Die bis 1997 existierende Firma Bossard in Luzern gehörte zu den führenden Gold- und Silberschmieden der Schweiz und war eine treibende Kraft des Historismus. Ihre Stilkopien und stiltreuen Eigenschöpfungen sind handwerklich hervorragend und gehören zum Besten, was damals hergestellt wurde. Das
Schweizer Nationalmuseum besitzt nicht nur den Firmennachlass mit zahlreichen Modellen und Zeichnungen,…mehrDie bis 1997 existierende Firma Bossard in Luzern gehörte zu den führenden Gold- und Silberschmieden der Schweiz und war eine treibende Kraft des Historismus. Ihre Stilkopien und stiltreuen Eigenschöpfungen sind handwerklich hervorragend und gehören zum Besten, was damals hergestellt wurde. Das Schweizer Nationalmuseum besitzt nicht nur den Firmennachlass mit zahlreichen Modellen und Zeichnungen, sondern verfügt außerdem über einen reichhaltigen Bestand an Bossard-Objekten aus der Frühzeit. 10 Jahre nachdem das Firmenarchiv erworben wurde, erscheint nun die umfangreiche Monografie über das Haus Bossard.
Die überragende Person der Firmengeschichte ist zweifellos Johann Karl Bossard, der mit großem Geschäftssinn und einer kompromisslosen Fokussierung auf Qualität seine Gold- und Silberschmiede innerhalb einer Generation an die Spitze der Zunft hob. Ihm und seinem Werk gilt die überwiegende Zahl der Kapitel, angefangen beim biografischen Hintergrund über die Entwicklung der einzelnen Geschäftsfelder bis hin zu spezifischen Einflussfaktoren auf den „Bossard-Stil“. Letzteres ist von besonderem Interesse und dank der Bestände aus dem Nachlass auch sehr gut rekonstruierbar. Johann Karl Bossard war nicht nur Gold- und Silberschmied, sondern gleichzeitig Antiquitätenhändler, und aus dieser Quelle schöpfte er nicht nur Teile seines großen Vermögens, sondern ließ auch von vielen Objekten präzise Zeichnungen und Abgüsse fertigen. Sie wurden später, neben originalen Renaissancestichen, zu seinen wichtigsten Inspirationsquellen und nicht selten exakt kopiert. Dieser Aspekt wird von den Autoren ausführlich beleuchtet, allerdings zu meiner Überraschung keineswegs kritisch, sondern mit einer Neutralität, die an Parteinahme grenzt. Ein großes Problem der Bossardschen Stilkopien ist, dass sie selten gemarkt wurden und damit von Originalen der Renaissance kaum unterscheidbar sind. Für den Experten gibt es zwar Hinweise, wie z. B. veränderte Herstelltechniken (Halbschalen vs. Vollguss, Befestigung der Klingen etc.), aber bis heute tauchen Bossard-Kopien immer wieder als vermeintliche Originale in Auktionen auf. Auch betätigte sich Bossard als Restaurator, wobei die Grenzen zwischen Original und Ergänzung für den Betrachter nicht mehr erkennbar sind. Nach heutigem Verständnis muss man viele Bossard-Schöpfungen als bewusste Fälschungen ansehen, diese Bewertung sucht man in der Monografie jedoch vergebens. Damit übernehmen die Autoren unkritisch die Position des 19. Jahrhunderts. Am Beispiel eines Renaissance-Pulverhorns wird zumindest ein Fall im Detail beschrieben, bei dem erst eine akribische historische Nachrecherche die Fälschung entlarvte, die sich bereits in Museumsbesitz befand.
Während des Historismus war Bossard in jeder Hinsicht führend und wahrscheinlich einer der besten Experten für Renaissance-Silber überhaupt. Seine wissenschaftlich-enzyklopädische Herangehensweise ist auch heute noch bewundernswert, aber mit dem Aufkommen neuer Stile zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlor die Firma zunehmen den Anschluss. Die handwerkliche Qualität blieb zwar überragend und einige Entwürfe sind auch künstlerisch überzeugend, aber eine geänderte Tischkultur, alternde Sammlerkreise und ein sich wandelnder Geschmack haben den Markt grundlegend verändert.
Bei aller Kritik, die ich übe, hat das Werk einen unleugbaren Nutzen, indem es nicht zuletzt mit seinen brillanten Abbildungen die unglaubliche Formenvielfalt und handwerkliche Perfektion Bossards einem breiten Publikum vermittelt. Die hochqualifizierten Autoren beschreiben differenziert stilistische, kulturhistorische und technologische Merkmale, die auch Sammlern von Renaissance-Silber als Hilfsmittel dienen können, um Bossards Kopien zu erkennen. Die Monografie hat also in jeder Hinsicht ihre Berechtigung.