Die Civitates waren und sind noch immer ein einzigartiges Unterfangen, das uns einen umfassenden Einblick in das Stadtleben zu Beginn des 17. Jahrhunderts gewährt. TASCHENs Nachdruck beinhaltet alle Stadtansichten, ausgewählte Auszüge aus Brauns Schriften über die Geschichte und zeitgenössische Bedeutung der urbanen Zentren sowie Übersetzungen der lateinischen Angaben in den Kartuschen der Tafeln. Ein umfassender Kommentar zur kartographischen, kultur- und kunsthistorischen Einordnung, zu Vorlagen, späteren Ausgaben sowie weiterführende Literaturhinweise werden zu jeder Stadt angegeben. Eine kulturhistorische Einführung zur Stellung von Braun/Hogenbergs Städtebuch in der zeitgenössischen Kartographie und Buchkunst rundet diese Edition ab. Von Rom über Mexiko City bis nach Jerusalem - dieses Buch lässt Sie in die Vergangenheit zahlreicher Städte eintauchen und sie aufs Neue entdecken.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2008Als schaue der Herrgott selbst auf die Welt
"Civitates Orbis Terrarum" lüftete den Vorhang über der Welt. Ein Nachdruck gewährt nun noch einmal diesen Blick.
Von Freddy Langer
Die Zusammenarbeit hätte schiefgehen können: hier Georg Braun, katholischer Theologe zu Köln, dort Franz Hogenberg, Kupferstecher, Kartograph und Protestant aus den Niederlanden. Prallten hier nicht zwei Weltsichten aufeinander, was umso störender hätte sein können, als es den beiden um nicht weniger zu tun war, als die Sicht auf die Welt zu revolutionieren? Mit knappen Texten und großartigen Bildern wollten sie mit geradezu enzyklopädischem Eifer darstellen, wo und wie Menschen leben - kein unbedingt neuer Gedanke, aber wohl grandioser umgesetzt als je zuvor. Der Erfolg gab ihnen recht. Schon der erste Band ihres Mappenwerks "Civitates Orbis Terrarum" erlebte acht Auflagen - fünf weitere Bände würden folgen. Allesamt kleine Kunstwerke, allesamt bibliophile Kostbarkeiten, allesamt von einem kaum überschaubaren Kundenkreis des aufsteigenden Bürgertums begeistert aufgenommen, auf Deutsch, Französisch und in Latein. All dies geschehen in den Jahren 1572 bis 1617.
Der Globus war damals längst umrundet, die Welt zum großen Teil entdeckt. Vermessen indes war sie noch nicht bis in die letzten Winkel. Vermessen war deshalb das Vorhaben, die bedeutenden Städte Europas und die großen Orte des Orients sowie der Neuen Welt in einer Exaktheit darzustellen, dass ein Fremder sich mit diesen Plänen durch die Straßen hätte bewegen können, als sei er dort zu Hause.
Das war neu. Keine hundert Jahre zuvor hatte sich Hartmann Schedel mit seiner "Weltchronik" nicht gescheut, eine idealisierte Skizze Heraklions in ein und demselben Werk als Mainz, Aquileia und Lyon sowie Bologna und Neapel zu bezeichnen. Mit Stadtmauer und Dom, breitem Fluss und hohem Berg, so meinte wohl der Meister, würde diese Ansicht jeder Stadt von Bedeutung gerecht. Dass aber die Abbildung Magdeburgs auch für die Darstellung von Paris herhalten musste, konnte auf Dauer nicht gutgehen. Sebastian Münster machte es im Jahr 1544 in seiner "Cosmographia" schon besser. Doch wie es Braun und Hogenberg gelungen ist, die französische Hauptstadt so akkurat zu zeigen, dass man meint, sie haben ein Satellitenbild abgepaust, zählt bis heute zu den großen Wundern. Türme gab es dort keine, der Ballonflug war noch nicht erfunden, und doch verstanden es die beiden, den Blick von oben einzunehmen, als schaue der Herrgott selbst auf die Welt. "Und er sah, dass es gut war", möchte man anfügen.
Man kann sich verlaufen in diesen Darstellungen, die der Taschen Verlag nun in exakter Wiedergabe, wenngleich nicht als Faksimile, in einem sechseinhalb Kilo schweren, riesigformatigen Buch gebündelt hat. Es ist eine Einladung zum Flanieren - gleichermaßen durch die Welt wie durch die Ideengeschichte. Dafür sorgt die Einführung Stephan Füssels, Direktor des Instituts für Buchwissenschaften an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und dort Inhaber des Gutenberg-Lehrstuhls. Im Historischen Museum in Frankfurt fand er einen vollständigen Satz aller Karten und Stadtansichten von Braun und Hogenberg. Doch mit seinen Studenten suchte er darüber hinaus nach den Geschichten und Quellen, die für die weit mehr als fünfhundert Stadtansichten als Vorlage dienten, sowie nach den Zuarbeitern, die Braun mit Erscheinen des zweiten Bands überall auf der Welt suchte. "Wer aber seine Vaterstadt oder seine Geburtsstadt in diesen beiden ersten Büchern nicht findet, so möchte ich doch freundlich auffordern, dass er diese nach dem Leben abmalen und mir zusenden solle", schrieb er in einem Begleitext. Vom "kunstfertigen Franz Hogenberg" würde er sie dann "artig reißen lassen". Hogenberg freilich konnte und wollte sich darauf allein nicht verlassen, sondern kupferte, buchstäblich, hier Gewänder, dort Fahrgeräte ab, nutzte den Vordergrund bisweilen für religiöse Motive oder allegorische Darstellungen und gab sich alle Mühe, vor präzis gezeichneten Festungsmauern einige Menschen als Staffage zu plazieren - in der aberwitzigen Hoffnung, das Bilderverbot des Islam würde es den türkischen Heerführern auf diese Weise unmöglich machen, im Falle eines Angriffs diese Stadtpläne zu studieren.
Der größere Angriff freilich kam von anderer Seite. Im Dreißigjährigen Krieg wurde vieles von dem verwüstet, was sich hier prächtig in die Landschaft ausdehnt und dem Himmel entgegenstreckt. So führt die Reise dieses Buchs oft genug in eine Zeit, die schon kurz nach Erscheinen des Werks eine verlorene war - und uns heute umso reiner erscheint. Schwer zu glauben ist deshalb, was Braun über Wismar zu berichten weiß: "Ein Zimmermann . . . hat ein Beil ergriffen, ist nach Hause gelaufen und hat dort seine eigenen Kinder in der Mitte durchgeschlagen und auch in die schwangere Mutter mit erbärmlichen Gebrüll hineingeschlagen." Die Abbildung der Stadtsilhouette ist trotzdem ganz bezaubernd.
"Städte der Welt - Civitates Orbis Terrarum" von Georg Braun und Franz Hogenberg. Herausgegeben und eingeleitet von Stephan Füssel. Taschen Verlag, Köln 2008. 504 Seiten, 564 Stadtansichten. Großformat, gebunden, 150 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Civitates Orbis Terrarum" lüftete den Vorhang über der Welt. Ein Nachdruck gewährt nun noch einmal diesen Blick.
Von Freddy Langer
Die Zusammenarbeit hätte schiefgehen können: hier Georg Braun, katholischer Theologe zu Köln, dort Franz Hogenberg, Kupferstecher, Kartograph und Protestant aus den Niederlanden. Prallten hier nicht zwei Weltsichten aufeinander, was umso störender hätte sein können, als es den beiden um nicht weniger zu tun war, als die Sicht auf die Welt zu revolutionieren? Mit knappen Texten und großartigen Bildern wollten sie mit geradezu enzyklopädischem Eifer darstellen, wo und wie Menschen leben - kein unbedingt neuer Gedanke, aber wohl grandioser umgesetzt als je zuvor. Der Erfolg gab ihnen recht. Schon der erste Band ihres Mappenwerks "Civitates Orbis Terrarum" erlebte acht Auflagen - fünf weitere Bände würden folgen. Allesamt kleine Kunstwerke, allesamt bibliophile Kostbarkeiten, allesamt von einem kaum überschaubaren Kundenkreis des aufsteigenden Bürgertums begeistert aufgenommen, auf Deutsch, Französisch und in Latein. All dies geschehen in den Jahren 1572 bis 1617.
Der Globus war damals längst umrundet, die Welt zum großen Teil entdeckt. Vermessen indes war sie noch nicht bis in die letzten Winkel. Vermessen war deshalb das Vorhaben, die bedeutenden Städte Europas und die großen Orte des Orients sowie der Neuen Welt in einer Exaktheit darzustellen, dass ein Fremder sich mit diesen Plänen durch die Straßen hätte bewegen können, als sei er dort zu Hause.
Das war neu. Keine hundert Jahre zuvor hatte sich Hartmann Schedel mit seiner "Weltchronik" nicht gescheut, eine idealisierte Skizze Heraklions in ein und demselben Werk als Mainz, Aquileia und Lyon sowie Bologna und Neapel zu bezeichnen. Mit Stadtmauer und Dom, breitem Fluss und hohem Berg, so meinte wohl der Meister, würde diese Ansicht jeder Stadt von Bedeutung gerecht. Dass aber die Abbildung Magdeburgs auch für die Darstellung von Paris herhalten musste, konnte auf Dauer nicht gutgehen. Sebastian Münster machte es im Jahr 1544 in seiner "Cosmographia" schon besser. Doch wie es Braun und Hogenberg gelungen ist, die französische Hauptstadt so akkurat zu zeigen, dass man meint, sie haben ein Satellitenbild abgepaust, zählt bis heute zu den großen Wundern. Türme gab es dort keine, der Ballonflug war noch nicht erfunden, und doch verstanden es die beiden, den Blick von oben einzunehmen, als schaue der Herrgott selbst auf die Welt. "Und er sah, dass es gut war", möchte man anfügen.
Man kann sich verlaufen in diesen Darstellungen, die der Taschen Verlag nun in exakter Wiedergabe, wenngleich nicht als Faksimile, in einem sechseinhalb Kilo schweren, riesigformatigen Buch gebündelt hat. Es ist eine Einladung zum Flanieren - gleichermaßen durch die Welt wie durch die Ideengeschichte. Dafür sorgt die Einführung Stephan Füssels, Direktor des Instituts für Buchwissenschaften an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und dort Inhaber des Gutenberg-Lehrstuhls. Im Historischen Museum in Frankfurt fand er einen vollständigen Satz aller Karten und Stadtansichten von Braun und Hogenberg. Doch mit seinen Studenten suchte er darüber hinaus nach den Geschichten und Quellen, die für die weit mehr als fünfhundert Stadtansichten als Vorlage dienten, sowie nach den Zuarbeitern, die Braun mit Erscheinen des zweiten Bands überall auf der Welt suchte. "Wer aber seine Vaterstadt oder seine Geburtsstadt in diesen beiden ersten Büchern nicht findet, so möchte ich doch freundlich auffordern, dass er diese nach dem Leben abmalen und mir zusenden solle", schrieb er in einem Begleitext. Vom "kunstfertigen Franz Hogenberg" würde er sie dann "artig reißen lassen". Hogenberg freilich konnte und wollte sich darauf allein nicht verlassen, sondern kupferte, buchstäblich, hier Gewänder, dort Fahrgeräte ab, nutzte den Vordergrund bisweilen für religiöse Motive oder allegorische Darstellungen und gab sich alle Mühe, vor präzis gezeichneten Festungsmauern einige Menschen als Staffage zu plazieren - in der aberwitzigen Hoffnung, das Bilderverbot des Islam würde es den türkischen Heerführern auf diese Weise unmöglich machen, im Falle eines Angriffs diese Stadtpläne zu studieren.
Der größere Angriff freilich kam von anderer Seite. Im Dreißigjährigen Krieg wurde vieles von dem verwüstet, was sich hier prächtig in die Landschaft ausdehnt und dem Himmel entgegenstreckt. So führt die Reise dieses Buchs oft genug in eine Zeit, die schon kurz nach Erscheinen des Werks eine verlorene war - und uns heute umso reiner erscheint. Schwer zu glauben ist deshalb, was Braun über Wismar zu berichten weiß: "Ein Zimmermann . . . hat ein Beil ergriffen, ist nach Hause gelaufen und hat dort seine eigenen Kinder in der Mitte durchgeschlagen und auch in die schwangere Mutter mit erbärmlichen Gebrüll hineingeschlagen." Die Abbildung der Stadtsilhouette ist trotzdem ganz bezaubernd.
"Städte der Welt - Civitates Orbis Terrarum" von Georg Braun und Franz Hogenberg. Herausgegeben und eingeleitet von Stephan Füssel. Taschen Verlag, Köln 2008. 504 Seiten, 564 Stadtansichten. Großformat, gebunden, 150 Euro.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.02.2009Als Ortschaften noch fest umgürtet waren: Stadtansichten aus der Zeit um 1600
Wo wollen wir spazieren gehen: in Moskau, Nördlingen oder in Lissabon, in Algier, Gmunden oder Jerusalem, am Ufer des Bosporus, im Vulkandampf der Phlegräischen Felder oder im längst nicht mehr existierenden grandiosen Terrassengarten von St. Germain en Laye? Ein gewaltiger Band mit den Neudrucken von 564 in Kupfer gestochenen und kolorierten Stadtansichten aus der Zeit um 1600 lädt ein zu einer Weltreise der abenteuerlichsten Art, zu einem Seminar über die Stadtbaukunst der späten Renaissance, zu Exkursionen in eine Zeit, in der Städte noch wehrhaft geschlossen waren, also mit ihren Mauern direkt vor den Feldern oder an der Kante des Wassers endeten, nicht breiig an den Straßen entlang in die Ebenen hinaus zerliefen oder unkontrolliert die Talhänge hochschwappten. Lediglich die Spitzen der stadtinternen Erhebungen waren durch Burgen markant besetzt. Aber sonst beherrschten die Türme der Kirchen und die Giebel der Rathäuser das Weichbild der Ortschaften (Georg Braun, Franz Hogenberg: Civitates Orbis Terrarum. Städte der Welt. Hrsg. v. Stephan Füssel. Taschen Verlag 2008, 520 Seiten, 120 Euro).
Woher die Stecher, die zwischen 1572 und 1617 für Georg Braun und Franz Hogenberg die Druckplatten herstellten, ihre Kenntnisse vom Aussehen der Städte und Örtlichkeiten hatten, ist weitgehend bekannt; wo aber die Zeichner und Vedutisten, auf die sich die Stecher beriefen – Georg Hoefnagel ist wohl der bedeutendste unter ihnen – ihre teilweise verblüffend lebendigen Vorstellungen von fernliegenden Stadttopographien herhatten, bleibt ein Geheimnis. Nur wenige der Ansichten dürften an Ort und Stelle skizziert worden sein; bei allen anderen waren die Zeichner auf spärliche Vorlagen aus früherer Zeit oder gar auf verbale Beschreibungen angewiesen. Je schwieriger ein Ort zu erreichen war, je weiter er entfernt war, desto phantastischer sah das aus, was sich die Vedutisten aus den Andeutungen zusammenreimten. So wird aus Mexiko Stadt eine Art Klein-Venedig im Bergsee mit seltsamen künstlichen Wohninseln. Und in Jerusalem sind die vielen biblischen Stätten brav nebeneinander auf der angenommenen Fläche verteilt.
Dort, wo eine Stadt von hügeliger Landschaft umgeben ist, haben die Zeichner gerne von einem leicht erhöhten Standpunkt aus die Stadtkulisse in die Hügel hineinprojiziert. Wo aber die umgebende flache Landschaft keinen malerischen Hintergrund abgab und die Zeichner zudem genaue Vorstellungen oder gar Maße von den Quartieren innerhalb der Mauern hatten – wie in Köln, wo das Kupferstichwerk zusammengestellt worden ist –, haben sie einen Standpunkt hoch über der Stadt bezogen und aus dieser Perspektive präzise, als Stadtpläne taugliche Luftansichten angefertigt. Die Ansicht von Köln (Bild oben) dürfte eine der maßstäblich vollkommensten sein. Der Zirkel der mittelalterlichen Kirchen entlang dem Befestigungsring, von St. Kunibert im Norden (links) über St. Gereon, St. Aposteln, St. Pantaleon bis St. Severin im Süden, ist gut zu erkennen. Und auch vom ehemaligen Hafentreiben am Ufer gegenüber von Deutz bekommt man einen Eindruck. (Abbildung: Historisches Museum Frankfurt/Taschen).
Man kann also anhand dieses Buches eine lehrreiche Weltreise machen. Doch um diese Reise unbeschwert genießen zu können, müsste man eigentlich ein stabiles Lesepult haben, auf dem der Band Platz hat. GOTTFRIED KNAPP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Wo wollen wir spazieren gehen: in Moskau, Nördlingen oder in Lissabon, in Algier, Gmunden oder Jerusalem, am Ufer des Bosporus, im Vulkandampf der Phlegräischen Felder oder im längst nicht mehr existierenden grandiosen Terrassengarten von St. Germain en Laye? Ein gewaltiger Band mit den Neudrucken von 564 in Kupfer gestochenen und kolorierten Stadtansichten aus der Zeit um 1600 lädt ein zu einer Weltreise der abenteuerlichsten Art, zu einem Seminar über die Stadtbaukunst der späten Renaissance, zu Exkursionen in eine Zeit, in der Städte noch wehrhaft geschlossen waren, also mit ihren Mauern direkt vor den Feldern oder an der Kante des Wassers endeten, nicht breiig an den Straßen entlang in die Ebenen hinaus zerliefen oder unkontrolliert die Talhänge hochschwappten. Lediglich die Spitzen der stadtinternen Erhebungen waren durch Burgen markant besetzt. Aber sonst beherrschten die Türme der Kirchen und die Giebel der Rathäuser das Weichbild der Ortschaften (Georg Braun, Franz Hogenberg: Civitates Orbis Terrarum. Städte der Welt. Hrsg. v. Stephan Füssel. Taschen Verlag 2008, 520 Seiten, 120 Euro).
Woher die Stecher, die zwischen 1572 und 1617 für Georg Braun und Franz Hogenberg die Druckplatten herstellten, ihre Kenntnisse vom Aussehen der Städte und Örtlichkeiten hatten, ist weitgehend bekannt; wo aber die Zeichner und Vedutisten, auf die sich die Stecher beriefen – Georg Hoefnagel ist wohl der bedeutendste unter ihnen – ihre teilweise verblüffend lebendigen Vorstellungen von fernliegenden Stadttopographien herhatten, bleibt ein Geheimnis. Nur wenige der Ansichten dürften an Ort und Stelle skizziert worden sein; bei allen anderen waren die Zeichner auf spärliche Vorlagen aus früherer Zeit oder gar auf verbale Beschreibungen angewiesen. Je schwieriger ein Ort zu erreichen war, je weiter er entfernt war, desto phantastischer sah das aus, was sich die Vedutisten aus den Andeutungen zusammenreimten. So wird aus Mexiko Stadt eine Art Klein-Venedig im Bergsee mit seltsamen künstlichen Wohninseln. Und in Jerusalem sind die vielen biblischen Stätten brav nebeneinander auf der angenommenen Fläche verteilt.
Dort, wo eine Stadt von hügeliger Landschaft umgeben ist, haben die Zeichner gerne von einem leicht erhöhten Standpunkt aus die Stadtkulisse in die Hügel hineinprojiziert. Wo aber die umgebende flache Landschaft keinen malerischen Hintergrund abgab und die Zeichner zudem genaue Vorstellungen oder gar Maße von den Quartieren innerhalb der Mauern hatten – wie in Köln, wo das Kupferstichwerk zusammengestellt worden ist –, haben sie einen Standpunkt hoch über der Stadt bezogen und aus dieser Perspektive präzise, als Stadtpläne taugliche Luftansichten angefertigt. Die Ansicht von Köln (Bild oben) dürfte eine der maßstäblich vollkommensten sein. Der Zirkel der mittelalterlichen Kirchen entlang dem Befestigungsring, von St. Kunibert im Norden (links) über St. Gereon, St. Aposteln, St. Pantaleon bis St. Severin im Süden, ist gut zu erkennen. Und auch vom ehemaligen Hafentreiben am Ufer gegenüber von Deutz bekommt man einen Eindruck. (Abbildung: Historisches Museum Frankfurt/Taschen).
Man kann also anhand dieses Buches eine lehrreiche Weltreise machen. Doch um diese Reise unbeschwert genießen zu können, müsste man eigentlich ein stabiles Lesepult haben, auf dem der Band Platz hat. GOTTFRIED KNAPP
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Christian Thomas ist hingerissen von diesem Nachdruck des zwischen 1572 bis 1618 erschienenen Werks "Städte der Welt", der umfangreichsten Sammlung von Stadtansichten der frühen Neuzeit, die der Theologe Georg Braun und der Kupferstecher Franz Hogenberg seinerzeit ediert haben. Er bewundert die Qualität des auf einer exzellent erhaltenen Originalausgabe basierenden Nachdrucks, der auf 363 Tafeln 564 Stadtansichten bietet, und lobt das instruktive Vorwort des Herausgebers Stephan Füssel, Direktor des Instituts für Buchwissenschaften der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Als "so atemberaubend wie maßstabsgetreu" würdigt er die Abbildungen von Städten Europas, Asiens, Amerikas und Afrikas aus der Vogelperspektive. Schon das macht "Städte der Welt" nach Ansicht von Thomas zu einem "Weltwunder, heute noch". Er hält dieses kartografische und kulturhistorische Kompendium aber noch aus einem anderen Grund für "einzigartig", zeigt es doch die Städte Deutschlands, wie sie vor dem Dreißigjährigen Krieg existierten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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