EIN HOCH SPANNENDER, AUF WAHREN BEGEBENHEITEN BERUHENDER ROMAN UM POLIZEIGEWALT, RASSISMUS UND DEN AMERIKANISCHEN ALBTRAUM.Als die Polizei einen unbewaffneten schwarzen Teenager erschießt, brechen in Los Angeles Unruhen aus, die Erinnerungen an den Fall Rodney King wachrufen. Inmitten dieser aufgeheizten Atmosphäre müssen sich zwei Familien ihrer Vergangenheit stellen. Grace Park, 27, arbeitet in der familieneigenen Apotheke, ihre aus Korea eingewanderten Eltern haben ihr immer ein behütetes Leben geboten. Doch dann erfährt Grace, dass ihre Mutter vor dreißig Jahren Ava Matthews erschoss - sie hatte die junge Schwarze fälschlicherweise für eine Ladendiebin gehalten und kam vor Gericht mit einem sehr milden Urteil davon. Shawn Matthews, Avas Bruder, hat Politik und Protest inzwischen abgeschworen, doch die aktuellen Ereignisse brechen alte Wunden auf. Als ein weiteres schockierendes Verbrechen die Stadt erschüttert, wird Shawn mit der Frage konfrontiert, ob wirklich alle in seinerFamilie ihre Dämonen im Griff haben ...
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Martin Eimermacher nimmt aktuelle amerikanische Diskurse im Hintergrund wahr in Steph Chas Roman, der ein reales Tötungsdelikt aus den frühen 90ern in Los Angeles zur Vorlage hat, wie er erklärt. Es geht um den Mord an einer jungen Schwarzen, über den die Autorin vermittelt durch die Geschichte des Bruders des Opfers und der Tochter der Täterin erzählt, so der Rezensent. Leider verrät der deutsche Klappentext diese Zusammenhänge, beklagt er. Wie der Roman die Themen Schuld, Gerechtigkeit, Familie, Verantwortung behandelt, findet Eimermacher gleichwohl unterhaltsam.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2020Rassismus und Wut
Krimis in Kürze: Heinrich Steinfest, Steph Cha und Steven Uhly
Mit der Welt ist etwas passiert. Es hat nur keiner gemerkt. Außer dem allwissenden Erzähler in "Der Chauffeur" (Piper, 360 S., geb., 22,- [Euro]), dem neuen Roman von Heinrich Steinfest. Gesehen haben die Leute nur, wie Laika, die russische Weltraumhündin, nach zweiundsechzig Jahren samt Raumkapsel auf einer Wiese in Süddeutschland landete. Ungealtert, unbeschädigt. Ein frühreifes Zwillingspaar war Zeuge. Ein Kriminalfall liegt da natürlich nicht vor, wie es überhaupt im ganzen Roman keinen übermäßigen Ermittlungszwang gibt. Das ist nichts Neues bei Steinfest, der den einarmigen Detektiv Cheng erfunden hat.
Hier heißt der Protagonist Paul Klee - und er muss all die Fragen und den Spott aushalten, die einem mit diesem Namen zufliegen, der keinerlei künstlerische Begabung hat. Klee war Chauffeur eines Politikers, nun ist er, nach einem Unfall und hoher Abfindung, gemeinsam mit einer Frau namens Inoue Sander Besitzer eines ganz besonderen Hotels. In Gestalt eines Gastes, eines ehemaligen Kommissars, schleicht sich so etwas wie ein Fall in die Geschichte. Als der Kommissar dann verschwunden ist, fühlt Klee sich verpflichtet, ihn aufzuspüren.
Mitunter denkt man, der Roman käme leicht auch ohne dieses Gerüst aus. Klees Idiosynkrasien sind unterhaltsam genug, sein "Weltklassefrühstück", seine Weigerung, in der Hotelbar Cocktails zu mischen; aber auch die Land-Art-Versuche der Zwillinge und die Umkehr der Evolution im Hintergrund der Geschichte erzeugen genug Farbe. Vorgetragen in diesem typischen, leicht umständlichen Steinfest-Ton, der beharrlich den naheliegenden und abgenutzten Sprachbildern ausweicht, ist "Der Chauffeur" ein Buch, für das nicht der Weg, sondern der Umweg das Ziel ist.
Dagegen ist "Brandsätze" (Ars Vivendi, 336 S., geb., 22,- [Euro]) von Steph Cha ein Buch der Konfrontation. Es geht zurück auf einen realen Fall aus dem Jahr 1991, als eine koreanische Ladenbesitzerin in Los Angeles einem sechzehnjährigen afroamerikanischen Mädchen von hinten in den Kopf schoss. Eine Haftstrafe blieb ihr erspart. Die Urteilsverkündung fiel in die Zeit im April 1992, als vier Polizisten, die den Afroamerikaner Rodney King misshandelt hatten, freigesprochen wurden und Teile von Los Angeles brannten.
Cha, Tochter koreanischer Einwanderer, hat diesem Schuss ein fiktionales Echo gegeben. Im Sommer 2019 wird die Koreanerin, die unter anderem Namen im Großraum Los Angeles lebt, angeschossen. Von einem Afroamerikaner. Quälend genau, nüchtern, ohne Parteinahme, in aller Widersprüchlichkeit lässt Cha die Perspektiven aufeinanderprallen: der Angehörigen des ermordeten Mädchens und der beiden Töchter der Schützin, von denen eine erst nach dem Gegenschuss erfährt, was ihre Mutter getan hat. Cha schildert zwei Welten: die angepasst-unauffällige Koreatown-Existenz und die Kontakte mit Gangs, Polizei und Knast auf der anderen Seite.
Es ist ein Buch über Rassismus und Wut, Verstocktheit, Verantwortung und Vergebung, und seine literarische Überzeugungskraft liegt darin, dass es in diesem psychischen und moralischen Labyrinth nie so tut, als sei es im Besitz der Wahrheit. Für alle in diese Geschichte Verstrickten geht es darum, "wie sie mit dem, was sie wussten, leben sollten".
Ein interessanter Versuch, den Erzählroutinen des Kriminalromans zu entkommen, ist das neue Buch von Steven Uhly. "Finsternis" (Secession, 190 S., geb., 20,- [Euro]) besteht aus zwölf Gesprächen eines Polizisten mit einer Therapeutin. Abid Malik ist nicht freiwillig da, und er ist nicht immer kooperativ. So kommt die Geschichte des Falls, der dem jungen Polizisten psychisch zusetzt, auf unkonventionelle, ungeordnete Weise zur Sprache, bis es auch die Therapeutin tiefer hineinzieht, als das Lehrbuch vorsieht.
Uhly lässt aus der Selbstbeschränkung, die das dialogische Erzählen mit sich bringt, durchaus Spannung entstehen, es gibt Abschweifungen und einige überraschende Twists. Nur bei der Auflösung, bei der psychosexuellen Erklärung dessen, was passiert ist, überdehnt der Roman die Grenzen des Plausiblen dann doch ein wenig. Was kein Einwand ist gegen sein Experiment mit der Form.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Heinrich Steinfest, Steph Cha und Steven Uhly
Mit der Welt ist etwas passiert. Es hat nur keiner gemerkt. Außer dem allwissenden Erzähler in "Der Chauffeur" (Piper, 360 S., geb., 22,- [Euro]), dem neuen Roman von Heinrich Steinfest. Gesehen haben die Leute nur, wie Laika, die russische Weltraumhündin, nach zweiundsechzig Jahren samt Raumkapsel auf einer Wiese in Süddeutschland landete. Ungealtert, unbeschädigt. Ein frühreifes Zwillingspaar war Zeuge. Ein Kriminalfall liegt da natürlich nicht vor, wie es überhaupt im ganzen Roman keinen übermäßigen Ermittlungszwang gibt. Das ist nichts Neues bei Steinfest, der den einarmigen Detektiv Cheng erfunden hat.
Hier heißt der Protagonist Paul Klee - und er muss all die Fragen und den Spott aushalten, die einem mit diesem Namen zufliegen, der keinerlei künstlerische Begabung hat. Klee war Chauffeur eines Politikers, nun ist er, nach einem Unfall und hoher Abfindung, gemeinsam mit einer Frau namens Inoue Sander Besitzer eines ganz besonderen Hotels. In Gestalt eines Gastes, eines ehemaligen Kommissars, schleicht sich so etwas wie ein Fall in die Geschichte. Als der Kommissar dann verschwunden ist, fühlt Klee sich verpflichtet, ihn aufzuspüren.
Mitunter denkt man, der Roman käme leicht auch ohne dieses Gerüst aus. Klees Idiosynkrasien sind unterhaltsam genug, sein "Weltklassefrühstück", seine Weigerung, in der Hotelbar Cocktails zu mischen; aber auch die Land-Art-Versuche der Zwillinge und die Umkehr der Evolution im Hintergrund der Geschichte erzeugen genug Farbe. Vorgetragen in diesem typischen, leicht umständlichen Steinfest-Ton, der beharrlich den naheliegenden und abgenutzten Sprachbildern ausweicht, ist "Der Chauffeur" ein Buch, für das nicht der Weg, sondern der Umweg das Ziel ist.
Dagegen ist "Brandsätze" (Ars Vivendi, 336 S., geb., 22,- [Euro]) von Steph Cha ein Buch der Konfrontation. Es geht zurück auf einen realen Fall aus dem Jahr 1991, als eine koreanische Ladenbesitzerin in Los Angeles einem sechzehnjährigen afroamerikanischen Mädchen von hinten in den Kopf schoss. Eine Haftstrafe blieb ihr erspart. Die Urteilsverkündung fiel in die Zeit im April 1992, als vier Polizisten, die den Afroamerikaner Rodney King misshandelt hatten, freigesprochen wurden und Teile von Los Angeles brannten.
Cha, Tochter koreanischer Einwanderer, hat diesem Schuss ein fiktionales Echo gegeben. Im Sommer 2019 wird die Koreanerin, die unter anderem Namen im Großraum Los Angeles lebt, angeschossen. Von einem Afroamerikaner. Quälend genau, nüchtern, ohne Parteinahme, in aller Widersprüchlichkeit lässt Cha die Perspektiven aufeinanderprallen: der Angehörigen des ermordeten Mädchens und der beiden Töchter der Schützin, von denen eine erst nach dem Gegenschuss erfährt, was ihre Mutter getan hat. Cha schildert zwei Welten: die angepasst-unauffällige Koreatown-Existenz und die Kontakte mit Gangs, Polizei und Knast auf der anderen Seite.
Es ist ein Buch über Rassismus und Wut, Verstocktheit, Verantwortung und Vergebung, und seine literarische Überzeugungskraft liegt darin, dass es in diesem psychischen und moralischen Labyrinth nie so tut, als sei es im Besitz der Wahrheit. Für alle in diese Geschichte Verstrickten geht es darum, "wie sie mit dem, was sie wussten, leben sollten".
Ein interessanter Versuch, den Erzählroutinen des Kriminalromans zu entkommen, ist das neue Buch von Steven Uhly. "Finsternis" (Secession, 190 S., geb., 20,- [Euro]) besteht aus zwölf Gesprächen eines Polizisten mit einer Therapeutin. Abid Malik ist nicht freiwillig da, und er ist nicht immer kooperativ. So kommt die Geschichte des Falls, der dem jungen Polizisten psychisch zusetzt, auf unkonventionelle, ungeordnete Weise zur Sprache, bis es auch die Therapeutin tiefer hineinzieht, als das Lehrbuch vorsieht.
Uhly lässt aus der Selbstbeschränkung, die das dialogische Erzählen mit sich bringt, durchaus Spannung entstehen, es gibt Abschweifungen und einige überraschende Twists. Nur bei der Auflösung, bei der psychosexuellen Erklärung dessen, was passiert ist, überdehnt der Roman die Grenzen des Plausiblen dann doch ein wenig. Was kein Einwand ist gegen sein Experiment mit der Form.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Pageturner um Mord, Reue und Vergebung aus dem hitzigen Los Angeles, wo der amerikanische Traum der Einwanderer zu Amerikas rassistischem Albtraum verblutet. Steph Cha hat ein berührendes und erkenntnisreiches Buch über zwei schicksalhaft miteinander verbundene Familien und Los Angeles' Geschichte der Gewalt geschrieben. »Cha aber bringt eine neue, spannende ethnische Perspektive ein, in der keine Seite die gesellschaftliche Macht über die Deutungshoheit der Ereignisse hat.« CulturMag »[Der Roman] ist komplex, durchdacht, die Familiengeschichten geschickt verzahnt.« Frankfurter Rundschau »Ein großer, finsterer Roman.« Spiegel Online »Steph Cha wirft mit ihrem Debüt "Brandsätze" einen entlarvenden Blick auf die amerikanische Geschichte der Gewalt.« - Günter Grosser Berliner Zeitung »Zwar ist die Wut über die Tat spürbar, doch geht es der Autorin vor allem um Ausgewogenheit. Die Figuren, ihre Motive, ihre Gefühle beschreibt sie ohne Gewichtung, ohne Sentimentalität. Herausgekommen ist dabei eines der wichtigsten und beeindruckendsten Bücher des Jahres über Rassismus und Hass und deren Auswirkungen auf Einzelpersonen wie Gesellschaft.« - Kirsten Reimers Büchermagazin »ein brisanter und hochaktueller Kriminalroman aus den USA.« »Mit bemerkenswertem Gespür für die Atmosphäre in Los Angeles, die komplexen Beziehungen innerhalb beider Familien und die vielfältigen Diskriminierungseben zeichnet Cha ein hoch spannendes Porträt des Lebens schwarzer sowie koreanischer Familien in den USA.« »Cha vermeidet einfache Schuldzuweisungen und Kausalitäten und bleibt inmitten der großen gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen perspektivisch und erzählerisch nah bei den Familien.« - Sonja Hartl Deutschlandfunk »Näher als mit diesem Roman kann man der amerikanischen Gegenwart derzeit nicht kommen. Steph Cha hat mit »Brandsätze« das Buch der Stunde geschrieben.« »Wie diese mit ihrem Schicksal umgehen und mit der Frage von Schuld und Sühne hadern, das fängt die Autorin großartig ein.« »hier ist hochaktuelle und grandiose Literatur auf Höhe der Zeit zu entdecken. Unbedingt anschaffen!« - Marius Müller ekz Bibliotheksservice »dieses Buch hat mich nachhaltig beeindruckt.« »Cha erzählt voller Empathie und vor allem klischeefrei aus deren Leben, von der schwelenden Wut und dem Hass, von Furcht und Unterdrückung, vom Schweigen, das schwer lastet. Dabei ergreift sie nie Partei und weist zu keinem Zeitpunkt Schuld zu, sondern gibt beiden Familien eine Stimme.« Leserstimme »Steph Chas scharfsinniger, analytischer Kriminalroman« »Dennoch verweigert sich die Erzählerin der Möglichkeit, hier einfach einen bluttriefenden Roman zur aktuellen politischen Situation zu erzählen. Ihre Schilderung ist verwickelter und verwundener, entfernt sich immer wieder von den Handelnden und hält auf die Kulissen« »Es sind solche Details, die dem Buch eine Schärfe und Überzeugungskraft geben, die es weit über anteilnehmende und wohl recherchierte Berichte von der Peripherie der Gesellschaft hinausheben.« - Catrin Lorch Süddeutsche Zeitung