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Die erste komplette Ausgabe der Briefe Hugo Balls, soweit sie bekannt sind oder ermittelt werden konnten, - nicht nur ein Meilenstein der Ball-Forschung, sondern ein äußerst wichtiges Dokument für die deutsche Literatur-, Geistes- und Kulturgeschichte im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, das neue Impulse und Aufschlüsse verspricht.Hugo Ball (1886-1927) - Dada-Begründer in Zürich und erster Hermann-Hesse-Biograph - stellte 1926 erstaunt und selbstbewußt fest, er sei »überall in den Brennpunkt der Interessen« gelangt, »am Theater, in der Kunst, in der Philosophie, in der Politik«. Die Briefe…mehr

Produktbeschreibung
Die erste komplette Ausgabe der Briefe Hugo Balls, soweit sie bekannt sind oder ermittelt werden konnten, - nicht nur ein Meilenstein der Ball-Forschung, sondern ein äußerst wichtiges Dokument für die deutsche Literatur-, Geistes- und Kulturgeschichte im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, das neue Impulse und Aufschlüsse verspricht.Hugo Ball (1886-1927) - Dada-Begründer in Zürich und erster Hermann-Hesse-Biograph - stellte 1926 erstaunt und selbstbewußt fest, er sei »überall in den Brennpunkt der Interessen« gelangt, »am Theater, in der Kunst, in der Philosophie, in der Politik«. Die Briefe Balls belegen dies eindrucksvoll; sie akzentuieren seinen durch Brüche gekennzeichneten Lebensweg, der ihn vom expressionistischen Theaterreformer, temporären Dadaisten und Ästhetiker, über den Politiker und Journalisten, den scharfen Kritiker der deutschen, protestantisch-idealistisch geprägten Philosophie, bis hin zum Hagiographen und Laientheologen führte.Darüber hinaus werfen die Briefe Schlaglichter auf die historischen Avantgardebewegungen Expressionismus und Dada, auf die literarische und politische Opposition gegen den Krieg im Schweizer Exil und auf die Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Briefpartner wie Wassily Kandinsky, Kurt Wolff, René Schickele, Tristan Tzara, Hans Arp, Hermann Hesse, C. G. Jung und Carl Schmitt stecken das weite künstlerisch-intellektuelle Umfeld ab, in dem sich Ball bewegte.Die Edition ist die erste kritische, philologisch zuverlässige und vollständige Ausgabe des Ballschen Briefwerks. Sie umfaßt knapp 800 Briefe aus den Jahren 1904 bis 1927, die ausführlich kommentiert sind. Erstmals konnten dabei zahlreiche Gegenbriefe von Adressaten berücksichtigt und - eine kleine Sensation - die bisher unzugänglichen, unveröffentlichten Tagebücher aus den Jahren 1921 bis 1927 ausgewertet werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Hugo Ball, geb. 1886 in Pirmasens, war während des Ersten Weltkrieges Mitbegründer der Dada-Bewegung in Zürich, überzeugter Pazifist und scharfer Zeitkritiker. Der enge Freund Hermann Hesses war dessen erster Biograph. Hugo Ball starb 1927 in Montagnola/Schweiz.

Gerhard Schaub, geb. 1938, promovierte 1970 und habilitierte 1980. Von 1970 bis 2003 lehrte er Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Trier. Er veröffentlichte Monographien und Aufsätze über Clemens Brentano, Georg Büchner und Kurt Schwitters, kommentierte Ausgaben von Texten Brentanos und Büchners sowie Abhandlungen und Artikel über Hugo Ball. Im Jahr 2017 verstarb er.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2004

Zähneklappern im Tessin
Aus der Klosterzelle: Der Schriftsteller Hugo Ball in seinen Briefen

Hugo Ball starb 1927 im Tessin an Magenkrebs, einundvierzig Jahre alt. An ihn erinnert bis Anfang nächsten Jahres eine kleine Ausstellung im Hesse-Museum in Montagnola. An ihn erinnert eine dreibändige Brief-Ausgabe. An ihn erinnert ein Band, in dem der Briefwechsel zwischen ihm, Emmy Ball-Hennings und Hermann Hesse dokumentiert ist. Die Erinnerung wird wahrscheinlich verwehen. Die Ausstellung liegt im Abseits, die Brief-Ausgabe dient Philologen - und der Briefwechsel mit Hesse, so lesenswert er ist und so glücklich er von der Herausgeberin komponiert und kommentiert wurde: Er gleicht einem Bund frischer Blumen auf einem Grab.

Diese Blumen aber - sie gemahnen an eine kleine wundersame Lebensgemeinschaft im Tessin, die unter dem grauen Schatten der Alltagssorgen und dem blauen Himmel des gegenseitigen Verstehens für wenige Jahre zusammenrückte. Hugo Ball hatte Emmy Hennings 1914 kennengelernt, sie heirateten 1920. Sie, Schauspielerin, Schriftstellerin und Gelegenheitsprostituierte, brachte eine neunjährige Tochter mit in die Beziehung, die selber eine kinderlose Ehe blieb. Er, Dramaturg, Mitbegründer der Dada-Bewegung und Schriftsteller, war ein Jahr jünger als seine Frau. Die beiden führten ein unstetes Schriftstellerleben, geplagt vom drastischen Geldmangel. Seit 1915 wohnten sie in der Schweiz, kurze Zeit in München, dann im Tessin, wo ihnen Hesse, der einen Fußmarsch entfernt sein Domizil hatte und die Balls gern um sich hatte, unter die Arme griff: Er bat einmal sogar seinen Mäzen, diesen beiden besonderen Menschen finanziell zu helfen.

Emmy Ball-Hennings reist umher, allein oder mit ihrer Tochter. Hugo Ball sitzt im Winter bibbernd vor der Schreibmaschine oder liegt dick angezogen und bibbernd im Bett, weil er die Heizkosten sparen möchte. Er ernährt sich manchmal tagelang nur von Milch, Birnen und Brot. Von Freunden, aus Verlagen oder aus fernen Klosterbibliotheken läßt er sich die für seine Arbeiten dringend benötigten Bücher schicken, die er nächtelang exzerpiert, weil er sie wieder zurückgeben muß. Fast täglich schreibt er seiner Frau, wenn sie unterwegs ist, lange Briefe, in denen er nach ihrem Befinden fragt, ihr Vorschläge zum besseren Überleben unterbreitet, von den fast immer zähen Verhandlungen mit Verlagen und Zeitschriftenredaktionen berichtet und den sinnvollen Einsatz des wenigen Geldes plant.

Und er kämpft immer wieder um Zeit: um Zeit für sich, um Zeit, seine Bücher zu schreiben. Als Emmy Ball-Hennings einmal ihre Tochter aus Italien, wo die beiden sich den Winter über aufhalten, vorab nach Hause ins Tessin zu ihm schicken möchte, sieht Ball seine eiskalte fragile Gelehrteneinsamkeit, der wegen den finanziellen Nöten nie lange Dauer beschieden ist, einstürzen: Die Wohnung sei doch klein, er müßte wegen dem Kind heizen, sich um das Essen kümmern und habe dabei seine "Kritik der deutschen Intelligenz" für eine Neuauflage umzuarbeiten und in Kürze beim Verlag einzureichen - ein verzweifelter Bittbrief um den eigenen Raum. Doch Ball, der oft am Rande seiner Kräfte ist, von Schwindeln befallen, schnurrt zusammen, zieht sich mit seinen Wünschen zurück, gibt nach, empfängt Emmy Hennings' Tochter, heizt ein und macht unter dem Druck der Manuskriptabgabe die Nacht zum Tage.

Hugo Ball litt. Er litt an Deutschland, das in seinen Augen schuld hatte am Ausbruch des Ersten Weltkriegs, er litt am deutschen Geist, der in die Katastrophe geführt habe. Er war ein strenger und hellwacher Beobachter der akuten intellektuellen Strömungen und ein akribischer Deuter der intellektuellen Traditionen, ein Deuter, der seine Ansichten anhand der Quellen beweisen und nicht nur behaupten wollte. Aus dem Leiden an Deutschland entstand seine "Kritik der deutschen Intelligenz". Äußerst lesenswert sind neben seinem Tagebuch "Flucht aus der Zeit" vor allem drei umfangreiche weitsichtige Aufsätze, die alle in den zwanziger Jahren entstanden: "Der Künstler und die Zeitkrankheit", "Carl Schmitts Politische Theologie" und "Die religiöse Konversion". Mit dem Bonner Professor Carl Schmitt wird Ball sich überwerfen, nachdem ein Schmitt-Schüler eine Rezension der überarbeiteten Fassung der "Kritik der deutschen Intelligenz" (erschienen unter dem Titel "Die Folgen der Reformation") veröffentlicht hat - eine Rezension, in der Ball Gedanken wiederfindet, die er in vertraulichem Gespräch mit Schmitt ausgetauscht hatte. Ball schreibt Schmitt einen engelsgeduldkalten Brief, der den Graben zwischen ihnen aussticht - und schnurrt zusammen, zieht sich mit seiner Wut zurück und schickt den Brief nicht ab.

Hugo Ball war ein einsamer, in die Notstände seines Lebens sich ergebender und seines geistigen Ranges bewußter Mensch, der seine durch die Begriffsarbeit geschliffene intellektuelle Kraft, Distanz zu schaffen und zu wahren, auch zur Behebung menschlicher Mißstände einzusetzen wußte: Als seine Frau einem Verhältnis mit einem Spanier erliegt, beendet Ball diese Beziehung mit einem kurzen Brief, der dem Sendschreiben eines Abtes gleicht, dessen Sinn nicht danach steht, an den Regeln eines Liebes- und Lebensordens rütteln zu lassen. In der Brief-Ausgabe findet sich nur ein Brief, in dem Ball ins Trudeln und Turteln gerät - der Brief an die Braut, der er ein fürsorglicher geistiger Vater gewesen zu sein scheint, mit offenen Armen die einst gefallene, immer getriebene und dichtende Emmy, die gerne die Augen zur Mutter Gottes aufschlägt, empfangend.

Das Ehepaar ist auf dem Weg zu Gott: Sie schwärmt poetisch in die Vielfalt der Lebenswunder aus, er kapselt sich begrifflich in die erlösende Einheit der Kirche ein. In einem Brief an Hermann Hesse aus Hugo Balls letzten Tagen erzählt sie, daß Ball sich liebend gerne zum Schreiben in ein Zimmer ohne Fenster zurückzog: der Verfasser des "Byzantinischen Christentums" im Gehäuse. Das Bild eines Asketen - der Mund ein geistreicher Strich, der nach innen schauende und daseinsdemütige Blick von einnehmender Verlorenheit.

Die Briefe Hugo Balls kommen aus der Klosterzelle eines sich immer enger um sehr wenige Menschen ziehenden Lebenskreises. Sie geben kaum Auskunft über den sich stetig ausdehnenden Gedankenkreis Balls. Das intellektuelle Terrain, auf dem er sich bewegt, taucht in den Briefen hier und da einmal auf, aber nicht in der Fülle einer blühenden Landschaft, sondern in der Kargheit einer kleinen Landkarte. Der Kenner der psychoanalytischen Theorien, der sogar als autodidaktischer Analytiker einmal einer leidenden Frau seine Hilfe anbot, muß ein guter Zuhörer gewesen sein. Auch Hesse fühlte sich von keinem anderen Menschen so verstanden wie von Ball.

Der sachliche und geschmeidige Stil seiner wissenschaftlichen Prosastücke, Kupferstiche in der Zeit der Plakate, mag sich aus diesem Vorrang der verstehenden Zuneigung vor der theoretischen Selbstgefälligkeit entwickelt haben. Als er sich in seinen letzten Jahren mit dem Zusammenhang von Psychoanalyse und Exorzismus beschäftigte, begegnete er in der christlichen Literatur immer wieder herausragenden Kirchenmännern, die allein durch ihr geistig festes Auftreten bei den psychisch Kranken heilend wirkten. Diese geistige Festigkeit, fern der intellektuellen Schnörkel, scheint schon seit der Dada-Zeit ein Urbild seines prosaischen Stilwollens gewesen zu sein - so wie ihm der Schritt in die katholische Kirche immer schon näher lag, als das von seinen intellektuellen Erregungen gesehen den Anschein hatte (man erinnere sich nur an das Bild von ihm im Dada-Bischofskostüm). Der heilende Auftritt des Heiligen: Das Urbild des wissenschaftlichen Schreibens wird auch zum Vorbild für ein Leben in Einsamkeit. Der verhaltene und schlichte, dem Hilfesuchenden zuvorkommende, in Not und Gefahr aber bestimmte Stil der Briefe gleicht dem Gestus eines Hirten, der sich verantwortlich weiß für die ihm anvertrauten Seelen und das eigene Heil.

Auf die Dauer und unter den aufreibenden Lebensumständen war das wahrscheinlich schwer durchzustehen: Hugo Ball welkte dahin. Er war ein kompromißloser und erfolgloser Schriftsteller, dessen Bücher sich nur mit Mühe unter die Leute bringen ließen. Hermann Hesse - Ball schrieb im Auftrag des S. Fischer Verlages und auf den Wunsch Hesses hin zu dessen fünfzigstem Geburtstag die erste umfassende Darstellung über Leben und Werk des Schriftstellers - zählte Balls Bücher zu den wichtigsten seiner Zeit. Wahrscheinlich sah Ball von den Tessiner Bergen aus zu weit ins Land: Seine Einsicht, daß die Psychoanalyse fatalerweise keine Antwort auf den auch von ihr selber leergeräumten leeren Himmel findet und das Augenmerk des Menschen immer tiefer auf den Boden des Leibes drängt - das war in den Zwanzigern zuviel des Guten. Vom unerledigten Heiligen auf Erden mochten damals die wenigsten etwas wissen wollen. Hugo Ball ertrug das Leben mit Zähneklappern, aber ohne Jammer, mit Zähigkeit, aber ohne Starrsinn. Er war ein einsamer Intellektueller im Weinberg des Herrn.

EBERHARD RATHGEB.

Hugo Ball: "Briefe". 1904-1927. Herausgegeben und kommentiert von Gerhard Schaub und Ernst Teubner. Band 1 und 2: "Briefe". 514 und 482 S. Band 3: "Kommentar". 804 S. Wallstein Verlag, Göttingen 2003. Alle geb., im Schuber, 124,- [Euro].

Hermann Hesse: "Briefwechsel mit Hugo Ball und Emmy Ball-Hennings". Herausgegeben und kommentiert von Bärbel Reetz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 612 S., geb., 34,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Hugo Ball schreibt man die Erfindung des Namen DADA zu, auch wenn die anderen Mitglieder des Cabaret Voltaire diese ebenso für sich beanspruchten. Rezensentin Hannelore Schlaffer findet jedenfalls Hugo Balls Erklärung des kindlichen Gestammels am einleuchtendsten. Seine Briefe liegen nun in einer vollständigen Edition vor, die nach Schlaffer vor allem den Literaten als gewitzten Taktiker und Verkaufsstrategen zeigen. Das ist doppelt desillusionierend, gesteht Schlaffer, weil sie zum einen den nüchternen beziehungsweise harten Schriftstelleralltag zeigten und zum anderen bewiesen, dass Schreiben alles andere als ein einträglicher Beruf sei. So mancher Brief war ein Bettelbrief, fügt Schlaffer hinzu. Die Briefe geben ihrer Meinung nach das bewegte Leben dieses radikalen Schriftstellers nur ansatzweise wieder; um so mehr sei der Leser darauf angewiesen, zwischen dem Kommentarband, der etwa die Hälfte der Edition einnimmt, und den Briefen hin- und herzuspringen, meint Schlaffer. Und um so bedauerlicher findet sie, dass sich Herausgeber Schaub zu schade gewesen sei, in seinem Nachwort unerlässliche Informationen zum Autor zu liefern und sich stattdessen mit der Prüfung von Briefstilen hervortue, was ihrer Meinung nach eher in einen literaturwissenschaftliches Seminar passen würde. Zur Einführung in eine Edition schlicht "untauglich", schreibt Schlaffer.

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