Studienarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Philipps-Universität Marburg, 12 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Anmerkungen: Eine in jeder Hinsicht hervorragende Hausarbeit vergleichend analysierend, kritisch stringent und tiefgründig sehr gute Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede die Arbeit ist "rund": These (Einleitung), Argumentation (Hauptteil) Zusammenfassung und Überprüfung der These (Fazit) literaturwissenschaftlich Fundiert + textnah aufgrund der herausragenden Leistung: 15 Punkte - sehr gut + , Abstract: Im Jahr 1995 erschien Faserland, der Debütroman von Christian Kracht, der bei seinen Lesern und in der Presse ganz unterschiedliche Reaktionen auslöste. Die Rezensionen bewegten sich in einem Spektrum von bedingungsloser Verehrung und vernichtender Kritik.
Faserland wurde in der Folge als Grundstein für einen Wandel in der modernen deutschen Literatur angesehen. Ihm folgten Autoren wieBenjamin v. Stuckrad-Barre oder Alexa Hennig von Lange, deren Bücher zu Bestsellern wurden.
Neben persönlichen Anfeindungen warf man Kracht vor, dass er in seinem Werk lediglich den Stil von seinem amerikanischen Vorbild Brett Easton Ellis kopiert habe. Es ist vielfach auf Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Autoren und ihren Werken hingewiesen worden. In dieser Arbeit soll anhand der beiden Debütwerke - Krachts Faserland und Unter Null von Ellis - untersucht werden, wo sich Gemeinsamkeiten finden lassen und wo Unterschiede zwischen den Romanen bestehen. Außerdem ist zu prüfen, ob diese Gemeinsamkeiten kennzeichnend für die beiden Romane bzw. Autoren sind, oder ob sie als typisch für Werke gelten können, die unter dem Begriff Pop-Literatur subsumiert werden. Vor diesem Hintergrund soll dann die Frage beantwortet werden, ob es zutrifft, dass Kracht den Stil von Ellis kopiert oder imitiert hat, wie ihm viele Kritiker vorwerfen.
Vielfach wurde der Pop-Literatur vorgeworfen, dass sie eine dekadente Spaß- und Feierkultur unkritisch abbilde, zum Teil sogar propagiere. Doch der Topos der Spaßkultur ist sowohl in Bezug auf Unter Null als auch auf Faserland nicht haltbar.
In der Arbeit liegt der Schwerpunkt beim Vergleich der Romane auf den Gestaltungsmerkmalen, den Erinnerungssequenzen, der Rolle der Eltern und der Darstellung von Tod, Gewalt und Grausamkeit.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Faserland wurde in der Folge als Grundstein für einen Wandel in der modernen deutschen Literatur angesehen. Ihm folgten Autoren wieBenjamin v. Stuckrad-Barre oder Alexa Hennig von Lange, deren Bücher zu Bestsellern wurden.
Neben persönlichen Anfeindungen warf man Kracht vor, dass er in seinem Werk lediglich den Stil von seinem amerikanischen Vorbild Brett Easton Ellis kopiert habe. Es ist vielfach auf Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Autoren und ihren Werken hingewiesen worden. In dieser Arbeit soll anhand der beiden Debütwerke - Krachts Faserland und Unter Null von Ellis - untersucht werden, wo sich Gemeinsamkeiten finden lassen und wo Unterschiede zwischen den Romanen bestehen. Außerdem ist zu prüfen, ob diese Gemeinsamkeiten kennzeichnend für die beiden Romane bzw. Autoren sind, oder ob sie als typisch für Werke gelten können, die unter dem Begriff Pop-Literatur subsumiert werden. Vor diesem Hintergrund soll dann die Frage beantwortet werden, ob es zutrifft, dass Kracht den Stil von Ellis kopiert oder imitiert hat, wie ihm viele Kritiker vorwerfen.
Vielfach wurde der Pop-Literatur vorgeworfen, dass sie eine dekadente Spaß- und Feierkultur unkritisch abbilde, zum Teil sogar propagiere. Doch der Topos der Spaßkultur ist sowohl in Bezug auf Unter Null als auch auf Faserland nicht haltbar.
In der Arbeit liegt der Schwerpunkt beim Vergleich der Romane auf den Gestaltungsmerkmalen, den Erinnerungssequenzen, der Rolle der Eltern und der Darstellung von Tod, Gewalt und Grausamkeit.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2008Der unsichere Kantonist
Wenn die Schweiz ein kommunistisches Weltreich wäre: Heute beginnen wir mit dem Vorabdruck von Christian Krachts Roman "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten".
Dieser Roman steht nicht auf der Liste. Doch so widerspenstig, wie er sich zu seiner Zeit verhält, und so rätselhaft, wie er sich liest, fehlt er dort. Christian Kracht, der Mann, der mit "Faserland" so etwas wie die Regelpoetik der neunziger Jahre schrieb, hat einen neuen Roman verfasst, sieben Jahre nach "1979", seinem letzten. Der neue Roman heißt "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" und ist eine totalitäre Fantasie. Sie spielt heute, in einer Gegenwart, die sich seit hundert Jahren anders entwickelt hat. In der ein Weltkrieg herrscht, der nicht aufhört und die Schweiz eine sowjetische Republik geworden ist, verstrickt im Kampf mit einem faschistischen Deutschland. Das Buch geht ein großes Risiko ein. Wie unbeteiligt erzählt Kracht von einer Militärwelt, in der niemand mehr Hobbys hat, Freunde trifft, sein profanes Leben lebt, sondern sich jeder einer großen Kriegsmaschine unterworfen hat. In einem Spätsommer, wo wieder Panzer rollen und von Geopolitik und Kontinentalinteressen gesprochen wird, ist kaum zu glauben, dass Krachts Roman auf der soeben vorgestellten Longlist des Deutschen Buchpreises fehlt. Die Jury hat das Buch nicht berücksichtigt. Wir beginnen heute mit dem Vorabdruck.
Seit Kracht im Jahr 1995 mit seinem Roman "Faserland" debütierte, damals neunundzwanzig Jahre alt, hat er in seinen Büchern selten den Normalfall einer geregelten Realität beschrieben. Kaum ein Kritiker, dem damals das Buch nicht verdächtig vorkam, der es abtat als Markenfetischismus und affirmative Weltbeschreibung, eben snobistische Popliteratur. Wovon handelt es? Ein junger Mann fährt von Sylt bis an den Bodensee und weiter bis ans Grab von Thomas Mann. Er nimmt eine Menge Drogen und redet viel und oft wirr über seine Barbourjacke, SPD-Nazis, Bauer-Joghurt und den Bord-Treff eines Interregios der Bundesbahn.
Die ganzen Marken, die vielen Städte, die rahmengenähten Schuhe, Lufthansaflüge und Popsongs: das wirkte fast wie aus dem richtigen Leben. Das wirkte, als könnte der Leser mitreden, was die Lektüre so verführerisch und schnell machte. Dabei erzählte Kracht von Gegenwart genauso viel wie von Gegenwartsüberdruss. Dabei hatten Krachts Figuren immer ein zweites Gesicht, das einen Ort erahnte, der nicht im Hier und Jetzt lag, sondern eher in der Erinnerung oder in einer vage erträumten Zukunft, frei von Angst: eine Hütte am See mit Isabella Rossellini. Tibet. Eine magische Kommune. Ein utopisches Dorf.
"Faserland" durchmaß die Bundesrepublik von Nord nach Süd, aber war es deshalb ein Deutschlandbuch? Und handelte der zweite Roman "1979", erschienen unter den Rauchzeichen des 11. Septembers, von der Iranischen Revolution, nur weil darin zwei Dandys in Teheran stranden, kurz bevor die Ayatollahs kommen? "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten", Krachts dritter Roman in dreizehn Jahren, könnte das Ende einer längeren Suchbewegung bedeuten, die sich vordergründig an Orten und Ereignissen entlangtastete - die Bundesrepublik im toten Winkel der Mittneunziger, Persien, bevor der Schah und sein Regime fallen -, aber als Fluchtpunkt von allem Anfang an das utopische Dorf schlechthin im Auge hatte: die Schweiz. Kracht wurde dort 1966 geboren, im Kanton Bern.
Aber es ist nicht irgendeine Schweiz, von der Kracht jetzt erzählt, sondern eine durchbuchstabierte Parallelschweiz, wie sie nach hundert Jahren Weltkrieg aussähe. Wie sie wäre, wenn Lenin nicht im plombierten Zug in die Sowjetunion heimgekehrt, sondern geblieben wäre, um die Verhältnisse zu stürzen. Wie sie wäre, wenn Lenin die Schweiz zur sozialistischen Vormacht einer ewigen Schlacht gemacht hätte, die hin- und herwogt zwischen den Alliierten und den britischen und deutschen Faschisten. Mitteleuropa und die Kontinente drum herum wären in ein ewiges 1917 gebannt, in der Luftschiffe fliegen und Draisinen an Telegrafenmasten vorbeirollen. Es gäbe keinen technischen Fortschritt außer bei Raketen, dafür aber Telepathie. Hoffnung und Frieden kämen aus Afrika.
Wer sich an einer Inhaltsangabe dieses Romans versucht, fällt ins Konjunktiv: hätte, wäre, könnte. Kracht beschreibt seine SSR, die Schweizerische Sowjetrepublik also, allerdings im Präsens, im sinistren Ernst einer Gegenwart, die bevölkert wird von schwarzen Politkommissären, welschen Soldaten, deutsch-türkischen Generälen und einem Marschall, der Kokainist ist. Das Buch stellt den Realitätssinn auf die Probe, es prüft die Verlässlichkeiten von Grenzverläufen und die Haltbarkeit von Etiketten überhaupt. Erzählt wird es von einem antisemitischen schwarzen Schweizer, den Kracht wie Ernst Jünger in Paris beim Burgunder reden lässt: "Den Balkon betretend, sah ich das erhabene Bild dutzender deutscher Luftschiffe, die den Himmel über meinem Kopf füllten."
Man hat Christian Kracht selbst alle möglichen Etiketten anzuheften versucht, jenes vom "Popliterat" hielt bisher am längsten. Wohl auch, weil Kracht sich 1999 für den Gesprächsband "Tristesse Royal" mit ein paar Freunden in ein Zimmer im Hotel Adlon setzte, um die popkulturelle Großwetterlage am Fin de Siècle zu diskutieren. Ein Augenblicksbuch war das, ein bisschen albern, manchmal nur schwer erträglich, aber auch nur halb so ernst gemeint, wie es verstanden wurde. Dass Kracht sich selbst darin als "sehr reich" bezeichnete, hat seinem Ruf nicht unbedingt geholfen.
Aber hinter Etiketten lassen sich bequem Zweifel und vor allem ein Unbehagen an einer schwer kalkulierbaren Prosa entsorgen. Kracht schreibt in einer Kunstsprache, gesprenkelt mit Zitaten. Nirgendwo kann man fest den Fuß aufsetzen. Wer spricht denn da? Es gibt in "Faserland" mindestens ein halbes Dutzend Anspielungen auf Evelyn Waugh und seine brillanten und lebensmüden Figuren. Im neuen Roman, der seinen seltsamen Titel von einem alten englischen Volkslied geborgt hat, benutzt er die Schweizer Rechtschreibung. Hinter den abgezirkelten Rändern dieses Kunstidioms verbirgt sich eine Sprachskepsis, die kostümierte Gegenwartsskepsis ist. Peter Handke war Kracht immer näher als Hunter S. Thompson oder dem Projekt, die Welt einfach so abzuschreiben, wie sie ist. Man kann sich nicht neutral zu ihr verhalten, auch nicht als Schweizer.
Der schwarze Erzähler von "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" marschiert von den ersten Seiten des kurzen Buchs an ins Herz der Finsternis: Es ist die mythische Bergfestung der Eidgenossen, das Réduit in den Alpen. Dort wartet Oberst Brazhinsky auf ihn, ein Konterrevolutionär, den er verhaften soll. Bei Joseph Conrad hieß der Mann noch Major Kurtz. Das Réduit ist über die Jahre immer weiter in die Tiefe gewachsen, ein leeres Ritual, Religion. Tief im Berg wird dem Erzähler eine Lektion erteilt, er wird selbst Konterrevolutionär. Am Ende kehrt der Kommissär heim nach Afrika - ein Offizier und Pilger.
TOBIAS RÜTHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn die Schweiz ein kommunistisches Weltreich wäre: Heute beginnen wir mit dem Vorabdruck von Christian Krachts Roman "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten".
Dieser Roman steht nicht auf der Liste. Doch so widerspenstig, wie er sich zu seiner Zeit verhält, und so rätselhaft, wie er sich liest, fehlt er dort. Christian Kracht, der Mann, der mit "Faserland" so etwas wie die Regelpoetik der neunziger Jahre schrieb, hat einen neuen Roman verfasst, sieben Jahre nach "1979", seinem letzten. Der neue Roman heißt "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" und ist eine totalitäre Fantasie. Sie spielt heute, in einer Gegenwart, die sich seit hundert Jahren anders entwickelt hat. In der ein Weltkrieg herrscht, der nicht aufhört und die Schweiz eine sowjetische Republik geworden ist, verstrickt im Kampf mit einem faschistischen Deutschland. Das Buch geht ein großes Risiko ein. Wie unbeteiligt erzählt Kracht von einer Militärwelt, in der niemand mehr Hobbys hat, Freunde trifft, sein profanes Leben lebt, sondern sich jeder einer großen Kriegsmaschine unterworfen hat. In einem Spätsommer, wo wieder Panzer rollen und von Geopolitik und Kontinentalinteressen gesprochen wird, ist kaum zu glauben, dass Krachts Roman auf der soeben vorgestellten Longlist des Deutschen Buchpreises fehlt. Die Jury hat das Buch nicht berücksichtigt. Wir beginnen heute mit dem Vorabdruck.
Seit Kracht im Jahr 1995 mit seinem Roman "Faserland" debütierte, damals neunundzwanzig Jahre alt, hat er in seinen Büchern selten den Normalfall einer geregelten Realität beschrieben. Kaum ein Kritiker, dem damals das Buch nicht verdächtig vorkam, der es abtat als Markenfetischismus und affirmative Weltbeschreibung, eben snobistische Popliteratur. Wovon handelt es? Ein junger Mann fährt von Sylt bis an den Bodensee und weiter bis ans Grab von Thomas Mann. Er nimmt eine Menge Drogen und redet viel und oft wirr über seine Barbourjacke, SPD-Nazis, Bauer-Joghurt und den Bord-Treff eines Interregios der Bundesbahn.
Die ganzen Marken, die vielen Städte, die rahmengenähten Schuhe, Lufthansaflüge und Popsongs: das wirkte fast wie aus dem richtigen Leben. Das wirkte, als könnte der Leser mitreden, was die Lektüre so verführerisch und schnell machte. Dabei erzählte Kracht von Gegenwart genauso viel wie von Gegenwartsüberdruss. Dabei hatten Krachts Figuren immer ein zweites Gesicht, das einen Ort erahnte, der nicht im Hier und Jetzt lag, sondern eher in der Erinnerung oder in einer vage erträumten Zukunft, frei von Angst: eine Hütte am See mit Isabella Rossellini. Tibet. Eine magische Kommune. Ein utopisches Dorf.
"Faserland" durchmaß die Bundesrepublik von Nord nach Süd, aber war es deshalb ein Deutschlandbuch? Und handelte der zweite Roman "1979", erschienen unter den Rauchzeichen des 11. Septembers, von der Iranischen Revolution, nur weil darin zwei Dandys in Teheran stranden, kurz bevor die Ayatollahs kommen? "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten", Krachts dritter Roman in dreizehn Jahren, könnte das Ende einer längeren Suchbewegung bedeuten, die sich vordergründig an Orten und Ereignissen entlangtastete - die Bundesrepublik im toten Winkel der Mittneunziger, Persien, bevor der Schah und sein Regime fallen -, aber als Fluchtpunkt von allem Anfang an das utopische Dorf schlechthin im Auge hatte: die Schweiz. Kracht wurde dort 1966 geboren, im Kanton Bern.
Aber es ist nicht irgendeine Schweiz, von der Kracht jetzt erzählt, sondern eine durchbuchstabierte Parallelschweiz, wie sie nach hundert Jahren Weltkrieg aussähe. Wie sie wäre, wenn Lenin nicht im plombierten Zug in die Sowjetunion heimgekehrt, sondern geblieben wäre, um die Verhältnisse zu stürzen. Wie sie wäre, wenn Lenin die Schweiz zur sozialistischen Vormacht einer ewigen Schlacht gemacht hätte, die hin- und herwogt zwischen den Alliierten und den britischen und deutschen Faschisten. Mitteleuropa und die Kontinente drum herum wären in ein ewiges 1917 gebannt, in der Luftschiffe fliegen und Draisinen an Telegrafenmasten vorbeirollen. Es gäbe keinen technischen Fortschritt außer bei Raketen, dafür aber Telepathie. Hoffnung und Frieden kämen aus Afrika.
Wer sich an einer Inhaltsangabe dieses Romans versucht, fällt ins Konjunktiv: hätte, wäre, könnte. Kracht beschreibt seine SSR, die Schweizerische Sowjetrepublik also, allerdings im Präsens, im sinistren Ernst einer Gegenwart, die bevölkert wird von schwarzen Politkommissären, welschen Soldaten, deutsch-türkischen Generälen und einem Marschall, der Kokainist ist. Das Buch stellt den Realitätssinn auf die Probe, es prüft die Verlässlichkeiten von Grenzverläufen und die Haltbarkeit von Etiketten überhaupt. Erzählt wird es von einem antisemitischen schwarzen Schweizer, den Kracht wie Ernst Jünger in Paris beim Burgunder reden lässt: "Den Balkon betretend, sah ich das erhabene Bild dutzender deutscher Luftschiffe, die den Himmel über meinem Kopf füllten."
Man hat Christian Kracht selbst alle möglichen Etiketten anzuheften versucht, jenes vom "Popliterat" hielt bisher am längsten. Wohl auch, weil Kracht sich 1999 für den Gesprächsband "Tristesse Royal" mit ein paar Freunden in ein Zimmer im Hotel Adlon setzte, um die popkulturelle Großwetterlage am Fin de Siècle zu diskutieren. Ein Augenblicksbuch war das, ein bisschen albern, manchmal nur schwer erträglich, aber auch nur halb so ernst gemeint, wie es verstanden wurde. Dass Kracht sich selbst darin als "sehr reich" bezeichnete, hat seinem Ruf nicht unbedingt geholfen.
Aber hinter Etiketten lassen sich bequem Zweifel und vor allem ein Unbehagen an einer schwer kalkulierbaren Prosa entsorgen. Kracht schreibt in einer Kunstsprache, gesprenkelt mit Zitaten. Nirgendwo kann man fest den Fuß aufsetzen. Wer spricht denn da? Es gibt in "Faserland" mindestens ein halbes Dutzend Anspielungen auf Evelyn Waugh und seine brillanten und lebensmüden Figuren. Im neuen Roman, der seinen seltsamen Titel von einem alten englischen Volkslied geborgt hat, benutzt er die Schweizer Rechtschreibung. Hinter den abgezirkelten Rändern dieses Kunstidioms verbirgt sich eine Sprachskepsis, die kostümierte Gegenwartsskepsis ist. Peter Handke war Kracht immer näher als Hunter S. Thompson oder dem Projekt, die Welt einfach so abzuschreiben, wie sie ist. Man kann sich nicht neutral zu ihr verhalten, auch nicht als Schweizer.
Der schwarze Erzähler von "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" marschiert von den ersten Seiten des kurzen Buchs an ins Herz der Finsternis: Es ist die mythische Bergfestung der Eidgenossen, das Réduit in den Alpen. Dort wartet Oberst Brazhinsky auf ihn, ein Konterrevolutionär, den er verhaften soll. Bei Joseph Conrad hieß der Mann noch Major Kurtz. Das Réduit ist über die Jahre immer weiter in die Tiefe gewachsen, ein leeres Ritual, Religion. Tief im Berg wird dem Erzähler eine Lektion erteilt, er wird selbst Konterrevolutionär. Am Ende kehrt der Kommissär heim nach Afrika - ein Offizier und Pilger.
TOBIAS RÜTHER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main