Produktdetails
  • Verlag: Haufe-Lexware
  • ISBN-13: 9783448087468
  • ISBN-10: 3448087467
  • Artikelnr.: 23335436
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2008

Kunden, passt bloß auf!
Nivea oder Shiseido? Hans-Georg Häusel erklärt uns, warum wir was kaufen

Hans-Georg Häusel ist Marketingspezialist. Wenn er ein Buch über Marketing schreibt, dann lügt er vermutlich nicht, aber er sucht geschickt aus, welchen Teil der Wahrheit er ausbreitet. Man denke nur an den guten alten Werbespruch "It's toasted" der Lucky-Strike-Zigaretten. Der Tabak war natürlich getoastet. Absolut korrekt. Getoastet war der Tabak von der Konkurrenz aber auch. Als Verfasser des gerade in überarbeiteter Neuauflage erschienenen Buchs "Brain View - Warum Kunden kaufen" will Häusel natürlich auch etwas verkaufen, und er hält sich dabei vermutlich an seine eigenen Erkenntnisse.

Häusel gehört zum Vorstand der Unternehmensberatung "Gruppe Nymphenburg". Schon der Name suggeriert Premiumqualität. Ein wichtiges Werkzeug der Firma ist ein Produkt namens "Limbic Map". Das ist eine Art Landkarte, die beschreibt, was es an unterschiedlichen Typen von Konsumenten gibt. Das limbische System ist ein Teil des Gehirns, und das weist auch schon auf den Ansatz hin: eine Kombination aus Hirnforschung, Psychologie, Soziologie und Philosophie. Um "Limbic Maps" geht es im vorliegenden Buch hauptsächlich. Und für den Leser klingen die Behauptungen des Autors sehr plausibel. Vielleicht sogar etwas zu plausibel. Wer seine Vorurteile über Männer und Frauen, Greise und Teenager, Porsche- und Volkswagen-Fahrer pflegt, der wird sich hier bestätigt finden.

Mehr als siebzig Prozent aller Kaufentscheidungen trifft das Unterbewusstsein. Der Konsument meint vielleicht, dass er rational entscheidet, aber das ist eine Illusion. Deshalb ist es auch nicht möglich, die Geheimnisse des Konsumenten nur mit Befragungen zu entschlüsseln. Das bewusste Ich wählt nicht aus, es ist nur eine Art Regierungssprecher. Ein klassisches Beispiel ist der Fall der braunen Brause, die im Blindversuch schlechter abschneidet als der ewige Zweite. Wenn man den Konsumenten mit einem Gehirnscanner, einem Magnet-Resonanz-Tomographen, durchleuchtet, dann sieht man, dass hinter dem Erfolg von Coca-Cola mehr steckt, als unsere Schulweisheit sich erträumt. Diese Scannermethode war aber bisher noch nicht besonders erfolgreich. Erstens ist eine solche Untersuchung aufwendig und teuer, zweitens sieht man dabei zunächst nur, welche Teile des Gehirns bei einer Stimulation plötzlich mehr Sauerstoff benötigen. Diese Daten muss man dann noch interpretieren.

Konsumenten sind unterschiedlich. Das liegt an der Erziehung und an den Genen, am Alter und am Geschlecht. Ändern kann man daran nicht viel. Man kann nicht mehr tun, als dem richtigen Kunden das richtige Produkt auf die richtige Art zu verkaufen. Dabei laufen vermutlich auch simple darwinistische Prozesse ab. Wer den Geschmack der Konsumenten nicht mehr trifft, wird ein Opfer der natürlichen Auslese. Nach Agfa kommt Canon. Es besteht freilich immer Anlass zur Hoffnung, dass die Einschaltung einer passenden Unternehmensberatung das verhindert. Erst in zwanzig Jahren werden wir genauer wissen, wie gut die "Limbic Maps" von heute waren.

Eine "Limbic Map" beruht auf einer einfachen Grundidee. Die Konsumenten werden mit gewissen Parametern beschrieben. Diese haben sich bei empirischen Untersuchungen als nützlich erwiesen. So wie man jede Farbe in Rot, Grün und Blau zerlegen kann, so gibt es auch hier drei Dimensionen. Bei Farben ist das sinnvoll, weil wir drei Arten von Zapfen auf der Netzhaut haben. Beim Marketing muss man erst einmal glauben, dass drei die richtige Anzahl ist. Zumindest kann man mit drei Parametern beeindruckende Powerpoint-Folien erstellen. Im Falle der "Limbic Maps" verwendet man die Parameter Macht, Anregung und Sicherheit. Dazu kommen wie bei den Farben noch einfache Mischungen. Häusel und seine Gefolgsleute teilen die Konsumenten in sieben Gruppen ein: Abenteurer (drei Prozent), Hedonisten (elf Prozent), Genießer (dreizehn Prozent), Harmoniser (zweiunddreißig Prozent), Traditionalisten (vierundzwanzig Prozent), Disziplinierte (zehn Prozent) und Performer (sechs Prozent). Eigentlich müssten es ja von der Logik der Sache her sechs Gruppen sein, aber hier siegt der Pragmatismus. Die Prozentzahlen beschreiben die Gesamtheit der deutschen Konsumenten. Sie ändern sich, wenn man nach Alter, Geschlecht, Herkunftsland und so weiter differenziert. Außerdem sind die Gruppen natürlich unterschiedlich kaufkräftig. Der machtgeile Performer verdient mehr als der faule Genießer. Zusätzlich kommt es auch noch auf die Intensität an. Es gibt die "gleichgültig-phlegmatischen" Konsumenten, die zwar prinzipiell auch in das Schema passen, denen aber alles herzlich egal ist. Die erreicht man sowieso nicht mit Marketing.

Der Trick besteht nun darin, dass man auch Produkte, Produktgruppen oder Marken auf der "Limbic Map" lokalisiert. Ein paar Beispiele aus dem Buch dürften das verdeutlichen. Der Traditionalist geht zu Aldi. Der Hedonist interessiert sich für Mode, der Performer fährt Porsche und kauft teuren Wein, weil er mit seinen Kenntnissen angeben will. In Wirklichkeit ist alles nicht ganz so simpel. Das System ist natürlich so kompliziert, dass es nicht reicht, sich für dreißig Euro ein Buch zu kaufen. Man benötigt selbstredend gutbezahlte Teams von Spezialisten, um davon wirklich zu profitieren.

Der Inhalt des Buchs geht aber durchaus über die "Limbic Map" hinaus. Wir erfahren allgemeiner, wie Kaufentscheidungen im Gehirn entstehen und wie der Verkäufer von diesem Wissen profitieren kann. Zum Beispiel sind unsere Gehirne nicht symmetrisch. Auch wenn es Ernst Jandl bezweifelt hat, man kann und darf rechts und links einfach nicht verwechseln. Wir lassen mehr Geld im Supermarkt, wenn wir uns im Gegenuhrzeigersinn bewegen.

Das alles hat auch eine moralische Komponente. Die Verkäufer wollen uns Konsumenten möglichst viel Geld aus der Tasche ziehen. Der Handel ist keine soziale Anstalt. Andererseits herrscht Waffengleichheit. Wir Konsumenten dürfen das Buch auch lesen. Und letzten Endes gilt das Prinzip, uns das, was wir haben wollen, auch zu liefern, ob uns das nun jetzt bewusst ist oder nicht. Der Traditionalist bekommt Nivea, die Genießerin eine zehnmal so teure Creme. Auch Placebos können ihr Geld wert sein. Etwas wie den Wettstreit von Marlboro und Camel können wir fasziniert betrachten wie einen Hahnenkampf. Raucherhusten bekommen wir so oder so, egal wer gewinnt.

Das Buch ist gut gemacht und interessant. Manchmal blitzt sogar eine klitzekleine Bosheit auf, zum Beispiel wenn man nebenbei erfährt, dass der klassische Impulskäufer weit überproportional auf den Suchtstationen der Krankenhäuser zu finden ist.

ERNST HORST

Hans-Georg Häusel: "Brain View". Warum Kunden kaufen. Rudolf Haufe Verlag, Planegg 2008. 264 S., Abb., geb., 29,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Welche Rolle spielen Emotionen bei Kaufentscheidungen von Konsumenten? Der Neuromarketingexperte Hans-Georg Häusel beleuchtet in der Neuauflage des Buches 'Brain View' den Einfluss von Emotionen und räumt mir dem Mythos des 'rationalen Kunden' auf." --new business

"Das Buch ist gut gemacht und interessant. Manchmal blitzt sogar eine klitzekleine Bosheit auf, zum Beispiel wenn man nebenbei erfährt, dass der klassische Impulskäufer weit überproportional auf den Suchtstationen der Krankenhäuser zu finden ist." -- Frankfurter Allgemeine

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gut gemachtes Buch, findet Ernst Horst. Interessant denkt er sich die Lektüre nicht nur für Marktstrategen. Was der Marketingprofi Hans-Georg Häusel über "Brain-Maps" (hier: "Limbic-Map") und dergleichen verkaufsfördernde Maßnahmen zu sagen hat, macht für ihn nämlich zweierlei deutlich: "Der Handel ist keine soziale Anstalt" und mitunter spannend "wie ein Hahnenkampf". Dass dem Leser die Ausführungen des Autors "plausibel" vor allem darum erscheinen dürften, weil sie Vorurteile bestätigen, wie Horst vermutet, ist ein andere Sache. Ebenso der Umstand, dass es zu schwunghaftem Handel mehr braucht als dieses Buch.

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