Else Lasker-Schülers Briefe 1893-1913 eröffnen die sechsbändige Briefedition der Kritischen Ausgabe. Hier werden zum ersten Mal sämtliche überlieferten Briefe der Dichterin vollständig und mit Anmerkungen versehen veröffentlicht. Sie dokumentieren das Leben und die literarische Entwicklung der jüdischen Dichterin vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis in ihre Züricher und Jerusalemer Exiljahre.
Der erste Band mit über 600 Briefen, unter deren Adressaten sich neben Else Lasker-Schülers Familie und ihren Verlegern vor allem Künstlerfreunde wie Karl Kraus, Karl Wolfskehl und Franz Marc finden, begleitet den Weg der Dichterin aus der bürgerlichen in die künstlerische Existenz. Die hier zum großen Teil erstmals publizierten Briefe lassen unmittelbar teilhaben an jenen für sie entscheidenden Jahren, in denen sie sich vor allem als Lyrikerin einen Namen macht und ihr poetisches alter ego Prinz Jussuf von Theben das Licht der Welt erblickt. Diese autobiographischen Zeugnisse, die an poetischer Kraft ihren Werken nicht nachstehen, erhellen bislang unbekannte oder kaum beachtete biographische, werk- und zeitgeschichtliche Hintergründe. Lange Zeit verschwand Else Lasker-Schüler hinter stereotypisierten Zuschreibungen - ihre Briefe ermöglichen nun einen grundlegend neuen Zugang zum Verständnis dieser außergewöhnlichen Dichterin.
Der erste Band mit über 600 Briefen, unter deren Adressaten sich neben Else Lasker-Schülers Familie und ihren Verlegern vor allem Künstlerfreunde wie Karl Kraus, Karl Wolfskehl und Franz Marc finden, begleitet den Weg der Dichterin aus der bürgerlichen in die künstlerische Existenz. Die hier zum großen Teil erstmals publizierten Briefe lassen unmittelbar teilhaben an jenen für sie entscheidenden Jahren, in denen sie sich vor allem als Lyrikerin einen Namen macht und ihr poetisches alter ego Prinz Jussuf von Theben das Licht der Welt erblickt. Diese autobiographischen Zeugnisse, die an poetischer Kraft ihren Werken nicht nachstehen, erhellen bislang unbekannte oder kaum beachtete biographische, werk- und zeitgeschichtliche Hintergründe. Lange Zeit verschwand Else Lasker-Schüler hinter stereotypisierten Zuschreibungen - ihre Briefe ermöglichen nun einen grundlegend neuen Zugang zum Verständnis dieser außergewöhnlichen Dichterin.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2005Ein Spiel für alle, die mich kennen
Neue Facetten Else Lasker-Schülers in Briefen und einer Biographie
In einem Brief vom September 1916 schreibt Else Lasker-Schüler an Fritz Engel, den Mitbegründer und Vorsitzenden der Kleist-Stiftung: "Hochwerter Herr Engel. Ich bin Else Lasker-Schüler - wollte Sie nur fragen, ob ich nicht mal einen Preis irgend woher bekomme zum Beispiel von Ihrer Kleiststiftung. Kleist hätte ihn mir sicher gegeben." Die Autorin selbst wußte früh um die Bedeutung ihrer Texte, der Kleist-Preis wurde ihr erst sechzehn Jahre später, 1932, zugesprochen, und auch die Nachwelt brauchte ihre Zeit, um die ästhetischen Qualitäten des Werks und die ihm zugrundeliegende radikale Konzeption in ihrer Gänze zu würdigen. Die zahlreichen Neuerscheinungen der letzten Jahre zeugen von einer solchen Würdigung.
Mit der Kritischen Ausgabe, in der bis zum Jahr 2008 neben den bereits erschienenen Bänden mit Lyrik, Prosa und dem dramatischen Werk nun auch sämtliche Briefe Lasker-Schülers herausgegeben werden, von denen nun zwei von fünf Bände erschienen sind ("Briefe 1893 bis 1913" und "Briefe 1914 bis 1924") werden die Schriften Else Lasker-Schülers auf eine verläßlichere Rezeptionsgrundlage gestellt, als es bislang durch die von Werner Kraft edierte und teilweise gekürzte dreibändige Gesamtausgabe von 1962 der Fall gewesen ist.
Aus den Briefen läßt sich das dichterische Verfahren ablesen: ein Spiel, in das Freunde, Verleger und Kritiker einbezogen werden sollten, bei dem die Autorin selbst verschiedene Rollen einnahm und verteilte, die von den angesprochenen "Mitspielern", über die Korrespondenz hinausgehend, die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion überschreitend, gespielt werden sollten. Im Spannungsfeld von Leben und Schreiben bilden die Briefe den Übergangsbereich von einer ästhetisch modifizierten Realität hin zum publizierten Text. Else Lasker-Schülers Lust am Spiel entspringen die poetischen Figurationen der Briefe und Veröffentlichungen: die der Tino von Bagdad, der orientalischen Prinzessin, deren Name erstmals in einem Brief von 1900 auftaucht, und die des Prinzen Jussuf von Theben, einer Rolle, durch die das Spiel mit anderen noch mehr an Bedeutung gewinnt und die für die Dichterin zeit ihres Lebens von großer Wichtigkeit bleiben wird. Die Übergänge von der privaten, spontanen, von zahlreichen Wortneuschöpfungen, Flüchtigkeitsfehlern, Auslassungen und syntaktischen Brüchen durchsetzten Korrespondenz Lasker-Schülers hin zu ihren publizierten Texten lösen sich auf. Der Adressatenkreis der impulsiven Briefe liest sich wie ein Who's who der Künstler, Intellektuellen und Verleger zwischen der Jahrhundertwende und der Weimarer Zeit: von Karl Kraus über Martin Buber bis hin zu Georg Trakl und Franz Marc, um nur wenige zu nennen.
Gewünscht hätte man sich im Rahmen der Briefausgabe das eine oder andere Faksimile. Hinter der philologischen Akribie, mit der die Ausgabe aufwartet, geraten die für das Werk so wichtigen textbegleitenden oder -ergänzenden Zeichnungen und Schriftverzierungen in eine Nebenrolle, da sie zwar beschrieben, aber nicht abgebildet werden, so daß das Bildhafte und Phantastische des Werks aus dem Blickfeld zu geraten droht. Auch das Fehlen jeglicher Gegenbriefe erschwert die Kontextualisierung, die so auch vom ausführlichen Kommentar nicht in dem Maß ermöglicht werden kann, wie es durch die Edition eines Briefwechsels der Fall wäre.
Die Wichtigkeit von Else Lasker-Schülers Briefen wird deutlich an einer weiteren Neuerscheinung, des Briefromans "Mein Herz", der in Wechselwirkung mit der privaten Korrespondenz steht. Dieser Roman ist nun erstmals wieder in der Textgestalt der Erstausgabe von 1912 mit sämtlichen dort enthaltenen Zeichnungen Lasker-Schülers zugänglich. Ricarda Dick, der auch die Bearbeitung des entsprechenden Prosabands der Kritischen Ausgabe oblag, hat den Briefroman mit Anmerkungen und einem Personenverzeichnis versehen.
Im August 1911, der Entstehungszeit von "Mein Herz", lebt die dreiundvierzigjährige Schriftstellerin mit ihrem zweiten Mann Herwarth Walden, Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift "Der Sturm". Als dieser mit einem Freund eine Reise nach Norwegen antritt, beginnt sie mit dem Verfassen der "Briefe nach Norwegen", die in mehreren Folgen im "Sturm" veröffentlicht werden. Nach der Rückkehr Waldens entstehen weitere Folgen, und die Autorin faßt den Plan, die Briefe als Buch herauszugeben: "Ganz recht, ich werde anfangen, meine Briefe an euch zu sammeln und sie später unter dem Titel ,Herzensbriefe, alleinseligmachender Liebesbriefsteller, Gesetzl. gesch.' herausgeben." Wie der Untertitel "Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen" weist diese Bemerkung darauf hin, daß Stil- und Rollenkonventionen in "Mein Herz" ebenso unterwandert werden wie traditionelle Liebesentwürfe. Der Briefroman, ein Bilderbogen, dessen Facetten sich auf reale Personen und Ereignisse der literarischen und künstlerischen Avantgarde Berlins rückbeziehen lassen, wird zur "Herzensbühne", auf der sich die Figur des Prinzen Jussuf von Theben bewegt. Die Entscheidung des Jüdischen Verlags, den Roman erneut als Leseausgabe aufzulegen, ist womöglich dem Umstand geschuldet, daß in der Kritischen Ausgabe, die dem Prinzip der Edition der Erstveröffentlichungen folgt, die Textgestalt der Briefe nur in Form der im "Sturm" veröffentlichten "Briefe nach Norwegen" vorliegt. Die Neuausgabe von "Mein Herz" kann so als Supplement zur Kritischen Ausgabe gelesen werden; für sich genommen, ist das Buch ein Kernstück des Prosawerks der Dichterin.
Einen differenzierteren Blick auf das Leben der Autorin ermöglicht eine neue Biographie der Literaturwissenschaftlerin Sigrid Bauschinger. Sie hat eine materialreiche Grundlage von Text- und Bilddokumenten, Briefen und Handschriften ausgewertet. Sigrid Bauschinger, die 1980 die Monographie "Else Lasker-Schüler - Ihr Werk und ihre Zeit" publizierte, reflektiert in der Biographie immer wieder die Problematik, Leben und Werk Else Lasker-Schülers voneinander zu trennen.
Von der Kindheit und Jugend in Elberfeld nach Berlin bis zur Scheidung der ersten Ehe hin zur Zeit der Ehe mit Herwarth Walden zeichnet Bauschinger zunächst die Entwicklung zur "Freien Künstlerin in Berlin" nach. Die Zäsur des Ersten Weltkriegs, der damit verbundene Verlust von Freunden wie Franz Marc und Georg Trakl, die Weimarer Republik sowie der zunehmende Ruhm der Autorin sind zentrale Elemente der folgenden Lebensjahre. Die Biographie schildert detailliert die Auseinandersetzungen mit Verlegern und die Bedingungen, unter denen Lasker-Schüler schrieb und an Anerkennung gewann, während ihre materielle Lage meist prekär blieb. Die letzten beiden Kapitel über die Zeit im Exil, zunächst in Zürich und Ascona, zuletzt in Jerusalem, verdienen besondere Beachtung. Sie versammeln bislang verstreute Fakten über die Situation, unter denen das beeindruckende Alterswerk der Dichterin entstand, zu dem die Gedichtsammlung "Mein blaues Klavier", der Prosaband "Das Hebräerland" und das komplexe Drama "IchundIch" gehören. Die Ausführungen tragen dazu bei, Else Lasker-Schülers eigenwillige politische Position genauer zu fassen, und relativieren den Mythos von der am Lebensende völlig verarmten und vereinsamten Autorin.
BEATE TRÖGER
Else Lasker-Schüler: "Werke und Briefe". Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky. Band 6: "Briefe 1893-1913". Bearbeitet von Ulrike Marquardt. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 836 S., geb., 124,- [Euro]. / Band 7: "Briefe 1914-1924". Bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 675 S. , geb., 124,- [Euro].
Sigrid Bauschinger: "Else Lasker-Schüler". Biographie. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 496 S., 62 Abb., geb., 38,- [Euro].
Else Lasker-Schüler: "Mein Herz". Ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen. Herausgegeben von Ricarda Dick. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 216 S., geb., 17,90 [Euro].
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Neue Facetten Else Lasker-Schülers in Briefen und einer Biographie
In einem Brief vom September 1916 schreibt Else Lasker-Schüler an Fritz Engel, den Mitbegründer und Vorsitzenden der Kleist-Stiftung: "Hochwerter Herr Engel. Ich bin Else Lasker-Schüler - wollte Sie nur fragen, ob ich nicht mal einen Preis irgend woher bekomme zum Beispiel von Ihrer Kleiststiftung. Kleist hätte ihn mir sicher gegeben." Die Autorin selbst wußte früh um die Bedeutung ihrer Texte, der Kleist-Preis wurde ihr erst sechzehn Jahre später, 1932, zugesprochen, und auch die Nachwelt brauchte ihre Zeit, um die ästhetischen Qualitäten des Werks und die ihm zugrundeliegende radikale Konzeption in ihrer Gänze zu würdigen. Die zahlreichen Neuerscheinungen der letzten Jahre zeugen von einer solchen Würdigung.
Mit der Kritischen Ausgabe, in der bis zum Jahr 2008 neben den bereits erschienenen Bänden mit Lyrik, Prosa und dem dramatischen Werk nun auch sämtliche Briefe Lasker-Schülers herausgegeben werden, von denen nun zwei von fünf Bände erschienen sind ("Briefe 1893 bis 1913" und "Briefe 1914 bis 1924") werden die Schriften Else Lasker-Schülers auf eine verläßlichere Rezeptionsgrundlage gestellt, als es bislang durch die von Werner Kraft edierte und teilweise gekürzte dreibändige Gesamtausgabe von 1962 der Fall gewesen ist.
Aus den Briefen läßt sich das dichterische Verfahren ablesen: ein Spiel, in das Freunde, Verleger und Kritiker einbezogen werden sollten, bei dem die Autorin selbst verschiedene Rollen einnahm und verteilte, die von den angesprochenen "Mitspielern", über die Korrespondenz hinausgehend, die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion überschreitend, gespielt werden sollten. Im Spannungsfeld von Leben und Schreiben bilden die Briefe den Übergangsbereich von einer ästhetisch modifizierten Realität hin zum publizierten Text. Else Lasker-Schülers Lust am Spiel entspringen die poetischen Figurationen der Briefe und Veröffentlichungen: die der Tino von Bagdad, der orientalischen Prinzessin, deren Name erstmals in einem Brief von 1900 auftaucht, und die des Prinzen Jussuf von Theben, einer Rolle, durch die das Spiel mit anderen noch mehr an Bedeutung gewinnt und die für die Dichterin zeit ihres Lebens von großer Wichtigkeit bleiben wird. Die Übergänge von der privaten, spontanen, von zahlreichen Wortneuschöpfungen, Flüchtigkeitsfehlern, Auslassungen und syntaktischen Brüchen durchsetzten Korrespondenz Lasker-Schülers hin zu ihren publizierten Texten lösen sich auf. Der Adressatenkreis der impulsiven Briefe liest sich wie ein Who's who der Künstler, Intellektuellen und Verleger zwischen der Jahrhundertwende und der Weimarer Zeit: von Karl Kraus über Martin Buber bis hin zu Georg Trakl und Franz Marc, um nur wenige zu nennen.
Gewünscht hätte man sich im Rahmen der Briefausgabe das eine oder andere Faksimile. Hinter der philologischen Akribie, mit der die Ausgabe aufwartet, geraten die für das Werk so wichtigen textbegleitenden oder -ergänzenden Zeichnungen und Schriftverzierungen in eine Nebenrolle, da sie zwar beschrieben, aber nicht abgebildet werden, so daß das Bildhafte und Phantastische des Werks aus dem Blickfeld zu geraten droht. Auch das Fehlen jeglicher Gegenbriefe erschwert die Kontextualisierung, die so auch vom ausführlichen Kommentar nicht in dem Maß ermöglicht werden kann, wie es durch die Edition eines Briefwechsels der Fall wäre.
Die Wichtigkeit von Else Lasker-Schülers Briefen wird deutlich an einer weiteren Neuerscheinung, des Briefromans "Mein Herz", der in Wechselwirkung mit der privaten Korrespondenz steht. Dieser Roman ist nun erstmals wieder in der Textgestalt der Erstausgabe von 1912 mit sämtlichen dort enthaltenen Zeichnungen Lasker-Schülers zugänglich. Ricarda Dick, der auch die Bearbeitung des entsprechenden Prosabands der Kritischen Ausgabe oblag, hat den Briefroman mit Anmerkungen und einem Personenverzeichnis versehen.
Im August 1911, der Entstehungszeit von "Mein Herz", lebt die dreiundvierzigjährige Schriftstellerin mit ihrem zweiten Mann Herwarth Walden, Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift "Der Sturm". Als dieser mit einem Freund eine Reise nach Norwegen antritt, beginnt sie mit dem Verfassen der "Briefe nach Norwegen", die in mehreren Folgen im "Sturm" veröffentlicht werden. Nach der Rückkehr Waldens entstehen weitere Folgen, und die Autorin faßt den Plan, die Briefe als Buch herauszugeben: "Ganz recht, ich werde anfangen, meine Briefe an euch zu sammeln und sie später unter dem Titel ,Herzensbriefe, alleinseligmachender Liebesbriefsteller, Gesetzl. gesch.' herausgeben." Wie der Untertitel "Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen" weist diese Bemerkung darauf hin, daß Stil- und Rollenkonventionen in "Mein Herz" ebenso unterwandert werden wie traditionelle Liebesentwürfe. Der Briefroman, ein Bilderbogen, dessen Facetten sich auf reale Personen und Ereignisse der literarischen und künstlerischen Avantgarde Berlins rückbeziehen lassen, wird zur "Herzensbühne", auf der sich die Figur des Prinzen Jussuf von Theben bewegt. Die Entscheidung des Jüdischen Verlags, den Roman erneut als Leseausgabe aufzulegen, ist womöglich dem Umstand geschuldet, daß in der Kritischen Ausgabe, die dem Prinzip der Edition der Erstveröffentlichungen folgt, die Textgestalt der Briefe nur in Form der im "Sturm" veröffentlichten "Briefe nach Norwegen" vorliegt. Die Neuausgabe von "Mein Herz" kann so als Supplement zur Kritischen Ausgabe gelesen werden; für sich genommen, ist das Buch ein Kernstück des Prosawerks der Dichterin.
Einen differenzierteren Blick auf das Leben der Autorin ermöglicht eine neue Biographie der Literaturwissenschaftlerin Sigrid Bauschinger. Sie hat eine materialreiche Grundlage von Text- und Bilddokumenten, Briefen und Handschriften ausgewertet. Sigrid Bauschinger, die 1980 die Monographie "Else Lasker-Schüler - Ihr Werk und ihre Zeit" publizierte, reflektiert in der Biographie immer wieder die Problematik, Leben und Werk Else Lasker-Schülers voneinander zu trennen.
Von der Kindheit und Jugend in Elberfeld nach Berlin bis zur Scheidung der ersten Ehe hin zur Zeit der Ehe mit Herwarth Walden zeichnet Bauschinger zunächst die Entwicklung zur "Freien Künstlerin in Berlin" nach. Die Zäsur des Ersten Weltkriegs, der damit verbundene Verlust von Freunden wie Franz Marc und Georg Trakl, die Weimarer Republik sowie der zunehmende Ruhm der Autorin sind zentrale Elemente der folgenden Lebensjahre. Die Biographie schildert detailliert die Auseinandersetzungen mit Verlegern und die Bedingungen, unter denen Lasker-Schüler schrieb und an Anerkennung gewann, während ihre materielle Lage meist prekär blieb. Die letzten beiden Kapitel über die Zeit im Exil, zunächst in Zürich und Ascona, zuletzt in Jerusalem, verdienen besondere Beachtung. Sie versammeln bislang verstreute Fakten über die Situation, unter denen das beeindruckende Alterswerk der Dichterin entstand, zu dem die Gedichtsammlung "Mein blaues Klavier", der Prosaband "Das Hebräerland" und das komplexe Drama "IchundIch" gehören. Die Ausführungen tragen dazu bei, Else Lasker-Schülers eigenwillige politische Position genauer zu fassen, und relativieren den Mythos von der am Lebensende völlig verarmten und vereinsamten Autorin.
BEATE TRÖGER
Else Lasker-Schüler: "Werke und Briefe". Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky. Band 6: "Briefe 1893-1913". Bearbeitet von Ulrike Marquardt. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 836 S., geb., 124,- [Euro]. / Band 7: "Briefe 1914-1924". Bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 675 S. , geb., 124,- [Euro].
Sigrid Bauschinger: "Else Lasker-Schüler". Biographie. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 496 S., 62 Abb., geb., 38,- [Euro].
Else Lasker-Schüler: "Mein Herz". Ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen. Herausgegeben von Ricarda Dick. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 216 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Ihre Briefe und Brieffigurationen wie die orientalische "Prinzessin Tino von Bagdad" oder der "Prinz Yussuf von Theben" sind Markenzeichen der Dichterin Else Lasker-Schüler gewesen, die 1933 emigrierte und 1944 völlig verarmt in Palästina starb. Es sei ein großer editorischer Erfolg, lobt Andreas B. Kilcher, dass die Herausgeber der im Jüdischen Verlag des Hauses Suhrkamp erscheinenden kritischen Werkausgabe mit umfangreichem neuen Material aufwarten könnten. Über die Hälfte der im ersten Briefband übernommenen 638 Briefe und Postkarten seien Neuveröffentlichungen, auch wenn man wohl kaum alles dieser Viele-Briefe-Schreiberin edieren könne. Der vorliegende erste Band dokumentiert Lasker-Schülers Weg von der bürgerlichen in die künstlerische Existenz, ihre Entwicklung zur Lyrikerin, teilt Kilcher mit. Schon früh verwischte die Autorin die Grenzen von Fiktion und Realität, meint er, führte sie imaginäre Figuren in ihre Briefe ein und überführte das Briefgenre in eine literarische Existenz. Einziger Nachteil dieser ansonsten nur lobenswerten Ausgabe, findet Kilcher, sei das völlige Fehlen von Lasker-Schülers Zeichnungen, was umso schmerzhafter sei, weil die Allroundkünstlerin viele ihrer Briefe mit Zeichnungen versehen hatte, die einen "ganz eigenen Zwischenbereich von Text und Bild, Literatur und Kunst" schufen, so der in diesem Punkt enttäuschte und leer ausgegangene Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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