»Jetzt ist schon wieder was passiert.«
Zuerst wird der Brenner von einem Kind bewusstlos geschlagen. Und dann versucht seine Freundin, ihn vor den Traualtar zu schleppen. Es läuft nämlich gerade ausgesprochen gut zwischen den beiden. Einziges Problem: Mit seiner anderen Freundin läuft es auch sehr gut. Und was ist mit der dritten Frau? Spurlos verschwunden. Die Suche nach ihr hilft dem Detektiv bei der Lösung seiner privaten Probleme. Denn nie kannst du besser über das Glück nachdenken, als wenn der berüchtigtste Zuhälter der Stadt gerade dazu ansetzt, dir die Hände abzuhacken.
Zuerst wird der Brenner von einem Kind bewusstlos geschlagen. Und dann versucht seine Freundin, ihn vor den Traualtar zu schleppen. Es läuft nämlich gerade ausgesprochen gut zwischen den beiden. Einziges Problem: Mit seiner anderen Freundin läuft es auch sehr gut. Und was ist mit der dritten Frau? Spurlos verschwunden. Die Suche nach ihr hilft dem Detektiv bei der Lösung seiner privaten Probleme. Denn nie kannst du besser über das Glück nachdenken, als wenn der berüchtigtste Zuhälter der Stadt gerade dazu ansetzt, dir die Hände abzuhacken.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2015Du, glückliches Österreich, morde
Inschpektor gibt's kaan! Mag Wolf Haas in einer eigenen Liga spielen, andere Autoren haben auch seltsame Ermittler. Und mit Abgründen kennen sich Autoren unseres Nachbarlandes seit jeher gut aus.
In Österreich gibt es zwar Polizeikommissariate, aber der Dienstgrad "Kommissar" existiert nicht. Spätestens seit der satirischen Fernsehserie "Kottan ermittelt" (Buch: Helmut Zenker, Regie: Peter Patzak; ausgestrahlt zwischen 1976 und 1983) dürfte das allgemein bekannt sein. Der titelgebende Serienheld, der Kriminalbeamte Adolf Kottan, bekleidete den Rang eines Majors. Schreibt jemand eine Geschichte, die in Österreich spielt und in welcher der Polizei auch irgendeine Rolle zugedacht ist, sollten diese Dienstgrade eventuell berücksichtigt werden. Zumindest die Leser könnten daraus Schlüsse ziehen, wie ernst es der Autor oder die in geringerer Zahl vertretene Autorin mit dem Sujet meint, ob und wie sorgfältig recherchiert wurde und Ähnliches. Über die Qualität sagt das freilich noch nicht viel aus.
Der Detektivroman mit einem Profi-Ermittler, egal ob "hardboiled" oder "Gentleman", ist in Österreich zwar auffallend unterrepräsentiert, viel häufiger sind Polizisten die Hauptfiguren der Kriminalgeschichten. Aber dann tauchen da so Typen wie "der Brenner", "der Lemming" oder "der Metzger" auf. Simon Brenner ist der Protagonist in mittlerweile acht Romanen von Wolf Haas. Eben erhielt der Autor für sein Gesamtwerk den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (F.A.Z. vom 7. Juli). Drei seiner Krimis, darunter gleich der erste Auftritt Brenners in "Auferstehung der Toten" von 1997, wurden mit dem Deutschen Krimi-Preis, wenn auch nur einmal mit dem ersten Platz ("Komm süßer Tod", 1999), ausgezeichnet.
Vier Bücher um den ehemaligen Polizeiinspektor, Sanitätswagenfahrer, Gelegenheitsprivatdetektiv und seit "Brennerova" (2014) Pensionisten wurden, jeweils mit Josef Hader in der Titelrolle, verfilmt, fünf Brenner-Krimis als Hörspiel inszeniert. Die Filme finden sich unter den fünfzehn erfolgreichsten Österreichs. Das im gesamten deutschen Sprachraum anhaltende Interesse konnte man am Anfang mit dem Reiz des Exotischen erklären. Simon Brenner wirkt nicht besonders sympathisch, gewiss nicht überragend intelligent, verfügt aber über Intuition und brutale Entschlossenheit. Haas lässt die Geschichten von einem auktorialen Erzähler kommentieren, der den Leser wiederholt direkt anspricht - "frage nicht!" In "Das ewige Leben" (in diesem Frühjahr in den Kinos) stirbt der Protagonist überraschend, nur um sechs Jahre später in "Der Brenner und der liebe Gott" unbeirrt weiterzumachen.
Der ebenfalls unangepasste Ermittler Leopold Wallisch, genannt "Lemming", wird, wie weiland Brenner, aus dem Polizeidienst gemobbt, forscht aber auch weiterhin Verbrechen und anderen Kleinigkeiten nach. Erst als Angestellter einer Detektivagentur, bald, karrieretechnisch immer weiter absteigend, eher zufällig und zuletzt in eigener Sache. Die Reihe um den Wiener Detektiv wider Willen begann 2004 mit "Der Fall des Lemming", der im folgenden Jahr mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten Erstlingsroman geehrt wurde.
Nach lediglich vier Krimis versetzte Stefan Slupetzky, der auch Kinderbücher und Theaterstücke verfasst und als Illustrator tätig ist, seinen Wallisch derart in Rage, dass nach "Lemmings Zorn" (2009) eigentlich nichts mehr für diese Figur folgen kann. Slupetzky wechselt das Genre insofern, als sein bislang jüngstes Werk "Polivka hat einen Traum" von den unorthodoxen Nachforschungen eines Bezirksinspektors, also eines Polizeibeamten, handelt.
Mit einer Laufbahn bei der Polizei hat Willibald Adrian Metzger gar nichts am Hut. Der von Thomas Raab geschaffene Restaurator ist tatsächlich Hobbydetektiv und wird seit seiner ersten Mission in "Der Metzger muss nachsitzen" (2007) eher von den Verbrechen in seiner geliebten Arbeit gestört. Nach mittlerweile sechs Fällen und einer auf offenbar zu wenig Interesse gestoßenen und daher gestoppten Fernsehserie ist ungewiss, wann es mit ihm weitergeht. Aufgeben will Raab seine Lieblingsfigur aber keineswegs, wie er auch in einem Interview versicherte. Jedoch: "Die Metzger-Frequenz wird möglicherweise kein Jahresrhythmus mehr sein."
Raab ist wagemutig genug, innerhalb der einzelnen Bände mit Stil und Blickwechsel zu experimentieren. Während die Fälle von tristen Milieustudien bis zu kaltblütigen Komplotten ein breites Feld des Genres abdecken, trifft man sonst eher selten auf ganze Kapitel, die von Fischen in einem Aquarium, das sich allerdings an einem Tatort befindet, will sagen, zum Tatort wird, erzählt werden.
Ähnlich wie der Schwede Håkan Nesser, der seine Van-Veeteren-Krimis in einem fiktiven Skandinavien ansiedelt, legt sich auch Raab nicht auf geographisch genau Bestimmbares fest. Im südlichen deutschsprachigen Raum wohl, mit starken slawischen Einsprengseln, wenn man etwa an Metzgers Freundin Djurkovic denkt, aber ob Wien oder eventuell sogar München, bleibt in der Schwebe.
Da ist Martin Mucha schon sehr viel eindeutiger. Der gebürtige Grazer verbreitet über seinen Serienhelden, den kiffenden, teinabhängigen Philologen und Ich-Erzähler Arno Linder, eine Hassliebe zur österreichischen Hauptstadt, die ihresgleichen sucht. Dieser Tage erschien mit "Liebessiegel" der fünfte Band um Linder, der nun endlich eine Professorenstelle an der Universität Wien erlangt hat. Die etwas unsauberen Umstände, die dazu geführt haben, erfährt man aus dem Vorgängerroman. Mit der Polizei kriegt es der nie an Minderwertigkeitskomplexen leidende Linder meist als Verdächtiger zu tun, kommt aber immer und oft mit nicht nur einem sprichwörtlichen blauen Auge davon. Man liest die Reihe am besten als Satire.
Die Unterabteilung des historischen Krimis bedient seit "Die Naschmarktmorde" (2009) der Wiener Gerhard Loibelsberger, allerdings aus gleichsam amtlicher Sicht. Er lässt seinen Polizeiinspector Nechyba in der Hauptstadt der Donaumonarchie vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur Gewaltverbrechen aufklären, sondern zeichnet mit diesem ebenfalls nicht völlig angepassten Beamten (böhmische Wurzeln, kocht leidenschaftlich - Loibelsberger verfasst nebenbei Gourmetführer und Kochbücher) auch ein gut recherchiertes Bild der damaligen tristen gesellschaftlichen Verhältnisse.
Aber, pass auf, weil: interessant! Bisher begegneten wir in diesem Österreich-Rundblick nur Männern, sowohl bei den Autoren als auch bei den Ermittlern. Dorothea Zanon, verantwortlich für Lektorat und Programm des Innsbrucker Haymon Verlages, relativiert: "Es gibt - generell - weniger Autorinnen als Autoren. Das mag auch damit zu tun haben, dass ein Schriftstellerleben auf Dauer durchzuhalten schwierig ist. Dieser Beruf ist, wenn er ernst genommen wird, mit einem Familienleben schwer bis kaum zu vereinbaren." Bleibt unausgesprochen, dass die Hauptlast zumindest eines traditionellen Familienlebens nach wie vor von der Frau getragen wird.
Dem entspricht auch, so Zanon weiter, "dass es neuerdings zwar mehr Neueinsteigerinnen gibt, aber wesentlich weniger arrivierte Krimiautorinnen". Sie hat da einen guten Überblick, landen doch wöchentlich bis zu zwei Dutzend Manuskripte, darunter "natürlich auch zahlreiche Kriminalromane", hoffnungsvoller Jungautorinnen und -autoren auf den Schreibtischen im Lektorat. Immerhin verweist sie darauf, dass gerade bei Haymon mit Edith Kneifl die erste Friedrich-Glauser-Preisträgerin (1992 für "Zwischen zwei Nächten", Milena Verlag 1991) unter Vertrag steht. Kneifls Produktivität ist beinahe erschreckend: kaum ein Jahr seither ohne Kriminalroman oder zumindest mehrere Kurzgeschichten.
Mit Alfred Komarek und seiner Reihe um den spröden Gendarmerieinspektor Simon Polt, die im niederösterreichischen Waldviertel an der tschechischen Grenze spielt, ist Haymon das Stammhaus des Regionalkrimis, Komarek wohl dessen erster und wichtigster Erzähler. Seine meist bedrückenden, wenig kriminalistischen, aber stark an den Menschen interessierten Geschichten bedienen kein für die Tourismuswirtschaft verwertbares Klischee. In der Fülle der zahlreichen Salzburger-Festspiel-, Narzissenfest- oder sonstigen ländlichen Brauchtumsmordberichte sucht man nach einer würdigen Polt-Nachfolge bislang vergeblich.
MARTIN LHOTZKY
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Inschpektor gibt's kaan! Mag Wolf Haas in einer eigenen Liga spielen, andere Autoren haben auch seltsame Ermittler. Und mit Abgründen kennen sich Autoren unseres Nachbarlandes seit jeher gut aus.
In Österreich gibt es zwar Polizeikommissariate, aber der Dienstgrad "Kommissar" existiert nicht. Spätestens seit der satirischen Fernsehserie "Kottan ermittelt" (Buch: Helmut Zenker, Regie: Peter Patzak; ausgestrahlt zwischen 1976 und 1983) dürfte das allgemein bekannt sein. Der titelgebende Serienheld, der Kriminalbeamte Adolf Kottan, bekleidete den Rang eines Majors. Schreibt jemand eine Geschichte, die in Österreich spielt und in welcher der Polizei auch irgendeine Rolle zugedacht ist, sollten diese Dienstgrade eventuell berücksichtigt werden. Zumindest die Leser könnten daraus Schlüsse ziehen, wie ernst es der Autor oder die in geringerer Zahl vertretene Autorin mit dem Sujet meint, ob und wie sorgfältig recherchiert wurde und Ähnliches. Über die Qualität sagt das freilich noch nicht viel aus.
Der Detektivroman mit einem Profi-Ermittler, egal ob "hardboiled" oder "Gentleman", ist in Österreich zwar auffallend unterrepräsentiert, viel häufiger sind Polizisten die Hauptfiguren der Kriminalgeschichten. Aber dann tauchen da so Typen wie "der Brenner", "der Lemming" oder "der Metzger" auf. Simon Brenner ist der Protagonist in mittlerweile acht Romanen von Wolf Haas. Eben erhielt der Autor für sein Gesamtwerk den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (F.A.Z. vom 7. Juli). Drei seiner Krimis, darunter gleich der erste Auftritt Brenners in "Auferstehung der Toten" von 1997, wurden mit dem Deutschen Krimi-Preis, wenn auch nur einmal mit dem ersten Platz ("Komm süßer Tod", 1999), ausgezeichnet.
Vier Bücher um den ehemaligen Polizeiinspektor, Sanitätswagenfahrer, Gelegenheitsprivatdetektiv und seit "Brennerova" (2014) Pensionisten wurden, jeweils mit Josef Hader in der Titelrolle, verfilmt, fünf Brenner-Krimis als Hörspiel inszeniert. Die Filme finden sich unter den fünfzehn erfolgreichsten Österreichs. Das im gesamten deutschen Sprachraum anhaltende Interesse konnte man am Anfang mit dem Reiz des Exotischen erklären. Simon Brenner wirkt nicht besonders sympathisch, gewiss nicht überragend intelligent, verfügt aber über Intuition und brutale Entschlossenheit. Haas lässt die Geschichten von einem auktorialen Erzähler kommentieren, der den Leser wiederholt direkt anspricht - "frage nicht!" In "Das ewige Leben" (in diesem Frühjahr in den Kinos) stirbt der Protagonist überraschend, nur um sechs Jahre später in "Der Brenner und der liebe Gott" unbeirrt weiterzumachen.
Der ebenfalls unangepasste Ermittler Leopold Wallisch, genannt "Lemming", wird, wie weiland Brenner, aus dem Polizeidienst gemobbt, forscht aber auch weiterhin Verbrechen und anderen Kleinigkeiten nach. Erst als Angestellter einer Detektivagentur, bald, karrieretechnisch immer weiter absteigend, eher zufällig und zuletzt in eigener Sache. Die Reihe um den Wiener Detektiv wider Willen begann 2004 mit "Der Fall des Lemming", der im folgenden Jahr mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten Erstlingsroman geehrt wurde.
Nach lediglich vier Krimis versetzte Stefan Slupetzky, der auch Kinderbücher und Theaterstücke verfasst und als Illustrator tätig ist, seinen Wallisch derart in Rage, dass nach "Lemmings Zorn" (2009) eigentlich nichts mehr für diese Figur folgen kann. Slupetzky wechselt das Genre insofern, als sein bislang jüngstes Werk "Polivka hat einen Traum" von den unorthodoxen Nachforschungen eines Bezirksinspektors, also eines Polizeibeamten, handelt.
Mit einer Laufbahn bei der Polizei hat Willibald Adrian Metzger gar nichts am Hut. Der von Thomas Raab geschaffene Restaurator ist tatsächlich Hobbydetektiv und wird seit seiner ersten Mission in "Der Metzger muss nachsitzen" (2007) eher von den Verbrechen in seiner geliebten Arbeit gestört. Nach mittlerweile sechs Fällen und einer auf offenbar zu wenig Interesse gestoßenen und daher gestoppten Fernsehserie ist ungewiss, wann es mit ihm weitergeht. Aufgeben will Raab seine Lieblingsfigur aber keineswegs, wie er auch in einem Interview versicherte. Jedoch: "Die Metzger-Frequenz wird möglicherweise kein Jahresrhythmus mehr sein."
Raab ist wagemutig genug, innerhalb der einzelnen Bände mit Stil und Blickwechsel zu experimentieren. Während die Fälle von tristen Milieustudien bis zu kaltblütigen Komplotten ein breites Feld des Genres abdecken, trifft man sonst eher selten auf ganze Kapitel, die von Fischen in einem Aquarium, das sich allerdings an einem Tatort befindet, will sagen, zum Tatort wird, erzählt werden.
Ähnlich wie der Schwede Håkan Nesser, der seine Van-Veeteren-Krimis in einem fiktiven Skandinavien ansiedelt, legt sich auch Raab nicht auf geographisch genau Bestimmbares fest. Im südlichen deutschsprachigen Raum wohl, mit starken slawischen Einsprengseln, wenn man etwa an Metzgers Freundin Djurkovic denkt, aber ob Wien oder eventuell sogar München, bleibt in der Schwebe.
Da ist Martin Mucha schon sehr viel eindeutiger. Der gebürtige Grazer verbreitet über seinen Serienhelden, den kiffenden, teinabhängigen Philologen und Ich-Erzähler Arno Linder, eine Hassliebe zur österreichischen Hauptstadt, die ihresgleichen sucht. Dieser Tage erschien mit "Liebessiegel" der fünfte Band um Linder, der nun endlich eine Professorenstelle an der Universität Wien erlangt hat. Die etwas unsauberen Umstände, die dazu geführt haben, erfährt man aus dem Vorgängerroman. Mit der Polizei kriegt es der nie an Minderwertigkeitskomplexen leidende Linder meist als Verdächtiger zu tun, kommt aber immer und oft mit nicht nur einem sprichwörtlichen blauen Auge davon. Man liest die Reihe am besten als Satire.
Die Unterabteilung des historischen Krimis bedient seit "Die Naschmarktmorde" (2009) der Wiener Gerhard Loibelsberger, allerdings aus gleichsam amtlicher Sicht. Er lässt seinen Polizeiinspector Nechyba in der Hauptstadt der Donaumonarchie vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur Gewaltverbrechen aufklären, sondern zeichnet mit diesem ebenfalls nicht völlig angepassten Beamten (böhmische Wurzeln, kocht leidenschaftlich - Loibelsberger verfasst nebenbei Gourmetführer und Kochbücher) auch ein gut recherchiertes Bild der damaligen tristen gesellschaftlichen Verhältnisse.
Aber, pass auf, weil: interessant! Bisher begegneten wir in diesem Österreich-Rundblick nur Männern, sowohl bei den Autoren als auch bei den Ermittlern. Dorothea Zanon, verantwortlich für Lektorat und Programm des Innsbrucker Haymon Verlages, relativiert: "Es gibt - generell - weniger Autorinnen als Autoren. Das mag auch damit zu tun haben, dass ein Schriftstellerleben auf Dauer durchzuhalten schwierig ist. Dieser Beruf ist, wenn er ernst genommen wird, mit einem Familienleben schwer bis kaum zu vereinbaren." Bleibt unausgesprochen, dass die Hauptlast zumindest eines traditionellen Familienlebens nach wie vor von der Frau getragen wird.
Dem entspricht auch, so Zanon weiter, "dass es neuerdings zwar mehr Neueinsteigerinnen gibt, aber wesentlich weniger arrivierte Krimiautorinnen". Sie hat da einen guten Überblick, landen doch wöchentlich bis zu zwei Dutzend Manuskripte, darunter "natürlich auch zahlreiche Kriminalromane", hoffnungsvoller Jungautorinnen und -autoren auf den Schreibtischen im Lektorat. Immerhin verweist sie darauf, dass gerade bei Haymon mit Edith Kneifl die erste Friedrich-Glauser-Preisträgerin (1992 für "Zwischen zwei Nächten", Milena Verlag 1991) unter Vertrag steht. Kneifls Produktivität ist beinahe erschreckend: kaum ein Jahr seither ohne Kriminalroman oder zumindest mehrere Kurzgeschichten.
Mit Alfred Komarek und seiner Reihe um den spröden Gendarmerieinspektor Simon Polt, die im niederösterreichischen Waldviertel an der tschechischen Grenze spielt, ist Haymon das Stammhaus des Regionalkrimis, Komarek wohl dessen erster und wichtigster Erzähler. Seine meist bedrückenden, wenig kriminalistischen, aber stark an den Menschen interessierten Geschichten bedienen kein für die Tourismuswirtschaft verwertbares Klischee. In der Fülle der zahlreichen Salzburger-Festspiel-, Narzissenfest- oder sonstigen ländlichen Brauchtumsmordberichte sucht man nach einer würdigen Polt-Nachfolge bislang vergeblich.
MARTIN LHOTZKY
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»'Brennerova' ist ein klassischer Haas: kurios, spannend, sprachspielerisch und in vielen Szenen einfach saukomisch.« Hamburger Abendblatt
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Auf Bilder von erhabener Komik trifft Georg Renöckl nicht nur einmal im neuen Brenner von Wolf Haas. Der siebte ist es und Brenner noch immer nicht wirklich weise, wie Renöckl erleichtert feststellt. Im Gegenteil wird die Prädikatlosigkeit hier noch exzessiver, wird das (Welt-)Geschehen noch besserwisserischer bzw. philosophisch ausgefuchster vom Brenner kommentiert, wie Renöckl erklärt. Den Erzähler möchte er am liebsten seitenweise zitieren, etwa wenn Brenner über Prostitution sinniert, über die Mongolei, die der Brenner auf dem Motorrad durchquert, über über seine routinierte Beziehung (die hier von einer russischen Schönheit unterminiert wird) oder allgemein das Verhältnis von Männern und Frauen: "die Frauenträne [ist] natürlich die Achillesferse des Mannes an und für sich, da gibt es gar nichts". Dass der Autor inzwischen auf schwarze Austria-Folklore verzichtet, dafür nun aber gesellschaftliche Realitäten verhandelt, gefällt dem Rezensenten auch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.09.2014Auf jeden Fall
In „Brennerova“, seinem neuen Roman über den Detektiv Brenner, lässt Wolf Haas die
Globalisierung und Digitalisierung auf die Sprach-, Denk- und Traumspiele der Wiener Moderne treffen
VON NICOLAS FREUND
Die Hände sind besondere Körperteile. Mit den Händen berührt man Menschen, schüttelt andere Hände und verteilt auch mal Ohrfeigen. Mit einem Stift in der Hand schreibt man, mit einer Nadel in der Hand tätowiert man, mit einem Beil in der Hand hackt man Hände ab. Dass ein Paar Hände abgehackt werden, kommt vor, aber dass zwei Paar Hände auf einmal ab sind, muss man erst einmal verarbeiten.Auch das Smartphone, das die Welt in kleine digitale Bites, Bytes und Pixel zerhackt, kann dem Ermittler nicht helfen, zumal, wenn er es zu Haus vergessen hat.
Wolf Haas lässt seine Leser gerne erst einmal im Dunkeln tappen. Wie schon beim ersten Brenner-Krimi „Die Auferstehung der Toten“ von 1996, in dem die Ermittlungen nicht, wie zu erwarten, in die Unterwelt, sondern in die Grammatik geführt haben. Am Anfang der fatalen Kausalkette dieses neuen Romans steht wieder ein Fall, und zwar der Fall einer Gartenschere vom Dach auf den Gehweg, den zufällig gerade Brenner und seine Bekannte, die Frührentnerin Herta passieren. Passiert ist den beiden zum Glück nichts, denn die Schere hat hier ausnahmsweise einmal zwei Dinge zusammengebracht und nicht getrennt. Das werden nach knapp 250 Seiten nicht alle Figuren behaupten können, orakelt der berühmte Erzähler der Brenner-Romane hier bereits. „Aber ich sage immer, da ist die Herta natürlich die Allerletzte, der man das zum Vorwurf machen darf.“
Auch die oft abgründigen Doppeldeutigkeiten gehören seit dem ersten Fall zum festen Repertoire. Das Meiste im mittlerweile achten Brenner-Roman ist nicht neu, funktioniert aber noch immer. Eben jenes Kapitel nun über die abhanden gekommenen Hände gehört sogar zum Besten, was der Österreicher Wolf Haas seit seinem Debütroman veröffentlicht hat.
Und das, obwohl Detektiv Brenner, auf den die Erzählung meist fokussiert ist, hier gar nicht vorkommt, sondern nur die Krankenschwester Anna Elisabeth, eine Figur, wie es sie in allen Brenner-Romanen gibt, ein wandelndes Klischee der kleinen Stationsschwester, die alle Fäden in der Hand hält. Die, aus erster oder aus zweiter Hand, ebenso genau weiß, wer wo was tätowiert hat. „Es gibt Operationen, und es gibt Operationen.“
Da kapituliert irgendwann auch die Sprache. Die Sätze dieser eigenwilligen, inzwischen sehr routinierten Kunstsprache wirken häufig, als wären sie mit Beil oder Gartenschere bearbeitet worden: „Um zwei Uhr früh alle aus dem Schlaf geholt, weil vom Notarztwagen die abgehackten Hände angekündigt, da muss es schnell gehen. Das ist natürlich schon, da geht der Puls einmal. Da flattert er, frage nicht.“ Diese Sätze sind selbst wie Armstümpfe, die in nur eine Richtung weisen, auf die immergleichen Phrasen zielen. Da scheint es plötzlich kein Zufall mehr, wenn auch die griechischen und russischen Aphorismen auf den tätowierten Armen mittendurch gehackt sind.
„Früher hat man gesagt, die Russinnen“, fängt der Roman an. Mit denen hat es der Brenner. Mittlerweile über 60 und mehr oder weniger fest mit Herta liiert, kommt er einfach nicht an dieser Internetseite vorbei, die Kontakte zu heiratswilligen osteuropäischen Frauen vermittelt. Am Anfang ist da die Neugier, was es so alles gibt im fernen Osten, der seit der Globalisierung gar nicht mehr so fern ist. Lebensgefährtin Herta reist auch nach Marokko und in die Mongolei zum Schamanenseminar. Alleine. Zeit hat sie, weil ihr als Volksschullehrerin mal die Hand ausgerutscht ist – und sie damit in Österreich ja fast in philosophischer Tradition steht.
Der Brenner hat also auch freie Zeit und freie Hand. Deshalb sucht er sich seine „Brennerova“. Auch nur aus Neugier, wie das denn so wäre. Weil, keiner ist so blöd, auf diese Internettricks mit angeblich heiratswilligen, wunderschönen Frauen hereinzufallen. Oder? Ein Klick führt zum anderen. War wäre wenn, wird wahr: Denn die digitale Welt ist ja klein, weil zerhackte Sachen meistens handlicher sind. „Eine Freundin in der Wirklichkeit, eine im Computer. Doppelleben Hilfsausdruck.“
Weil die Welt so klein geworden ist, reist der Brenner zum ersten Mal nach Russland. Die fesche Nadeshda braucht den Brenner als alten Kripobeamten, weil ihre Schwester, die noch schönere Serafima, so vermutet sie, Menschenhändlern in die Hände gefallen ist. Wahrscheinlich genau jenen Verbrechern, die Hände so gerne abhacken. Auch in Russland winkt noch immer keine Rente für den in die Jahre gekommenen Detektiv.
Dass dann ein auf die Brust tätowierter Stier mal da ist, mal wieder nicht und mit einem Mal sogar die Herta in der Mongolei heimsucht, ist nicht nur auf undurchsichtige Fälle und eine kleine Welt zurückzuführen. In einigen Kapiteln ist es nicht mehr weit bis zum fantastischen Roman, und was verschwiegen wird, ist oft genauso wichtig wie das, was gesagt wird.
Brenner scheint – im Gegensatz zu vielen anderen Figuren – gar nicht zu wissen, durch welches philosophische und literarische Erbe er flaniert, wenn er in Wien den Fall löst. Wie immer, ist dabei eher der Zufall als detektivisches Handwerk entscheidend. Die Wiener Moderne ist in der Brenner-Welt offenkundig ebenso gegenwärtig wie das Internet und die Globalisierung. Anspielungen Motive aus Psychoanalyse oder Gestaltpsychologie oder auf die Gelehrten des Wiener Kreises blitzen auf, meist zu einem banalen, aber witzigen Problem reduziert. So werden die Brenner-Romane zum, absurden Querschnitt aus Geistes- und Alltagsleben, zu Sprachspielen über das Denken, Leben und Sterben in Österreich. „Hundertprozentig sicher kannst du dir bei so etwas nie sein, bei überhaupt nichts im Leben kannst du das sein. Nur die Leute, die sich immer überall hundertprozentig sicher sind, irren sich hundertprozentig, das ist die einzige Ausnahme.“ Kurt Gödel oder Ludwig Wittgenstein hätten das nur etwas anders formuliert.
Wolf Haas: Brennerova. Roman. Hoffmann und Campe Verlag. Hamburg 2014. 242 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Am Anfang der fatalen Kausalkette steht in „Brennerova“ der Fall einer Gartenschere.
Foto: Cultura Images/F1online
Wolf Haas , Jahrgang 1960, wurde mit seinen Romanen um den
Detektiv Simon Brenner bekannt. Mehrfach gewann er den Deutschen Krimipreis. Foto: dpa
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In „Brennerova“, seinem neuen Roman über den Detektiv Brenner, lässt Wolf Haas die
Globalisierung und Digitalisierung auf die Sprach-, Denk- und Traumspiele der Wiener Moderne treffen
VON NICOLAS FREUND
Die Hände sind besondere Körperteile. Mit den Händen berührt man Menschen, schüttelt andere Hände und verteilt auch mal Ohrfeigen. Mit einem Stift in der Hand schreibt man, mit einer Nadel in der Hand tätowiert man, mit einem Beil in der Hand hackt man Hände ab. Dass ein Paar Hände abgehackt werden, kommt vor, aber dass zwei Paar Hände auf einmal ab sind, muss man erst einmal verarbeiten.Auch das Smartphone, das die Welt in kleine digitale Bites, Bytes und Pixel zerhackt, kann dem Ermittler nicht helfen, zumal, wenn er es zu Haus vergessen hat.
Wolf Haas lässt seine Leser gerne erst einmal im Dunkeln tappen. Wie schon beim ersten Brenner-Krimi „Die Auferstehung der Toten“ von 1996, in dem die Ermittlungen nicht, wie zu erwarten, in die Unterwelt, sondern in die Grammatik geführt haben. Am Anfang der fatalen Kausalkette dieses neuen Romans steht wieder ein Fall, und zwar der Fall einer Gartenschere vom Dach auf den Gehweg, den zufällig gerade Brenner und seine Bekannte, die Frührentnerin Herta passieren. Passiert ist den beiden zum Glück nichts, denn die Schere hat hier ausnahmsweise einmal zwei Dinge zusammengebracht und nicht getrennt. Das werden nach knapp 250 Seiten nicht alle Figuren behaupten können, orakelt der berühmte Erzähler der Brenner-Romane hier bereits. „Aber ich sage immer, da ist die Herta natürlich die Allerletzte, der man das zum Vorwurf machen darf.“
Auch die oft abgründigen Doppeldeutigkeiten gehören seit dem ersten Fall zum festen Repertoire. Das Meiste im mittlerweile achten Brenner-Roman ist nicht neu, funktioniert aber noch immer. Eben jenes Kapitel nun über die abhanden gekommenen Hände gehört sogar zum Besten, was der Österreicher Wolf Haas seit seinem Debütroman veröffentlicht hat.
Und das, obwohl Detektiv Brenner, auf den die Erzählung meist fokussiert ist, hier gar nicht vorkommt, sondern nur die Krankenschwester Anna Elisabeth, eine Figur, wie es sie in allen Brenner-Romanen gibt, ein wandelndes Klischee der kleinen Stationsschwester, die alle Fäden in der Hand hält. Die, aus erster oder aus zweiter Hand, ebenso genau weiß, wer wo was tätowiert hat. „Es gibt Operationen, und es gibt Operationen.“
Da kapituliert irgendwann auch die Sprache. Die Sätze dieser eigenwilligen, inzwischen sehr routinierten Kunstsprache wirken häufig, als wären sie mit Beil oder Gartenschere bearbeitet worden: „Um zwei Uhr früh alle aus dem Schlaf geholt, weil vom Notarztwagen die abgehackten Hände angekündigt, da muss es schnell gehen. Das ist natürlich schon, da geht der Puls einmal. Da flattert er, frage nicht.“ Diese Sätze sind selbst wie Armstümpfe, die in nur eine Richtung weisen, auf die immergleichen Phrasen zielen. Da scheint es plötzlich kein Zufall mehr, wenn auch die griechischen und russischen Aphorismen auf den tätowierten Armen mittendurch gehackt sind.
„Früher hat man gesagt, die Russinnen“, fängt der Roman an. Mit denen hat es der Brenner. Mittlerweile über 60 und mehr oder weniger fest mit Herta liiert, kommt er einfach nicht an dieser Internetseite vorbei, die Kontakte zu heiratswilligen osteuropäischen Frauen vermittelt. Am Anfang ist da die Neugier, was es so alles gibt im fernen Osten, der seit der Globalisierung gar nicht mehr so fern ist. Lebensgefährtin Herta reist auch nach Marokko und in die Mongolei zum Schamanenseminar. Alleine. Zeit hat sie, weil ihr als Volksschullehrerin mal die Hand ausgerutscht ist – und sie damit in Österreich ja fast in philosophischer Tradition steht.
Der Brenner hat also auch freie Zeit und freie Hand. Deshalb sucht er sich seine „Brennerova“. Auch nur aus Neugier, wie das denn so wäre. Weil, keiner ist so blöd, auf diese Internettricks mit angeblich heiratswilligen, wunderschönen Frauen hereinzufallen. Oder? Ein Klick führt zum anderen. War wäre wenn, wird wahr: Denn die digitale Welt ist ja klein, weil zerhackte Sachen meistens handlicher sind. „Eine Freundin in der Wirklichkeit, eine im Computer. Doppelleben Hilfsausdruck.“
Weil die Welt so klein geworden ist, reist der Brenner zum ersten Mal nach Russland. Die fesche Nadeshda braucht den Brenner als alten Kripobeamten, weil ihre Schwester, die noch schönere Serafima, so vermutet sie, Menschenhändlern in die Hände gefallen ist. Wahrscheinlich genau jenen Verbrechern, die Hände so gerne abhacken. Auch in Russland winkt noch immer keine Rente für den in die Jahre gekommenen Detektiv.
Dass dann ein auf die Brust tätowierter Stier mal da ist, mal wieder nicht und mit einem Mal sogar die Herta in der Mongolei heimsucht, ist nicht nur auf undurchsichtige Fälle und eine kleine Welt zurückzuführen. In einigen Kapiteln ist es nicht mehr weit bis zum fantastischen Roman, und was verschwiegen wird, ist oft genauso wichtig wie das, was gesagt wird.
Brenner scheint – im Gegensatz zu vielen anderen Figuren – gar nicht zu wissen, durch welches philosophische und literarische Erbe er flaniert, wenn er in Wien den Fall löst. Wie immer, ist dabei eher der Zufall als detektivisches Handwerk entscheidend. Die Wiener Moderne ist in der Brenner-Welt offenkundig ebenso gegenwärtig wie das Internet und die Globalisierung. Anspielungen Motive aus Psychoanalyse oder Gestaltpsychologie oder auf die Gelehrten des Wiener Kreises blitzen auf, meist zu einem banalen, aber witzigen Problem reduziert. So werden die Brenner-Romane zum, absurden Querschnitt aus Geistes- und Alltagsleben, zu Sprachspielen über das Denken, Leben und Sterben in Österreich. „Hundertprozentig sicher kannst du dir bei so etwas nie sein, bei überhaupt nichts im Leben kannst du das sein. Nur die Leute, die sich immer überall hundertprozentig sicher sind, irren sich hundertprozentig, das ist die einzige Ausnahme.“ Kurt Gödel oder Ludwig Wittgenstein hätten das nur etwas anders formuliert.
Wolf Haas: Brennerova. Roman. Hoffmann und Campe Verlag. Hamburg 2014. 242 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Am Anfang der fatalen Kausalkette steht in „Brennerova“ der Fall einer Gartenschere.
Foto: Cultura Images/F1online
Wolf Haas , Jahrgang 1960, wurde mit seinen Romanen um den
Detektiv Simon Brenner bekannt. Mehrfach gewann er den Deutschen Krimipreis. Foto: dpa
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