Conners Eltern sind sich einig: Das Verhalten ihres Sohnes ist gesellschaftlich unakzeptabel. Gegen seinen Willen wird der 16jährige in ein BootCamp gebracht. Dort erwartet ihn ein brutales Umerziehungssystem. Es gibt nur einen Ausweg: Flucht.
Conner ist sich keiner Schuld bewusst. Er liebt Sabrina. Es ist ihm egal, dass sie zehn Jahre älter und seine Lehrerin ist. Für die konformistischen Eltern des 16-Jährigen ist diese Liebe jedoch vollkommen unakzeptabel, ein weiteres Symptom für Conners Aufmüpfigkeit, für seine Ablehnung gesellschaftlicher Normen. Sie lassen ihren Sohn in ein Boot Camp bringen - gegen seinen Willen. Dort erwartet Conner ein brutales Umerziehungssystem, aus dem es nur einen Ausweg gibt: Flucht.
Conner ist sich keiner Schuld bewusst. Er liebt Sabrina. Es ist ihm egal, dass sie zehn Jahre älter und seine Lehrerin ist. Für die konformistischen Eltern des 16-Jährigen ist diese Liebe jedoch vollkommen unakzeptabel, ein weiteres Symptom für Conners Aufmüpfigkeit, für seine Ablehnung gesellschaftlicher Normen. Sie lassen ihren Sohn in ein Boot Camp bringen - gegen seinen Willen. Dort erwartet Conner ein brutales Umerziehungssystem, aus dem es nur einen Ausweg gibt: Flucht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2006DAS HÖRBUCH
Isolationshaft
„Boot Camp”: Tim Niebuhr liest die Geschichte einer Umerziehung
Dieser Roman spielt in einem ungemütlichen Abteil Amerikas: Weil der halbwüchsige Connor sich weigert, das Liebesverhältnis mit seiner Mathematiklehrerin aufzugeben, lassen ihn seine Eltern von zwei hauptberuflichen Entführern in ihrem eigenen Haus fesseln, in ein Flugzeug verfrachten und für viel Geld in ein mit Wachpersonal, Stacheldraht und Bewegungsmeldern gesichertes Umerziehungslager schaffen, ein „Boot Camp”. So heißt auch der neue Roman von Morton Rhue, den Tim Niebuhr für das Hörbuch vorgelesen hat.
Von diesen „Boot Camps”, pseudo-militärischen Anstalten, in denen Jugendliche unter psychischen und physischen Druck gesetzt und nicht selten gefoltert werden, hörte man viel in den vergangenen Jahren. Auch ohne Studien darüber lässt sich denken, dass die Erfolgsquote so gering ist wie die aller autoritären Mittel zur Erziehung. Es gibt inzwischen aber diese Studien, und sie quittieren den Boot Camps, dass sie außer der Pflege autoritärer Charaktere keine Erziehungserfolge verzeichnen: Wenn die Gewalt der Lagerautorität wegfällt, wird aus dem ehemaligen Insassen oft ein Delinquent, wenn ihn nicht beispielsweise das Militär auffängt.
Was verspricht man sich von einem Roman über die Boot Camps? Zum Beispiel Aufklärung darüber, wie es den Lagerbetreibern gelingt, Eltern davon zu überzeugen, ihre Kinder in eine Art Gulag schaffen zu lassen. Manchmal werden diese so hart geführt, dass die Betreiber sie im Ausland errichten, um der Strafverfolgung durch den amerikanischen Staat wegen Körperverletzung und anderer Delikte zu entgehen. Es gab eine ganze Reihe von Todesfällen in solchen Lagern. Im Alten Testament heißt es: „Lass nicht ab, den Knaben zu züchtigen; denn wenn du ihn mit der Rute schlägst, so wird er sein Leben behalten; du schlägst ihn mit der Rute, aber du errettest ihn vom Tode.” Wahrscheinlich haben Eltern, die ihre Söhne, aber auch Töchter derart quälen lassen, den Sinn dieses Salomo-Spruchs nicht in unsere Zeit übertragen, sondern nehmen die Aufforderung zu Schlägen wörtlich, um ihre Kinder vor Unheil zu bewahren. Redliche Absichten muss man Eltern zubilligen.
Litanei der Schikanen
Aus dem Roman von Morton Rhue erfahren wir darüber nichts. Connors Mutter ist beruflich damit befasst, Prominente aus den Schlagzeilen herauszuhalten, deshalb sieht sie keinen anderen Weg, als den Sohn ohne Diskussion zu entfernen. Ist das glaubwürdig? Ausführlich werden indes die Schikanen an Connor aus der Ich-Perspektive eines hochbegabten, kräftigen Ein-Meter-neunzig-Jugendlichen geschildert und wie er am Ende trotz aller Widerstände gebrochen wird. Tim Niebuhr gibt sich redlich Mühe, dieses sprachlich reizlose Aufzählen von Misshandlungen aufzufrischen, indem er für die Dialoge seine Stimme verstellt, um die Aufseher herrisch klingen zu lassen. Das wirkt insoweit authentisch, als dass es ein halbwüchsiger Laie, aus dessen Perspektive er ja liest, auch kaum besser gekonnt hätte.
Ärgerlich an der Katastrophen-Literatur von Morton Rhue oder Todd Strasser – er veröffentlich auch unter seinem Geburtsnamen – ist ihre Plattheit. Diese Bücher wirken wie aus Zeitungsartikeln gebastelte Übungen, sie stellen sprachlich und intellektuell keine Ansprüche. Sehr beliebt sind sie als Schulliteratur für den Sozialkunde-Unterricht. Die Themen ziehen Jugendliche an, weil sie, ohne moralische Zweifel aufkommen zu lassen (das Opfer ist ja nur ein verhinderter Liebhaber, kein echter Krimineller wie die anderen in den Lagern), voyeuristischen Sadismus befriedigen. Rhue möchte das gute, schwache, moralisch zweifelsfreie Amerika zeigen und liefert die Prügelszenen als Unterhaltung mit.
Als schlimmste Pein wird in „Boot Camp” immer wieder die Isolationshaft beschrieben. Diese kommt ohne private pädagogische Camps auch in deutschen Jugendgefängnissen zur Anwendung. Zwar wurde im Jahr 2000 Eltern das Züchtigungsrecht genommen, doch darf Vater Staat Jugendliche ab 14 Jahren monatelang isolieren, eine Rechtsgrundlage dafür gibt es nicht. Die entwürdigende Aufnahmeprozedur der Leibesvisitation, wie sie Rhue in seinem Roman anprangert, ist in allen deutschen Gefängnissen, auch gegenüber Minderjährigen, üblich. Einen schlechten amerikanischen Roman zwecks moralischer Selbstvergewisserung als Schullektüre zu übersetzen und zudem seine Schwächen in einer Lesung hörbar zu machen, war überflüssig.MARTIN Z. SCHRÖDER
MORTON RHUE: Boot Camp. Roman. Gelesen von Tim Niebuhr. 214 min., Jumbo Neue Medien, Hamburg 2006. 3 CD 18,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Isolationshaft
„Boot Camp”: Tim Niebuhr liest die Geschichte einer Umerziehung
Dieser Roman spielt in einem ungemütlichen Abteil Amerikas: Weil der halbwüchsige Connor sich weigert, das Liebesverhältnis mit seiner Mathematiklehrerin aufzugeben, lassen ihn seine Eltern von zwei hauptberuflichen Entführern in ihrem eigenen Haus fesseln, in ein Flugzeug verfrachten und für viel Geld in ein mit Wachpersonal, Stacheldraht und Bewegungsmeldern gesichertes Umerziehungslager schaffen, ein „Boot Camp”. So heißt auch der neue Roman von Morton Rhue, den Tim Niebuhr für das Hörbuch vorgelesen hat.
Von diesen „Boot Camps”, pseudo-militärischen Anstalten, in denen Jugendliche unter psychischen und physischen Druck gesetzt und nicht selten gefoltert werden, hörte man viel in den vergangenen Jahren. Auch ohne Studien darüber lässt sich denken, dass die Erfolgsquote so gering ist wie die aller autoritären Mittel zur Erziehung. Es gibt inzwischen aber diese Studien, und sie quittieren den Boot Camps, dass sie außer der Pflege autoritärer Charaktere keine Erziehungserfolge verzeichnen: Wenn die Gewalt der Lagerautorität wegfällt, wird aus dem ehemaligen Insassen oft ein Delinquent, wenn ihn nicht beispielsweise das Militär auffängt.
Was verspricht man sich von einem Roman über die Boot Camps? Zum Beispiel Aufklärung darüber, wie es den Lagerbetreibern gelingt, Eltern davon zu überzeugen, ihre Kinder in eine Art Gulag schaffen zu lassen. Manchmal werden diese so hart geführt, dass die Betreiber sie im Ausland errichten, um der Strafverfolgung durch den amerikanischen Staat wegen Körperverletzung und anderer Delikte zu entgehen. Es gab eine ganze Reihe von Todesfällen in solchen Lagern. Im Alten Testament heißt es: „Lass nicht ab, den Knaben zu züchtigen; denn wenn du ihn mit der Rute schlägst, so wird er sein Leben behalten; du schlägst ihn mit der Rute, aber du errettest ihn vom Tode.” Wahrscheinlich haben Eltern, die ihre Söhne, aber auch Töchter derart quälen lassen, den Sinn dieses Salomo-Spruchs nicht in unsere Zeit übertragen, sondern nehmen die Aufforderung zu Schlägen wörtlich, um ihre Kinder vor Unheil zu bewahren. Redliche Absichten muss man Eltern zubilligen.
Litanei der Schikanen
Aus dem Roman von Morton Rhue erfahren wir darüber nichts. Connors Mutter ist beruflich damit befasst, Prominente aus den Schlagzeilen herauszuhalten, deshalb sieht sie keinen anderen Weg, als den Sohn ohne Diskussion zu entfernen. Ist das glaubwürdig? Ausführlich werden indes die Schikanen an Connor aus der Ich-Perspektive eines hochbegabten, kräftigen Ein-Meter-neunzig-Jugendlichen geschildert und wie er am Ende trotz aller Widerstände gebrochen wird. Tim Niebuhr gibt sich redlich Mühe, dieses sprachlich reizlose Aufzählen von Misshandlungen aufzufrischen, indem er für die Dialoge seine Stimme verstellt, um die Aufseher herrisch klingen zu lassen. Das wirkt insoweit authentisch, als dass es ein halbwüchsiger Laie, aus dessen Perspektive er ja liest, auch kaum besser gekonnt hätte.
Ärgerlich an der Katastrophen-Literatur von Morton Rhue oder Todd Strasser – er veröffentlich auch unter seinem Geburtsnamen – ist ihre Plattheit. Diese Bücher wirken wie aus Zeitungsartikeln gebastelte Übungen, sie stellen sprachlich und intellektuell keine Ansprüche. Sehr beliebt sind sie als Schulliteratur für den Sozialkunde-Unterricht. Die Themen ziehen Jugendliche an, weil sie, ohne moralische Zweifel aufkommen zu lassen (das Opfer ist ja nur ein verhinderter Liebhaber, kein echter Krimineller wie die anderen in den Lagern), voyeuristischen Sadismus befriedigen. Rhue möchte das gute, schwache, moralisch zweifelsfreie Amerika zeigen und liefert die Prügelszenen als Unterhaltung mit.
Als schlimmste Pein wird in „Boot Camp” immer wieder die Isolationshaft beschrieben. Diese kommt ohne private pädagogische Camps auch in deutschen Jugendgefängnissen zur Anwendung. Zwar wurde im Jahr 2000 Eltern das Züchtigungsrecht genommen, doch darf Vater Staat Jugendliche ab 14 Jahren monatelang isolieren, eine Rechtsgrundlage dafür gibt es nicht. Die entwürdigende Aufnahmeprozedur der Leibesvisitation, wie sie Rhue in seinem Roman anprangert, ist in allen deutschen Gefängnissen, auch gegenüber Minderjährigen, üblich. Einen schlechten amerikanischen Roman zwecks moralischer Selbstvergewisserung als Schullektüre zu übersetzen und zudem seine Schwächen in einer Lesung hörbar zu machen, war überflüssig.MARTIN Z. SCHRÖDER
MORTON RHUE: Boot Camp. Roman. Gelesen von Tim Niebuhr. 214 min., Jumbo Neue Medien, Hamburg 2006. 3 CD 18,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der "moralische Zaunpfahl", mit dem der durch seinen Jugendroman "Die Welle" bekannte Morton Rhue nicht nur zu winken, sondern auch zuzuschlagen scheint, hat Thomas Binotto die Lektüre verhagelt. Die "humanistische Dampfwalze", die Rhue hier losschickt, lasse nur noch "eindimensionale Klarheit" zurück. Rhue identifiziert sich laut Binotto zudem so sehr mit seinem Ich-Erzähler, einem Jugendlichen in einer grausamen Erziehungsanstalt, dass er "jede Möglichkeit zur Differenzierung" links liegen lässt. Was aber Binottos Hutschnur endgültig zum Platzen bringt, ist der Verdacht, Rhue habe "zahlreiche Motive" aus einer Reportage von Decca Aitkenhead verwendet, die am 29. Juni 2003 im "Observer" erschienen ist - ohne auch nur einmal die Quelle zu nennen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Morton Rhue ist für viele Jugendthriller mit Message bekannt, die auch gut als Diskussionsgrundlage im Schulunterricht dienen können" (05.07.2019, https://www.jugendbuch-couch.de/titel/583-boot-camp/)