"Brasilien ist nichts als ein grandioser Roman. Fabelhaft spannend, fabelhaft schön, fabelhaft schlimm und fabelhaft lustig. Ein wahres Konfekt, weil kein Mensch satt wird davon." (Süddeutsche Zeitung)
Tristão, ein schwarzer Junge aus den Slums, und die weiße Diplomatentochter Isabel verlieben sich am Strand von Copacabana. Auf der Flucht vor ihren entsetzten Familien stürzen sie sich in immer exotischere und sinnlichere Abenteuer. Eine beunruhigende Liebesgeschichte, ein Abenteuerroman mit magischen Zügen und bisweilen auch ein ironisch gebrochener Kolportageroman. Aber vor allem: eine Feier der Liebe, der Unschuld, der Treue. Also - ein Märchen?
Tristão, ein schwarzer Junge aus den Slums, und die weiße Diplomatentochter Isabel verlieben sich am Strand von Copacabana. Auf der Flucht vor ihren entsetzten Familien stürzen sie sich in immer exotischere und sinnlichere Abenteuer. Eine beunruhigende Liebesgeschichte, ein Abenteuerroman mit magischen Zügen und bisweilen auch ein ironisch gebrochener Kolportageroman. Aber vor allem: eine Feier der Liebe, der Unschuld, der Treue. Also - ein Märchen?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.1996Tristan in Brasilien
John Updike flüchtet nach Lateinamerika · Von Hans Scherer
Gegen den jüngsten Roman von John Updike, "Brasilien", läßt sich gewiß manches vorbringen. Aber man liest das Buch mit Spannung von Anfang bis Ende und bewundert den alten Hexenmeister, wie er es immer wieder schafft, aus einer Lächerlichkeit an Stoff ein fesselndes Buch zu machen. Erst auf der allerletzten Seite, nach der Lektüre von Updikes "Nachbemerkung", fällt der Leser dann mit einem Plumps auf die Erde zurück. Denn dort nennt Updike fünf Bücher über Tropisches und Brasilianisches, die ihm beim Schreiben des Romans geholfen haben, obwohl das Buch, auch bei wohlwollendster Betrachtung, nicht mehr ist als eine literarische Fingerübung. Um der Sache eine gehörige Portion Großartigkeit zu verleihen, führt Updike auch noch "Le roman de Tristan et Iseut" von Joseph Bédiers an, der "für Tonfall und Grundsituation" seines Buches bestimmend gewesen sei.
Die junge Isabel, Angehörige der wei-ßen brasilianischen Oberschicht, trifft am Strand der Copacabana in Rio de Janeiro den jungen schwarzen Tristao aus einer der vielen Slumstädte am Berghang, und die beiden verlieben sich ineinander. Das ist, genaugenommen, schon die ganze Geschichte. Updike entfesselt nun den gesamten Bühnenapparat seiner Romane, die Niederungen des Alltags und die Höhen der Liebe, das Vulgäre und das Unschuldige, das Märchenhafte und das Banale. Mal ist es der immer auch praktisch denkende Tristao, der die ungleiche Verbindung vorantreibt, mal die trotz ihrer elfenhaften Schönheit leicht träge, sinnliche Isabel.
Um dem Sog der Armut in Rio zu entgehen, vor allem aber auch der feindlichen Haltung seiner Mutter und ihrer Familie gegenüber ihrer Liebe, fliehen sie nach Sao Paulo. Dort werden sie eingeholt von den Pistolenmännern im grauen Anzug, die ihr Vater, der in Brasilia eine hohe Stellung hat, ihnen geschickt hat. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich dem Zwang zu beugen. Isabel fliegt nach Brasilia, wo sie zwei Jahre die Universität besucht. So lange dauert es, bis Tristao aus Sao Paulo fliehen kann, sich bis Brasilia durchschlägt und die Geliebte wiederfindet.
Jetzt fliehen sie in den wilden Westen Brasiliens. Er wird Goldschürfer, sie arbeitet offiziell in einem Schönheitssalon, ist also eine Prostituierte. Während der Goldminenzeit bekommt sie zwei Kinder. Tristao kann kaum glauben, daß er der Vater sein soll. Er ist nicht der Vater. Auch hier werden sie schließlich aufgespürt von den Pistolenmännern. Tristao bringt einen von ihnen um. Sie müssen wieder fliehen. Unterwegs werden sie von Indianern überfallen, die ihre Kinder entführen. Sie selbst werden gerettet von einer fundamentalistischen Sekte. Der schwarze Tristao wird Sklave, die weiße Isabel eine Nebenfrau des Anführers. Ihre Liebe wird langsam schal. Erst nach ihrer Begegnung mit einem Schamanen ereignet sich ein zweites Wunder, wenn ihre Liebe denn das erste Wunder war: Isabel wird eine Schwarze, Tristao ein Weißer, und ihre Liebe entflammt wie am ersten Tag.
Das Paar kehrt nach Brasilia zurück, wo Isabels Vater, der kurz darauf stirbt, ihre veränderte Hautfarbe gar nicht bemerkt. Die Zeichen stehen auf Versöhnung. Die Verbindungen des Vaters verschaffen ihm eine gute Stellung in Sao Paulo. Die beiden leben jetzt als brave Angehörige des brasilianischen Mittelstandes mit allen dazugehörigen Statussymbolen. Ein Besuch in Rio mit einem Wiedersehen all der Orte ihrer ersten Begegnung hat schicksalhafte Bedeutung. Am Strand der Copacabana wird Tristao in einer melancholischen Nacht von einer Bande schwarzer Jugendlicher - die so sind, wie Tristao einst war - umgebracht, weil er weiß und reich ist.
John Updike ist nach wie vor ein Meister in der phantasievollen Beschreibung weiblicher und männlicher Geschlechtsteile. Da er den Sex stets als mythologische Verbrämung der Weltgeschichte schildert, bringt er das Kunststück fertig, auch die drastischsten Schweinereien als Bildungserlebnis darzustellen. Im Alter scheint der Drang dazu bei ihm noch stärker geworden zu sein. Es ist eine verzeihliche Eigenheit, die nicht der Erwähnung wert wäre, wenn Updike sie so komisch nähme, wie sie ist. Man muß aber befürchten, daß er das alles ernst nimmt. Im Klappentext ist von einem bisweilen auch "ironisch gebrochenen Kolportageroman" die Rede. Kolportageroman stimmt. Aber nach der ironischen Brechung sucht man vergebens.
Warum verlegt Updike die Geschichte nach Brasilien, obwohl er von Brasilien offenbar nicht mehr kennt als ein Tourist? Er brauchte einfach ein exotisches Land, ein Land, dem man Märchen und Magie zutraut. So gesehen, ist die Konstruktion der Geschichte reichlich plump und gewaltsam. Mehr noch, das Buch führt weg von den Problemen der Gegenwart - die Geschichte spielt zur doppelten Absicherung in den sechziger und siebziger Jahren -, und vor allem führt es gezielt weg von den Problemen der Vereinigten Staaten. Als gebe es dort nicht den Gegensatz zwischen Arm und Reich, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Liebe und Alltag.
Alle feinsinnigen Zitate und Motti, Shakespeare und Whitman, zeigen doch nur an, wie sehr hier einer bemüht war, seine Bildung vorzuführen und aus einem kleinen Roman doch noch einen großen zu machen. Aber es ist ihm nicht gelungen.
John Updike: "Brasilien". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1996. 318 Seiten, geb., 42,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
John Updike flüchtet nach Lateinamerika · Von Hans Scherer
Gegen den jüngsten Roman von John Updike, "Brasilien", läßt sich gewiß manches vorbringen. Aber man liest das Buch mit Spannung von Anfang bis Ende und bewundert den alten Hexenmeister, wie er es immer wieder schafft, aus einer Lächerlichkeit an Stoff ein fesselndes Buch zu machen. Erst auf der allerletzten Seite, nach der Lektüre von Updikes "Nachbemerkung", fällt der Leser dann mit einem Plumps auf die Erde zurück. Denn dort nennt Updike fünf Bücher über Tropisches und Brasilianisches, die ihm beim Schreiben des Romans geholfen haben, obwohl das Buch, auch bei wohlwollendster Betrachtung, nicht mehr ist als eine literarische Fingerübung. Um der Sache eine gehörige Portion Großartigkeit zu verleihen, führt Updike auch noch "Le roman de Tristan et Iseut" von Joseph Bédiers an, der "für Tonfall und Grundsituation" seines Buches bestimmend gewesen sei.
Die junge Isabel, Angehörige der wei-ßen brasilianischen Oberschicht, trifft am Strand der Copacabana in Rio de Janeiro den jungen schwarzen Tristao aus einer der vielen Slumstädte am Berghang, und die beiden verlieben sich ineinander. Das ist, genaugenommen, schon die ganze Geschichte. Updike entfesselt nun den gesamten Bühnenapparat seiner Romane, die Niederungen des Alltags und die Höhen der Liebe, das Vulgäre und das Unschuldige, das Märchenhafte und das Banale. Mal ist es der immer auch praktisch denkende Tristao, der die ungleiche Verbindung vorantreibt, mal die trotz ihrer elfenhaften Schönheit leicht träge, sinnliche Isabel.
Um dem Sog der Armut in Rio zu entgehen, vor allem aber auch der feindlichen Haltung seiner Mutter und ihrer Familie gegenüber ihrer Liebe, fliehen sie nach Sao Paulo. Dort werden sie eingeholt von den Pistolenmännern im grauen Anzug, die ihr Vater, der in Brasilia eine hohe Stellung hat, ihnen geschickt hat. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich dem Zwang zu beugen. Isabel fliegt nach Brasilia, wo sie zwei Jahre die Universität besucht. So lange dauert es, bis Tristao aus Sao Paulo fliehen kann, sich bis Brasilia durchschlägt und die Geliebte wiederfindet.
Jetzt fliehen sie in den wilden Westen Brasiliens. Er wird Goldschürfer, sie arbeitet offiziell in einem Schönheitssalon, ist also eine Prostituierte. Während der Goldminenzeit bekommt sie zwei Kinder. Tristao kann kaum glauben, daß er der Vater sein soll. Er ist nicht der Vater. Auch hier werden sie schließlich aufgespürt von den Pistolenmännern. Tristao bringt einen von ihnen um. Sie müssen wieder fliehen. Unterwegs werden sie von Indianern überfallen, die ihre Kinder entführen. Sie selbst werden gerettet von einer fundamentalistischen Sekte. Der schwarze Tristao wird Sklave, die weiße Isabel eine Nebenfrau des Anführers. Ihre Liebe wird langsam schal. Erst nach ihrer Begegnung mit einem Schamanen ereignet sich ein zweites Wunder, wenn ihre Liebe denn das erste Wunder war: Isabel wird eine Schwarze, Tristao ein Weißer, und ihre Liebe entflammt wie am ersten Tag.
Das Paar kehrt nach Brasilia zurück, wo Isabels Vater, der kurz darauf stirbt, ihre veränderte Hautfarbe gar nicht bemerkt. Die Zeichen stehen auf Versöhnung. Die Verbindungen des Vaters verschaffen ihm eine gute Stellung in Sao Paulo. Die beiden leben jetzt als brave Angehörige des brasilianischen Mittelstandes mit allen dazugehörigen Statussymbolen. Ein Besuch in Rio mit einem Wiedersehen all der Orte ihrer ersten Begegnung hat schicksalhafte Bedeutung. Am Strand der Copacabana wird Tristao in einer melancholischen Nacht von einer Bande schwarzer Jugendlicher - die so sind, wie Tristao einst war - umgebracht, weil er weiß und reich ist.
John Updike ist nach wie vor ein Meister in der phantasievollen Beschreibung weiblicher und männlicher Geschlechtsteile. Da er den Sex stets als mythologische Verbrämung der Weltgeschichte schildert, bringt er das Kunststück fertig, auch die drastischsten Schweinereien als Bildungserlebnis darzustellen. Im Alter scheint der Drang dazu bei ihm noch stärker geworden zu sein. Es ist eine verzeihliche Eigenheit, die nicht der Erwähnung wert wäre, wenn Updike sie so komisch nähme, wie sie ist. Man muß aber befürchten, daß er das alles ernst nimmt. Im Klappentext ist von einem bisweilen auch "ironisch gebrochenen Kolportageroman" die Rede. Kolportageroman stimmt. Aber nach der ironischen Brechung sucht man vergebens.
Warum verlegt Updike die Geschichte nach Brasilien, obwohl er von Brasilien offenbar nicht mehr kennt als ein Tourist? Er brauchte einfach ein exotisches Land, ein Land, dem man Märchen und Magie zutraut. So gesehen, ist die Konstruktion der Geschichte reichlich plump und gewaltsam. Mehr noch, das Buch führt weg von den Problemen der Gegenwart - die Geschichte spielt zur doppelten Absicherung in den sechziger und siebziger Jahren -, und vor allem führt es gezielt weg von den Problemen der Vereinigten Staaten. Als gebe es dort nicht den Gegensatz zwischen Arm und Reich, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Liebe und Alltag.
Alle feinsinnigen Zitate und Motti, Shakespeare und Whitman, zeigen doch nur an, wie sehr hier einer bemüht war, seine Bildung vorzuführen und aus einem kleinen Roman doch noch einen großen zu machen. Aber es ist ihm nicht gelungen.
John Updike: "Brasilien". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, Reinbek 1996. 318 Seiten, geb., 42,- DM.
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Brasilien ist nichts als ein grandioser Roman. Fabelhaft spannend, fabelhaft schön, fabelhaft schlimm und fabelhaft lustig. Ein wahres Konfekt, weil kein Mensch satt wird davon. Süddeutsche Zeitung