Für Bertolt Brecht war Berlin die "Stadt, die klug macht". Seit 1920 versuchte er im Literatur- und Theaterbetrieb der Metropole Fuß zu fassen. Nach etlichen Rückschlägen wurde er hier zum Starautor, der sich unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise politisch radikalisierte. Vor den Nationalsozialisten geflohen, schrieb Brecht im Exil poetische Satiren auf das braune Berlin. Als "Schutthaufen bei Potsdam" erlebte er die Stadt nach seiner Rückkehr im Oktober 1948. Brecht hat sich intensiv am Wiederaufbau des Kulturlebens in Ost-Berlin beteiligt und gemeinsam mit Helene Weigel das Berliner Ensemble zu Weltruhm geführt. Begraben liegt er neben vielen Weggefährten auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, unweit seiner letzten Wohnung in der Chausseestraße 125. Dort ist heute ein Museum, es gibt sein Archiv, das Denkmal und Brecht-Verse an Häusern der ehemaligen Stalinallee. Kein Dichter hat so sichtbare Spuren in Berlin hinterlassen, dennoch sind die meisten Brecht-Orte und Berlin-Bezüge wenig bekannt. Als Stadtführer und Literaturdetektiv ist der Autor Michael Bienert seit 1990 in Brechts Berlin unterwegs. In der Reihe Literarische Schauplätze legt er nun einen reich illustrierten Band vor, der den ganzen Facettenreichtum des Themas vor Augen führt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2019Motor als denkendes Erz
Bertolt Brecht begeistert sich fürs Autofahren
Der Mann, der seine Finger absichtlich schmutzig hielt, um sich dem arbeitenden Teil der Gesellschaft zugehörig zu fühlen, der Mann, der vom Fressen sprach und bei Erste-Mai-Demonstrationen hoch auf dem Wagen politische Reden hielt, dieser Mann, Bertolt Brecht, schrieb nicht nur Gedichte für neugegründete Arbeiter- und Bauernfakultäten, sondern auch für die Automobilindustrie. "Die singenden Steyrwägen" heißt ein unveröffentlichtes Reklamepoem, das Brecht im Mai 1928 bei einem Preisausschreiben der Firma Steyr einreichte und dafür als Gegenleistung das beliebte Mittelklasse-Modell XII erhielt. "Wir stammen / aus einer Waffenfabrik / unser kleiner Bruder ist / der Manlicherstutzen. / Unsere Mutter aber / eine steyrische Erzgrube / wir liegen in der Kurve wie Klebestreifen. / Unser Motor ist: / Ein denkendes Erz. / Mensch, fahre uns", so lautet der Text des Werbegedichts, das von der Firma aus unverständlichen Gründen nie verwendet wurde.
Brecht bekam jedenfalls ein Auto und fuhr damit, in Lederjacke und obligatorischer Schiebermütze, gleich zum "Durchschmieren" von Berlin nach Augsburg. Kurz vor seiner Abfahrt posierte er noch für ein Foto, das jetzt in einem Bildband zu sehen ist. Aus Augsburg berichtete er seiner Frau Helene Weigel enthusiastisch von der "glänzenden Fahrt". Allerdings dauerte das Fahrerglück nicht sonderlich lange: Im Frühjahr 1929 erlitt Brecht in der Nähe von Fulda auf der Heimfahrt von einem Abendessen mit Kurt Weill einen Unfall. Während eines waghalsigen Überholmanövers musste Brecht einem entgegenkommenden Fahrzeug ausweichen und setzte sein geliebtes Auto vor einen Baum. Das Ergebnis: Totalschaden und eine gebrochene Kniescheibe.
Der Autofirma bot Brecht ein Tauschgeschäft an: sein berühmter Name gegen ein neues Fahrzeug. In der Berliner Illustrierten "Uhu" erschien daraufhin im November 1929 eine vierseitige Fotoreportage über den "lehrreichen Unfall des Dichters Brecht", in dem die Sicherheit des Steyrwagens auch bei Unfällen gepriesen wurde. Zum Dank stellte die Firma Brecht ein blaulackiertes Steyr XX-Cabriolet mit sechs Zylindern und vierzig PS zur Verfügung. Das Dach über den vier Ledersitzen ließ sich nach hinten umklappen, das Armaturenbrett war beleuchtet, und neben Benzinuhr, Kühlwasserthermometer und elektrischen Scheibenwischern gab es als besondere Ausstattung für den passionierten Raucher einen Zigarrenanzünder. Mit diesem Auto fuhr Brecht stolz durch Berlin und mietete sich in der "Autopension am Knie" einen Garagenplatz für eine stattliche Monatsmiete von 45 Mark an.
"Für nichts verriet Brecht damals so viel Zärtlichkeit wie für sein Auto", erinnerte sich Elias Canetti später. Dem Arbeiterdichter wurde der Luxusschlitten zum unentbehrlichen Lebensmittel. Als Brecht im Februar 1933 vor den Nationalsozialisten floh, musste er seinen Wagen schweren Herzens in Berlin zurücklassen. Die Gestapo beschlagnahmte das Auto mit der Begründung, es sei "zu kommunistischen Umtrieben benutzt worden". Im amerikanischen Exil fuhr Brecht einen alten Ford, mit dem er nicht recht froh wurde. Kaum war er nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt, schaffte er sich wieder einen Steyr-Wagen an. Nur mit dieser "sanft singenden Maschine" fühlte er sich als freier Mensch.
SIMON STRAUSS.
Michael Bienert: "Brechts Berlin". Literarische Schauplätze.
Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2018. 200 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bertolt Brecht begeistert sich fürs Autofahren
Der Mann, der seine Finger absichtlich schmutzig hielt, um sich dem arbeitenden Teil der Gesellschaft zugehörig zu fühlen, der Mann, der vom Fressen sprach und bei Erste-Mai-Demonstrationen hoch auf dem Wagen politische Reden hielt, dieser Mann, Bertolt Brecht, schrieb nicht nur Gedichte für neugegründete Arbeiter- und Bauernfakultäten, sondern auch für die Automobilindustrie. "Die singenden Steyrwägen" heißt ein unveröffentlichtes Reklamepoem, das Brecht im Mai 1928 bei einem Preisausschreiben der Firma Steyr einreichte und dafür als Gegenleistung das beliebte Mittelklasse-Modell XII erhielt. "Wir stammen / aus einer Waffenfabrik / unser kleiner Bruder ist / der Manlicherstutzen. / Unsere Mutter aber / eine steyrische Erzgrube / wir liegen in der Kurve wie Klebestreifen. / Unser Motor ist: / Ein denkendes Erz. / Mensch, fahre uns", so lautet der Text des Werbegedichts, das von der Firma aus unverständlichen Gründen nie verwendet wurde.
Brecht bekam jedenfalls ein Auto und fuhr damit, in Lederjacke und obligatorischer Schiebermütze, gleich zum "Durchschmieren" von Berlin nach Augsburg. Kurz vor seiner Abfahrt posierte er noch für ein Foto, das jetzt in einem Bildband zu sehen ist. Aus Augsburg berichtete er seiner Frau Helene Weigel enthusiastisch von der "glänzenden Fahrt". Allerdings dauerte das Fahrerglück nicht sonderlich lange: Im Frühjahr 1929 erlitt Brecht in der Nähe von Fulda auf der Heimfahrt von einem Abendessen mit Kurt Weill einen Unfall. Während eines waghalsigen Überholmanövers musste Brecht einem entgegenkommenden Fahrzeug ausweichen und setzte sein geliebtes Auto vor einen Baum. Das Ergebnis: Totalschaden und eine gebrochene Kniescheibe.
Der Autofirma bot Brecht ein Tauschgeschäft an: sein berühmter Name gegen ein neues Fahrzeug. In der Berliner Illustrierten "Uhu" erschien daraufhin im November 1929 eine vierseitige Fotoreportage über den "lehrreichen Unfall des Dichters Brecht", in dem die Sicherheit des Steyrwagens auch bei Unfällen gepriesen wurde. Zum Dank stellte die Firma Brecht ein blaulackiertes Steyr XX-Cabriolet mit sechs Zylindern und vierzig PS zur Verfügung. Das Dach über den vier Ledersitzen ließ sich nach hinten umklappen, das Armaturenbrett war beleuchtet, und neben Benzinuhr, Kühlwasserthermometer und elektrischen Scheibenwischern gab es als besondere Ausstattung für den passionierten Raucher einen Zigarrenanzünder. Mit diesem Auto fuhr Brecht stolz durch Berlin und mietete sich in der "Autopension am Knie" einen Garagenplatz für eine stattliche Monatsmiete von 45 Mark an.
"Für nichts verriet Brecht damals so viel Zärtlichkeit wie für sein Auto", erinnerte sich Elias Canetti später. Dem Arbeiterdichter wurde der Luxusschlitten zum unentbehrlichen Lebensmittel. Als Brecht im Februar 1933 vor den Nationalsozialisten floh, musste er seinen Wagen schweren Herzens in Berlin zurücklassen. Die Gestapo beschlagnahmte das Auto mit der Begründung, es sei "zu kommunistischen Umtrieben benutzt worden". Im amerikanischen Exil fuhr Brecht einen alten Ford, mit dem er nicht recht froh wurde. Kaum war er nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt, schaffte er sich wieder einen Steyr-Wagen an. Nur mit dieser "sanft singenden Maschine" fühlte er sich als freier Mensch.
SIMON STRAUSS.
Michael Bienert: "Brechts Berlin". Literarische Schauplätze.
Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2018. 200 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
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