"Das Ausbleiben der Zukunft ist nichts für schwache Nerven." So viel steht für den namenlosen Ich-Erzähler fest, der nach dem Tod der Mutter bei seinem Onkel in einer von Bergen und Schluchten umgebenen Siedlung lebt. Und die Zukunft macht sich rar, denn wegen der Abgeschiedenheit der Siedlung kapseln sich deren Einwohner zusehends ab. So entsteht ein Mikrokosmos mit ganz eigenen Sitten und Gebräuchen, wie etwa den "Brenntagen" bzw. diversen "Waldriten". Die Grenzen zwischen Surrealität und Realität verschwimmen - Menschen verschwinden, durch die Wälder ziehen Soldaten, Hunderudel und mitunter sogar Geister, die auf längst geführte Kriege verweisen, überall Echos, deren eigentlicher Sinn verborgen bleibt. Da ist es nur gut, dass es den Onkel gibt, eine schier unerschöpfliche Quelle eigensinniger und abgründiger Weisheit. Und als die Siedlung durch ein großes Feuer in Schutt und Asche gelegt wird, übernimmt dieser das Kommando und veranlasst einen Umzug der Bewohner in eine der nahe gelegenen Minen ...
In schillernd-poetischer Sprache erzählt Michael Stavaric in seinem neuen Roman auf waghalsige und zugleich berührende Weise vom Erwachsenwerden in einer sich beständig wandelnden Gegenwart.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2011Wer nascht am Feuerwerk?
Nicht nur für Pyromanen: Der tschechisch-österreichische Autor Michael Stavaric gräbt sich in seinem neuen Roman "Brenntage" ins Bergwerk der Phantasie.
Am Schluss fließen die Worte wie durch einen Trichter aus dem Buch heraus. Von "Feuern", "Minen", "Felsen" und "Schiffsgerippen" ist die Rede. Und wenn das allerletzte Schwarz-auf-weiß in einem typografisch versinnbildlichten Strudel verschwindet, erblickt man noch gerade so ein Verb im Auge des Orkans. Buchstabe für Buchstabe verabschiedet es sich, das Wörtchen "blicken". Was das wohl bedeuten mag, wenn nun ausgerechnet der Blick aus dem Blick des Lesers gerät, die Imago auf den Erzählgrund saust so wie ein kostbarer Ring beim Händewaschen in den Ausguss eines Waschbeckens?
Es begann ja bereits mit einer Auslöschung dieses Buchs des vielfach preisgekrönten tschechisch-österreichischen Schriftstellers Michael Stavaric. In einer kleinen Siedlung, umgeben von Wiesen, Wäldern und Bergen, treten die Bewohner einmal im Jahr vor ihre Wohnungstüren, um überflüssigen Hausrat zu verbrennen. "Die Brenntage sind das Beste, was unserer Siedlung passieren konnte", behauptet der Onkel des namenlosen Ich-Erzählers. Und tatsächlich ist es mit der Zündelei eine praktische Sache. Denn obwohl die Siedler offensichtlich keinen Kontakt zur Außenwelt haben, wird doch im Laufe eines Jahres allerlei Überflüssiges angehäuft. Die Brenntage sind ein Purgatorium, bei dem die geistigen und materiellen Errungenschaften einer ganzen Dorfgemeinschaft abgefackelt werden, aber auch, wie der Onkel seinen Neffen lehrt, ein transzendentaler Blick in die Vergangenheit möglich wird - und zwar "in die Zeiten der Höhlen und Felle". Und wurde da nicht auch irgendwann das Feuer erfunden?
In diesem Buch jedenfalls scheint alles um die Idee der Feuergeburt zu kreisen. Das Lieblingsrezept der Tante heißt "Scheiterhaufen", eine Mehlspeise mit Äpfeln nach Art der Armen Ritter, die gelegentlich schon mal im alten Stahlhelm in die Röhre geschoben wird, bevor die Tante bei ihrer Einäscherung denselben Weg nur ohne Stahlhelm wird nehmen müssen. Und im Wald erfinden die Siedlungskinder so manches Ritual, in dem, was nicht niet- und nagelfest ist, jede "Verlassenschaft", wie es heißt, den Flammen zum Opfer fällt: ein Exorzismus, das auch, zumal die Toten die Lebenden an diesem Alpenidyll wie kleine Teufel plagen. Die frühverstorbene Mutter des Erzählers meldet sich in Briefen zu Wort, der Onkel fertigt nach dem Tod der Tante ein "Geräuschmerkblatt" an, das den Erzähler zwingt, zu bestimmten Zeiten tantentypische Geräusche zu produzieren: staubsaugen, mit dem Geschirr klappern, Kissen schütteln.
Nein, diese Siedlung wird ihre Dämonen nicht los und auch nicht ihre eigene Geschichte, die sie so sorgfältig Jahr für Jahr ins Feuer gibt. Soldaten durchwandern die Gegend, Bergarbeiter lassen ihr Leben beim Graben nach Erzen für die Schwerindustrie in einem ungenannten, aber merkwürdig präsenten Krieg und als der Wind während der Brenntage einmal aus der falschen Richtung bläst, hat die Siedlung sich selbst in einen Ascheberg verwandelt. Man zieht notgedrungen um ins nahe gelegene Bergwerk, in dem schließlich noch der vom Onkel säuberlich ausgearbeitete Lageplan von einer gierig züngelnden Kerzenflamme verschlungen wird.
Wieder einmal lässt Michael Stavaric, von dem auch ein Kinderbuch mit dem verstörenden Titel "Die kleine Sensenfrau" stammt, Schöpfungsmythen auf Geisterbeschwörung treffen und mengt eine Prise Kindheitsmagie dazu. Nicht nur der Erzähler fühlt sich, "als hätte er schon etliche Leben hier verbracht (oder deren Auswirkungen erfahren)". Nur wird er daraus nicht recht schlau. Aus diesem Feuerwerk an Andeutungen ergibt sich kaum mehr als jenes Unbehagen, das einem noch in den Knochen steckt, wenn man schlecht geträumt hat, während man sich an die Details schon gar nicht mehr erinnern kann. "Höre gut zu, jeder Mensch sollte ein Geheimnis haben", sagt der Onkel. Michael Stavaric hat viele Geheimnisse - auch in diesem Buch behält er sie meistens für sich, zieht den Stopfen aus der Wanne und lässt alles dorthin zurücksickern, wo es hergekommen ist: ins Bergwerg seiner Phantasie.
KATHARINA TEUTSCH
Michael Stavaric: "Brenntage". Roman.
C.H. Beck Verlag, München 2011. 231 S., geb., 18,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht nur für Pyromanen: Der tschechisch-österreichische Autor Michael Stavaric gräbt sich in seinem neuen Roman "Brenntage" ins Bergwerk der Phantasie.
Am Schluss fließen die Worte wie durch einen Trichter aus dem Buch heraus. Von "Feuern", "Minen", "Felsen" und "Schiffsgerippen" ist die Rede. Und wenn das allerletzte Schwarz-auf-weiß in einem typografisch versinnbildlichten Strudel verschwindet, erblickt man noch gerade so ein Verb im Auge des Orkans. Buchstabe für Buchstabe verabschiedet es sich, das Wörtchen "blicken". Was das wohl bedeuten mag, wenn nun ausgerechnet der Blick aus dem Blick des Lesers gerät, die Imago auf den Erzählgrund saust so wie ein kostbarer Ring beim Händewaschen in den Ausguss eines Waschbeckens?
Es begann ja bereits mit einer Auslöschung dieses Buchs des vielfach preisgekrönten tschechisch-österreichischen Schriftstellers Michael Stavaric. In einer kleinen Siedlung, umgeben von Wiesen, Wäldern und Bergen, treten die Bewohner einmal im Jahr vor ihre Wohnungstüren, um überflüssigen Hausrat zu verbrennen. "Die Brenntage sind das Beste, was unserer Siedlung passieren konnte", behauptet der Onkel des namenlosen Ich-Erzählers. Und tatsächlich ist es mit der Zündelei eine praktische Sache. Denn obwohl die Siedler offensichtlich keinen Kontakt zur Außenwelt haben, wird doch im Laufe eines Jahres allerlei Überflüssiges angehäuft. Die Brenntage sind ein Purgatorium, bei dem die geistigen und materiellen Errungenschaften einer ganzen Dorfgemeinschaft abgefackelt werden, aber auch, wie der Onkel seinen Neffen lehrt, ein transzendentaler Blick in die Vergangenheit möglich wird - und zwar "in die Zeiten der Höhlen und Felle". Und wurde da nicht auch irgendwann das Feuer erfunden?
In diesem Buch jedenfalls scheint alles um die Idee der Feuergeburt zu kreisen. Das Lieblingsrezept der Tante heißt "Scheiterhaufen", eine Mehlspeise mit Äpfeln nach Art der Armen Ritter, die gelegentlich schon mal im alten Stahlhelm in die Röhre geschoben wird, bevor die Tante bei ihrer Einäscherung denselben Weg nur ohne Stahlhelm wird nehmen müssen. Und im Wald erfinden die Siedlungskinder so manches Ritual, in dem, was nicht niet- und nagelfest ist, jede "Verlassenschaft", wie es heißt, den Flammen zum Opfer fällt: ein Exorzismus, das auch, zumal die Toten die Lebenden an diesem Alpenidyll wie kleine Teufel plagen. Die frühverstorbene Mutter des Erzählers meldet sich in Briefen zu Wort, der Onkel fertigt nach dem Tod der Tante ein "Geräuschmerkblatt" an, das den Erzähler zwingt, zu bestimmten Zeiten tantentypische Geräusche zu produzieren: staubsaugen, mit dem Geschirr klappern, Kissen schütteln.
Nein, diese Siedlung wird ihre Dämonen nicht los und auch nicht ihre eigene Geschichte, die sie so sorgfältig Jahr für Jahr ins Feuer gibt. Soldaten durchwandern die Gegend, Bergarbeiter lassen ihr Leben beim Graben nach Erzen für die Schwerindustrie in einem ungenannten, aber merkwürdig präsenten Krieg und als der Wind während der Brenntage einmal aus der falschen Richtung bläst, hat die Siedlung sich selbst in einen Ascheberg verwandelt. Man zieht notgedrungen um ins nahe gelegene Bergwerk, in dem schließlich noch der vom Onkel säuberlich ausgearbeitete Lageplan von einer gierig züngelnden Kerzenflamme verschlungen wird.
Wieder einmal lässt Michael Stavaric, von dem auch ein Kinderbuch mit dem verstörenden Titel "Die kleine Sensenfrau" stammt, Schöpfungsmythen auf Geisterbeschwörung treffen und mengt eine Prise Kindheitsmagie dazu. Nicht nur der Erzähler fühlt sich, "als hätte er schon etliche Leben hier verbracht (oder deren Auswirkungen erfahren)". Nur wird er daraus nicht recht schlau. Aus diesem Feuerwerk an Andeutungen ergibt sich kaum mehr als jenes Unbehagen, das einem noch in den Knochen steckt, wenn man schlecht geträumt hat, während man sich an die Details schon gar nicht mehr erinnern kann. "Höre gut zu, jeder Mensch sollte ein Geheimnis haben", sagt der Onkel. Michael Stavaric hat viele Geheimnisse - auch in diesem Buch behält er sie meistens für sich, zieht den Stopfen aus der Wanne und lässt alles dorthin zurücksickern, wo es hergekommen ist: ins Bergwerg seiner Phantasie.
KATHARINA TEUTSCH
Michael Stavaric: "Brenntage". Roman.
C.H. Beck Verlag, München 2011. 231 S., geb., 18,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Anja Hirsch folgt dem Autor in ein Kindheitsland. Dass ihr dieser Ausflug angenehm in Erinnerung geblieben ist, liegt am Wollen des Autors Michael Stavaric, der keine rationale Analyse dörflicher Rituale oder kindlicher Mythen vornimmt, sondern reine Anschauung anvisiert. Ins Ziel gelangt er, wie Hirsch weiß, mit einer Naivität der Wahrnehmung, die wieder eine surreale Welt entstehen lässt. Ob es sich dabei wirklich um ein Naturgesetz handelt, wie Hirsch behauptet, oder doch um gute literarische Konstruktion, sei dahingestellt. Hirsch jedenfalls überzeugt der Text durch Magie und eine leitmotivische, klang- statt bloß inhaltsvolle Sprache. "Brenntage" ist für sie eine gelungene Anknüpfung an romantische Bildwelten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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