"Fast beneide ich diesen Höller! Ja, er ist krank, ja, er ist verrückt, aber welche Leidenschaft treibt ihn! Nur wer brennt, lebt." Elke Heidenreich
Weil er bald sterben wird, will Höller endlich seinen größten Traum verwirklichen. Also lässt er sein Leben an der Seite einer Staranwältin hinter sich, verkauft seine Fabrik und bricht in die Toskana auf. Hier soll Alfred Brendel für ihn die endgültige Interpretation von Schuberts "Wandererfantasie" spielen. Der merkwürdige Fremde, der zuweilen mit einem Handtuch um seinen schmerzenden Kopf gewickelt Gemeindesäle besichtigt, sich unter den Hinkenden und Zahnlosen im Altenheim von Castelnuovo Saaldiener aussucht und in dem Provinznest eine Konzerthalle errichten will, stößt bei den Einheimischen auf Befremden. Doch anstatt dem Tod wenigstens in Gedanken zu entkommen, begegnet Höller ihm auf Schritt und Tritt in Form skurriler Gestalten und bizarrer Begebenheiten. Schließlich muss er erkennen es gibt kein Entrinnen, weder vor dem Tod noch vor dem eigenen Leben ...
Die meisterhafte Schilderung einer Obsession - subtil, komisch und stilistisch meisterhaft erzählt.
Weil er bald sterben wird, will Höller endlich seinen größten Traum verwirklichen. Also lässt er sein Leben an der Seite einer Staranwältin hinter sich, verkauft seine Fabrik und bricht in die Toskana auf. Hier soll Alfred Brendel für ihn die endgültige Interpretation von Schuberts "Wandererfantasie" spielen. Der merkwürdige Fremde, der zuweilen mit einem Handtuch um seinen schmerzenden Kopf gewickelt Gemeindesäle besichtigt, sich unter den Hinkenden und Zahnlosen im Altenheim von Castelnuovo Saaldiener aussucht und in dem Provinznest eine Konzerthalle errichten will, stößt bei den Einheimischen auf Befremden. Doch anstatt dem Tod wenigstens in Gedanken zu entkommen, begegnet Höller ihm auf Schritt und Tritt in Form skurriler Gestalten und bizarrer Begebenheiten. Schließlich muss er erkennen es gibt kein Entrinnen, weder vor dem Tod noch vor dem eigenen Leben ...
Die meisterhafte Schilderung einer Obsession - subtil, komisch und stilistisch meisterhaft erzählt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2009Der ferne Klang
Würde man dieses Buch nach seinem Cover beurteilen, dann wäre man schnell fertig damit. Eine toskanische Landschaft, durch den orange-transparenten Schutzumschlag in ein verschwommenes Abendlicht getaucht, dazu die verschnörkelte Schrift für den Autornamen - schlimmer kann es nur noch im Arztroman- oder im Horrorgenre zugehen. Doch dieser zum Auftakt der neuen "Edition Elke Heidenreich" bei C. Bertelsmann erschienene Roman des 1952 geborenen Österreichers Günther Freitag ist kein eindeutiger Fall. Erzählt wird die sehr düstere Geschichte einer ideé fixe im Angesicht des nahen Todes: Der reiche deutsche Fabrikant Höller ist an einem Hirntumor erkrankt und weiß, dass seine Tage gezählt sind. Als Abschluss seines Lebens will sich Höller, dessen Leben bis dato der Herstellung von Autoteilen gewidmet war, einen Traum erfüllen und die ideale Interpretation von Schuberts "Wandererfantasie" erleben. Niemand Geringerer als Alfred Brendel soll dafür gewonnen werden, ein exklusives Konzert im toskanischen Örtchen Castelnuovo zu geben, das der besessene Höller als den perfekten, im Grunde einzig möglichen Ort dafür ausgemacht hat. Durch den Verkauf seiner Fabrik mit unbegrenzten Mitteln ausgestattet, will Höller vor Ort den Aufbau einer geeigneten Konzerthalle in die Wege leiten. Während seine Krankheit fortschreitet und das Projekt zunehmend wahnhafte Züge annimmt (so hat etwa Brendel selbst sich bislang zu dem Plan gar nicht geäußert), wird Höller in undurchsichtige lokale Geschäfte hineingezogen, bei denen die Einheimischen seine verständliche Ungeduld schamlos ausnutzen und dem Fremden zugleich mit wachsendem Misstrauen begegnen. Das elegische Todesbuch entfaltet in einer einfachen, ungekünstelten Sprache doch einen starken Sog, der die Vereinsamung und den Realitätsverlust des Sterbenden nachvollziehbar macht. Nebenfiguren setzt Freitag nicht nach Maßgabe des erzählerischen Realismus, sondern wie wiederkehrende musikalische Motive ein. Deutliche Anklänge an Thomas Manns "Tod in Venedig", an Thomas Bernhard und Gert Jonke oder auch an Walter Kappachers "Fliegenpalast" machen das Buch nicht epigonal. Es ist eher eine Variation über ein Thema: die Unmöglichkeit eines restlos gelingenden Lebens, die vergebliche Suche nach Vollkommenheit, für die die Chimäre der idealen Interpretation steht. (Günther Freitag: "Brendels Fantasie". Roman. Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, München 2009. 190 S., geb., 18,95 [Euro].) rik
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Würde man dieses Buch nach seinem Cover beurteilen, dann wäre man schnell fertig damit. Eine toskanische Landschaft, durch den orange-transparenten Schutzumschlag in ein verschwommenes Abendlicht getaucht, dazu die verschnörkelte Schrift für den Autornamen - schlimmer kann es nur noch im Arztroman- oder im Horrorgenre zugehen. Doch dieser zum Auftakt der neuen "Edition Elke Heidenreich" bei C. Bertelsmann erschienene Roman des 1952 geborenen Österreichers Günther Freitag ist kein eindeutiger Fall. Erzählt wird die sehr düstere Geschichte einer ideé fixe im Angesicht des nahen Todes: Der reiche deutsche Fabrikant Höller ist an einem Hirntumor erkrankt und weiß, dass seine Tage gezählt sind. Als Abschluss seines Lebens will sich Höller, dessen Leben bis dato der Herstellung von Autoteilen gewidmet war, einen Traum erfüllen und die ideale Interpretation von Schuberts "Wandererfantasie" erleben. Niemand Geringerer als Alfred Brendel soll dafür gewonnen werden, ein exklusives Konzert im toskanischen Örtchen Castelnuovo zu geben, das der besessene Höller als den perfekten, im Grunde einzig möglichen Ort dafür ausgemacht hat. Durch den Verkauf seiner Fabrik mit unbegrenzten Mitteln ausgestattet, will Höller vor Ort den Aufbau einer geeigneten Konzerthalle in die Wege leiten. Während seine Krankheit fortschreitet und das Projekt zunehmend wahnhafte Züge annimmt (so hat etwa Brendel selbst sich bislang zu dem Plan gar nicht geäußert), wird Höller in undurchsichtige lokale Geschäfte hineingezogen, bei denen die Einheimischen seine verständliche Ungeduld schamlos ausnutzen und dem Fremden zugleich mit wachsendem Misstrauen begegnen. Das elegische Todesbuch entfaltet in einer einfachen, ungekünstelten Sprache doch einen starken Sog, der die Vereinsamung und den Realitätsverlust des Sterbenden nachvollziehbar macht. Nebenfiguren setzt Freitag nicht nach Maßgabe des erzählerischen Realismus, sondern wie wiederkehrende musikalische Motive ein. Deutliche Anklänge an Thomas Manns "Tod in Venedig", an Thomas Bernhard und Gert Jonke oder auch an Walter Kappachers "Fliegenpalast" machen das Buch nicht epigonal. Es ist eher eine Variation über ein Thema: die Unmöglichkeit eines restlos gelingenden Lebens, die vergebliche Suche nach Vollkommenheit, für die die Chimäre der idealen Interpretation steht. (Günther Freitag: "Brendels Fantasie". Roman. Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, München 2009. 190 S., geb., 18,95 [Euro].) rik
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2009Wo du nicht bist, ist das Glück
Der Tod und die Musik: Günther Freitags Roman „Brendels Fantasie”
Vor etwa einem Jahr erklärte der Pianist Alfred Brendel seinen Abschied vom Konzertpodium. Obgleich Brendel ihn in Interviews nonchalant, ja geradezu heiter zu erläutern wusste, hat sein Entschluss manchen, der Musik liebt, traurig gestimmt – denn Brendel war, wie sich nun nur noch an Aufnahmen nachvollziehen lässt, als Pianist eine Klasse für sich. So darf dies Ereignis ernst genommen werden, und Günther Freitag hat den schönen Einfall gehabt, eine Geschichte daraus zu machen. Es ist die Geschichte des Fabrikanten Höller. Höller ist sich darüber im Klaren, dass er nur noch ein kurzes Leben vor sich hat. Doch dies kurze Leben soll ihm noch einen Wunsch abgelten: die definitive Aufführung der Klavierfantasie in C-Dur D. 760 von Franz Schubert, der Wandererfantasie, für ihn gespielt von Alfred Brendel. Dies Vorhaben, und damit die Idee künstlerischer Vollkommenheit, sucht Höller gegen seine Familie durchzusetzen; immerhin hat er von Rechts wegen Zugriff auf deren wichtigstes Besitzstück: er verkauft seine Fabrik.
Von nun an treibt Höller nur noch das Brendel-Schubert-Projekt – es treibt ihn, während er es in der Toskana betreibt. Für die perfekte Interpretation soll ein neuer Konzertsaal entstehen. Alle praktischen Ambitionen aber treten in den Dienst einer intensiven Imagination. Höller fantasiert Brendel – „Mit geschlossenen Augen liegt er auf der Couch und stellt sich Brendel am Flügel vor” –; insofern tut sich unter Freitags Romantitel ein doppelter Boden auf. Es bleibt bei der Fantasie – nicht der Schuberts, sondern der Höllers: am Ende kommt ihm der Zeitungsartikel in die Hände – Brendel wird nicht mehr spielen. Oder wäre das nicht gerade Schuberts Fantasie? Denn der letzte Vers von Schmidt von Lübecks Gedicht „Der Wanderer” lautet ja: „Da, wo du nicht bist, ist das Glück”. Es ist ein Glück, das im Tod von Unglück nicht mehr zu unterscheiden wäre.
Günther Freitag hat eine Geschichte erfunden, die einen Roman tragen könnte. Das ist viel. Genug ist es nicht. Diese Geschichte, im Horizont des Todes, hätte einer lakonischen Sprache bedurft, in der Dinge und Situationen für sich sprechen und der Erzähler hinter sie zurücktritt. Diese Sprache hat Freitag nicht gefunden, und wohl nicht einmal gesucht. Statt die Dinge schlicht zu schildern, wie sie sind, meint er dem Leser Urteile aufdrängen zu müssen. So beginnt es auf der ersten Seite – „kitschige Aquarelle”, „Laden, dessen Auslage vollgestopft ist mit ekelhaft geschmacklosen Keramiken” –, und so hält es sich durch, bis zum letzten Satz: „eine unheimliche Stille”.
Freitag beherrscht nicht die Kunst, eine Stille so Sprache werden zu lassen, dass dem Leser unheimlich wird. Er kann Leser lediglich informieren, dass eine Stille „unheimlich” war. Bloß mitzuteilen, etwas sei „ekelhaft” gewesen, ist erzählerisch schwach. Es „geschmacklos” zu nennen ist, weil negativ, noch schwächer. Die Kombination jenes Adverbs mit diesem Adjektiv aber ist von törichter Penetranz. So legt sich Geschwätz über Schuberts Klavierton, einen Ton am Rande des Verstummens.ANDREAS DORSCHEL
GÜNTHER FREITAG: Brendels Fantasie. Roman. C. Bertelsmann Verlag, München 2009. 190 Seiten, 18,90 Euro.
Er wünscht sich die definitive Aufführung der Klavierfantasie in C-Dur von Franz Schubert
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Der Tod und die Musik: Günther Freitags Roman „Brendels Fantasie”
Vor etwa einem Jahr erklärte der Pianist Alfred Brendel seinen Abschied vom Konzertpodium. Obgleich Brendel ihn in Interviews nonchalant, ja geradezu heiter zu erläutern wusste, hat sein Entschluss manchen, der Musik liebt, traurig gestimmt – denn Brendel war, wie sich nun nur noch an Aufnahmen nachvollziehen lässt, als Pianist eine Klasse für sich. So darf dies Ereignis ernst genommen werden, und Günther Freitag hat den schönen Einfall gehabt, eine Geschichte daraus zu machen. Es ist die Geschichte des Fabrikanten Höller. Höller ist sich darüber im Klaren, dass er nur noch ein kurzes Leben vor sich hat. Doch dies kurze Leben soll ihm noch einen Wunsch abgelten: die definitive Aufführung der Klavierfantasie in C-Dur D. 760 von Franz Schubert, der Wandererfantasie, für ihn gespielt von Alfred Brendel. Dies Vorhaben, und damit die Idee künstlerischer Vollkommenheit, sucht Höller gegen seine Familie durchzusetzen; immerhin hat er von Rechts wegen Zugriff auf deren wichtigstes Besitzstück: er verkauft seine Fabrik.
Von nun an treibt Höller nur noch das Brendel-Schubert-Projekt – es treibt ihn, während er es in der Toskana betreibt. Für die perfekte Interpretation soll ein neuer Konzertsaal entstehen. Alle praktischen Ambitionen aber treten in den Dienst einer intensiven Imagination. Höller fantasiert Brendel – „Mit geschlossenen Augen liegt er auf der Couch und stellt sich Brendel am Flügel vor” –; insofern tut sich unter Freitags Romantitel ein doppelter Boden auf. Es bleibt bei der Fantasie – nicht der Schuberts, sondern der Höllers: am Ende kommt ihm der Zeitungsartikel in die Hände – Brendel wird nicht mehr spielen. Oder wäre das nicht gerade Schuberts Fantasie? Denn der letzte Vers von Schmidt von Lübecks Gedicht „Der Wanderer” lautet ja: „Da, wo du nicht bist, ist das Glück”. Es ist ein Glück, das im Tod von Unglück nicht mehr zu unterscheiden wäre.
Günther Freitag hat eine Geschichte erfunden, die einen Roman tragen könnte. Das ist viel. Genug ist es nicht. Diese Geschichte, im Horizont des Todes, hätte einer lakonischen Sprache bedurft, in der Dinge und Situationen für sich sprechen und der Erzähler hinter sie zurücktritt. Diese Sprache hat Freitag nicht gefunden, und wohl nicht einmal gesucht. Statt die Dinge schlicht zu schildern, wie sie sind, meint er dem Leser Urteile aufdrängen zu müssen. So beginnt es auf der ersten Seite – „kitschige Aquarelle”, „Laden, dessen Auslage vollgestopft ist mit ekelhaft geschmacklosen Keramiken” –, und so hält es sich durch, bis zum letzten Satz: „eine unheimliche Stille”.
Freitag beherrscht nicht die Kunst, eine Stille so Sprache werden zu lassen, dass dem Leser unheimlich wird. Er kann Leser lediglich informieren, dass eine Stille „unheimlich” war. Bloß mitzuteilen, etwas sei „ekelhaft” gewesen, ist erzählerisch schwach. Es „geschmacklos” zu nennen ist, weil negativ, noch schwächer. Die Kombination jenes Adverbs mit diesem Adjektiv aber ist von törichter Penetranz. So legt sich Geschwätz über Schuberts Klavierton, einen Ton am Rande des Verstummens.ANDREAS DORSCHEL
GÜNTHER FREITAG: Brendels Fantasie. Roman. C. Bertelsmann Verlag, München 2009. 190 Seiten, 18,90 Euro.
Er wünscht sich die definitive Aufführung der Klavierfantasie in C-Dur von Franz Schubert
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Das hätte was werden können, meint Andreas Dorschel. Allerdings fehlt Günther Freitag leider das erzählerische Talent, die Geschichte einer Fantasie - eines definitiven Schubert-Klavierkonzerts, gegeben von niemand geringerem als dem großen Alfred Brendel - zur Zufriedenheit des Rezensenten in Worte zu fassen. Der "schöne" Einfall allein macht noch keinen tollen Roman. Gewünscht hätte sich Dorschel eine lakonische, Stille evozierende Sprache, die dem Leser die nötige Freiheit lässt, sich eigene Urteile zu bilden. Freitag jedoch vermag "lediglich zu informieren". Für Dorschel gerät der Text so in die Nähe des Geschwätzigen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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