" abstempelten. Ihr Vater war nämlich Jude - in den Augen der Nazis. Dabei hatte er sich 1906 taufen lassen, was zu einem Zerwürfnis führte mit der Familie und vor allem mit seinem Bruder Bernhard Becker, einem Offenbacher Lederfabrikanten, der später in Theresienstadt "gestorben wurde", wie Frau Becker es formuliert. Sie selbst wuchs wie die anderen Familienmitglieder evangelisch auf, sang im Kirchenchor. Jüdisch? War sie nicht, hat sich nie so gefühlt. Aber der NS-Staat hat sie zu einer Halbjüdin gemacht - die in die Schweiz floh, weil sie in ihrer Heimat bedroht war.
Erstaunlich ist, daß ihr Vater Krieg und Verfolgung unbeschadet in Fechenheim überlebt hat. Als "jüdischer" Partner in einer "privilegierten Mischehe" wurde er wie andere vor der Deportation verschont, allerdings hat während der letzten Kriegsmonate die Gestapo in Frankfurt die meisten Männer und Frauen mit einem solchen Status doch noch verschleppt.
Nicht aber Max Becker, der Gärtner aus Fechenheim. Warum er verschont blieb? Weil, wie die Tochter glaubt, der Ortsgruppenleiter seine schützende Hand über ihn gehalten hat. Nicht so sehr aus Menschenliebe, sondern mehr des knurrenden Magens zuliebe. Die Gärtnerei des Max Becker versorgte nämlich halb Fechenheim mit Gemüse - und vor allem auch den Haushalt des Ortsgruppenleiters. Deshalb hat dieser seine nationalsozialistischen Pflichten mal nicht hundertprozentig ernst genommen, was in einer Gemeinde am Stadtrand eher möglich war als im Gestapo-verseuchten Frankfurt.
Nanny Becker hat sich in diesen Jahren in der Schweiz durchgeschlagen: hier mal geputzt, dort mal eine kleine Rolle an einem Theater ergattert. Nach dem Krieg hat sie in Zürich ein Theater übernommen, das sie aufgeben mußte, nachdem ihr erster Mann alles Geld verspielt hatte. Daraufhin kehrte sie nach Frankfurt zurück und eröffnete den "20 Uhr Club" an der Feldbergstraße, ein in den sechziger Jahren bekanntes Tanzlokal.
Das Grundkapital von 40000 Mark hat ihr übrigens ein Anwalt namens Erich Cohn-Bendit verschafft - indem er erfolgreich Wiedergutmachung für sie erstritt. Erich Cohn-Bendit war auch zweieinhalb Jahre ihr Untermieter an der Eppsteiner Straße und hätte gerne mit ihr "ein Gspusi angefangen", wie sie sich lachend erinnert. Von Freitag bis Sonntag war dann immer der während der Woche in der Odenwaldschule weilende Sohn Daniel Cohn-Bendit zu Besuch: ein "lieber, gescheiter Bub" nach Nanny Beckers Erinnerung. Und ihr Gedächtnis ist wirklich gut.
HANS RIEBSAMEN
"Bombenapplaus. Das Leben der Nanny Becker", Petra Bonavita, Ulrike Helmer Verlag, 175 Seiten mit Abbildungen, 16,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Buch erzählt die Geschichte der Nanny Becker und ihrer Flucht vor den Nazis
Der Karriere wegen sei sie in die Schweiz gegangen. So berichtet es eine Fechenheimer Chronik. Welch ein Irrtum! Nanny Becker hat Deutschland 1939 verlassen müssen, um ihre Haut zu retten. Ein SS-Mann hatte sie gewarnt, die Gestapo habe es auf sie abgesehen, worauf sie sich zur Flucht entschloß. Doch wohin? Und vor allem wie aus einem Land ausreisen, dessen Grenzen verriegelt waren? Nanny Becker, die Nachtigall aus Fechenheim, die so gerne an einer deutschen Bühne als Opernsoubrette Karriere gemacht hätte, kam dank der Hilfe eines kolumbianischen Honorarkonsuls namens Ernst Langenbach, mit dessen Tochter sie befreundet war, zu einem Visum für die Schweiz. Die junge Frau sei bei schlechter Gesundheit und müsse in Kur gehen, gab er bei der zuständigen Behörde an und verschaffte ihr auch noch die notwendigen Hotelgutscheine.
Sie erinnert sich erstaunlich gut an Einzelheiten aus ihrem Leben, die 91 Jahre alte Nanny Becker, die heute in Steinfurth bei Bad Nauheim wohnt. Was ihr widerfahren ist und wie sie ihr gewiß nicht leichtes Schicksal meisterte, hat sie der Autorin Petra Bonavita erzählt, die daraus ein Buch mit dem Titel "Bombenapplaus" gemacht hat, das jetzt im Ulrike Helmer Verlag erschienen ist.
Die Karriere der Opernsoubrette Nanny Becker aus Fechenheim endete, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Kein deutsches Theater wollte die junge Sängerin engagieren - nicht weil sie kein Talent hatte, sondern weil sie mit einem "Webfehler" behaftet war. Webfehler? So nennt Frau Becker ihre nicht "rassenreine" Abstammung, weshalb sie die Nationalsozialisten zu einem "Mischling ersten Grades" abstempelten. Ihr Vater war nämlich Jude - in den Augen der Nazis. Dabei hatte er sich 1906 taufen lassen, was zu einem Zerwürfnis führte mit der Familie und vor allem mit seinem Bruder Bernhard Becker, einem Offenbacher Lederfabrikanten, der später in Theresienstadt "gestorben wurde", wie Frau Becker es formuliert. Sie selbst wuchs wie die anderen Familienmitglieder evangelisch auf, sang im Kirchenchor. Jüdisch? War sie nicht, hat sich nie so gefühlt. Aber der NS-Staat hat sie zu einer Halbjüdin gemacht - die in die Schweiz floh, weil sie in ihrer Heimat bedroht war.
Erstaunlich ist, daß ihr Vater Krieg und Verfolgung unbeschadet in Fechenheim überlebt hat. Als "jüdischer" Partner in einer "privilegierten Mischehe" wurde er wie andere vor der Deportation verschont, allerdings hat während der letzten Kriegsmonate die Gestapo in Frankfurt die meisten Männer und Frauen mit einem solchen Status doch noch verschleppt.
Nicht aber Max Becker, der Gärtner aus Fechenheim. Warum er verschont blieb? Weil, wie die Tochter glaubt, der Ortsgruppenleiter seine schützende Hand über ihn gehalten hat. Nicht so sehr aus Menschenliebe, sondern mehr des knurrenden Magens zuliebe. Die Gärtnerei des Max Becker versorgte nämlich halb Fechenheim mit Gemüse - und vor allem auch den Haushalt des Ortsgruppenleiters. Deshalb hat dieser seine nationalsozialistischen Pflichten mal nicht hundertprozentig ernst genommen, was in einer Gemeinde am Stadtrand eher möglich war als im Gestapo-verseuchten Frankfurt.
Nanny Becker hat sich in diesen Jahren in der Schweiz durchgeschlagen: hier mal geputzt, dort mal eine kleine Rolle an einem Theater ergattert. Nach dem Krieg hat sie in Zürich ein Theater übernommen, das sie aufgeben mußte, nachdem ihr erster Mann alles Geld verspielt hatte. Daraufhin kehrte sie nach Frankfurt zurück und eröffnete den "20 Uhr Club" an der Feldbergstraße, ein in den sechziger Jahren bekanntes Tanzlokal.
Das Grundkapital von 40000 Mark hat ihr übrigens ein Anwalt namens Erich Cohn-Bendit verschafft - indem er erfolgreich Wiedergutmachung für sie erstritt. Erich Cohn-Bendit war auch zweieinhalb Jahre ihr Untermieter an der Eppsteiner Straße und hätte gerne mit ihr "ein Gspusi angefangen", wie sie sich lachend erinnert. Von Freitag bis Sonntag war dann immer der während der Woche in der Odenwaldschule weilende Sohn Daniel Cohn-Bendit zu Besuch: ein "lieber, gescheiter Bub" nach Nanny Beckers Erinnerung. Und ihr Gedächtnis ist wirklich gut.
HANS RIEBSAMEN
"Bombenapplaus. Das Leben der Nanny Becker", Petra Bonavita, Ulrike Helmer Verlag, 175 Seiten mit Abbildungen, 16,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main