Brecht war nicht nur Marxist, sondern hat im Laufe seiner geistigen Entwicklung sehr unterschiedliche ideologische Positionen eingenommen und poetisch umgesetzt: die pietistisch geprägte nationalprotestantische als ganz junger Autor in seiner frühen Augsburger Zeit, die neuheidnische Gesinnung im Zeichen des biblischen Baal, die enge Orientierung an der Philosophie von Max Stirner in den frühen Augsburger Dramen und die ebenso enge Orientierung an Lao-tse in den späten klassischen Werken, durch die er die Gewaltfantasien überwinden konnte, die er in der Phase seiner kommunistischen Lehrstücke noch gepflegt hatte. Da die bisherige Brecht-Forschung vornehmlich seine marxistische Phase im Visier hatte, sind die meisten der hier genannten ideologischen Positionen bisher entweder einfach übersehen, in ihrer Bedeutung unterschätzt oder gar völlig geleugnet worden, sodass z.B. die Namen Jesus und Lao-tse dort kaum vorkommen, der Name Max Stirner aber überhaupt nicht.All dies gilt es nundurch ein neues Brecht-Bild zu korrigieren, indem aufgezeigt wird, wie all diese wiederholten ideologischen Umorientierungen sich auseinander ergeben und somit Brechts Metamorphosen bewirkt haben. Die Frage aber, wer in all diesen Metamorphosen der wahre Brecht gewesen sei, wird hier nicht gestellt, weil sie sowieso nicht beantwortet werden kann, denn wer möchte sich erdreisten, die Frage nach der wahren Farbe eines Chamäleons definitiv beantworten zu wollen?