Ludwig Windthorst gehört als Führer der Zentrumspartei zu den herausragenden Persönlichkeiten in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Im Kulturkampf entwickelte er sich zum "gefährlichsten innenpolitischen Gegner Bismarcks" (W. Bußmann). Der neue erschienene Band enthält meist unveröffentlichte Briefe aus seiner umfangreichen Privatkorrespondenz von der Einleitung der Friedensverhandlungen im Kulturkampf bis zu seinem Tod.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002Gegner des Schwefelgelben
Ludwig Windthorsts Briefe / Von Theo Schwarzmüller
In fast allem, was ich seit 1870 geschrieben habe, geht der ,Schwefelgelbe' um, und wenn das Gespräch ihn auch nur flüchtig berührt, es ist immer von ihm die Rede." So äußerte sich Theodor Fontane rückschauend über die prägende Gestalt jener Epoche, Otto von Bismarck. "Schwefelgelb" war der Spiegel am Kragen der Kürassieruniform, die er trug. Den Platz, den der Schriftsteller ihm in seinem Werk einräumt, nimmt der preußisch-deutsche Reichsgründer erst recht in den Briefen seines wichtigsten innenpolitischen Gegenspielers Ludwig Windthorst ein.
Die Bearbeiter - betreut von Rudolf Morsey - mußten, da Windthorst sein Archiv verbrennen ließ, die Briefe in den Nachlässen seiner Korrespondenzpartner mühsam aufspüren - eine Kärrnerarbeit, die sich gelohnt hat. Der Band enthält fast 900 meist unveröffentlichte Schriftstücke aus dem letzten Lebensjahrzehnt des "genialsten Politikers, den Deutschland je besaß" (Golo Mann). Sie bieten keine Sensationen, aber Einblick in das Alltagsgeschäft eines Pioniers des Parlamentarismus. Sie zeigen, wie er die Zügel seiner Partei und Fraktion bis zu seinem Tod 1891 im Alter von neunundsiebzig Jahren fest in der Hand behielt. Sie handeln hauptsächlich von der Taktik des Zentrums im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus beim Abbau des Kulturkampfs zwischen Staat und Kirche.
Während dieses zentralen Konflikts nach der Reichsgründung war Bismarck überraschend in dem nur 1,50 Meter großen Windthorst ein ebenbürtiger Widerpart erwachsen. Unerschrocken setzte sich die "kleine Exzellenz", ehemaliger Justizminister von Hannover, mit dem Recken auseinander. Beide beherrschten die Arena der Berliner Parlamente, aber auch die Kunst der Korrespondenz. Den Friedensavancen des Kanzlers mißtraute sein Kontrahent noch 1882 zutiefst. Für den Fürsten, so schrieb er, seien "alle Fragen des öffentlichen Lebens Fragen der Macht. Die katholische Kirche ist ihm eine Macht, deren Bedeutung er früher unterschätzt hat." Um so mehr sei er nun bemüht, sie sich dienstbar zu machen und der Zentrumspartei ihre Basis, die katholischen Wählermassen, zu entziehen. "Gelänge dieser Plan, lebte die Kirche nur noch von der Gnade des Staates."
Wenn Bismarck jetzt etwa einlenke, so tue er das "ganz bestimmt nicht aus Wohlwollen" gegenüber der Kirche, warnte der Zentrumsführer den Bischof von Fulda, Georg Kopp. Bismarck sei "eben ein kalter Realpolitiker, und Gemüts- und Gefühlsregungen stören ihn in seinen Berechnungen niemals". Durch nachgiebiges Schöntun erreiche man absolut nichts. "Je unbequemer wir ihm werden, desto mehr wird er sich überzeugen, daß er den Kulturkampf beseitigen muß." Dann allerdings könne niemand besser als Bismarck die Geister bannen, die der erbitterte und verhängnisvolle Konflikt hervorgerufen habe, hoffte Windthorst.
Bitter resignierte er, wie der neue Papst Leo XIII. sich über seinen Kopf hinweg mit Bismarck verständigte: "Was der Heilige Vater einmal hingegeben, gewinnen wir niemals zurück." Windthorst mußte seinen Verbindungsmann zum Vatikan, den Trierer Theologieprofessor Reuß, ständig bitten, über die diplomatischen Schachzüge zwischen Rom und Berlin wenigstens informiert zu werden. Verärgert über die Querschüsse aus den eigenen Reihen, dachte der alte Herr aus Hannover wiederholt an Rückzug aus der Politik: "Ich bekomme gegen Berlin allmählich einen formellen Ekel", bemerkte er 1888.
Seine Briefe dokumentieren nicht zuletzt das umtriebige Wirken eines frühen Berufspolitikers. Windthorst war in den Wahlkämpfen das Zugpferd des Zentrums. Obwohl fast erblindet und von Krankheiten geplagt, mobilisierte er energisch die katholische Presse und Geistlichkeit: "Prüderie gilt nicht, wir müssen mit den Fäusten drein schlagen." Besonders sorgsam sicherte er stets sein eigenes Mandat ab. Haushoch gewann die "Perle von Meppen" immer wieder den Wahlkreis im Emsland, ohne persönlich erscheinen zu müssen. Kam er gelegentlich dort zu einer Kundgebung, war ihm ein großer Schafstall lieber als ein Zelt: "Im Rheingau haben wir einmal eine Versammlung in einer großen Weinscheune abgehalten und ich sprach auf einem großen Weinfasse stehend."
Zu Lebzeiten legendär, ist die Erinnerung an den Volkshelden des katholischen Deutschland heute verblaßt. Seine Briefe charakterisieren ihn als Vorkämpfer für Rechtsstaat und Demokratie, als Patrioten und Preußenkritiker, als treuen Anhänger des 1866 von Bismarck entthronten Welfenhauses und als Anwalt der nationalen Minderheiten. Für unheilvoll hielt er bei allem sozialpolitischen Engagement die Einführung der Altersversicherung, weil er darin 1889 die Tendenz zum Versorgungsstaat erkannte: "Die alte Gesellschaftsordnung naht ihrem Ende . . . Bismarck fährt mit den neuen Gesetzen getrost in das neue sozialistische Reich hinein."
Der Zentrumsführer überlebte 1890 noch den Sturz seines großen Gegners und starb ein Jahr danach. Nunmehr würdigte ihn sogar Bismarck als "Staatsmann". Beigesetzt wurde Windthorst in der Marienkirche von Hannover, für deren Bau er in seinen Briefen gern geworben hatte.
Ludwig Windthorst: Briefe 1881-1891. Um einen Nachtrag mit Briefen von 1834 bis 1880 ergänzt. Bearbeitet von Hans-Georg Aschoff unter Mitarbeit von Heinz-Jörg Heinrich. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2002. 1023 Seiten, 120,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ludwig Windthorsts Briefe / Von Theo Schwarzmüller
In fast allem, was ich seit 1870 geschrieben habe, geht der ,Schwefelgelbe' um, und wenn das Gespräch ihn auch nur flüchtig berührt, es ist immer von ihm die Rede." So äußerte sich Theodor Fontane rückschauend über die prägende Gestalt jener Epoche, Otto von Bismarck. "Schwefelgelb" war der Spiegel am Kragen der Kürassieruniform, die er trug. Den Platz, den der Schriftsteller ihm in seinem Werk einräumt, nimmt der preußisch-deutsche Reichsgründer erst recht in den Briefen seines wichtigsten innenpolitischen Gegenspielers Ludwig Windthorst ein.
Die Bearbeiter - betreut von Rudolf Morsey - mußten, da Windthorst sein Archiv verbrennen ließ, die Briefe in den Nachlässen seiner Korrespondenzpartner mühsam aufspüren - eine Kärrnerarbeit, die sich gelohnt hat. Der Band enthält fast 900 meist unveröffentlichte Schriftstücke aus dem letzten Lebensjahrzehnt des "genialsten Politikers, den Deutschland je besaß" (Golo Mann). Sie bieten keine Sensationen, aber Einblick in das Alltagsgeschäft eines Pioniers des Parlamentarismus. Sie zeigen, wie er die Zügel seiner Partei und Fraktion bis zu seinem Tod 1891 im Alter von neunundsiebzig Jahren fest in der Hand behielt. Sie handeln hauptsächlich von der Taktik des Zentrums im Reichstag und im preußischen Abgeordnetenhaus beim Abbau des Kulturkampfs zwischen Staat und Kirche.
Während dieses zentralen Konflikts nach der Reichsgründung war Bismarck überraschend in dem nur 1,50 Meter großen Windthorst ein ebenbürtiger Widerpart erwachsen. Unerschrocken setzte sich die "kleine Exzellenz", ehemaliger Justizminister von Hannover, mit dem Recken auseinander. Beide beherrschten die Arena der Berliner Parlamente, aber auch die Kunst der Korrespondenz. Den Friedensavancen des Kanzlers mißtraute sein Kontrahent noch 1882 zutiefst. Für den Fürsten, so schrieb er, seien "alle Fragen des öffentlichen Lebens Fragen der Macht. Die katholische Kirche ist ihm eine Macht, deren Bedeutung er früher unterschätzt hat." Um so mehr sei er nun bemüht, sie sich dienstbar zu machen und der Zentrumspartei ihre Basis, die katholischen Wählermassen, zu entziehen. "Gelänge dieser Plan, lebte die Kirche nur noch von der Gnade des Staates."
Wenn Bismarck jetzt etwa einlenke, so tue er das "ganz bestimmt nicht aus Wohlwollen" gegenüber der Kirche, warnte der Zentrumsführer den Bischof von Fulda, Georg Kopp. Bismarck sei "eben ein kalter Realpolitiker, und Gemüts- und Gefühlsregungen stören ihn in seinen Berechnungen niemals". Durch nachgiebiges Schöntun erreiche man absolut nichts. "Je unbequemer wir ihm werden, desto mehr wird er sich überzeugen, daß er den Kulturkampf beseitigen muß." Dann allerdings könne niemand besser als Bismarck die Geister bannen, die der erbitterte und verhängnisvolle Konflikt hervorgerufen habe, hoffte Windthorst.
Bitter resignierte er, wie der neue Papst Leo XIII. sich über seinen Kopf hinweg mit Bismarck verständigte: "Was der Heilige Vater einmal hingegeben, gewinnen wir niemals zurück." Windthorst mußte seinen Verbindungsmann zum Vatikan, den Trierer Theologieprofessor Reuß, ständig bitten, über die diplomatischen Schachzüge zwischen Rom und Berlin wenigstens informiert zu werden. Verärgert über die Querschüsse aus den eigenen Reihen, dachte der alte Herr aus Hannover wiederholt an Rückzug aus der Politik: "Ich bekomme gegen Berlin allmählich einen formellen Ekel", bemerkte er 1888.
Seine Briefe dokumentieren nicht zuletzt das umtriebige Wirken eines frühen Berufspolitikers. Windthorst war in den Wahlkämpfen das Zugpferd des Zentrums. Obwohl fast erblindet und von Krankheiten geplagt, mobilisierte er energisch die katholische Presse und Geistlichkeit: "Prüderie gilt nicht, wir müssen mit den Fäusten drein schlagen." Besonders sorgsam sicherte er stets sein eigenes Mandat ab. Haushoch gewann die "Perle von Meppen" immer wieder den Wahlkreis im Emsland, ohne persönlich erscheinen zu müssen. Kam er gelegentlich dort zu einer Kundgebung, war ihm ein großer Schafstall lieber als ein Zelt: "Im Rheingau haben wir einmal eine Versammlung in einer großen Weinscheune abgehalten und ich sprach auf einem großen Weinfasse stehend."
Zu Lebzeiten legendär, ist die Erinnerung an den Volkshelden des katholischen Deutschland heute verblaßt. Seine Briefe charakterisieren ihn als Vorkämpfer für Rechtsstaat und Demokratie, als Patrioten und Preußenkritiker, als treuen Anhänger des 1866 von Bismarck entthronten Welfenhauses und als Anwalt der nationalen Minderheiten. Für unheilvoll hielt er bei allem sozialpolitischen Engagement die Einführung der Altersversicherung, weil er darin 1889 die Tendenz zum Versorgungsstaat erkannte: "Die alte Gesellschaftsordnung naht ihrem Ende . . . Bismarck fährt mit den neuen Gesetzen getrost in das neue sozialistische Reich hinein."
Der Zentrumsführer überlebte 1890 noch den Sturz seines großen Gegners und starb ein Jahr danach. Nunmehr würdigte ihn sogar Bismarck als "Staatsmann". Beigesetzt wurde Windthorst in der Marienkirche von Hannover, für deren Bau er in seinen Briefen gern geworben hatte.
Ludwig Windthorst: Briefe 1881-1891. Um einen Nachtrag mit Briefen von 1834 bis 1880 ergänzt. Bearbeitet von Hans-Georg Aschoff unter Mitarbeit von Heinz-Jörg Heinrich. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2002. 1023 Seiten, 120,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ludwig Windthorst war der zu seinen Lebzeiten "legendäre" Gegenspieler Bismarcks, Führer des Zentrums, Kämpfer für die Macht der katholischen Kirche in Deutschland - heute ist er weitgehend vergessen, auch wenn Golo Mann ihn einmal als "genialsten Politiker, den Deutschland je besaß" bezeichnet hat - diese Sammlung mit "900 meist unveröffentlichten" Briefen soll an die Bedeutung, die er einst hatte, erinnern. Laut Rezensent Theo Schwarzmüller steht Bismarck im Zentrum auch dieser Schriftstücke: Windthorst hält ihn für einen eiskalten Machtpolitiker und muss doch mit ansehen, wie sich sein Gegenspieler mit dem Papst verständigt, ohne dass eine der beiden Seiten ihn einbezieht. Auch gegen die Sozialgesetzgebung kämpfte er, da sie ihm der erste Schritt in Richtung Sozialismus schien. Immerhin hat Bismarck den Gegenspieler Windthorst nach dessen Tod 1891 als "Staatsmann" zu würdigen gewusst, referiert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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