Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2004Status zwischen Sein und Haben
Im Juli 1959 saß in Moskau das sowjetische Oberhaupt Nikita Chruschtschow neben dem amerikanischen Vizepräsidenten Richard Nixon, ballte seine Faust und grummelte: Njet! Njet! Er soll dann noch laut Ohrenzeugen gesagt haben: "Job twoju babuschku! Was soviel heißt wie: Fick deine Großmutter. Das saß. Wie kam es dazu? Richard Nixon war in jenem Sommermonat nach Moskau gereist, um dort die amerikanische Nationalausstellung zu eröffnen, in der mit einem Schwung die materiellen und technischen Errungenschaften des amerikanischen Volkes gezeigt wurden. Am Abend wurde er in das sowjetische Fernsehen eingeladen und schwelgte dort von sechsundfünfzig Millionen eingeschalteten Fernsehapparaten und einhundertdreiundvierzig Millionen voll aufgedrehten Radios und von einunddreißig Millionen Eigenheimen, die sich die Amerikaner, die glücklichen, leisten könnten. Da platzte Nikita Chruschtschow der Kragen, und er zückte die Großmutter.
Trieb ihn die Angst, der Alain de Botton, bei dem wir diese Anekdote aus dem Kalten Krieg gefunden haben, ein ganzes Buch gewidmet hat: die Statusangst? ("StatusAngst". Aus dem Englischen von Chris Hirte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 332 S., zahlreiche Abbildungen, geb., 19,90 Euro.) Wer nichts besitzt, gilt heute nicht nur als ein armes Schwein, das man bedauern kann, sondern eben und vor allem als ein fauler Hund, der es nicht auf die Habenseite geschafft hat. Das sagt Botton. Und Botton meint: Uns zwickt die Angst um den eigenen Status, sie stichelt uns an, "unser Bestes zu geben". Und das alles vor allem wegen dem leidigen Druck, von den anderen anerkannt oder gar geliebt zu werden. Ein Fall für die galoppierende Lebenswelthilfe. Botton sieht und empfiehlt: Extreme Statusangst ist schlecht, denn sie kann zur Selbstzerstörung führen. Anders gesagt: Zuviel Habenwollen (dicke drin in der großen Anerkennungsgruppe mit dicken Geschäften und dicken Autos und dicken Beziehungen) führt zum Eigenseinverlust (mein dünnes Ich). Zu wenig Statusangst ist auch schlecht, weil der Mensch dann aus dem Wertesystem der Gesellschaft fällt, in der er lebt. Anders gesagt: Zuviel Eigenseinwollen (mein dickes Ich) führt zum Habenverlust (was interessiert mich der dünne Rest der Welt).
In der Mitte zwischen Sein und Haben liegt die Heilung durch den Kleingruppengeist. Ein Korrektiv für die grassierende Statusangst bilden Philosophie, Kunst, Politik, Christentum und Boheme. Die Philosophie: denn sie lehrt uns eine gewisse Misanthropie. Die Kunst: denn sie vermag den Blick auf die Schönheit der alltäglichen und manches Mal eben ärmlichen Dinge des Lebens zu lenken. Die Politik: denn schon Karl Marx hat uns darüber aufgeklärt, daß die herrschenden Ideen doch nur die Ideen der Herrschenden seien. Das Christentum: denn es übt uns ein in die Hinfälligkeit des diesseitigen fahlen Lebens und läßt uns in Demut auf ein besseres jenseitiges Leben hoffen. Die Boheme: denn hier wurde der Künstlertyp frisch frisiert, der dem Reichtum der Bourgeoisie, deren Vorstellungen von Anstand und Moral sowie deren Gleichsetzung von beruflicher Qualifikation und Begabung die kalte Schulter zeigte und Kunst, Empfindsamkeit und Spiel dagegensetzte. Deswegen heißt der letzte Satz des Buches: "Sie haben uns viele überzeugende und tröstende Beispiele dafür geliefert, daß es mehr als einen Königsweg - Juristen - oder Apothekerweg - zum Erfolg gibt."
Das Psychogewitter der Statusangst bietet Botton Gelegenheit zu historischen Abstechern in die weite kapitalistische Welt von Konsum und Kultur, die dann auch bis zu den Statussymbolen der amerikanischen Erfolgsgeschichte in Moskau im Juli 1959 führen. Eine Pause beim Flanieren kann man bei Verständnisgleichungen einlegen. Zum Beispiel: Selbstachtung ist gleich Erfolg geteilt durch Anspruch. Was heißen soll: Tu am besten das, was du kannst oder zu können hoffst, dann wirst du nicht von dir selbst enttäuscht und kannst dir auf die Schulter klopfen. Auch mit kleinen Verständniszeichnungen hilft Botton den Nichtjuristen und Nichtapothekern weiter. Mit schlichten Strichfiguren, die den Mund zum Lachen verziehen oder die Mundwinkel traurig nach unten hängen lassen, möchte er illustrieren, was wir fühlen, zum einen wenn wir in einer Gruppe von Menschen stehen, die gleich groß sind (alle grinsen), und zum anderen wenn wir in einer Gruppe von Menschen stehen, in der nur zwei größer sind (die Großen lachen, die Kleinen sind bekümmert). Diese Gespensterchentruppe aus dem psychosozialen Anschauungsunterricht begegnet uns noch einmal, und zwar in den Auslassungen über das Christentum, wo wir auf den Rat Bottons hin unseren Ärger, kleiner und unbedeutender zu sein als andere, durch die Erkenntnis und die Ehrfurcht darüber bewältigen können, daß Gott noch viel größer ist als wir selbst und als alle anderen (die Gespensterchen verziehen aus Demut ihre Mundwinkel nicht mehr).
Das Buch der Banalitäten hat den Rezensenten gelangweilt und geärgert. Gelangweilt, weil der Autor, gedankenschwach, aber beflissen, mit Geschichten aus dem Nähkästchen der Kultur dicke tut und alles an den dünnen Statushaken hängt, was er beim Herumstöbern fand. Geärgert, weil der Autor sich dabei noch in der Pose eines adretten und umsichtigen Lebensweltberaters gefällt. Weshalb, als der Rezensent mit der Lektüre zu Ende war, er noch für eine Weile mißmutig wie ein Schlechte-Laune-Gespensterchen dreinschaute und ihm die Erkenntnis und die Ehrfurcht darüber, daß Gott noch viel größer ist als wir selbst und als alle anderen, erst einmal auch nicht weiterhalf.
EBERHARD RATHGEB
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Juli 1959 saß in Moskau das sowjetische Oberhaupt Nikita Chruschtschow neben dem amerikanischen Vizepräsidenten Richard Nixon, ballte seine Faust und grummelte: Njet! Njet! Er soll dann noch laut Ohrenzeugen gesagt haben: "Job twoju babuschku! Was soviel heißt wie: Fick deine Großmutter. Das saß. Wie kam es dazu? Richard Nixon war in jenem Sommermonat nach Moskau gereist, um dort die amerikanische Nationalausstellung zu eröffnen, in der mit einem Schwung die materiellen und technischen Errungenschaften des amerikanischen Volkes gezeigt wurden. Am Abend wurde er in das sowjetische Fernsehen eingeladen und schwelgte dort von sechsundfünfzig Millionen eingeschalteten Fernsehapparaten und einhundertdreiundvierzig Millionen voll aufgedrehten Radios und von einunddreißig Millionen Eigenheimen, die sich die Amerikaner, die glücklichen, leisten könnten. Da platzte Nikita Chruschtschow der Kragen, und er zückte die Großmutter.
Trieb ihn die Angst, der Alain de Botton, bei dem wir diese Anekdote aus dem Kalten Krieg gefunden haben, ein ganzes Buch gewidmet hat: die Statusangst? ("StatusAngst". Aus dem Englischen von Chris Hirte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 332 S., zahlreiche Abbildungen, geb., 19,90 Euro.) Wer nichts besitzt, gilt heute nicht nur als ein armes Schwein, das man bedauern kann, sondern eben und vor allem als ein fauler Hund, der es nicht auf die Habenseite geschafft hat. Das sagt Botton. Und Botton meint: Uns zwickt die Angst um den eigenen Status, sie stichelt uns an, "unser Bestes zu geben". Und das alles vor allem wegen dem leidigen Druck, von den anderen anerkannt oder gar geliebt zu werden. Ein Fall für die galoppierende Lebenswelthilfe. Botton sieht und empfiehlt: Extreme Statusangst ist schlecht, denn sie kann zur Selbstzerstörung führen. Anders gesagt: Zuviel Habenwollen (dicke drin in der großen Anerkennungsgruppe mit dicken Geschäften und dicken Autos und dicken Beziehungen) führt zum Eigenseinverlust (mein dünnes Ich). Zu wenig Statusangst ist auch schlecht, weil der Mensch dann aus dem Wertesystem der Gesellschaft fällt, in der er lebt. Anders gesagt: Zuviel Eigenseinwollen (mein dickes Ich) führt zum Habenverlust (was interessiert mich der dünne Rest der Welt).
In der Mitte zwischen Sein und Haben liegt die Heilung durch den Kleingruppengeist. Ein Korrektiv für die grassierende Statusangst bilden Philosophie, Kunst, Politik, Christentum und Boheme. Die Philosophie: denn sie lehrt uns eine gewisse Misanthropie. Die Kunst: denn sie vermag den Blick auf die Schönheit der alltäglichen und manches Mal eben ärmlichen Dinge des Lebens zu lenken. Die Politik: denn schon Karl Marx hat uns darüber aufgeklärt, daß die herrschenden Ideen doch nur die Ideen der Herrschenden seien. Das Christentum: denn es übt uns ein in die Hinfälligkeit des diesseitigen fahlen Lebens und läßt uns in Demut auf ein besseres jenseitiges Leben hoffen. Die Boheme: denn hier wurde der Künstlertyp frisch frisiert, der dem Reichtum der Bourgeoisie, deren Vorstellungen von Anstand und Moral sowie deren Gleichsetzung von beruflicher Qualifikation und Begabung die kalte Schulter zeigte und Kunst, Empfindsamkeit und Spiel dagegensetzte. Deswegen heißt der letzte Satz des Buches: "Sie haben uns viele überzeugende und tröstende Beispiele dafür geliefert, daß es mehr als einen Königsweg - Juristen - oder Apothekerweg - zum Erfolg gibt."
Das Psychogewitter der Statusangst bietet Botton Gelegenheit zu historischen Abstechern in die weite kapitalistische Welt von Konsum und Kultur, die dann auch bis zu den Statussymbolen der amerikanischen Erfolgsgeschichte in Moskau im Juli 1959 führen. Eine Pause beim Flanieren kann man bei Verständnisgleichungen einlegen. Zum Beispiel: Selbstachtung ist gleich Erfolg geteilt durch Anspruch. Was heißen soll: Tu am besten das, was du kannst oder zu können hoffst, dann wirst du nicht von dir selbst enttäuscht und kannst dir auf die Schulter klopfen. Auch mit kleinen Verständniszeichnungen hilft Botton den Nichtjuristen und Nichtapothekern weiter. Mit schlichten Strichfiguren, die den Mund zum Lachen verziehen oder die Mundwinkel traurig nach unten hängen lassen, möchte er illustrieren, was wir fühlen, zum einen wenn wir in einer Gruppe von Menschen stehen, die gleich groß sind (alle grinsen), und zum anderen wenn wir in einer Gruppe von Menschen stehen, in der nur zwei größer sind (die Großen lachen, die Kleinen sind bekümmert). Diese Gespensterchentruppe aus dem psychosozialen Anschauungsunterricht begegnet uns noch einmal, und zwar in den Auslassungen über das Christentum, wo wir auf den Rat Bottons hin unseren Ärger, kleiner und unbedeutender zu sein als andere, durch die Erkenntnis und die Ehrfurcht darüber bewältigen können, daß Gott noch viel größer ist als wir selbst und als alle anderen (die Gespensterchen verziehen aus Demut ihre Mundwinkel nicht mehr).
Das Buch der Banalitäten hat den Rezensenten gelangweilt und geärgert. Gelangweilt, weil der Autor, gedankenschwach, aber beflissen, mit Geschichten aus dem Nähkästchen der Kultur dicke tut und alles an den dünnen Statushaken hängt, was er beim Herumstöbern fand. Geärgert, weil der Autor sich dabei noch in der Pose eines adretten und umsichtigen Lebensweltberaters gefällt. Weshalb, als der Rezensent mit der Lektüre zu Ende war, er noch für eine Weile mißmutig wie ein Schlechte-Laune-Gespensterchen dreinschaute und ihm die Erkenntnis und die Ehrfurcht darüber, daß Gott noch viel größer ist als wir selbst und als alle anderen, erst einmal auch nicht weiterhalf.
EBERHARD RATHGEB
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