Ein literarisches Enschede
Mit dem so gar nicht an Holland erinnernden Titel «Bonita Avenue» für seinen Debütroman hat Peter Buwalda auf Anhieb einen Bestseller geschrieben, der anderthalb Jahre die niederländische Bestsellerliste bevölkert hat und inzwischen auch in einigen Übersetzungen
vorliegt. Nun gilt heutzutage, hier wie dort, für anspruchsvollere Leser die aus leidvoller Erfahrung…mehrEin literarisches Enschede
Mit dem so gar nicht an Holland erinnernden Titel «Bonita Avenue» für seinen Debütroman hat Peter Buwalda auf Anhieb einen Bestseller geschrieben, der anderthalb Jahre die niederländische Bestsellerliste bevölkert hat und inzwischen auch in einigen Übersetzungen vorliegt. Nun gilt heutzutage, hier wie dort, für anspruchsvollere Leser die aus leidvoller Erfahrung aufgestellte Regel: Vorsicht vor Bestsellern! Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel, wie man weiß. Liegt hier eine solche Ausnahme vor?
Der dickleibige Band mit mehr als sechshundert Seiten ist eine Familiensaga der besondern Art, in dem die heutige Zeit mit ihren Patchwork-Idyllen ad absurdum geführt wird. Seine Geschichte ist singulär angelegt, die niederländische Gesellschaft spielt nur eine Nebenrolle, sie wird nicht widergespiegelt in dem turbulenten Geschehen um die Familie Sigerius. Ganz genüsslich demontiert der Autor seine wenigen Figuren, nachdem er sie zunächst als erfolgreiche Idealtypen aufgebaut hat. Und deren wichtigste ist Siem Sigerius, einst erfolgreicher Judoka, der nach einem Unfall die vielversprechende sportliche Karriere aufgegeben muss und auf dem Krankenbett zufällig sein mathematisches Talent entdeckt. Es folgt eine kometenhafte akademische Laufbahn, die ihren Höhepunkt in seiner Berufung als Wissenschaftsminister erreicht. Seine privaten Verhältnisse gestalten sich weniger glamourös, er trennt sich von seiner ersten Frau Margriet, mit der er einen missratenen Sohn namens Wilbert hat, und heiratet die Nachbarin, die aus erster Ehe zwei Töchter mitbringt, Joni und Janis. Als die alkoholkranke Margriet stirbt, nimmt Siem seinen Sohn bei sich auf, ein Fehler, wie er bald merkt. Als sich die Probleme mit Wilbert häufen, nutzt er einen Vorfall, um ihn durch eine Falschaussage von Joni hinter Gitter zu bringen. Kaum entlassen wird er zum Mörder und nun auf lange Zeit weggesperrt. Seine aufgestaute Rache entlädt sich schließlich nach seiner vorzeitigen Freilassung und führt zu einem aberwitzigen Schluss in bester Horrorfilm-Tradition.
Buwalda arbeitet mit brachialer Gewalt bei der Demaskierung seiner Hauptfiguren, zu denen neben Siem dessen ebenso intelligente wie attraktive Stieftochter Joni und deren Freund Aaron gehören. Die beiden betreiben heimlich eine erfolgreiche Pornoseite im Internet, bei der Joni als Akteurin fungiert und Aaron als Fotograf, was die beiden schnell zu Millionären macht. Auf Wirkung bedacht baut der Autor das Unglück von Enschede im Jahre 2000 in seine Geschichte mit ein, und analog der Explosion der dortigen Feuerwerksfabrik fliegt auch die geheime Pornoseite auf, und das fragile Familiengebäude wird ebenfalls zerstört. Die beiden trennen sich, Joni flüchtet vor dem Zorn des prominenten Vaters in die USA, der paranoide Aaron landet am Ende in der Psychiatrie.
Der turbulente Plot wird in verschiedenen Zeitebenen und aus wechselnden Perspektiven erzählt, in der dritten Person aus der von Siem und Aaron, Joni tritt als Ich-Erzählerin auf. Die manchmal abrupten Handlungssprünge erfordern erhöhte Aufmerksamkeit des Lesers. Einen breiten Raum nimmt die Welt der Universität ein, der Judo-Sport wird ausgiebig beschrieben, das frühe Internet sowie die sich daraus entwickelnde Pornobranche. Glücklich war die Familie nur in den Jahren, als sie in der titelgebenden «Bonita Avenue» in den USA wohnte, die holländische Heimat hingegen führt für sie alle in die Katastrophe, «eine Tragödie ohne auch nur die Spur einer Katharsis», wie Siem beim Showdown im Roman betroffen feststellt. Die verstörende Geschichte, die an der Normalität so gar kein Interesse hat, erscheint in Vielem maßlos übertrieben und lässt, in toto erzählt wie sie ist, für eigene Interpretationen keinen Raum. Der Autor lässt es richtig krachen, Zwischentöne sind nicht zugelassen in seinem zerstörerischen Plot, eine geradezu pyrotechnische Prosa, ein literarisches Enschede sozusagen.