Produktdetails
- Verlag: Pustet, Regensburg
- 1997.
- Seitenzahl: 196
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 260g
- ISBN-13: 9783791715681
- ISBN-10: 3791715682
- Artikelnr.: 06968307
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.1997Auch ein Nachbeben kann erschüttern
Hansjürgen Verweyen mißt die neuesten Ausschläge auf der Weltrichter-Skala
Nicht erst seit heute gibt es eine Vielfalt der Weltanschauungen. Miteinander konkurrierende Sinnangebote kannte schon die Spätantike. Der Kirchenlehrer Augustinus schloß daraus, daß die Besinnung auf die Vernunft eine theologische Notwendigkeit ist. Damit fand er den archimedischen Punkt, um sich im Wirrwarr religiöser Traditionen und Moden zurechtzufinden. Ganz ähnlich reagierte Descartes angesichts der Verunsicherungen der Neuzeit. Für Hansjürgen Verweyen, Fundamentaltheologe in Freiburg, sind dies keine historischen Reminiszenzen, sondern geistesgeschichtliche Entwicklungen, die auch im radikalen Pluralismus unserer Moderne der Theologie den Weg weisen können. Seit langem schon warnt er davor, in der Rechtfertigung der christlichen Hoffnung vor dem Forum der Vernunft zu ermüden. Die Fundamente des Glaubens rational absichern, um die Fundamentalismen zu schwächen, lautet seine Maxime, die er 1991 in einem "Grundriß der Fundamentaltheologie" mit dem Titel "Gottes letztes Wort" begründet und entfaltet hat.
Im Kern geht es Verweyen darum, mit den Mitteln erstphilosophischer Traditionen Kriterien zu entwickeln, um bestimmen zu können, ob ein geschichtliches Ereignis zu Recht als letztgültige Selbstmitteilung Gottes verstanden werden darf. Seiner Ansicht nach bliebe sonst in der Schwebe, ob Jesus Christus nicht doch einer "jener vorletzten Gurus" ist, die die Menschen versklaven und nicht befreien. Verweyens wesentlich vom Denken Fichtes inspirierter theologischer Entwurf, der um der Hermeneutik des Glaubens willen eine philosophische Letztbegründung entwickelt und damit die Konfrontation mit der herrschenden Philosophie und Theologie sucht, ist rege diskutiert worden.
Die jetzt von Verweyen veröffentlichte Monographie "Botschaft eines Toten" gleicht einem Nachbeben auf seine Fundamentaltheologie: bei gleicher Stoßrichtung gemäßigter im Ton. Verweyen faßt noch einmal zusammen, kommentiert, modifiziert und diskutiert mit seinen Kritikern. Im ersten Teil will er demjenigen Gläubigen, dem an der rationalen Auseinandersetzung mit seiner religiösen Überzeugung gelegen ist, den komplexen Gedankengang seines fundamentaltheologischen Ansatzes nahebringen. Ausgangspunkt der Reflexion ist die Ruhelosigkeit der menschlichen Vernunft, die sich einerseits nach Einheit sehnt und anderseits in der Welt unaufhörlich dem Vielfältigen begegnet. Aus diesem Dilemma erwächst für Verweyen die Frage nach Sinn. Ist ihm im Cogito Descartes' die Einheit der Vernunft bereits hinreichend gesichert, bleibt der cartesianische Gottesbegriff insofern unzureichend, als er der Freiheitsproblematik nicht gerecht wird.
Erst mit Kants Rekurs auf die Aporien der praktischen Vernunft läßt sich für Verweyen ein Gottesbegriff finden, der den Herausforderungen der Theodizeefrage gewachsen ist. Gott muß als derjenige gedacht werden, der das Sittengesetz - die Evidenz eines unbedingten Sollens - mit den gegenläufigen Erfahrungen von Leid und Übel versöhnen wird. Dann aber braucht die von Camus am Sisyphos-Mythos "essayistisch aufgezeigte ,Elementarstruktur' des Daseins" nicht mehr zwingend Absurdität zur Folge haben, sondern kann auch als Fragehorizont interpretiert werden, der das Verstehen der Offenbarung erst ermöglicht.
Den gesuchten Begriff letztgültigen Sinns entwickelt Verweyen von Fichtes Kategorie des Bildes her. Dort, wo sich einer zum Bild des anderen macht, den anderen unter Zurückstellung der eigenen Interessen zu sich selbst kommen läßt, realisiert sich Freiheit und werden Identität und Differenz in Einklang gebracht. Es ist entscheidend, daß mit diesem Bildbegriff Leiblichkeit, Intersubjektivität und Materialität stärker berücksichtigt werden, als dies in erstphilosophischen Ansätzen bisher üblich war.
Die theologische Antwort auf die Theodizeefrage kann nach Verweyen nur sein, mit dem Kirchenvater Origenes - aber auch mit dem jüdischen Rabbi Hayim von Volozhyn und der Bodhisattva-Tradition des Mahayana-Buddhismus - Gott von seinem Wartenkönnen her zu denken. ",Ewig' ist allein die durch nichts verrückbare Entschiedenheit Gottes, unendlich lange auf das Ja seiner Kreatur zu warten." Mit Dostojewskis Iwan Karamasoff ist Verweyen entschlossen, das "Eintrittsbillet in die ewige Harmonie" zurückzugeben, wenn auch nur einer als für das Himmelreich verloren erklärt wird. Mit diesen Gedanken wendet sich Verweyen wieder der eschatologischen Fragestellung zu, deren Ausfall in "Gottes letztes Wort" beklagt worden war.
Zudem liegen sie ganz in der Fluchtlinie der neutestamentlichen Zeugnisse vom Leben und Sterben Jesu. Im Tod am Kreuz jedoch die vollständigen Konturen des Christus des Glaubens zu sehen ist theologisch nicht ohne Konsequenzen. Der Graben zwischen vorösterlichem Jesus und nachösterlichem Christus ist überwunden und die Auferstehung von einer Zumutung für das neuzeitliche Geschichtsverständnis zu einer religiösen Metapher geworden. Verweyen reicht der mit dem Tod bewährte Vollmachtanspruch Jesu aus, um das Dogma von Chalzedon - Jesus war Mensch und Gott - zu begründen. Nur wenn man auf eine "nachträgliche Legitimation Jesu durch Gott" verzichtet, ist seiner Überzeugung nach der Glaube an die Inkarnation durchgehalten.
Vor allem im zweiten Teil macht sich Verweyen an die Klärung mancher, bei der Abfassung von "Gottes letztes Wort" noch nicht "ausgegorener" Gedanken. Entschiedener als zuvor weist er auf den bescheidenen Anspruch seines Letztbegründungsversuchs hin. Es gehe ihm nicht um die metaphysischen Implikationen der Philosophie Fichtes, sondern lediglich um transzendentallogisch unhintergehbare Kritieren, die im hermeneutischen Prozeß der Aneignung von überlieferten Zeugnissen unabdingbar sind. Verweyen betont in diesem Zusammenhang die rein dienende Funktion der Erstphilosophie als einer "ancilla hermeneuticae".
Ebenfalls fällt auf, wie Verweyen seinen Bildbegriff phänomenologisch ausarbeitet. Bisher litt sein Bildverständnis darunter, daß der Begriff eines reinen Bildes zu eliminieren versucht, was die Metapher des Bilds auszeichnet: daß Materialität Immaterielles aufscheinen lassen kann. Ähnliches gilt für den Zeugnisbegriff, bei dem Verweyen jetzt betont, daß der Tradent seine "ureigene Persönlichkeit mit den für sie charakteristischen Perspektiven ins Spiel" zu bringen hat. Das genuine Zeugnis darf kein "farbloses Fluidum" sein, sondern erreicht sein Ziel nur in einer großen Komplexität von "Farbtönen".
Hansjürgen Verweyen hat mit dieser Monographie den Disput mit den Kollegen vom Fach fortgesetzt. Der Leser wird in die Werkstatt eines Theologen geführt: Formulierungen werden abgewogen, zu kurz greifende Interpretationen der eigenen Thesen zurückgewiesen. Mit großer Sensibilität ringt Verweyen in der Diskussion mit seinen Gesprächspartnern um Kompromißformeln. Besorgt wird man allerdings verfolgen müssen, ob die kritisch Glaubenden, die "weder Zeit noch Lust haben, zunächst einmal Sprachkurse in theologischem Parteichinesisch zu belegen", so lange durchhalten, wie Verweyen sich dies im Vorwort wünscht. Die geäußerten Hoffnungen lassen die berechtigten Ängste durchscheinen. Unmittelbar muß man an Karl Rahners Ausspruch denken: "Meine Vorlesungen gelten als zu schwer. Mein Gott, was soll ich machen. Wenn ich es noch billiger machen würde, wäre es auch nichts." STEFAN ORTH
Hansjürgen Verweyen: "Botschaft eines Toten?". Den Glauben rational verantworten. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1997. 196 S., br., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hansjürgen Verweyen mißt die neuesten Ausschläge auf der Weltrichter-Skala
Nicht erst seit heute gibt es eine Vielfalt der Weltanschauungen. Miteinander konkurrierende Sinnangebote kannte schon die Spätantike. Der Kirchenlehrer Augustinus schloß daraus, daß die Besinnung auf die Vernunft eine theologische Notwendigkeit ist. Damit fand er den archimedischen Punkt, um sich im Wirrwarr religiöser Traditionen und Moden zurechtzufinden. Ganz ähnlich reagierte Descartes angesichts der Verunsicherungen der Neuzeit. Für Hansjürgen Verweyen, Fundamentaltheologe in Freiburg, sind dies keine historischen Reminiszenzen, sondern geistesgeschichtliche Entwicklungen, die auch im radikalen Pluralismus unserer Moderne der Theologie den Weg weisen können. Seit langem schon warnt er davor, in der Rechtfertigung der christlichen Hoffnung vor dem Forum der Vernunft zu ermüden. Die Fundamente des Glaubens rational absichern, um die Fundamentalismen zu schwächen, lautet seine Maxime, die er 1991 in einem "Grundriß der Fundamentaltheologie" mit dem Titel "Gottes letztes Wort" begründet und entfaltet hat.
Im Kern geht es Verweyen darum, mit den Mitteln erstphilosophischer Traditionen Kriterien zu entwickeln, um bestimmen zu können, ob ein geschichtliches Ereignis zu Recht als letztgültige Selbstmitteilung Gottes verstanden werden darf. Seiner Ansicht nach bliebe sonst in der Schwebe, ob Jesus Christus nicht doch einer "jener vorletzten Gurus" ist, die die Menschen versklaven und nicht befreien. Verweyens wesentlich vom Denken Fichtes inspirierter theologischer Entwurf, der um der Hermeneutik des Glaubens willen eine philosophische Letztbegründung entwickelt und damit die Konfrontation mit der herrschenden Philosophie und Theologie sucht, ist rege diskutiert worden.
Die jetzt von Verweyen veröffentlichte Monographie "Botschaft eines Toten" gleicht einem Nachbeben auf seine Fundamentaltheologie: bei gleicher Stoßrichtung gemäßigter im Ton. Verweyen faßt noch einmal zusammen, kommentiert, modifiziert und diskutiert mit seinen Kritikern. Im ersten Teil will er demjenigen Gläubigen, dem an der rationalen Auseinandersetzung mit seiner religiösen Überzeugung gelegen ist, den komplexen Gedankengang seines fundamentaltheologischen Ansatzes nahebringen. Ausgangspunkt der Reflexion ist die Ruhelosigkeit der menschlichen Vernunft, die sich einerseits nach Einheit sehnt und anderseits in der Welt unaufhörlich dem Vielfältigen begegnet. Aus diesem Dilemma erwächst für Verweyen die Frage nach Sinn. Ist ihm im Cogito Descartes' die Einheit der Vernunft bereits hinreichend gesichert, bleibt der cartesianische Gottesbegriff insofern unzureichend, als er der Freiheitsproblematik nicht gerecht wird.
Erst mit Kants Rekurs auf die Aporien der praktischen Vernunft läßt sich für Verweyen ein Gottesbegriff finden, der den Herausforderungen der Theodizeefrage gewachsen ist. Gott muß als derjenige gedacht werden, der das Sittengesetz - die Evidenz eines unbedingten Sollens - mit den gegenläufigen Erfahrungen von Leid und Übel versöhnen wird. Dann aber braucht die von Camus am Sisyphos-Mythos "essayistisch aufgezeigte ,Elementarstruktur' des Daseins" nicht mehr zwingend Absurdität zur Folge haben, sondern kann auch als Fragehorizont interpretiert werden, der das Verstehen der Offenbarung erst ermöglicht.
Den gesuchten Begriff letztgültigen Sinns entwickelt Verweyen von Fichtes Kategorie des Bildes her. Dort, wo sich einer zum Bild des anderen macht, den anderen unter Zurückstellung der eigenen Interessen zu sich selbst kommen läßt, realisiert sich Freiheit und werden Identität und Differenz in Einklang gebracht. Es ist entscheidend, daß mit diesem Bildbegriff Leiblichkeit, Intersubjektivität und Materialität stärker berücksichtigt werden, als dies in erstphilosophischen Ansätzen bisher üblich war.
Die theologische Antwort auf die Theodizeefrage kann nach Verweyen nur sein, mit dem Kirchenvater Origenes - aber auch mit dem jüdischen Rabbi Hayim von Volozhyn und der Bodhisattva-Tradition des Mahayana-Buddhismus - Gott von seinem Wartenkönnen her zu denken. ",Ewig' ist allein die durch nichts verrückbare Entschiedenheit Gottes, unendlich lange auf das Ja seiner Kreatur zu warten." Mit Dostojewskis Iwan Karamasoff ist Verweyen entschlossen, das "Eintrittsbillet in die ewige Harmonie" zurückzugeben, wenn auch nur einer als für das Himmelreich verloren erklärt wird. Mit diesen Gedanken wendet sich Verweyen wieder der eschatologischen Fragestellung zu, deren Ausfall in "Gottes letztes Wort" beklagt worden war.
Zudem liegen sie ganz in der Fluchtlinie der neutestamentlichen Zeugnisse vom Leben und Sterben Jesu. Im Tod am Kreuz jedoch die vollständigen Konturen des Christus des Glaubens zu sehen ist theologisch nicht ohne Konsequenzen. Der Graben zwischen vorösterlichem Jesus und nachösterlichem Christus ist überwunden und die Auferstehung von einer Zumutung für das neuzeitliche Geschichtsverständnis zu einer religiösen Metapher geworden. Verweyen reicht der mit dem Tod bewährte Vollmachtanspruch Jesu aus, um das Dogma von Chalzedon - Jesus war Mensch und Gott - zu begründen. Nur wenn man auf eine "nachträgliche Legitimation Jesu durch Gott" verzichtet, ist seiner Überzeugung nach der Glaube an die Inkarnation durchgehalten.
Vor allem im zweiten Teil macht sich Verweyen an die Klärung mancher, bei der Abfassung von "Gottes letztes Wort" noch nicht "ausgegorener" Gedanken. Entschiedener als zuvor weist er auf den bescheidenen Anspruch seines Letztbegründungsversuchs hin. Es gehe ihm nicht um die metaphysischen Implikationen der Philosophie Fichtes, sondern lediglich um transzendentallogisch unhintergehbare Kritieren, die im hermeneutischen Prozeß der Aneignung von überlieferten Zeugnissen unabdingbar sind. Verweyen betont in diesem Zusammenhang die rein dienende Funktion der Erstphilosophie als einer "ancilla hermeneuticae".
Ebenfalls fällt auf, wie Verweyen seinen Bildbegriff phänomenologisch ausarbeitet. Bisher litt sein Bildverständnis darunter, daß der Begriff eines reinen Bildes zu eliminieren versucht, was die Metapher des Bilds auszeichnet: daß Materialität Immaterielles aufscheinen lassen kann. Ähnliches gilt für den Zeugnisbegriff, bei dem Verweyen jetzt betont, daß der Tradent seine "ureigene Persönlichkeit mit den für sie charakteristischen Perspektiven ins Spiel" zu bringen hat. Das genuine Zeugnis darf kein "farbloses Fluidum" sein, sondern erreicht sein Ziel nur in einer großen Komplexität von "Farbtönen".
Hansjürgen Verweyen hat mit dieser Monographie den Disput mit den Kollegen vom Fach fortgesetzt. Der Leser wird in die Werkstatt eines Theologen geführt: Formulierungen werden abgewogen, zu kurz greifende Interpretationen der eigenen Thesen zurückgewiesen. Mit großer Sensibilität ringt Verweyen in der Diskussion mit seinen Gesprächspartnern um Kompromißformeln. Besorgt wird man allerdings verfolgen müssen, ob die kritisch Glaubenden, die "weder Zeit noch Lust haben, zunächst einmal Sprachkurse in theologischem Parteichinesisch zu belegen", so lange durchhalten, wie Verweyen sich dies im Vorwort wünscht. Die geäußerten Hoffnungen lassen die berechtigten Ängste durchscheinen. Unmittelbar muß man an Karl Rahners Ausspruch denken: "Meine Vorlesungen gelten als zu schwer. Mein Gott, was soll ich machen. Wenn ich es noch billiger machen würde, wäre es auch nichts." STEFAN ORTH
Hansjürgen Verweyen: "Botschaft eines Toten?". Den Glauben rational verantworten. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1997. 196 S., br., 34,- DM.
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