Das braune Erbe der reichsten deutschen Unternehmerdynastien - und wie sie heute damit umgehen.
Die Quandts, die Flicks, die von Fincks, die Porsche-Piëchs, die Oetkers und die Reimanns zählen zu den reichsten deutschen Unternehmerdynastien. Und dennoch ist ihre dunkle Vergangenheit kaum bekannt. David de Jong erzählt, woher ihr Wohlstand kommt, wie sie sich im Nationalsozialismus bereichert haben, und wie sie danach damit umgingen.
Anfang 1933 luden die Nationalsozialisten Vertreter der Wirtschaft nach Berlin ein, um sie aufzufordern, für den bevorstehenden Wahlkampf Geld zu spenden. Die Eingeladenen waren erfolgreiche Industrielle und Banker; zu ihnen gehörten Günther Quandt, Friedrich Flick und August von Finck. Nach der Machtübernahme traten sie in die Partei ein und arbeiteten mit dem Regime zusammen. Sie verdienten an der Aufrüstung und bereicherten sich durch Einsatz von Zwangsarbeitern und Raub jüdischer Unternehmen in Deutschland und in den besetzten Gebieten Europas.
Warum konnten sie nach dem Krieg nahezu unbehelligt weiterarbeiten? Wie gingen sie mit ihrer Verantwortung für das Unrecht um, dem sie einen Teil ihres Reichtums verdanken? Welche Entscheidungen haben es ihnen möglich gemacht, in den Jahrzehnten danach weiter zu expandieren? Was bedeutete das für die Bundesrepublik? Und wie gehen die Erben heute mit ihrer dunklen Familiengeschichte um?
David de Jong erzählt auf fesselnde Weise von einem Jahrhundert deutscher Geschichte - und von Dynastien, deren Entscheidungen viele Schicksale bestimmt haben und die bis heute den Alltag von Menschen in Deutschland und der Welt beeinflussen.
Die Quandts, die Flicks, die von Fincks, die Porsche-Piëchs, die Oetkers und die Reimanns zählen zu den reichsten deutschen Unternehmerdynastien. Und dennoch ist ihre dunkle Vergangenheit kaum bekannt. David de Jong erzählt, woher ihr Wohlstand kommt, wie sie sich im Nationalsozialismus bereichert haben, und wie sie danach damit umgingen.
Anfang 1933 luden die Nationalsozialisten Vertreter der Wirtschaft nach Berlin ein, um sie aufzufordern, für den bevorstehenden Wahlkampf Geld zu spenden. Die Eingeladenen waren erfolgreiche Industrielle und Banker; zu ihnen gehörten Günther Quandt, Friedrich Flick und August von Finck. Nach der Machtübernahme traten sie in die Partei ein und arbeiteten mit dem Regime zusammen. Sie verdienten an der Aufrüstung und bereicherten sich durch Einsatz von Zwangsarbeitern und Raub jüdischer Unternehmen in Deutschland und in den besetzten Gebieten Europas.
Warum konnten sie nach dem Krieg nahezu unbehelligt weiterarbeiten? Wie gingen sie mit ihrer Verantwortung für das Unrecht um, dem sie einen Teil ihres Reichtums verdanken? Welche Entscheidungen haben es ihnen möglich gemacht, in den Jahrzehnten danach weiter zu expandieren? Was bedeutete das für die Bundesrepublik? Und wie gehen die Erben heute mit ihrer dunklen Familiengeschichte um?
David de Jong erzählt auf fesselnde Weise von einem Jahrhundert deutscher Geschichte - und von Dynastien, deren Entscheidungen viele Schicksale bestimmt haben und die bis heute den Alltag von Menschen in Deutschland und der Welt beeinflussen.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensentin Julia Hubernagel liest in der Studie des Journalisten David de Jong viel Bekanntes über große deutsche Unternehmerfamilien mit brauner Vergangenheit wie die Quandts, die Fincks, die Oetkers. Da es viele weitere Industrielle gibt, die im NS-Regime mitliefen und sich bereicherten, hätte Hubernagel im Buch gern auch andere Firmengeschichten gelesen, die der Schaefflers und Kühnes etwa. De Jongs Erkenntnis, dass die meisten im braunen Sumpf agierenden Unternehmer "nur" eiskalt rechnende Opportunisten waren, nimmt Hubernagel aus der Lektüre mit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2022Opportunisten und Mitläufer
Wie reiche Unternehmer von den Nazis profitierten
"Ich bin Kapitalist. Mir gehört ein Viertel von Bahlsen, da freue ich mich schon drüber." Verena Bahlsen merkte im Jahr 2019 nicht, dass sie sich auf der Bühne gerade um Kopf und Kragen geredet hatte. Die sozialen Netzwerke reagierten sofort. Nicht der wirtschaftliche Erfolg des Keksherstellers stand im Mittelpunkt des Shitstorms, sondern der unsensible Umgang der damals 26 Jahre alten Firmenerbin mit der dunklen Vergangenheit des Unternehmens aus Hannover. Mehrere Familienmitglieder hatten einst die NSDAP unterstützt, Bahlsen machte gute Geschäfte mit der Wehrmacht. Zudem beschäftigte das Unternehmen von 1942 bis 1945 Zwangsarbeiter, darunter viele Frauen aus der Ukraine. Wenige Tage nach ihrer Rede lieferte Verena Bahlsen eine halb gare Entschuldigung nach, über die auch die F.A.Z. berichtete: "Das war vor meiner Zeit, und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt." Das Unternehmen habe sich nichts zuschulden kommen lassen, meinte Bahlsen.
Es ist ein kluger Zug von David de Jong, diese auf den ersten Blick unscheinbare Szene von einer Konferenz für digitales Marketing an den Beginn seines Buches "Braunes Erbe" zu stellen. Bahlsens spontane Äußerung und das folgende Statement offenbarten den (wie de Jong es schreibt) "größten moralischen Fauxpas, den man in Deutschland begehen kann": das konsequente Ausblenden der Familienbiographie im Dritten Reich. Viele Deutsche stellten sich nie der schweren Schuld, nachdem sie sich persönlich durch die Arisierung von Unternehmen und den Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter bereichert hatten.
Der Autor, dessen jüdische Familie von den Nazis verfolgt und teilweise ermordet wurde, klagt nicht die Deutschen allgemein an, im Mittelpunkt seiner Recherchen stehen die reichsten Unternehmerfamilien des Landes: die Quandts, die Flicks, die Oetkers, die Reimanns, die von Fincks sowie die Familien Porsche und Piëch. Das Buch beruht dabei auf zahlreichen Artikeln de Jongs für den Wirtschaftsdienst Bloomberg. Er will mehr Transparenz in bislang aus seiner Sicht nur unzureichend beleuchtete Kapitel ihrer Unternehmensgeschichte bringen. Tatsächlich haben sich noch nicht alle großen deutschen Unternehmen ihrer Geschichte im Dritten Reich gestellt, doch de Jongs Vorwurf ist zu pauschal. Viele deutsche Konzerne und Banken haben in den vergangenen Jahren ihre Archive geöffnet, um sich der Verantwortung zu stellen. Die Industriellenfamilie Quandt beauftragte etwa den namhaften Historiker Joachim Scholtyseck. Sein Gutachten gilt als wegweisend für die wissenschaftliche Aufarbeitung von Unternehmenshistorien während der NS-Zeit. Auch andere Unternehmen wie Adidas, Porsche, Oetker, Sartorius, Continental und Freudenberg gewährten namhaften Forschern Zugang, um sich der unbequemen Wahrheit zu stellen. Auch Bahlsen hat nach dem Fauxpas einen Wirtschaftshistoriker damit beauftragt, zu untersuchen, welche Rolle die Zwangsarbeit im Unternehmen gespielt hat. Dass es sich dabei nur um beschönigende Auftragsarbeiten handelt, wie de Jong suggeriert, kann nicht behauptet werden. Er aber setzt sich mit ihnen auf lediglich 40 Seiten auseinander.
Lesenswert ist sein Buch dennoch: Die Protagonisten von "Braunes Erbe" sind bis auf wenige Ausnahmen schon während des Deutschen Kaiserreichs wohlhabend gewesen. Ihr kaufmännisches Gespür, gepaart mit ihrem extremen Opportunismus, traf auf die aufstrebende, anfangs chronisch vor der Pleite stehende Organisation der Nationalsozialisten. Erst dieses Zusammentreffen legte für die Industrie- und Finanzbarone die Basis für den Aufstieg in noch höhere Sphären. Ihre Familiengeschichte kann der Leser im Anhang durch Stammbäume bis zum heutigen Tag verfolgen.
Es geht um öffentlichkeitsscheue Familien, deren Produkte nahezu jeder kauft, deren Autos millionenfach auf den Straßen fahren und deren Dienstleistungen jeden Tag in Anspruch genommen werden. Dabei räumt er vor allem den Personen Günther Quandt, dessen Erben später zu den Großaktionären von BMW aufstiegen, sowie dem Bankier August von Finck viel Raum ein. Für historisch bewanderte Leser werden die Kapitel über die engen familiären Bande Quandts zu Magda Goebbels und die nationalkonservative Haltung von Fincks nur wenig Mehrwert bringen. Die Rolle von Ferdinand Porsche im Dritten Reich hätte eine deutlichere Gewichtung verdient gehabt. Wer mehr über die Ausbootung des jüdischen Porsche-Mitgründers Adolf Rosenberger sowie die Entstehungsgeschichte von Volkswagen erfahren will, muss zu einer separaten Porsche-Biographie greifen.
Trotz dieser Kritik wird de Jongs Werk nicht nur aufgrund der Prominenz des Themas Leser finden. Das Buch überzeugt durch eine lebendige Erzählstruktur und Detailtiefe. Nach der Lektüre versteht man die Ursprünge vieler deutscher Großkonzerne und die Mentalität von Familienunternehmen in der NS-Zeit besser. Weil sich die angefragten Familien allesamt einem Gespräch verweigerten, schafft "Braunes Erbe" jedoch nur bis zu einem gewissen Grad Transparenz. Der Leser muss sich doch selbst auf die Suche nach raren Aussagen wie etwa von August Oetker begeben. Es sei eine "Mahnung an alle, sich einzusetzen für eine offene, freie Gesellschaft und jeglichen totalitären Strömungen entschieden entgegenzutreten", sagte Oetker im Gespräch mit der "Zeit" vor einigen Jahren. De Jongs Buch ist jedenfalls eine große Stütze, diese Mahnung am Leben zu halten. MARCUS JUNG
David de Jong: Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmensdynastien, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 496 Seiten, 28 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie reiche Unternehmer von den Nazis profitierten
"Ich bin Kapitalist. Mir gehört ein Viertel von Bahlsen, da freue ich mich schon drüber." Verena Bahlsen merkte im Jahr 2019 nicht, dass sie sich auf der Bühne gerade um Kopf und Kragen geredet hatte. Die sozialen Netzwerke reagierten sofort. Nicht der wirtschaftliche Erfolg des Keksherstellers stand im Mittelpunkt des Shitstorms, sondern der unsensible Umgang der damals 26 Jahre alten Firmenerbin mit der dunklen Vergangenheit des Unternehmens aus Hannover. Mehrere Familienmitglieder hatten einst die NSDAP unterstützt, Bahlsen machte gute Geschäfte mit der Wehrmacht. Zudem beschäftigte das Unternehmen von 1942 bis 1945 Zwangsarbeiter, darunter viele Frauen aus der Ukraine. Wenige Tage nach ihrer Rede lieferte Verena Bahlsen eine halb gare Entschuldigung nach, über die auch die F.A.Z. berichtete: "Das war vor meiner Zeit, und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt." Das Unternehmen habe sich nichts zuschulden kommen lassen, meinte Bahlsen.
Es ist ein kluger Zug von David de Jong, diese auf den ersten Blick unscheinbare Szene von einer Konferenz für digitales Marketing an den Beginn seines Buches "Braunes Erbe" zu stellen. Bahlsens spontane Äußerung und das folgende Statement offenbarten den (wie de Jong es schreibt) "größten moralischen Fauxpas, den man in Deutschland begehen kann": das konsequente Ausblenden der Familienbiographie im Dritten Reich. Viele Deutsche stellten sich nie der schweren Schuld, nachdem sie sich persönlich durch die Arisierung von Unternehmen und den Einsatz ausländischer Zwangsarbeiter bereichert hatten.
Der Autor, dessen jüdische Familie von den Nazis verfolgt und teilweise ermordet wurde, klagt nicht die Deutschen allgemein an, im Mittelpunkt seiner Recherchen stehen die reichsten Unternehmerfamilien des Landes: die Quandts, die Flicks, die Oetkers, die Reimanns, die von Fincks sowie die Familien Porsche und Piëch. Das Buch beruht dabei auf zahlreichen Artikeln de Jongs für den Wirtschaftsdienst Bloomberg. Er will mehr Transparenz in bislang aus seiner Sicht nur unzureichend beleuchtete Kapitel ihrer Unternehmensgeschichte bringen. Tatsächlich haben sich noch nicht alle großen deutschen Unternehmen ihrer Geschichte im Dritten Reich gestellt, doch de Jongs Vorwurf ist zu pauschal. Viele deutsche Konzerne und Banken haben in den vergangenen Jahren ihre Archive geöffnet, um sich der Verantwortung zu stellen. Die Industriellenfamilie Quandt beauftragte etwa den namhaften Historiker Joachim Scholtyseck. Sein Gutachten gilt als wegweisend für die wissenschaftliche Aufarbeitung von Unternehmenshistorien während der NS-Zeit. Auch andere Unternehmen wie Adidas, Porsche, Oetker, Sartorius, Continental und Freudenberg gewährten namhaften Forschern Zugang, um sich der unbequemen Wahrheit zu stellen. Auch Bahlsen hat nach dem Fauxpas einen Wirtschaftshistoriker damit beauftragt, zu untersuchen, welche Rolle die Zwangsarbeit im Unternehmen gespielt hat. Dass es sich dabei nur um beschönigende Auftragsarbeiten handelt, wie de Jong suggeriert, kann nicht behauptet werden. Er aber setzt sich mit ihnen auf lediglich 40 Seiten auseinander.
Lesenswert ist sein Buch dennoch: Die Protagonisten von "Braunes Erbe" sind bis auf wenige Ausnahmen schon während des Deutschen Kaiserreichs wohlhabend gewesen. Ihr kaufmännisches Gespür, gepaart mit ihrem extremen Opportunismus, traf auf die aufstrebende, anfangs chronisch vor der Pleite stehende Organisation der Nationalsozialisten. Erst dieses Zusammentreffen legte für die Industrie- und Finanzbarone die Basis für den Aufstieg in noch höhere Sphären. Ihre Familiengeschichte kann der Leser im Anhang durch Stammbäume bis zum heutigen Tag verfolgen.
Es geht um öffentlichkeitsscheue Familien, deren Produkte nahezu jeder kauft, deren Autos millionenfach auf den Straßen fahren und deren Dienstleistungen jeden Tag in Anspruch genommen werden. Dabei räumt er vor allem den Personen Günther Quandt, dessen Erben später zu den Großaktionären von BMW aufstiegen, sowie dem Bankier August von Finck viel Raum ein. Für historisch bewanderte Leser werden die Kapitel über die engen familiären Bande Quandts zu Magda Goebbels und die nationalkonservative Haltung von Fincks nur wenig Mehrwert bringen. Die Rolle von Ferdinand Porsche im Dritten Reich hätte eine deutlichere Gewichtung verdient gehabt. Wer mehr über die Ausbootung des jüdischen Porsche-Mitgründers Adolf Rosenberger sowie die Entstehungsgeschichte von Volkswagen erfahren will, muss zu einer separaten Porsche-Biographie greifen.
Trotz dieser Kritik wird de Jongs Werk nicht nur aufgrund der Prominenz des Themas Leser finden. Das Buch überzeugt durch eine lebendige Erzählstruktur und Detailtiefe. Nach der Lektüre versteht man die Ursprünge vieler deutscher Großkonzerne und die Mentalität von Familienunternehmen in der NS-Zeit besser. Weil sich die angefragten Familien allesamt einem Gespräch verweigerten, schafft "Braunes Erbe" jedoch nur bis zu einem gewissen Grad Transparenz. Der Leser muss sich doch selbst auf die Suche nach raren Aussagen wie etwa von August Oetker begeben. Es sei eine "Mahnung an alle, sich einzusetzen für eine offene, freie Gesellschaft und jeglichen totalitären Strömungen entschieden entgegenzutreten", sagte Oetker im Gespräch mit der "Zeit" vor einigen Jahren. De Jongs Buch ist jedenfalls eine große Stütze, diese Mahnung am Leben zu halten. MARCUS JUNG
David de Jong: Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmensdynastien, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 496 Seiten, 28 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»[De Jongs] Buch überzeugt durch eine lebendige Erzählstruktur und Detailtiefe. Nach der Lektüre versteht man die Ursprünge vieler deutscher Großkonzerne und die Mentalität von Familienunternehmen in der NS-Zeit besser.« Marcus Jung FAZ 20220711