Der in diesem Band erstmals veröffentlichte Briefwechsel zwischen Martin Heidegger und Heinrich Rickert umfasst 43 Schriftstücke. Im ersten Brief vom 13. Dezember 1912 entschuldigt Heidegger sich für seine Abwesenheit während Rickerts Seminar. Der letzte Brief stammt vom 29. Mai 1933 und ist ein Glückwunschschreiben Rickerts an den neuen Rektor der Universität Freiburg. Der Briefwechsel umfasst also einen großen und wichtigen Abschnitt des Lebens- und Denkweges Martin Heideggers. Er füllt Lücken in der Biographie Heideggers aus und wirft neues Licht einerseits auf seine Beziehungen zur katholischen Kirche, zur Universität Freiburg und zur Philosophie des frühen 20. Jahrhunderts, auf sein Verhältnis zu Rickert, Finke, Krebs, Husserl, Lask und Jaspers. Bemerkenswert ist vor allem die Vertraulichkeit der Beziehung zwischen dem jungen Studenten und dem ehrwürdigen Geheimrat. Neben den Briefen werden acht weitere Dokumente abgedruckt. Der erste Text wurde im Nachlass Rickerts aufbewahrt; es handelt sich hierbei um Heideggers Referat vom Wintersemester 1913/14, das versucht, die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung aufzuheben. Das zweite wichtige Dokument ist Heideggers Vortrag "Frage und Urteil", den er am 15. Juli 1915 gehalten hat. Vier kleinere Texte Heideggers dokumentieren das Prompotions- und Habilitationsverfahren: Heideggers Lebenslauf und Erklärung zur Promotion, sein Promotionsgesuch und sein Habilitationsgesuch. Die beiden restlichen Dokumente sind das Gutachten von Arthur Schneider über Heideggers Dissertation Die Lehre vom Urteil im Psychologismus und das Gutachten Rickerts über Heideggers Habilitationsschrift Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus (Dissertation und Habilitation sind enthalten in dem Band Frühe Schriften bzw. Band 1 der Martin Heidegger Gesamtausgabe). Um das Bild des Verhältnisses zwischen Heidegger und Rickert zu vervollständigen, wurde in den Anhang eine Liste der Vorlesungen und Seminare Rickerts zwischen 1912 und 1916 aufgenommen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der nun veröffentlichte Briefwechsel zwischen Martin Heidegger und Heinrich Rickert erhält seine Bedeutung für Rezensent Andreas Platthaus weniger aus seiner Momentaufnahme deutscher Philosophiegeschichte, sondern aus den kleinen Anzeichen, die von der Ausprägung von Heideggers Charakter kündigen. In den dreiundvierzig erhaltenen Briefe, die Heidegger und Rickert zwischen 1912 und 1933 wechselten, ist für Platthaus immer wieder zu spüren, "dass hier ein Lehrer merkt, wie ihn sein Schüler überflügelt". So lasse Heidegger, der bis 1915 mehrere Seminare bei Rickert belegt hatte, in den Briefen immer wieder anklingen, dass er die philosophischen Positionen seines ehemaligen Lehrers als nicht immer klar empfand. Bezeichnend findet der Rezensent, dass der Briefwechsel mit Rickerts Gratulation zum Freiburger Rektorat Heideggers abbricht. Aber schon zuvor hatte sich in Heideggers Briefe etwas Überhebliches gemischt, hält Platthaus fest. Neben den Briefen enthält der Band als Erstveröffentlichungen auch das Konzept eines Referats, das Heidegger 1913 bei Rickert hielt, und den Text eines Vortrags zu "Frage und Urteil" vom Juli 1915 - "beides Zeugnisse eines noch Unentschlossenen", urteilt Platthaus. Doch Rickert habe in seinem nur eine Woche nach dem Vortrag ausgefertigten zurückhaltend-positiven Gutachten zu Heideggers Habilitation das Potential des jungen Mannes erkannt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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