Produktdetails
- Verlag: Ammann
- ISBN-13: 9783250601210
- ISBN-10: 3250601217
- Artikelnr.: 23403877
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2008Der Kampf geht weiter
Wole Soyinka erinnert sich an sein Engagement
Wer in der frühen Dämmerung aufbricht, hat einen weiten Weg vor sich und rüstet sich zu langer Reise. Der Imperativ, den Wole Soyinka aus einem seiner Gedichte der sechziger Jahre borgt, um ihn dem neuesten Band seiner Memoiren als Titel voranzustellen, zeigt bereits, dass dies ein Leben voller Aufbrüche und Reisen ist, eine ständige Bewährungsprobe in der Unbeständigkeit. Zwar beginnt und endet dieser Band jeweils mit Szenen einer Heimkehr, und auch in vielen weiteren Kapiteln spüren wir, wie dieser Autor förmlich durchatmet, sobald er nach Nigeria zurückkehrt und vertrauten Boden betritt. Das Exil, so schreibt er in diesem Zusammenhang, sei nichts als ein "akuter Zustand vorübergehenden Atemstillstands". Doch schon die schiere Anzahl seiner Rückreisen bezeugt, dass dieser Zustand für ihn oft und lange gilt. Denn bei jedem Bericht über eine erneute Heimkehr ahnen wir bereits, dass der nächste Aufbruch bevorsteht. Auf den späten Abend folgt eben sehr schnell die frühe Dämmerung, beides geht ineinander über.
Vieles, sehr vieles ist Soyinka in seinem schriftstellerischen wie politischen Leben gelungen. Spätestens seit dem Nobelpreis für Literatur, den er im Jahre 1986 als erster Autor Afrikas entgegennahm, kennt alle Welt die kreative Kraft, mit der er sich so leidenschaftlich wie beharrlich seiner jeweiligen Sache widmet: der Theaterarbeit ebenso wie der Arbeit an der Zivilgesellschaft, an der nationalen Einheit oder am internationalen Dialog, dem Engagement für verfolgte und bedrohte Schriftsteller wie überhaupt dem Kampf zur Durchsetzung der Menschenrechte.
Nur in einem Punkt ist Soyinka, wie er selbstkritisch gesteht, gründlich gescheitert: Mit neunundvierzig Jahren, so einstmals sein Plan, wollte er sich eigentlich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, um fortan ein beschauliches, kontemplatives Dichterleben in der Abgeschiedenheit zu führen und "in Würde zu altern". Das war im Jahre 1983. Seither hat sich, wie wir hier lesen, die Welt grundlegend verändert. Insbesondere sein Land hat sich mit jeder weiteren Krise neuen Gewaltausbrüchen ausgeliefert und sich die nächste selbstherrliche Tyrannis eingehandelt, so dass er als Weltenretter einfach nicht zur Ruhe kommt. Auch im Alter mischt sich dieser Autor immer wieder öffentlich ein. Seinem Ansehen und seiner Würde aber hat das nicht geschadet.
Von seinem unermüdlichen Einsatz erzählt Soyinka hier in vielen packenden Geschichten. Ob es gilt, die Freiheit des Wortes und der Wahl durch die handstreichartige Besetzung eines lokalen Radiosenders zu verteidigen, oder ob es um die Rückführung von kolonial verschleppter Beutekunst, heute in privater Sammlerhand, ins Nationalmuseum geht; ob Mandelas Freilassung mit einem fragwürdigen Diner im Élysée-Palast zu feiern ist oder die Hinrichtung von nigerianischen Oppositionellen nur durch beherztes Vorsprechen beim diensthabenden Diktator aufgeschoben werden kann - stets nimmt Soyinka die Sache ohne Rücksicht auf persönliche Gefährdung in die Hand.
Manches erscheint im rückschauenden Bericht eher wie ein tolldreister Jungenstreich - etwa die abenteuerliche Suche nach einem Kunstschatz aus dem alten Königreich Benin. Mit Gleichgesinnten, so dem Malteser Falken, jagt er diesem hinterher. Oft genug allerdings geht es hier um Leben oder Tod, und man weiß bei den Missionen, die er übernimmt, zuweilen nicht, wo Wagemut in Leichtsinn umzukippen droht.
Denn Einblicke in innere Befindlichkeiten bietet dieses Buch nur selten und liest sich daher über weite Strecken seiner ausführlichen Ereignisschilderungen seltsam körperlos. Der Autor inszeniert sich ganz als Tatmensch in der Weltöffentlichkeit. Persönliches, beispielsweise die eigene Ehe, die im Laufe der Zeit zerbricht, wird nur beiläufig kenntlich gemacht. Vor lauter Umtrieb und Aktivität erfährt man kaum, was ihn bewegt und antreibt und was im eigentlichen Sinn das subjektive Zentrum der Erinnerungsarbeit bildet. Bezeichnend dafür ist, dass er die zweijährige Einzelhaft, mit der Ende der sechziger Jahre sein zivilgesellschaftliches Engagement drakonisch bestraft wurde, aus dieser Lebenserzählung völlig ausspart; es scheint, als wolle er sein Selbst diesmal allein im Aufbruch und ganz in der Entäußerung entwerfen.
Anders also als frühere große Erinnerungstexte Soyinkas wie "Der Mann ist tot" (1987), Gefängnisaufzeichnungen, mit denen er sich an persönliche wie politische Abgründe heranschrieb, anders auch als frühere Bände seiner Memoiren wie "Ake: Jahre der Kindheit" (1996), in denen er Verwicklungen in der spätkolonialen Provinz ebenso plastisch wie komisch beschrieb, richtet sich Soyinkas Blick in seinem neuen Buch ausschließlich nach außen. "Die Straße wurde mir zum Partner der Selbstfindung", erklärt er uns mit sanfter Ironie, wenn er von endlosen Fahrten im Landrover erzählt: "die Straße und alles, was entlang ihrer Hebungen und Senkungen, ihrer Windungen und pfeilgraden Strecken lag", so heißt es weiter, "all das gehörte einem dann, war ausschließlich Privatbesitz." Was diesem weltläufigen Autor sonst noch zugehören mag und auf welchen windungsreichen Pfaden er zu sich findet, bringt er uns, so bleibt zu hoffen, in einem künftigen Erinnerungsband nah.
TOBIAS DÖRING
Wole Soyinka: "Brich auf in früher Dämmerung". Erinnerungen. Aus dem Englischen übersetzt von Inge Uffelmann. Ammann Verlag, Zürich 2008. 784 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wole Soyinka erinnert sich an sein Engagement
Wer in der frühen Dämmerung aufbricht, hat einen weiten Weg vor sich und rüstet sich zu langer Reise. Der Imperativ, den Wole Soyinka aus einem seiner Gedichte der sechziger Jahre borgt, um ihn dem neuesten Band seiner Memoiren als Titel voranzustellen, zeigt bereits, dass dies ein Leben voller Aufbrüche und Reisen ist, eine ständige Bewährungsprobe in der Unbeständigkeit. Zwar beginnt und endet dieser Band jeweils mit Szenen einer Heimkehr, und auch in vielen weiteren Kapiteln spüren wir, wie dieser Autor förmlich durchatmet, sobald er nach Nigeria zurückkehrt und vertrauten Boden betritt. Das Exil, so schreibt er in diesem Zusammenhang, sei nichts als ein "akuter Zustand vorübergehenden Atemstillstands". Doch schon die schiere Anzahl seiner Rückreisen bezeugt, dass dieser Zustand für ihn oft und lange gilt. Denn bei jedem Bericht über eine erneute Heimkehr ahnen wir bereits, dass der nächste Aufbruch bevorsteht. Auf den späten Abend folgt eben sehr schnell die frühe Dämmerung, beides geht ineinander über.
Vieles, sehr vieles ist Soyinka in seinem schriftstellerischen wie politischen Leben gelungen. Spätestens seit dem Nobelpreis für Literatur, den er im Jahre 1986 als erster Autor Afrikas entgegennahm, kennt alle Welt die kreative Kraft, mit der er sich so leidenschaftlich wie beharrlich seiner jeweiligen Sache widmet: der Theaterarbeit ebenso wie der Arbeit an der Zivilgesellschaft, an der nationalen Einheit oder am internationalen Dialog, dem Engagement für verfolgte und bedrohte Schriftsteller wie überhaupt dem Kampf zur Durchsetzung der Menschenrechte.
Nur in einem Punkt ist Soyinka, wie er selbstkritisch gesteht, gründlich gescheitert: Mit neunundvierzig Jahren, so einstmals sein Plan, wollte er sich eigentlich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, um fortan ein beschauliches, kontemplatives Dichterleben in der Abgeschiedenheit zu führen und "in Würde zu altern". Das war im Jahre 1983. Seither hat sich, wie wir hier lesen, die Welt grundlegend verändert. Insbesondere sein Land hat sich mit jeder weiteren Krise neuen Gewaltausbrüchen ausgeliefert und sich die nächste selbstherrliche Tyrannis eingehandelt, so dass er als Weltenretter einfach nicht zur Ruhe kommt. Auch im Alter mischt sich dieser Autor immer wieder öffentlich ein. Seinem Ansehen und seiner Würde aber hat das nicht geschadet.
Von seinem unermüdlichen Einsatz erzählt Soyinka hier in vielen packenden Geschichten. Ob es gilt, die Freiheit des Wortes und der Wahl durch die handstreichartige Besetzung eines lokalen Radiosenders zu verteidigen, oder ob es um die Rückführung von kolonial verschleppter Beutekunst, heute in privater Sammlerhand, ins Nationalmuseum geht; ob Mandelas Freilassung mit einem fragwürdigen Diner im Élysée-Palast zu feiern ist oder die Hinrichtung von nigerianischen Oppositionellen nur durch beherztes Vorsprechen beim diensthabenden Diktator aufgeschoben werden kann - stets nimmt Soyinka die Sache ohne Rücksicht auf persönliche Gefährdung in die Hand.
Manches erscheint im rückschauenden Bericht eher wie ein tolldreister Jungenstreich - etwa die abenteuerliche Suche nach einem Kunstschatz aus dem alten Königreich Benin. Mit Gleichgesinnten, so dem Malteser Falken, jagt er diesem hinterher. Oft genug allerdings geht es hier um Leben oder Tod, und man weiß bei den Missionen, die er übernimmt, zuweilen nicht, wo Wagemut in Leichtsinn umzukippen droht.
Denn Einblicke in innere Befindlichkeiten bietet dieses Buch nur selten und liest sich daher über weite Strecken seiner ausführlichen Ereignisschilderungen seltsam körperlos. Der Autor inszeniert sich ganz als Tatmensch in der Weltöffentlichkeit. Persönliches, beispielsweise die eigene Ehe, die im Laufe der Zeit zerbricht, wird nur beiläufig kenntlich gemacht. Vor lauter Umtrieb und Aktivität erfährt man kaum, was ihn bewegt und antreibt und was im eigentlichen Sinn das subjektive Zentrum der Erinnerungsarbeit bildet. Bezeichnend dafür ist, dass er die zweijährige Einzelhaft, mit der Ende der sechziger Jahre sein zivilgesellschaftliches Engagement drakonisch bestraft wurde, aus dieser Lebenserzählung völlig ausspart; es scheint, als wolle er sein Selbst diesmal allein im Aufbruch und ganz in der Entäußerung entwerfen.
Anders also als frühere große Erinnerungstexte Soyinkas wie "Der Mann ist tot" (1987), Gefängnisaufzeichnungen, mit denen er sich an persönliche wie politische Abgründe heranschrieb, anders auch als frühere Bände seiner Memoiren wie "Ake: Jahre der Kindheit" (1996), in denen er Verwicklungen in der spätkolonialen Provinz ebenso plastisch wie komisch beschrieb, richtet sich Soyinkas Blick in seinem neuen Buch ausschließlich nach außen. "Die Straße wurde mir zum Partner der Selbstfindung", erklärt er uns mit sanfter Ironie, wenn er von endlosen Fahrten im Landrover erzählt: "die Straße und alles, was entlang ihrer Hebungen und Senkungen, ihrer Windungen und pfeilgraden Strecken lag", so heißt es weiter, "all das gehörte einem dann, war ausschließlich Privatbesitz." Was diesem weltläufigen Autor sonst noch zugehören mag und auf welchen windungsreichen Pfaden er zu sich findet, bringt er uns, so bleibt zu hoffen, in einem künftigen Erinnerungsband nah.
TOBIAS DÖRING
Wole Soyinka: "Brich auf in früher Dämmerung". Erinnerungen. Aus dem Englischen übersetzt von Inge Uffelmann. Ammann Verlag, Zürich 2008. 784 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wole Soyinka präsentiert sich Tobias Döring in seinen Erinnerungen vor allem als Mann der Tat, der sich durch sein politisches Engagement und seinen unermüdlichen, auch persönliche Gefahr nicht scheuenden Aktivismus auszeichnet. So erzähle er fesselnd von aktivem Eingreifen, sei es die Besetzung eines Radiosenders oder das riskante Eintreten für verhaftete Oppositionelle, wobei seine Memoiren auch immer wieder von Exil und Heimkehr handelten, so der Rezensent. Soyinka, erster Literatur-Nobelpreisträger Afrikas, saß in den 60er Jahren fast zwei Jahre in Einzelhaft, aber davon erzählt der Autor in diesen Erinnerungen genauso wenig, wie über seine persönlichen Gefühle und Beweggründe, stellt Döring etwas irritiert fest, der sich bei diesem Rückblick doch ein bisschen mehr Einblick auch ins Innere Soyinkas gewünscht hätte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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