Während noch der Wiener Kongreß tagt, verdunkelt die Vulkanasche des Mount Tambora auf Java den Himmel auch über Europa, brennen im Sächsischen Scheunen und Ställe. Der Müller Johann Friedrich Braun wird der Brandstiftung verdächtigt. Doch es ist schließlich der Häusler Christian Sporn, der im Jahr 1822 durch das Schwert stirbt. - Im Jahr darauf wird auf dem Marktplatz in Schwarzenberg das Todesurteil gegen einen Tagelöhner vollstreckt, der, wie Woyzeck, seine Geliebte mit einem Rasiermesser getötet hat.
Volker Braun hat anhand von historischen Quellen zwei Geschichten im Ton der Zeit nacherzählt, Geschichten von Rache und Mord, von Vergeltung und Strafe, beängstigende und aufrüttelnde Parabeln über Macht und Ohnmacht, Schicksal und Gesellschaft. Der Zeichner Joachim John hat die Erzählungen auf eindringliche Weise illustriert.
Volker Braun hat anhand von historischen Quellen zwei Geschichten im Ton der Zeit nacherzählt, Geschichten von Rache und Mord, von Vergeltung und Strafe, beängstigende und aufrüttelnde Parabeln über Macht und Ohnmacht, Schicksal und Gesellschaft. Der Zeichner Joachim John hat die Erzählungen auf eindringliche Weise illustriert.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Braun ist ein Schatzgräber", schreibt Harald Hartung und meint: Seine Qualitäten liegen in der Bergung von historischen Geschichten in kurzen Erzählformen. Das Besondere hier: Die Sprache ist wie von Büchner - eine "verfremdete Mimikry ans Historische", die aber keineswegs distanzierende Wirkung hat, im Gegenteil. In der Geschichte vom Brandstifter Sporn, der auf dem Schafott stirbt, werde Brauns "Solidarität mit den Erniedrigten und Beleidigten" deutlich spürbar, auch wenn er überhaupt nicht räsonierend eingreife. Erzählerische Mittel, Gegenstand und Intention befinden sich in bester Übereinstimmung, findet unser Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004Republik Schwarzenberg
Volker Braun ist sein eigener Bergarbeiter / Von Harald Hartung
Manchmal schafft die Historie Fakten, die wie Fiktionen wirken. So als wolle sie einen besonders ausgepichten Stoff für die Literatur liefern - eine Versuchsanordnung neben der Geschichte oder gar ein Stück Utopie. Der erzgebirgische Kreis Schwarzenberg gibt dafür ein Exempel. 1945 genügte ein Mißverständnis zwischen alliierten Stäben, ein Machtvakuum zwischen Ost und West zu schaffen: Schwarzenberg blieb im Mai und Juni 1945 für 42 Tage unbesetzt. In diesem Niemandsland versuchte sich ein aus örtlichen Antifaschisten zusammengesetzter Aktionsausschuß an der Entnazifizierung und am Aufbau einer provisorischen Verwaltung. Dann machte der Einzug der Roten Armee dem Experiment ein Ende.
War Schwarzenberg die kurze Erfüllung einer sozialistischen Utopie? Oder ein Lehrstück für den gräßlichen Fatalismus der Geschichte? Die Realität ist über die Frage hinweggegangen. Bleibt die Literatur, bleibt ein faszinierender Stoff. 1984 hat Stefan Heym daraus einen historischen Tendenzroman gemacht. Sein "Schwarzenberg" - das leicht kolportagehafte Denkspiel über eine freiheitlich-sozialistische Republik - plädierte für einen deutschen Sonderweg zwischen den damaligen Machtblöcken und konnte zunächst nur in der Bundesrepublik erscheinen.
Heute, zwanzig Jahre später und in einer völlig verwandelten historischen Situation, nimmt Volker Braun das Schwarzenberg-Motiv wieder auf. Sein Ausgangspunkt ist die Erkenntnis: "Diese Geschichte ist gelaufen und vorbei; und es bleibt, um dabeizusein, davon zu erzählen." Erzählen heißt hier nicht malen, sondern zeichnen: weglassen. Nicht der Roman, die Kurzprosa ist Brauns Medium. Einer der Texte - "Aufgeschobene Heimkehr" - trägt die Ergänzung: "Nach Hebel". Wir lesen eine Kontrafaktur zu dessen "Unverhofftem Wiedersehen"; auch zu dem berühmten zeitraffenden Einschub. Hier von den Atombomben auf Japan bis zum Zusammensturz des World Trade Center, von der Mondlandung bis zum Schaf Dolly.
Von Hebel übernimmt Braun auch das Bergwerkmotiv. "Das bergmännische Verfahren", sagt er, "ist das der Literatur gemäße." So kommt er, mit einem Seitenblick auf Franz Fühmanns unvollendetes Bergroman-Projekt, zur Geschichte vom schwarzen Berg, zu den Stichwörtern Wismut, Pechblende, Uranerz - somit zur weltpolitischen Implikation der Sache. Die eigentliche Geschichte von der kurzlebigen Republik Schwarzenberg erzählt Braun zweimal. "Das unbesetzte Gebiet" ist ein längeres episches Gedankenspiel mit signifikanten Lebensläufen und Nachzeichnung der politischen Geschehnisse. Im zweiten Teil des Bandes folgt die Reduktion zur erwähnten Kalendergeschichte - als wolle der Autor von der gescheiterten Utopie wenigstens die Geschichte selbst retten.
Das ist mehr als begreiflich. Denn die politischen Schlüsse, die aus "Das unbesetzte Gebiet" zu ziehen wären, geben zu konkreter Hoffnung wenig Anlaß. Schon früh erkennen die Schwarzenberger Genossen, daß sie zwar die Macht in Händen haben, doch den Hunger nicht beseitigen können. "Kommt, besetzt uns!" ist ihre rettungsuchende Maxime. Doch als die Russen kommen, müssen sie erfahren, daß die Fabrik, die sie ihnen übergeben wollen, demontiert wird.
"Das muß ich schreiben und nicht erleben", schaltet sich der Autor ein. Und dieser ohnmächtige Einwurf steht gleichsam über seinem ganzen Text. Doch Volker Braun wäre nicht er selbst, wenn er bei der Resignation stehenbliebe. Die kleinste Restmenge Hoffnung genügt ihm, sein Erzählen zu tragen. Einmal heißt es: "Denn es ist jetzt mein eignes Gebiet, das unbesetzt ist, von den Truppen der Doktrin und des Glaubens, und nur Hoffnung vielleicht siedelt, die uns betrügt und weiterträgt." Man sollte das "betrügt" nicht überlesen. Es zeigt nicht bloß Brauns Skepsis und seinen Selbstzweifel, sondern es erklärt auch den Impuls, seine fast unverwüstliche Hoffnung an immer neuen Beispielen zu überprüfen.
Worauf diese Hoffnung hinauswill, zeigt der Text "Handel und Wandel". Dort wird mit Blick auf die aktuelle Situation in den neuen Ländern der Gedanke ventiliert, "ob sich Staatswesen nicht alle Jubeljahre umwälzen sollten, damit sie auf eine neue Basis gestellt würden". Hier grenzt Braun sich gegen Stefan Heym ab. Dessen Fiktion einer freien Republik Schwarzenberg sei eine "schlichte, wahrhafte Utopie" gewesen. Die eigene "Fiktion des Wechsels der Zeiten" dagegen sei eine "unglaublich komplizierte". Freilich verweist er die erträumte bewegliche Gesellschaft, die zwischen "Aufsichtsräten und Räterepubliken" frei oszilliert, in einen "grandiosen Zukunftsroman" und bekennt: "Ich kann ihn nicht schreiben."
Muß er auch nicht. Denn seine Qualitäten als Erzähler liegen nicht im Futurismus, sondern im bergmännischen Verfahren. Braun ist ein Schatzgräber. Das zeigt das Insel-Bändchen mit seinen zwei Erzählungen. "Nach Büchner" könnte über ihnen stehen. Die kürzere heißt denn auch "Ein anderer Woyzeck". Es handelt sich um den Bericht von einem erzgebirgischen Tagelöhner, der 1821 sein Mädchen erstach. Faszinierender noch und ebenfalls in Büchners Duktus geschrieben ist "Der berüchtigte Christian Sporn". In dem Bericht von dem Fronhäusler Sporn, der wegen Brandstiftung aufs Schafott kommt, ist das Geschehen so dicht gefügt, daß der Text ganz ohne Räsonnement und Spekulation auskommt. Trotzdem oder gerade deshalb wird Brauns Solidarität mit den Erniedrigten und Beleidigten spürbar. Brauns verfremdete Mimikry ans Historische schwächt sein Engagement durchaus nicht. Sein Chronikstil, der das Sächsische sparsam und effektvoll zugleich einsetzt, ist dem Erzählten angemessen. Es rechnet mit dem kritischen wie genußfähigen Leser.
Der eine oder andere dieser Leser mag auch zu den Aufsätzen des Leipziger Germanisten Klaus Schuhmann greifen, die aus persönlicher Nähe "Wege zu und mit Volker Brauns literarischem Werk" suchen. Diese Arbeiten aus manchen Jahren bringen freilich manche Verteidigung, die sich erledigt hat oder heute anders gefaßt werden müßte. Vielleicht ist es ebendie sympathische Empathie, die den Interpreten hinter den Autor zurückfallen läßt. Doch das ist eine andere Geschichte.
Volker Braun: "Das unbesetzte Gebiet". Im schwarzen Berg. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 131 S., geb., 16,80 [Euro].
Volker Braun: "Der berüchtigte Christian Sporn. Ein anderer Woyzeck". Zwei Erzählungen. Mit Illustrationen von Joachim John. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2004. 72 S., geb., 11,80 [Euro].
Klaus Schuhmann: "Ich bin der Braun, den ihr kritisiert". Wege zu und mit Volker Brauns literarischem Werk. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2004. 242 S., br., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Volker Braun ist sein eigener Bergarbeiter / Von Harald Hartung
Manchmal schafft die Historie Fakten, die wie Fiktionen wirken. So als wolle sie einen besonders ausgepichten Stoff für die Literatur liefern - eine Versuchsanordnung neben der Geschichte oder gar ein Stück Utopie. Der erzgebirgische Kreis Schwarzenberg gibt dafür ein Exempel. 1945 genügte ein Mißverständnis zwischen alliierten Stäben, ein Machtvakuum zwischen Ost und West zu schaffen: Schwarzenberg blieb im Mai und Juni 1945 für 42 Tage unbesetzt. In diesem Niemandsland versuchte sich ein aus örtlichen Antifaschisten zusammengesetzter Aktionsausschuß an der Entnazifizierung und am Aufbau einer provisorischen Verwaltung. Dann machte der Einzug der Roten Armee dem Experiment ein Ende.
War Schwarzenberg die kurze Erfüllung einer sozialistischen Utopie? Oder ein Lehrstück für den gräßlichen Fatalismus der Geschichte? Die Realität ist über die Frage hinweggegangen. Bleibt die Literatur, bleibt ein faszinierender Stoff. 1984 hat Stefan Heym daraus einen historischen Tendenzroman gemacht. Sein "Schwarzenberg" - das leicht kolportagehafte Denkspiel über eine freiheitlich-sozialistische Republik - plädierte für einen deutschen Sonderweg zwischen den damaligen Machtblöcken und konnte zunächst nur in der Bundesrepublik erscheinen.
Heute, zwanzig Jahre später und in einer völlig verwandelten historischen Situation, nimmt Volker Braun das Schwarzenberg-Motiv wieder auf. Sein Ausgangspunkt ist die Erkenntnis: "Diese Geschichte ist gelaufen und vorbei; und es bleibt, um dabeizusein, davon zu erzählen." Erzählen heißt hier nicht malen, sondern zeichnen: weglassen. Nicht der Roman, die Kurzprosa ist Brauns Medium. Einer der Texte - "Aufgeschobene Heimkehr" - trägt die Ergänzung: "Nach Hebel". Wir lesen eine Kontrafaktur zu dessen "Unverhofftem Wiedersehen"; auch zu dem berühmten zeitraffenden Einschub. Hier von den Atombomben auf Japan bis zum Zusammensturz des World Trade Center, von der Mondlandung bis zum Schaf Dolly.
Von Hebel übernimmt Braun auch das Bergwerkmotiv. "Das bergmännische Verfahren", sagt er, "ist das der Literatur gemäße." So kommt er, mit einem Seitenblick auf Franz Fühmanns unvollendetes Bergroman-Projekt, zur Geschichte vom schwarzen Berg, zu den Stichwörtern Wismut, Pechblende, Uranerz - somit zur weltpolitischen Implikation der Sache. Die eigentliche Geschichte von der kurzlebigen Republik Schwarzenberg erzählt Braun zweimal. "Das unbesetzte Gebiet" ist ein längeres episches Gedankenspiel mit signifikanten Lebensläufen und Nachzeichnung der politischen Geschehnisse. Im zweiten Teil des Bandes folgt die Reduktion zur erwähnten Kalendergeschichte - als wolle der Autor von der gescheiterten Utopie wenigstens die Geschichte selbst retten.
Das ist mehr als begreiflich. Denn die politischen Schlüsse, die aus "Das unbesetzte Gebiet" zu ziehen wären, geben zu konkreter Hoffnung wenig Anlaß. Schon früh erkennen die Schwarzenberger Genossen, daß sie zwar die Macht in Händen haben, doch den Hunger nicht beseitigen können. "Kommt, besetzt uns!" ist ihre rettungsuchende Maxime. Doch als die Russen kommen, müssen sie erfahren, daß die Fabrik, die sie ihnen übergeben wollen, demontiert wird.
"Das muß ich schreiben und nicht erleben", schaltet sich der Autor ein. Und dieser ohnmächtige Einwurf steht gleichsam über seinem ganzen Text. Doch Volker Braun wäre nicht er selbst, wenn er bei der Resignation stehenbliebe. Die kleinste Restmenge Hoffnung genügt ihm, sein Erzählen zu tragen. Einmal heißt es: "Denn es ist jetzt mein eignes Gebiet, das unbesetzt ist, von den Truppen der Doktrin und des Glaubens, und nur Hoffnung vielleicht siedelt, die uns betrügt und weiterträgt." Man sollte das "betrügt" nicht überlesen. Es zeigt nicht bloß Brauns Skepsis und seinen Selbstzweifel, sondern es erklärt auch den Impuls, seine fast unverwüstliche Hoffnung an immer neuen Beispielen zu überprüfen.
Worauf diese Hoffnung hinauswill, zeigt der Text "Handel und Wandel". Dort wird mit Blick auf die aktuelle Situation in den neuen Ländern der Gedanke ventiliert, "ob sich Staatswesen nicht alle Jubeljahre umwälzen sollten, damit sie auf eine neue Basis gestellt würden". Hier grenzt Braun sich gegen Stefan Heym ab. Dessen Fiktion einer freien Republik Schwarzenberg sei eine "schlichte, wahrhafte Utopie" gewesen. Die eigene "Fiktion des Wechsels der Zeiten" dagegen sei eine "unglaublich komplizierte". Freilich verweist er die erträumte bewegliche Gesellschaft, die zwischen "Aufsichtsräten und Räterepubliken" frei oszilliert, in einen "grandiosen Zukunftsroman" und bekennt: "Ich kann ihn nicht schreiben."
Muß er auch nicht. Denn seine Qualitäten als Erzähler liegen nicht im Futurismus, sondern im bergmännischen Verfahren. Braun ist ein Schatzgräber. Das zeigt das Insel-Bändchen mit seinen zwei Erzählungen. "Nach Büchner" könnte über ihnen stehen. Die kürzere heißt denn auch "Ein anderer Woyzeck". Es handelt sich um den Bericht von einem erzgebirgischen Tagelöhner, der 1821 sein Mädchen erstach. Faszinierender noch und ebenfalls in Büchners Duktus geschrieben ist "Der berüchtigte Christian Sporn". In dem Bericht von dem Fronhäusler Sporn, der wegen Brandstiftung aufs Schafott kommt, ist das Geschehen so dicht gefügt, daß der Text ganz ohne Räsonnement und Spekulation auskommt. Trotzdem oder gerade deshalb wird Brauns Solidarität mit den Erniedrigten und Beleidigten spürbar. Brauns verfremdete Mimikry ans Historische schwächt sein Engagement durchaus nicht. Sein Chronikstil, der das Sächsische sparsam und effektvoll zugleich einsetzt, ist dem Erzählten angemessen. Es rechnet mit dem kritischen wie genußfähigen Leser.
Der eine oder andere dieser Leser mag auch zu den Aufsätzen des Leipziger Germanisten Klaus Schuhmann greifen, die aus persönlicher Nähe "Wege zu und mit Volker Brauns literarischem Werk" suchen. Diese Arbeiten aus manchen Jahren bringen freilich manche Verteidigung, die sich erledigt hat oder heute anders gefaßt werden müßte. Vielleicht ist es ebendie sympathische Empathie, die den Interpreten hinter den Autor zurückfallen läßt. Doch das ist eine andere Geschichte.
Volker Braun: "Das unbesetzte Gebiet". Im schwarzen Berg. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 131 S., geb., 16,80 [Euro].
Volker Braun: "Der berüchtigte Christian Sporn. Ein anderer Woyzeck". Zwei Erzählungen. Mit Illustrationen von Joachim John. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2004. 72 S., geb., 11,80 [Euro].
Klaus Schuhmann: "Ich bin der Braun, den ihr kritisiert". Wege zu und mit Volker Brauns literarischem Werk. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2004. 242 S., br., 22,- [Euro].
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