Leonard Cohen made his name as a poet before he came to worldwide attention as a singer and songwriter. This collection of his poetry was written in Montreal, Mumbai and during his retirement in Mt Baldy.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2008Ich stehe immer noch drauf
Leonard Cohen bedichtet das Frauenheldentum
Schuster, bleib bei deinem Leisten? Dieser bauernschlaue Einwand erübrigt sich von vornherein, schließlich begann der Sänger Leonard Cohen seine künstlerische Karriere 1956 mit einem Gedichtband, bevor er - weitaus erfolgreicher - zur Gitarre griff. Erst elf Jahre später erschien sein inzwischen legendäres Debütalbum "Songs Of Leonard Cohen". Zudem liegen seit je Lyrik und Lyrics dicht beieinander. Jetzt ist Cohen als Autor zurückgekehrt: Das "Buch der Sehnsüchte" knüpft direkt an seine Sammlung von Poemen namens "Book Of Mercy" an, die Mitte der Achtziger erschien. Im Zentrum steht die Sehnsucht in ihrer ambivalentesten Form: als Verlangen nach Erleuchtung und Erlösung, nach Frauen und Zigaretten, wobei die spirituellen Wünsche oft durch irdische Genüsse erfüllt werden: "das Versprechen, die Schönheit, / die Möglichkeit der Errettung, / die von Zigaretten ausgeht". Ein Loblied des Tabakkonsums, lakonisch vorgetragen von einem ironischen Schwerenöter, der die meisten Texte dieses Bandes während eines fünfjährigen Aufenthalts in einem zenbuddhistischen Kloster auf dem Mount Baldy im Süden Kaliforniens verfasste. Während jener inneren Einkehr veruntreute seine Managerin sein Vermögen, weswegen der Eremit derzeit wieder auf Konzerttournee geht, übrigens als geläuterter Nichtraucher.
Im Kloster, unter der Anleitung seines Lehrers Roshi, erhielt Cohen im Zuge seiner Mönch-Werdung den Namen Jikan, der Stille, den er sogleich seinem lyrischen Ich verleiht, wenn er es nicht beim bürgerlichen Vornamen nennt. Diese Aufspaltung der Persönlichkeit dient jedoch nicht etwa einer scharfen Abgrenzung von geistlichen und weltlichen Daseinsformen; jene gehen vielmehr ineinander über, sind nicht ohne das jeweils andere zu denken, kennzeichnen den zweifelnden Gottsucher wie den glaubensstarken Hedonisten, der mit dem nächtlichen Anlegen des traditionellen Mönchsgewands, nicht ohne Stolz, seine jäh erwachende Manneskraft verdeckt und bekennt, als "nutzloser Mönch" in spirituellen Dingen unbegabt zu sein. Selbstredend kann der "Ladies' Man", der seine Reputation als Frauenheld für einen Witz hält, nicht vom weiblichen Geschlecht lassen, obwohl er zwischenzeitlich dachte, "über all diesen Dingen" zu stehen; das Verlangen meldet sich jedoch unwiderstehlich zurück, zu stark für einen Mann, der in einem seiner Lieder bekannte, dass gegen die Liebe kein Kraut gewachsen sei. "Ich bin alt, aber ich stehe immer noch drauf" heißt es in dem süßlich betitelten "Tausend Küsse Tief", das unglücklicherweise im Refrain metaphorisch dem Kitsch allzu nahe kommt: "Du kamst meiner Liebe entgegen / Wie eine Lilie dem Licht". Kein Wunder, dass es diese Zeilen nicht in Cohens gleichnamigen Song "A Thousand Kisses Deep" vom Album "Ten New Songs" schafften. Immerhin behauptet er selbst nicht - aber wer würde das schon freimütig tun? -, ein großer Poet zu sein, obgleich sich seine Bescheidenheit als altersweises Augenzwinkern deuten lässt. Denn unter den Tausenden bekannter Dichter seien nur ein oder zwei echt. Der Rest bestehe aus Blendern, die sich in den heiligen Hallen herumtrieben und heuchelten, dazuzugehören: "Ich bin, versteht sich, einer / von den Blendern, und / dies ist meine Geschichte." Aber ist der genügsame Eleve, den seine Anspruchslosigkeit von den Uneinsichtigen abhebt, tatsächlich frei von Hochmut? Dient diese Pose nicht darüber hinaus dem Schutz vor Kritik, da sich die Poesie des 1934 geborenen Kanadiers auf alles beziehe, was schön und würdevoll sei, "aber / selbst keines von beiden ist"?
Das "Buch der Sehnsüchte" versammelt neben Gedichten, die bis in die siebziger Jahre zurückreichen, Epigramme, Zen-Sprüche, Song-Skizzen und Kurzprosa. Sie werden begleitet von handschriftlichen Texten und Zeichnungen Cohens, die zumeist linkische, spöttische Selbstporträts zeigen oder beispielsweise den zerbrochenen Füller von Jikan, der - schon wieder - "vorgab, ein Dichter zu sein": ein simples Bild, das die zuvor mehrfach geäußerten Selbstzweifel illustriert. Doch Cohen schrieb weiter. Zum Glück! Denn seinem Wankelmut verdanken wir immerhin einige zärtliche und zornige Verse über Liebe und Sex, über seine Zuneigung zu "G-tt", der wie der Teufel eine Lücke lässt, zu Frankreich und zur stets lockenden Attraktivität der Frauen. Ganz nebenbei gewährt Cohen einen zwiespältigen Einblick in das beharrliche, altersresistente Aufflammen des Verlangens, in die Zerrissenheit eines Menschen, der Askese und Einsamkeit sucht, nur um zu erkennen, wie übermächtig es in ihm lodert und brennt. Nicht zuletzt wird hier Cohens Schreibprozess transparent, schimmert in ungewöhnlichen Formulierungen die Kunst seines melancholischen und doch so heiteren Songwritings durch, unter anderem von dem Pop-Musiker Jens Friebe leichthändig und meist rhythmisch treffend ins Deutsche übertragen. Die melodiöse Qualität von Cohens literarischen Texten wurde indes längst vom Prinzipal der amerikanischen Minimal Music geadelt. Philipp Glass veröffentlichte im vergangenen Jahr nämlich das Doppelalbum "Book of Longing. A Song Cycle Based on the Poetry and Images by Leonard Cohen". Ob man auf ein neues Album des stoischen Meisters der leisen erotischen Töne selbst noch eine Weile sehnlich warten muss? Zumindest kann man in der Zwischenzeit von ihm lernen, wie man seine Affekte, die quälende Ungeduld, unter Kontrolle bringt - und immer wieder allzu menschlich daran scheitert.
ALEXANDER MÜLLER.
Leonard Cohen: "Buch der Sehnsüchte". Aus dem Englischen übersetzt von Karl Bruckmaier, Ann Cotten, Wolfgang Farkas, Jens Friebe, Thomas Palzer, Sabine Reichel, Nicolai von Schweder-Schreiner, Carl Weissner und Wolf Wondratschek. Blumenbar Verlag, München 2008. 234 S., geb., 19,90 [Euro].
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Leonard Cohen bedichtet das Frauenheldentum
Schuster, bleib bei deinem Leisten? Dieser bauernschlaue Einwand erübrigt sich von vornherein, schließlich begann der Sänger Leonard Cohen seine künstlerische Karriere 1956 mit einem Gedichtband, bevor er - weitaus erfolgreicher - zur Gitarre griff. Erst elf Jahre später erschien sein inzwischen legendäres Debütalbum "Songs Of Leonard Cohen". Zudem liegen seit je Lyrik und Lyrics dicht beieinander. Jetzt ist Cohen als Autor zurückgekehrt: Das "Buch der Sehnsüchte" knüpft direkt an seine Sammlung von Poemen namens "Book Of Mercy" an, die Mitte der Achtziger erschien. Im Zentrum steht die Sehnsucht in ihrer ambivalentesten Form: als Verlangen nach Erleuchtung und Erlösung, nach Frauen und Zigaretten, wobei die spirituellen Wünsche oft durch irdische Genüsse erfüllt werden: "das Versprechen, die Schönheit, / die Möglichkeit der Errettung, / die von Zigaretten ausgeht". Ein Loblied des Tabakkonsums, lakonisch vorgetragen von einem ironischen Schwerenöter, der die meisten Texte dieses Bandes während eines fünfjährigen Aufenthalts in einem zenbuddhistischen Kloster auf dem Mount Baldy im Süden Kaliforniens verfasste. Während jener inneren Einkehr veruntreute seine Managerin sein Vermögen, weswegen der Eremit derzeit wieder auf Konzerttournee geht, übrigens als geläuterter Nichtraucher.
Im Kloster, unter der Anleitung seines Lehrers Roshi, erhielt Cohen im Zuge seiner Mönch-Werdung den Namen Jikan, der Stille, den er sogleich seinem lyrischen Ich verleiht, wenn er es nicht beim bürgerlichen Vornamen nennt. Diese Aufspaltung der Persönlichkeit dient jedoch nicht etwa einer scharfen Abgrenzung von geistlichen und weltlichen Daseinsformen; jene gehen vielmehr ineinander über, sind nicht ohne das jeweils andere zu denken, kennzeichnen den zweifelnden Gottsucher wie den glaubensstarken Hedonisten, der mit dem nächtlichen Anlegen des traditionellen Mönchsgewands, nicht ohne Stolz, seine jäh erwachende Manneskraft verdeckt und bekennt, als "nutzloser Mönch" in spirituellen Dingen unbegabt zu sein. Selbstredend kann der "Ladies' Man", der seine Reputation als Frauenheld für einen Witz hält, nicht vom weiblichen Geschlecht lassen, obwohl er zwischenzeitlich dachte, "über all diesen Dingen" zu stehen; das Verlangen meldet sich jedoch unwiderstehlich zurück, zu stark für einen Mann, der in einem seiner Lieder bekannte, dass gegen die Liebe kein Kraut gewachsen sei. "Ich bin alt, aber ich stehe immer noch drauf" heißt es in dem süßlich betitelten "Tausend Küsse Tief", das unglücklicherweise im Refrain metaphorisch dem Kitsch allzu nahe kommt: "Du kamst meiner Liebe entgegen / Wie eine Lilie dem Licht". Kein Wunder, dass es diese Zeilen nicht in Cohens gleichnamigen Song "A Thousand Kisses Deep" vom Album "Ten New Songs" schafften. Immerhin behauptet er selbst nicht - aber wer würde das schon freimütig tun? -, ein großer Poet zu sein, obgleich sich seine Bescheidenheit als altersweises Augenzwinkern deuten lässt. Denn unter den Tausenden bekannter Dichter seien nur ein oder zwei echt. Der Rest bestehe aus Blendern, die sich in den heiligen Hallen herumtrieben und heuchelten, dazuzugehören: "Ich bin, versteht sich, einer / von den Blendern, und / dies ist meine Geschichte." Aber ist der genügsame Eleve, den seine Anspruchslosigkeit von den Uneinsichtigen abhebt, tatsächlich frei von Hochmut? Dient diese Pose nicht darüber hinaus dem Schutz vor Kritik, da sich die Poesie des 1934 geborenen Kanadiers auf alles beziehe, was schön und würdevoll sei, "aber / selbst keines von beiden ist"?
Das "Buch der Sehnsüchte" versammelt neben Gedichten, die bis in die siebziger Jahre zurückreichen, Epigramme, Zen-Sprüche, Song-Skizzen und Kurzprosa. Sie werden begleitet von handschriftlichen Texten und Zeichnungen Cohens, die zumeist linkische, spöttische Selbstporträts zeigen oder beispielsweise den zerbrochenen Füller von Jikan, der - schon wieder - "vorgab, ein Dichter zu sein": ein simples Bild, das die zuvor mehrfach geäußerten Selbstzweifel illustriert. Doch Cohen schrieb weiter. Zum Glück! Denn seinem Wankelmut verdanken wir immerhin einige zärtliche und zornige Verse über Liebe und Sex, über seine Zuneigung zu "G-tt", der wie der Teufel eine Lücke lässt, zu Frankreich und zur stets lockenden Attraktivität der Frauen. Ganz nebenbei gewährt Cohen einen zwiespältigen Einblick in das beharrliche, altersresistente Aufflammen des Verlangens, in die Zerrissenheit eines Menschen, der Askese und Einsamkeit sucht, nur um zu erkennen, wie übermächtig es in ihm lodert und brennt. Nicht zuletzt wird hier Cohens Schreibprozess transparent, schimmert in ungewöhnlichen Formulierungen die Kunst seines melancholischen und doch so heiteren Songwritings durch, unter anderem von dem Pop-Musiker Jens Friebe leichthändig und meist rhythmisch treffend ins Deutsche übertragen. Die melodiöse Qualität von Cohens literarischen Texten wurde indes längst vom Prinzipal der amerikanischen Minimal Music geadelt. Philipp Glass veröffentlichte im vergangenen Jahr nämlich das Doppelalbum "Book of Longing. A Song Cycle Based on the Poetry and Images by Leonard Cohen". Ob man auf ein neues Album des stoischen Meisters der leisen erotischen Töne selbst noch eine Weile sehnlich warten muss? Zumindest kann man in der Zwischenzeit von ihm lernen, wie man seine Affekte, die quälende Ungeduld, unter Kontrolle bringt - und immer wieder allzu menschlich daran scheitert.
ALEXANDER MÜLLER.
Leonard Cohen: "Buch der Sehnsüchte". Aus dem Englischen übersetzt von Karl Bruckmaier, Ann Cotten, Wolfgang Farkas, Jens Friebe, Thomas Palzer, Sabine Reichel, Nicolai von Schweder-Schreiner, Carl Weissner und Wolf Wondratschek. Blumenbar Verlag, München 2008. 234 S., geb., 19,90 [Euro].
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"Book of Longing has exceptional range. It is clear yet steamy, cosmic yet private, both playful and profound." New York Times