Beethoven-Stadt, Universitätsstadt, Bundeshauptstadt oder gar Bundesdorf - soweit die wohl geläufigsten Bilder von Bonn. Rolf Sachsse versammelt in diesem Buch auch zahlreiche weniger bekannte Ansichten von den Anfängen der Fotografie bis 1970. Rund 400 Aufnahmen machen den Betrachter zum Zeitreisenden durch die Geschichte Bonns: Sie zeigen die Stadt mit ihren einstigen Vororten als beliebten Ausgangspunkt des Rheintourismus Mitte des 19. Jahrhunderts und als Studienort des Hochadels in der Kaiserzeit. Sie dokumentieren die Kriegszerstörungen, aber auch die Neubauten und schließlich Bonns Aufstieg zur (vorerst provisorischen) Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ab 1949. Dabei veranschaulichen Momentaufnahmen immer wieder das Leben und den Alltag der Bonner Bürger. Begleitet wird diese Stadtgeschichte in Bildern von zeitgenössischen Pressestimmen und literarischen Reflexionen.
Mit Fotografien von
Chargesheimer, Hermann Claasen, Theodor Creifelds, J. H. Darchinger, Fritz Felten, Francis Frith, Frédéric Gadmer, Ruth Hallensleben, Charles Marville, Lee Miller, August Sander, der Familie Schafgans, Anselm Schmitz, Hugo Schmölz, Karl Hugo Schmölz, J. H. Schönscheidt und vielen anderen
Mit Fotografien von
Chargesheimer, Hermann Claasen, Theodor Creifelds, J. H. Darchinger, Fritz Felten, Francis Frith, Frédéric Gadmer, Ruth Hallensleben, Charles Marville, Lee Miller, August Sander, der Familie Schafgans, Anselm Schmitz, Hugo Schmölz, Karl Hugo Schmölz, J. H. Schönscheidt und vielen anderen
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2016Bonn im Bild, Rhein im Blick
Geschichte einer Stadt von der späten Kaiserzeit bis in die frühe Bundesrepublik
Konrad Adenauer fiel es im Alter von fast 88 Jahren schwer, am 15. Oktober 1963 das Amt des Bundeskanzlers aufzugeben. "Ich gehe nicht leichten Herzens" - dieser Satz ist von ihm überliefert, aber auch viele abschätzige Bemerkungen über seinen Nachfolger Ludwig Erhard, dem er die Kompetenz für den Posten des Regierungschefs trotz dessen Erfolge als Wirtschaftsminister absprach. Endgültig verließ der rüstige Greis - bedingt durch einen Reigen von Abschiedsfeiern - das Palais Schaumburg erst am 18. Oktober.
In jene Tage fiel ein "Empfang für die Sekretärinnen des Kanzleramtes", der eine "Erzählung in Bildern" schmückt, die Rolf Sachsse aus 400 Fotos und kurzweilig-knappen Zwischentexten komponiert hat. Den milde lächelnden Rhöndorfer entdeckt der Betrachter erst bei genauerem Hinschauen - wie überhaupt im Zentrum des prachtvoll ausgestatteten Bandes nicht die Politiker stehen sollen, sondern die Bevölkerung in Bonn, Beuel und Godesberg samt Häusern und Hallen, auch in der Konfrontation von Lokalgeschichte und "großer Politik".
Alt-Bonn, Stadtumbau, Modernisierung, Kaiserzeiten, Industrie und Moderne, NS-Zeit, Bonn nach 1945 und "Die Geburt der Bundesrepublik Deutschland" - so lautet die Gliederung. Mit dem Brand der Remigiuskirche am 21. März 1888 entdecken die ersten Bonner Fotografen ihre Stadt, in der zehn Jahre zuvor der spätere Kaiser Wilhelm II. vier Semester studiert hatte und später gern von der "schönsten Zeit" seines Lebens sprach. "Für Bonn, das nun als Partymeile des Prinzennachwuchses gelten konnte, hatte diese Verklärung unmittelbare Folgen: Die Universität wuchs erheblich und wurde zunehmend besser ausgestattet; damit ging eine rege Bautätigkeit einher, und die stark wachsende Anzahl der Professoren und Studenten sorgte in der Stadt für zunehmenden Wohlstand."
Mit dem Kriegsbeginn 1914 endete die Kaiserzeit- und Rhein-Idylle. Als Erholungsheime für Verwundete dienten private Villen und Studentenverbindungs-Häuser. Die Beethovenhalle, damals noch unmittelbar an der 1898 feierlich eingeweihten Rheinbrücke nach Beuel gelegen, stand als Lazarett zur Verfügung; ein Foto zeigt den Konzertsaal vollgepfropft mit Feldbetten sowie aufgefüllt mit Patienten, Ärzten, Krankenschwestern und Geistlichen samt riesigem Weihnachtsbaum in der Mitte. Auf Aufnahmen mit Lazarettzügen und Verwundeten tauchte oft die in Bonn lebende Schwester des Kaisers, Prinzessin Victoria zu Schaumburg-Lippe, auf - auch eine Form der Kriegspropaganda. Ende 1927 heiratete sie, inzwischen Kriegerwitwe, den 34 Jahre jüngeren russischen Heiratsschwindler Alexander Zoubkoff. Ein Bonner Fotograf hielt die Hochzeit nach russisch-orthodoxem Ritus fest und lichtete das Paar - er in Lederkluft, sie im Pelzmantel - auf einem Motorrad vor dem Eingang des Palais Schaumburg ab.
Es fehlen auch nicht Fotografien von der brennenden Synagoge 1938 oder der mit Hakenkreuzfahnen übersäten Poststraße mit der Parole "Der Jude ist unser Feind!". Anfang März 1945 nahm die US-Army Bonn ein: Auf einem Bild ist ein deutsches Panzer-Wrack mit zwei amerikanischen Soldaten vor der zerstörten Beethovenhalle zu sehen, auf einer anderen Aufnahme eine vom Sockel gestoßene Beethoven-Büste im Geburtszimmer des Komponisten. Es folgte die Phase des Wiederaufbaus mit der Gründung der Bundesrepublik und der Übernahme der Hauptstadtfunktion durch das "Bundesdorf", die der Band bis zum Jahr 1970 begleitet und dabei eindrucksvoll manche Demonstration einbezieht, ob gegen die Wiederbewaffnung, gegen die Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn oder gegen die Notstandsgesetze. Alles in allem ist das Buch ein Muss und vor allem ein Genuss für alle Bonn-Nostalgiker, aber auch all denjenigen zu empfehlen, die schon gar nicht mehr wissen oder wissen wollen, was unsere Bundesrepublik der "kleinen Stadt in Deutschland" zu verdanken hat.
RAINER BLASIUS.
Rolf Sachsse: Bonn. Von der Rheinreise zu den Ostverträgen. Fotografien 1850-1970. Greven Verlag, Köln 2016. 288 S. 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geschichte einer Stadt von der späten Kaiserzeit bis in die frühe Bundesrepublik
Konrad Adenauer fiel es im Alter von fast 88 Jahren schwer, am 15. Oktober 1963 das Amt des Bundeskanzlers aufzugeben. "Ich gehe nicht leichten Herzens" - dieser Satz ist von ihm überliefert, aber auch viele abschätzige Bemerkungen über seinen Nachfolger Ludwig Erhard, dem er die Kompetenz für den Posten des Regierungschefs trotz dessen Erfolge als Wirtschaftsminister absprach. Endgültig verließ der rüstige Greis - bedingt durch einen Reigen von Abschiedsfeiern - das Palais Schaumburg erst am 18. Oktober.
In jene Tage fiel ein "Empfang für die Sekretärinnen des Kanzleramtes", der eine "Erzählung in Bildern" schmückt, die Rolf Sachsse aus 400 Fotos und kurzweilig-knappen Zwischentexten komponiert hat. Den milde lächelnden Rhöndorfer entdeckt der Betrachter erst bei genauerem Hinschauen - wie überhaupt im Zentrum des prachtvoll ausgestatteten Bandes nicht die Politiker stehen sollen, sondern die Bevölkerung in Bonn, Beuel und Godesberg samt Häusern und Hallen, auch in der Konfrontation von Lokalgeschichte und "großer Politik".
Alt-Bonn, Stadtumbau, Modernisierung, Kaiserzeiten, Industrie und Moderne, NS-Zeit, Bonn nach 1945 und "Die Geburt der Bundesrepublik Deutschland" - so lautet die Gliederung. Mit dem Brand der Remigiuskirche am 21. März 1888 entdecken die ersten Bonner Fotografen ihre Stadt, in der zehn Jahre zuvor der spätere Kaiser Wilhelm II. vier Semester studiert hatte und später gern von der "schönsten Zeit" seines Lebens sprach. "Für Bonn, das nun als Partymeile des Prinzennachwuchses gelten konnte, hatte diese Verklärung unmittelbare Folgen: Die Universität wuchs erheblich und wurde zunehmend besser ausgestattet; damit ging eine rege Bautätigkeit einher, und die stark wachsende Anzahl der Professoren und Studenten sorgte in der Stadt für zunehmenden Wohlstand."
Mit dem Kriegsbeginn 1914 endete die Kaiserzeit- und Rhein-Idylle. Als Erholungsheime für Verwundete dienten private Villen und Studentenverbindungs-Häuser. Die Beethovenhalle, damals noch unmittelbar an der 1898 feierlich eingeweihten Rheinbrücke nach Beuel gelegen, stand als Lazarett zur Verfügung; ein Foto zeigt den Konzertsaal vollgepfropft mit Feldbetten sowie aufgefüllt mit Patienten, Ärzten, Krankenschwestern und Geistlichen samt riesigem Weihnachtsbaum in der Mitte. Auf Aufnahmen mit Lazarettzügen und Verwundeten tauchte oft die in Bonn lebende Schwester des Kaisers, Prinzessin Victoria zu Schaumburg-Lippe, auf - auch eine Form der Kriegspropaganda. Ende 1927 heiratete sie, inzwischen Kriegerwitwe, den 34 Jahre jüngeren russischen Heiratsschwindler Alexander Zoubkoff. Ein Bonner Fotograf hielt die Hochzeit nach russisch-orthodoxem Ritus fest und lichtete das Paar - er in Lederkluft, sie im Pelzmantel - auf einem Motorrad vor dem Eingang des Palais Schaumburg ab.
Es fehlen auch nicht Fotografien von der brennenden Synagoge 1938 oder der mit Hakenkreuzfahnen übersäten Poststraße mit der Parole "Der Jude ist unser Feind!". Anfang März 1945 nahm die US-Army Bonn ein: Auf einem Bild ist ein deutsches Panzer-Wrack mit zwei amerikanischen Soldaten vor der zerstörten Beethovenhalle zu sehen, auf einer anderen Aufnahme eine vom Sockel gestoßene Beethoven-Büste im Geburtszimmer des Komponisten. Es folgte die Phase des Wiederaufbaus mit der Gründung der Bundesrepublik und der Übernahme der Hauptstadtfunktion durch das "Bundesdorf", die der Band bis zum Jahr 1970 begleitet und dabei eindrucksvoll manche Demonstration einbezieht, ob gegen die Wiederbewaffnung, gegen die Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn oder gegen die Notstandsgesetze. Alles in allem ist das Buch ein Muss und vor allem ein Genuss für alle Bonn-Nostalgiker, aber auch all denjenigen zu empfehlen, die schon gar nicht mehr wissen oder wissen wollen, was unsere Bundesrepublik der "kleinen Stadt in Deutschland" zu verdanken hat.
RAINER BLASIUS.
Rolf Sachsse: Bonn. Von der Rheinreise zu den Ostverträgen. Fotografien 1850-1970. Greven Verlag, Köln 2016. 288 S. 39,90 [Euro].
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