Der zweite von insgesamt vier Bänden dieser Auswahlausgabe von Briefen Stefan Zweigs setzt mit August 1914, dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, ein und endet im Dezember 1919. Hatte der erste Band (1897-1914) Zweigs Entwicklung seiner Individualität und seines künstlerischen Schaffens dokumentiert, so liegt in diesem Band, dem Zeitraum entsprechend, der Schwerpunkt auf seiner politischen Einstellung und Haltung. Stefan Zweig läßt sich - trotz gelegentlicher kritischer, skeptischer Äußerungen in Briefen an Freunde - vom Rausch des Patriotismus hinreißen, bis Ende 1915 »jeder das Endlose dieses Krieges« und dessen »Sinnlosigkeit« spürt. Danach setzt er sich, stärker noch als bisher, in Briefen an Romain Rolland für eine europäische Verständigung nach dem Ende des Krieges ein. Dessen ungeachtet nimmt er zur gleichen Zeit seinen Auftrag als Freiwilliger im k. u. k. Kriegsarchiv in Wien äußerst ernst - Stefan Zweig war bei allen Musterungen immer wieder als kriegsuntauglich eingestuft worden - , wohl nicht zuletzt aus Sorge, dennoch an die Front abkommandiert zu werden. Seine wichtigsten Werke, die in diesen Jahren entstehen, sind das gegen den Krieg gerichtete Drama Jeremias und der Dostojewski-Essay.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998Außerordentlich gelehrige Halbaffen
Wortkämpfe eines Pazifisten: Stefan Zweigs Briefe 1914 bis 1919 / Von Ulrich Weinzierl
In der Wiener "Neuen Freien Presse" vom 6. August 1914 erschien der Artikel eines anerkannt feinsinnigen Literaten. "Ein Wort von Deutschland" begann, der ,großen' Zeit Tribut zollend, mit gußeisernen Sätzen: "Mit beiden Fäusten, nach rechts und links, muß Deutschland jetzt zuschlagen, der doppelten Umklammerung seiner Gegner sich zu entwinden. Jeder Muskel seiner herrlichen Volkskraft ist angespannt bis zum Äußersten, jeder Nerv seines Willens bebt von Mut und Zuversicht." Zwei Tage zuvor hatte der Verfasser seinem Verleger Anton Kippenberg mitgeteilt, er werde "in ein paar Wochen schon aller Wahrscheinlichkeit nach an der Front" sein - "jedenfalls treffe ich heute meine Verfügungen. Es wird auch ein Wunsch an Sie darunter sein im Falle, daß mir etwas passiert". Das leicht verfrühte Testament schloß mit einem markigen "Gott schütze Deutschland!"
Ende August berichtete der todesverachtende Patriot einer Dichtersgattin bedauernd: "Mich haben die Waffen noch nicht gerufen, doch wird die Zeit mich bald fordern." Mitte Oktober bereitete er dann - wiederum seinem Verleger gegenüber - den geordneten Rückzug vor: "So wäre mein höchstes Glück als Officier gegen einen civilisierten Feind reiten zu dürfen - komme ich hier dran, so gilt es als gemeiner Soldat gegen Schmutz, Kälte, Hunger und Gesindel zu kämpfen. Dies mag Ihnen erklären, warum von den Intellectuellen Österreichs kein Einziger bisher sich freiwillig an die Front gemeldet hat, diejenigen, die durch ihre Stellung hingehörten, sich sogar zurücktransferieren ließen." Voll "Neid" blicke er aus dem Hinterland auf den wohl längst eingerückten Leiter des Insel-Verlags: "Officier sein zu dürfen in dieser Armee, in Frankreich zu siegen - gerade in Frankreich, das man züchtigt weil man es liebt."
Um der historischen Wahrheit die seltene Ehre zu geben: Auch Anton Kippenberg hatte keine Gelegenheit, in Frankreich zu siegen - nicht zuletzt deshalb, weil er den "Dienst in der Schützenlinie" vorsichtshalber mied. Und die militärische Karriere Zweigs bis hinauf zum "Titularfeldwebel" fand ausschließlich dort statt, wo sie in österreichischen Schriftstellerkreisen stattzufinden pflegte: im k.u.k. Kriegsarchiv, betraut mit einer Tätigkeit, die laut Rainer Maria Rilke "Heldenfrisieren" hieß. Anders ausgedrückt: vaterländisch bekömmliche, den Kampfgeist fördernde Texte zu verfertigen.
Naturgemäß war das Schicksal des wiederholt als frontdienstuntauglich eingestuften notorischen Zivilisten Stefan Zweig - bereits im Juli 1914 hatte er seine "Arbeitskraft unentgeltlich dem Pressedepartement" des Kriegsministeriums angetragen - keine Ausnahme. In die Literaturgeschichte eingegangen ist der "Gruß an Hofmannsthal" von Hermann Bahr. "Ich weiß, daß Sie in Waffen sind, lieber Hugo", lesen wir in dem berüchtigten offenen Brief, "doch niemand kann mir sagen, wo. So will ich Ihnen durch die Zeitung schreiben. Vielleicht weht's der liebe Wind an Ihr Wachtfeuer und grüßt Sie schön von mir." Höhnisch meinte Karl Kraus in der "Fackel", Bahr hätte für die Zustellung getrost die Dienste der Post bemühen dürfen. Das Wachtfeuer, das den Leutnant Hofmannsthal damals wärmte, brannte fern der Schlachtfelder: im Kriegsfürsorgeamt.
Bei all dem geht es keineswegs um einen Vorwurf mangelnden Heroismus', sondern um die fatalen Folgen heroischer Phrasen. Sie hatten die psychologisch verständliche Aufgabe, eine nicht ganz so heldenmütige Wirklichkeit zu verdrängen; des öfteren zudem den Vorzug, den das Blutvergießen Preisenden vor dem Gepriesenen zu bewahren. Auch Stefan Zweig, dessen europäische Gesinnung trotzdem über jeden Verdacht erhaben scheint, ist der eignen Phraseologie erlegen. Man wußte, daß das Selbstbild aus der "Welt von Gestern" geschönt war. Donald Praters noble Biographie hat das Porträt diskreter berichtigt als der österreichische Germanist Klaus Heydemann in einem 1981 veröffentlichten Aufsatz. Dem jetzt publizierten Briefband aus den Jahren 1914 bis 1919 verdanken wir freilich die Erkenntnis einer grundlegenden Ambivalenz in Zweigs Verhalten. Sie machte ihn, ohne daß er sich dessen bewußt gewesen wäre, zu einem seelisch und moralisch Zerrissenen.
Er verurteilte die Kriegshetzer und -barden, gar manchen seiner Bekannten mahnte er zur Vernunft. Im Brustton der Empörung bezeichnete er die "ganze Schar der Begeisterten", zu der er auch Hofmannsthal rechnete, als "Gesindel der Worte". Zugleich aber beteiligte er sich lange an der Verharmlosung, ja Glorifizierung des Gemetzels, das er zutiefst verabscheute. Solches Dilemma mußte er vor sich und anderen verleugnen. Die kundigen Herausgeber verschweigen die Fragwürdigkeit seiner Position weder im Nachwort noch im gewaltigen, rund dreihundert Seiten umfassenden Anmerkungsteil, der auch durch Fundstücke aus Zweigs Tagebuch auf Widersprüche hinweist. Daß ein paar Daten und Informationen in den Fußnoten falsch sind, stört angesichts der Fülle der anregenden Details kaum.
Die bedeutendsten, inhaltsreichsten der abgedruckten Briefe, jene an Romain Rolland, waren Fachleuten schon in einer DDR-Edition (1987 bei Rütten & Loening) zugänglich. Auf sie zu verzichten wäre unverantwortlich gewesen. Erst im Zusammenhang mit anderen Korrespondenzen wirken sie biographisch so erhellend, wie sie sind. Am Anfang schrieb Zweig wegen der Zensur deutsch, später - auf neutralem Boden - wechselte er auch in puncto Grammatik unerschrocken ins Französische. Nur mühsam vermochte der gelernte Kosmopolit seine Fassung wieder gewinnen, den Dialog mit dem "großen und verehrten Meister und Freund" über die Feindesgrenzen hinweg ohne Reste von innerem Vorbehalt zu führen. Eine charakteristische Fehlleistung aus einem frühen Brief an Rolland offenbart den Zwiespalt in seinen Gefühlen: "Alle meine Wünsche gegen [!] zu Ihnen hinüber." Genauer betrachtet, ist Stefan Zweig der Verehrer schlechthin gewesen. Er suchte sich Vorbilder, um sie zu idealisieren und sich mit ihnen zu identifizieren. Darum war Rolland für ihn mehr als ein Gesprächspartner "au-dessus de la lée", er wurde zum wichtigsten Verbündeten und einer Art Beichtvater.
Der Hauptertrag des Künstlers Zweig während der Weltkriegsjahre war das pazifistische Drama "Jeremias", dessen Uraufführung in Zürich er miterlebte. Seit dem Spätherbst 1917 hielt er sich mit offizieller Genehmigung seiner Heimat in der Schweiz auf. Ein Korrespondentenvertrag mit der "Neuen Freien Presse" und Kulturpropaganda im Sinne der Donaumonarchie bildeten den Vorwand der Ausreise, die wahren Aktivitäten hingegen mißfielen den hohen Herrschaften in Wien bald beträchtlich: Der Propagandist entpuppte sich leider als Defätist. Eigenhändig notierte Österreich-Ungarns Außenminister Ottokar Graf Czernin auf einem Akt seine Überzeugung, "daß Dr. Zweig ein Drückeberger ist".
Gewiß präsentiert sich Stefan Zweig, der "Humanitätsapostel" (Richard Dehmel), in diesen Briefen selten als makellose Lichtgestalt. In einem Punkt gewann er indes Festigkeit jenseits romantisierender Selbststilisierung. Sein Bekenntnis zur jüdischen Herkunft ließ, zumindest in bewegenden Botschaften an Martin Buber, keinerlei Zweideutigkeit zu. Zwar sei ihm der Zionismus wesensfremd und er sei auch nicht stolz auf sein Judentum, "aber ich weiß, daß ich doch ruhe darin und nie ihm abtrünnig sein will und werde".
Den Umsturz 1918 verfolgte der liberale Bürger mit sehr gemischten Gefühlen. Deshalb drängte er Buber zu einem "Aufruf zur Bescheidenheit" und Besinnung. Ihm sei es "entsetzlich zu sehen, wie Alles - Revolution, Rote Garde, Ministerien - von Juden gestürmt wird, welche unreine Machtgier unreiner Menschen sich jetzt entlädt". Aus Zweig sprach hier die Angst eines Höchstsensiblen, der das kommende Unheil erahnte. Wie überhaupt in seinem Denken die Mischung aus prophetischer Klarsicht, diplomatischen Verrenkungen und manchmal geradezu kindlicher Naivität verblüfft. Mögen auch sein Schwanken und seine Anpassungsbereitschaft irritieren, so war er doch den meisten Intellektuellen in Deutschland und Österreich weit überlegen. Welch geistige Verwüstungen der Chauvinismus angerichtet hat, zeigen Zitate im Anhang, darunter eines des Nationalökonomen und Soziologen Werner Sombart. Der bekannte anno 1914 stolz, er habe die Japaner "nie eigentlich als Menschen, sondern immer nur als außerordentlich gelehrige Halbaffen angesehen".
In einem Brief an den Wiener Autor Raoul Auernheimer verabschiedete Zweig das Schreckens- und Freudensjahr 1918: "Es ist nur eines zu retten vorläufig: Hoheit, Haltung. Und gerade die fehlt Deutschland und Uns. Es ist etwas Jämmerliches in Unserem Besiegtsein, kleine Aufmuckereien abwechselnd mit niederen Anbiederungen: keine Linie. Und keine Größe." Daß Stefan Zweig Hoheit und Haltung anstrebte, steht außer Zweifel. Desgleichen, daß er beides zuweilen verfehlte. Aber er hat unerschütterlich um Linie und Größe gerungen. Hätte er das, vor sich selbst und seinen Zeitgenossen, minder hehr und hohltönend formuliert, wäre es ihm vielleicht besser gelungen.
Stefan Zweig: "Briefe 1914 - 1919". Hrsg. von Knut Beck, Jeffrey B. Berlin und Natascha Weschenbach-Feggeler. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 666 S., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wortkämpfe eines Pazifisten: Stefan Zweigs Briefe 1914 bis 1919 / Von Ulrich Weinzierl
In der Wiener "Neuen Freien Presse" vom 6. August 1914 erschien der Artikel eines anerkannt feinsinnigen Literaten. "Ein Wort von Deutschland" begann, der ,großen' Zeit Tribut zollend, mit gußeisernen Sätzen: "Mit beiden Fäusten, nach rechts und links, muß Deutschland jetzt zuschlagen, der doppelten Umklammerung seiner Gegner sich zu entwinden. Jeder Muskel seiner herrlichen Volkskraft ist angespannt bis zum Äußersten, jeder Nerv seines Willens bebt von Mut und Zuversicht." Zwei Tage zuvor hatte der Verfasser seinem Verleger Anton Kippenberg mitgeteilt, er werde "in ein paar Wochen schon aller Wahrscheinlichkeit nach an der Front" sein - "jedenfalls treffe ich heute meine Verfügungen. Es wird auch ein Wunsch an Sie darunter sein im Falle, daß mir etwas passiert". Das leicht verfrühte Testament schloß mit einem markigen "Gott schütze Deutschland!"
Ende August berichtete der todesverachtende Patriot einer Dichtersgattin bedauernd: "Mich haben die Waffen noch nicht gerufen, doch wird die Zeit mich bald fordern." Mitte Oktober bereitete er dann - wiederum seinem Verleger gegenüber - den geordneten Rückzug vor: "So wäre mein höchstes Glück als Officier gegen einen civilisierten Feind reiten zu dürfen - komme ich hier dran, so gilt es als gemeiner Soldat gegen Schmutz, Kälte, Hunger und Gesindel zu kämpfen. Dies mag Ihnen erklären, warum von den Intellectuellen Österreichs kein Einziger bisher sich freiwillig an die Front gemeldet hat, diejenigen, die durch ihre Stellung hingehörten, sich sogar zurücktransferieren ließen." Voll "Neid" blicke er aus dem Hinterland auf den wohl längst eingerückten Leiter des Insel-Verlags: "Officier sein zu dürfen in dieser Armee, in Frankreich zu siegen - gerade in Frankreich, das man züchtigt weil man es liebt."
Um der historischen Wahrheit die seltene Ehre zu geben: Auch Anton Kippenberg hatte keine Gelegenheit, in Frankreich zu siegen - nicht zuletzt deshalb, weil er den "Dienst in der Schützenlinie" vorsichtshalber mied. Und die militärische Karriere Zweigs bis hinauf zum "Titularfeldwebel" fand ausschließlich dort statt, wo sie in österreichischen Schriftstellerkreisen stattzufinden pflegte: im k.u.k. Kriegsarchiv, betraut mit einer Tätigkeit, die laut Rainer Maria Rilke "Heldenfrisieren" hieß. Anders ausgedrückt: vaterländisch bekömmliche, den Kampfgeist fördernde Texte zu verfertigen.
Naturgemäß war das Schicksal des wiederholt als frontdienstuntauglich eingestuften notorischen Zivilisten Stefan Zweig - bereits im Juli 1914 hatte er seine "Arbeitskraft unentgeltlich dem Pressedepartement" des Kriegsministeriums angetragen - keine Ausnahme. In die Literaturgeschichte eingegangen ist der "Gruß an Hofmannsthal" von Hermann Bahr. "Ich weiß, daß Sie in Waffen sind, lieber Hugo", lesen wir in dem berüchtigten offenen Brief, "doch niemand kann mir sagen, wo. So will ich Ihnen durch die Zeitung schreiben. Vielleicht weht's der liebe Wind an Ihr Wachtfeuer und grüßt Sie schön von mir." Höhnisch meinte Karl Kraus in der "Fackel", Bahr hätte für die Zustellung getrost die Dienste der Post bemühen dürfen. Das Wachtfeuer, das den Leutnant Hofmannsthal damals wärmte, brannte fern der Schlachtfelder: im Kriegsfürsorgeamt.
Bei all dem geht es keineswegs um einen Vorwurf mangelnden Heroismus', sondern um die fatalen Folgen heroischer Phrasen. Sie hatten die psychologisch verständliche Aufgabe, eine nicht ganz so heldenmütige Wirklichkeit zu verdrängen; des öfteren zudem den Vorzug, den das Blutvergießen Preisenden vor dem Gepriesenen zu bewahren. Auch Stefan Zweig, dessen europäische Gesinnung trotzdem über jeden Verdacht erhaben scheint, ist der eignen Phraseologie erlegen. Man wußte, daß das Selbstbild aus der "Welt von Gestern" geschönt war. Donald Praters noble Biographie hat das Porträt diskreter berichtigt als der österreichische Germanist Klaus Heydemann in einem 1981 veröffentlichten Aufsatz. Dem jetzt publizierten Briefband aus den Jahren 1914 bis 1919 verdanken wir freilich die Erkenntnis einer grundlegenden Ambivalenz in Zweigs Verhalten. Sie machte ihn, ohne daß er sich dessen bewußt gewesen wäre, zu einem seelisch und moralisch Zerrissenen.
Er verurteilte die Kriegshetzer und -barden, gar manchen seiner Bekannten mahnte er zur Vernunft. Im Brustton der Empörung bezeichnete er die "ganze Schar der Begeisterten", zu der er auch Hofmannsthal rechnete, als "Gesindel der Worte". Zugleich aber beteiligte er sich lange an der Verharmlosung, ja Glorifizierung des Gemetzels, das er zutiefst verabscheute. Solches Dilemma mußte er vor sich und anderen verleugnen. Die kundigen Herausgeber verschweigen die Fragwürdigkeit seiner Position weder im Nachwort noch im gewaltigen, rund dreihundert Seiten umfassenden Anmerkungsteil, der auch durch Fundstücke aus Zweigs Tagebuch auf Widersprüche hinweist. Daß ein paar Daten und Informationen in den Fußnoten falsch sind, stört angesichts der Fülle der anregenden Details kaum.
Die bedeutendsten, inhaltsreichsten der abgedruckten Briefe, jene an Romain Rolland, waren Fachleuten schon in einer DDR-Edition (1987 bei Rütten & Loening) zugänglich. Auf sie zu verzichten wäre unverantwortlich gewesen. Erst im Zusammenhang mit anderen Korrespondenzen wirken sie biographisch so erhellend, wie sie sind. Am Anfang schrieb Zweig wegen der Zensur deutsch, später - auf neutralem Boden - wechselte er auch in puncto Grammatik unerschrocken ins Französische. Nur mühsam vermochte der gelernte Kosmopolit seine Fassung wieder gewinnen, den Dialog mit dem "großen und verehrten Meister und Freund" über die Feindesgrenzen hinweg ohne Reste von innerem Vorbehalt zu führen. Eine charakteristische Fehlleistung aus einem frühen Brief an Rolland offenbart den Zwiespalt in seinen Gefühlen: "Alle meine Wünsche gegen [!] zu Ihnen hinüber." Genauer betrachtet, ist Stefan Zweig der Verehrer schlechthin gewesen. Er suchte sich Vorbilder, um sie zu idealisieren und sich mit ihnen zu identifizieren. Darum war Rolland für ihn mehr als ein Gesprächspartner "au-dessus de la lée", er wurde zum wichtigsten Verbündeten und einer Art Beichtvater.
Der Hauptertrag des Künstlers Zweig während der Weltkriegsjahre war das pazifistische Drama "Jeremias", dessen Uraufführung in Zürich er miterlebte. Seit dem Spätherbst 1917 hielt er sich mit offizieller Genehmigung seiner Heimat in der Schweiz auf. Ein Korrespondentenvertrag mit der "Neuen Freien Presse" und Kulturpropaganda im Sinne der Donaumonarchie bildeten den Vorwand der Ausreise, die wahren Aktivitäten hingegen mißfielen den hohen Herrschaften in Wien bald beträchtlich: Der Propagandist entpuppte sich leider als Defätist. Eigenhändig notierte Österreich-Ungarns Außenminister Ottokar Graf Czernin auf einem Akt seine Überzeugung, "daß Dr. Zweig ein Drückeberger ist".
Gewiß präsentiert sich Stefan Zweig, der "Humanitätsapostel" (Richard Dehmel), in diesen Briefen selten als makellose Lichtgestalt. In einem Punkt gewann er indes Festigkeit jenseits romantisierender Selbststilisierung. Sein Bekenntnis zur jüdischen Herkunft ließ, zumindest in bewegenden Botschaften an Martin Buber, keinerlei Zweideutigkeit zu. Zwar sei ihm der Zionismus wesensfremd und er sei auch nicht stolz auf sein Judentum, "aber ich weiß, daß ich doch ruhe darin und nie ihm abtrünnig sein will und werde".
Den Umsturz 1918 verfolgte der liberale Bürger mit sehr gemischten Gefühlen. Deshalb drängte er Buber zu einem "Aufruf zur Bescheidenheit" und Besinnung. Ihm sei es "entsetzlich zu sehen, wie Alles - Revolution, Rote Garde, Ministerien - von Juden gestürmt wird, welche unreine Machtgier unreiner Menschen sich jetzt entlädt". Aus Zweig sprach hier die Angst eines Höchstsensiblen, der das kommende Unheil erahnte. Wie überhaupt in seinem Denken die Mischung aus prophetischer Klarsicht, diplomatischen Verrenkungen und manchmal geradezu kindlicher Naivität verblüfft. Mögen auch sein Schwanken und seine Anpassungsbereitschaft irritieren, so war er doch den meisten Intellektuellen in Deutschland und Österreich weit überlegen. Welch geistige Verwüstungen der Chauvinismus angerichtet hat, zeigen Zitate im Anhang, darunter eines des Nationalökonomen und Soziologen Werner Sombart. Der bekannte anno 1914 stolz, er habe die Japaner "nie eigentlich als Menschen, sondern immer nur als außerordentlich gelehrige Halbaffen angesehen".
In einem Brief an den Wiener Autor Raoul Auernheimer verabschiedete Zweig das Schreckens- und Freudensjahr 1918: "Es ist nur eines zu retten vorläufig: Hoheit, Haltung. Und gerade die fehlt Deutschland und Uns. Es ist etwas Jämmerliches in Unserem Besiegtsein, kleine Aufmuckereien abwechselnd mit niederen Anbiederungen: keine Linie. Und keine Größe." Daß Stefan Zweig Hoheit und Haltung anstrebte, steht außer Zweifel. Desgleichen, daß er beides zuweilen verfehlte. Aber er hat unerschütterlich um Linie und Größe gerungen. Hätte er das, vor sich selbst und seinen Zeitgenossen, minder hehr und hohltönend formuliert, wäre es ihm vielleicht besser gelungen.
Stefan Zweig: "Briefe 1914 - 1919". Hrsg. von Knut Beck, Jeffrey B. Berlin und Natascha Weschenbach-Feggeler. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 666 S., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Außerordentlich gelehrige Halbaffen
Wortkämpfe eines Pazifisten: Stefan Zweigs Briefe 1914 bis 1919 / Von Ulrich Weinzierl
In der Wiener "Neuen Freien Presse" vom 6. August 1914 erschien der Artikel eines anerkannt feinsinnigen Literaten. "Ein Wort von Deutschland" begann, der ,großen' Zeit Tribut zollend, mit gußeisernen Sätzen: "Mit beiden Fäusten, nach rechts und links, muß Deutschland jetzt zuschlagen, der doppelten Umklammerung seiner Gegner sich zu entwinden. Jeder Muskel seiner herrlichen Volkskraft ist angespannt bis zum Äußersten, jeder Nerv seines Willens bebt von Mut und Zuversicht." Zwei Tage zuvor hatte der Verfasser seinem Verleger Anton Kippenberg mitgeteilt, er werde "in ein paar Wochen schon aller Wahrscheinlichkeit nach an der Front" sein - "jedenfalls treffe ich heute meine Verfügungen. Es wird auch ein Wunsch an Sie darunter sein im Falle, daß mir etwas passiert". Das leicht verfrühte Testament schloß mit einem markigen "Gott schütze Deutschland!"
Ende August berichtete der todesverachtende Patriot einer Dichtersgattin bedauernd: "Mich haben die Waffen noch nicht gerufen, doch wird die Zeit mich bald fordern." Mitte Oktober bereitete er dann - wiederum seinem Verleger gegenüber - den geordneten Rückzug vor: "So wäre mein höchstes Glück als Officier gegen einen civilisierten Feind reiten zu dürfen - komme ich hier dran, so gilt es als gemeiner Soldat gegen Schmutz, Kälte, Hunger und Gesindel zu kämpfen. Dies mag Ihnen erklären, warum von den Intellectuellen Österreichs kein Einziger bisher sich freiwillig an die Front gemeldet hat, diejenigen, die durch ihre Stellung hingehörten, sich sogar zurücktransferieren ließen." Voll "Neid" blicke er aus dem Hinterland auf den wohl längst eingerückten Leiter des Insel-Verlags: "Officier sein zu dürfen in dieser Armee, in Frankreich zu siegen - gerade in Frankreich, das man züchtigt weil man es liebt."
Um der historischen Wahrheit die seltene Ehre zu geben: Auch Anton Kippenberg hatte keine Gelegenheit, in Frankreich zu siegen - nicht zuletzt deshalb, weil er den "Dienst in der Schützenlinie" vorsichtshalber mied. Und die militärische Karriere Zweigs bis hinauf zum "Titularfeldwebel" fand ausschließlich dort statt, wo sie in österreichischen Schriftstellerkreisen stattzufinden pflegte: im k.u.k. Kriegsarchiv, betraut mit einer Tätigkeit, die laut Rainer Maria Rilke "Heldenfrisieren" hieß. Anders ausgedrückt: vaterländisch bekömmliche, den Kampfgeist fördernde Texte zu verfertigen.
Naturgemäß war das Schicksal des wiederholt als frontdienstuntauglich eingestuften notorischen Zivilisten Stefan Zweig - bereits im Juli 1914 hatte er seine "Arbeitskraft unentgeltlich dem Pressedepartement" des Kriegsministeriums angetragen - keine Ausnahme. In die Literaturgeschichte eingegangen ist der "Gruß an Hofmannsthal" von Hermann Bahr. "Ich weiß, daß Sie in Waffen sind, lieber Hugo", lesen wir in dem berüchtigten offenen Brief, "doch niemand kann mir sagen, wo. So will ich Ihnen durch die Zeitung schreiben. Vielleicht weht's der liebe Wind an Ihr Wachtfeuer und grüßt Sie schön von mir." Höhnisch meinte Karl Kraus in der "Fackel", Bahr hätte für die Zustellung getrost die Dienste der Post bemühen dürfen. Das Wachtfeuer, das den Leutnant Hofmannsthal damals wärmte, brannte fern der Schlachtfelder: im Kriegsfürsorgeamt.
Bei all dem geht es keineswegs um einen Vorwurf mangelnden Heroismus', sondern um die fatalen Folgen heroischer Phrasen. Sie hatten die psychologisch verständliche Aufgabe, eine nicht ganz so heldenmütige Wirklichkeit zu verdrängen; des öfteren zudem den Vorzug, den das Blutvergießen Preisenden vor dem Gepriesenen zu bewahren. Auch Stefan Zweig, dessen europäische Gesinnung trotzdem über jeden Verdacht erhaben scheint, ist der eignen Phraseologie erlegen. Man wußte, daß das Selbstbild aus der "Welt von Gestern" geschönt war. Donald Praters noble Biographie hat das Porträt diskreter berichtigt als der österreichische Germanist Klaus Heydemann in einem 1981 veröffentlichten Aufsatz. Dem jetzt publizierten Briefband aus den Jahren 1914 bis 1919 verdanken wir freilich die Erkenntnis einer grundlegenden Ambivalenz in Zweigs Verhalten. Sie machte ihn, ohne daß er sich dessen bewußt gewesen wäre, zu einem seelisch und moralisch Zerrissenen.
Er verurteilte die Kriegshetzer und -barden, gar manchen seiner Bekannten mahnte er zur Vernunft. Im Brustton der Empörung bezeichnete er die "ganze Schar der Begeisterten", zu der er auch Hofmannsthal rechnete, als "Gesindel der Worte". Zugleich aber beteiligte er sich lange an der Verharmlosung, ja Glorifizierung des Gemetzels, das er zutiefst verabscheute. Solches Dilemma mußte er vor sich und anderen verleugnen. Die kundigen Herausgeber verschweigen die Fragwürdigkeit seiner Position weder im Nachwort noch im gewaltigen, rund dreihundert Seiten umfassenden Anmerkungsteil, der auch durch Fundstücke aus Zweigs Tagebuch auf Widersprüche hinweist. Daß ein paar Daten und Informationen in den Fußnoten falsch sind, stört angesichts der Fülle der anregenden Details kaum.
Die bedeutendsten, inhaltsreichsten der abgedruckten Briefe, jene an Romain Rolland, waren Fachleuten schon in einer DDR-Edition (1987 bei Rütten & Loening) zugänglich. Auf sie zu verzichten wäre unverantwortlich gewesen. Erst im Zusammenhang mit anderen Korrespondenzen wirken sie biographisch so erhellend, wie sie sind. Am Anfang schrieb Zweig wegen der Zensur deutsch, später - auf neutralem Boden - wechselte er auch in puncto Grammatik unerschrocken ins Französische. Nur mühsam vermochte der gelernte Kosmopolit seine Fassung wieder gewinnen, den Dialog mit dem "großen und verehrten Meister und Freund" über die Feindesgrenzen hinweg ohne Reste von innerem Vorbehalt zu führen. Eine charakteristische Fehlleistung aus einem frühen Brief an Rolland offenbart den Zwiespalt in seinen Gefühlen: "Alle meine Wünsche gegen [!] zu Ihnen hinüber." Genauer betrachtet, ist Stefan Zweig der Verehrer schlechthin gewesen. Er suchte sich Vorbilder, um sie zu idealisieren und sich mit ihnen zu identifizieren. Darum war Rolland für ihn mehr als ein Gesprächspartner "au-dessus de la lée", er wurde zum wichtigsten Verbündeten und einer Art Beichtvater.
Der Hauptertrag des Künstlers Zweig während der Weltkriegsjahre war das pazifistische Drama "Jeremias", dessen Uraufführung in Zürich er miterlebte. Seit dem Spätherbst 1917 hielt er sich mit offizieller Genehmigung seiner Heimat in der Schweiz auf. Ein Korrespondentenvertrag mit der "Neuen Freien Presse" und Kulturpropaganda im Sinne der Donaumonarchie bildeten den Vorwand der Ausreise, die wahren Aktivitäten hingegen mißfielen den hohen Herrschaften in Wien bald beträchtlich: Der Propagandist entpuppte sich leider als Defätist. Eigenhändig notierte Österreich-Ungarns Außenminister Ottokar Graf Czernin auf einem Akt seine Überzeugung, "daß Dr. Zweig ein Drückeberger ist".
Gewiß präsentiert sich Stefan Zweig, der "Humanitätsapostel" (Richard Dehmel), in diesen Briefen selten als makellose Lichtgestalt. In einem Punkt gewann er indes Festigkeit jenseits romantisierender Selbststilisierung. Sein Bekenntnis zur jüdischen Herkunft ließ, zumindest in bewegenden Botschaften an Martin Buber, keinerlei Zweideutigkeit zu. Zwar sei ihm der Zionismus wesensfremd und er sei auch nicht stolz auf sein Judentum, "aber ich weiß, daß ich doch ruhe darin und nie ihm abtrünnig sein will und werde".
Den Umsturz 1918 verfolgte der liberale Bürger mit sehr gemischten Gefühlen. Deshalb drängte er Buber zu einem "Aufruf zur Bescheidenheit" und Besinnung. Ihm sei es "entsetzlich zu sehen, wie Alles - Revolution, Rote Garde, Ministerien - von Juden gestürmt wird, welche unreine Machtgier unreiner Menschen sich jetzt entlädt". Aus Zweig sprach hier die Angst eines Höchstsensiblen, der das kommende Unheil erahnte. Wie überhaupt in seinem Denken die Mischung aus prophetischer Klarsicht, diplomatischen Verrenkungen und manchmal geradezu kindlicher Naivität verblüfft. Mögen auch sein Schwanken und seine Anpassungsbereitschaft irritieren, so war er doch den meisten Intellektuellen in Deutschland und Österreich weit überlegen. Welch geistige Verwüstungen der Chauvinismus angerichtet hat, zeigen Zitate im Anhang, darunter eines des Nationalökonomen und Soziologen Werner Sombart. Der bekannte anno 1914 stolz, er habe die Japaner "nie eigentlich als Menschen, sondern immer nur als außerordentlich gelehrige Halbaffen angesehen".
In einem Brief an den Wiener Autor Raoul Auernheimer verabschiedete Zweig das Schreckens- und Freudensjahr 1918: "Es ist nur eines zu retten vorläufig: Hoheit, Haltung. Und gerade die fehlt Deutschland und Uns. Es ist etwas Jämmerliches in Unserem Besiegtsein, kleine Aufmuckereien abwechselnd mit niederen Anbiederungen: keine Linie. Und keine Größe." Daß Stefan Zweig Hoheit und Haltung anstrebte, steht außer Zweifel. Desgleichen, daß er beides zuweilen verfehlte. Aber er hat unerschütterlich um Linie und Größe gerungen. Hätte er das, vor sich selbst und seinen Zeitgenossen, minder hehr und hohltönend formuliert, wäre es ihm vielleicht besser gelungen.
Stefan Zweig: "Briefe 1914 - 1919". Hrsg. von Knut Beck, Jeffrey B. Berlin und Natascha Weschenbach-Feggeler. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 666 S., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wortkämpfe eines Pazifisten: Stefan Zweigs Briefe 1914 bis 1919 / Von Ulrich Weinzierl
In der Wiener "Neuen Freien Presse" vom 6. August 1914 erschien der Artikel eines anerkannt feinsinnigen Literaten. "Ein Wort von Deutschland" begann, der ,großen' Zeit Tribut zollend, mit gußeisernen Sätzen: "Mit beiden Fäusten, nach rechts und links, muß Deutschland jetzt zuschlagen, der doppelten Umklammerung seiner Gegner sich zu entwinden. Jeder Muskel seiner herrlichen Volkskraft ist angespannt bis zum Äußersten, jeder Nerv seines Willens bebt von Mut und Zuversicht." Zwei Tage zuvor hatte der Verfasser seinem Verleger Anton Kippenberg mitgeteilt, er werde "in ein paar Wochen schon aller Wahrscheinlichkeit nach an der Front" sein - "jedenfalls treffe ich heute meine Verfügungen. Es wird auch ein Wunsch an Sie darunter sein im Falle, daß mir etwas passiert". Das leicht verfrühte Testament schloß mit einem markigen "Gott schütze Deutschland!"
Ende August berichtete der todesverachtende Patriot einer Dichtersgattin bedauernd: "Mich haben die Waffen noch nicht gerufen, doch wird die Zeit mich bald fordern." Mitte Oktober bereitete er dann - wiederum seinem Verleger gegenüber - den geordneten Rückzug vor: "So wäre mein höchstes Glück als Officier gegen einen civilisierten Feind reiten zu dürfen - komme ich hier dran, so gilt es als gemeiner Soldat gegen Schmutz, Kälte, Hunger und Gesindel zu kämpfen. Dies mag Ihnen erklären, warum von den Intellectuellen Österreichs kein Einziger bisher sich freiwillig an die Front gemeldet hat, diejenigen, die durch ihre Stellung hingehörten, sich sogar zurücktransferieren ließen." Voll "Neid" blicke er aus dem Hinterland auf den wohl längst eingerückten Leiter des Insel-Verlags: "Officier sein zu dürfen in dieser Armee, in Frankreich zu siegen - gerade in Frankreich, das man züchtigt weil man es liebt."
Um der historischen Wahrheit die seltene Ehre zu geben: Auch Anton Kippenberg hatte keine Gelegenheit, in Frankreich zu siegen - nicht zuletzt deshalb, weil er den "Dienst in der Schützenlinie" vorsichtshalber mied. Und die militärische Karriere Zweigs bis hinauf zum "Titularfeldwebel" fand ausschließlich dort statt, wo sie in österreichischen Schriftstellerkreisen stattzufinden pflegte: im k.u.k. Kriegsarchiv, betraut mit einer Tätigkeit, die laut Rainer Maria Rilke "Heldenfrisieren" hieß. Anders ausgedrückt: vaterländisch bekömmliche, den Kampfgeist fördernde Texte zu verfertigen.
Naturgemäß war das Schicksal des wiederholt als frontdienstuntauglich eingestuften notorischen Zivilisten Stefan Zweig - bereits im Juli 1914 hatte er seine "Arbeitskraft unentgeltlich dem Pressedepartement" des Kriegsministeriums angetragen - keine Ausnahme. In die Literaturgeschichte eingegangen ist der "Gruß an Hofmannsthal" von Hermann Bahr. "Ich weiß, daß Sie in Waffen sind, lieber Hugo", lesen wir in dem berüchtigten offenen Brief, "doch niemand kann mir sagen, wo. So will ich Ihnen durch die Zeitung schreiben. Vielleicht weht's der liebe Wind an Ihr Wachtfeuer und grüßt Sie schön von mir." Höhnisch meinte Karl Kraus in der "Fackel", Bahr hätte für die Zustellung getrost die Dienste der Post bemühen dürfen. Das Wachtfeuer, das den Leutnant Hofmannsthal damals wärmte, brannte fern der Schlachtfelder: im Kriegsfürsorgeamt.
Bei all dem geht es keineswegs um einen Vorwurf mangelnden Heroismus', sondern um die fatalen Folgen heroischer Phrasen. Sie hatten die psychologisch verständliche Aufgabe, eine nicht ganz so heldenmütige Wirklichkeit zu verdrängen; des öfteren zudem den Vorzug, den das Blutvergießen Preisenden vor dem Gepriesenen zu bewahren. Auch Stefan Zweig, dessen europäische Gesinnung trotzdem über jeden Verdacht erhaben scheint, ist der eignen Phraseologie erlegen. Man wußte, daß das Selbstbild aus der "Welt von Gestern" geschönt war. Donald Praters noble Biographie hat das Porträt diskreter berichtigt als der österreichische Germanist Klaus Heydemann in einem 1981 veröffentlichten Aufsatz. Dem jetzt publizierten Briefband aus den Jahren 1914 bis 1919 verdanken wir freilich die Erkenntnis einer grundlegenden Ambivalenz in Zweigs Verhalten. Sie machte ihn, ohne daß er sich dessen bewußt gewesen wäre, zu einem seelisch und moralisch Zerrissenen.
Er verurteilte die Kriegshetzer und -barden, gar manchen seiner Bekannten mahnte er zur Vernunft. Im Brustton der Empörung bezeichnete er die "ganze Schar der Begeisterten", zu der er auch Hofmannsthal rechnete, als "Gesindel der Worte". Zugleich aber beteiligte er sich lange an der Verharmlosung, ja Glorifizierung des Gemetzels, das er zutiefst verabscheute. Solches Dilemma mußte er vor sich und anderen verleugnen. Die kundigen Herausgeber verschweigen die Fragwürdigkeit seiner Position weder im Nachwort noch im gewaltigen, rund dreihundert Seiten umfassenden Anmerkungsteil, der auch durch Fundstücke aus Zweigs Tagebuch auf Widersprüche hinweist. Daß ein paar Daten und Informationen in den Fußnoten falsch sind, stört angesichts der Fülle der anregenden Details kaum.
Die bedeutendsten, inhaltsreichsten der abgedruckten Briefe, jene an Romain Rolland, waren Fachleuten schon in einer DDR-Edition (1987 bei Rütten & Loening) zugänglich. Auf sie zu verzichten wäre unverantwortlich gewesen. Erst im Zusammenhang mit anderen Korrespondenzen wirken sie biographisch so erhellend, wie sie sind. Am Anfang schrieb Zweig wegen der Zensur deutsch, später - auf neutralem Boden - wechselte er auch in puncto Grammatik unerschrocken ins Französische. Nur mühsam vermochte der gelernte Kosmopolit seine Fassung wieder gewinnen, den Dialog mit dem "großen und verehrten Meister und Freund" über die Feindesgrenzen hinweg ohne Reste von innerem Vorbehalt zu führen. Eine charakteristische Fehlleistung aus einem frühen Brief an Rolland offenbart den Zwiespalt in seinen Gefühlen: "Alle meine Wünsche gegen [!] zu Ihnen hinüber." Genauer betrachtet, ist Stefan Zweig der Verehrer schlechthin gewesen. Er suchte sich Vorbilder, um sie zu idealisieren und sich mit ihnen zu identifizieren. Darum war Rolland für ihn mehr als ein Gesprächspartner "au-dessus de la lée", er wurde zum wichtigsten Verbündeten und einer Art Beichtvater.
Der Hauptertrag des Künstlers Zweig während der Weltkriegsjahre war das pazifistische Drama "Jeremias", dessen Uraufführung in Zürich er miterlebte. Seit dem Spätherbst 1917 hielt er sich mit offizieller Genehmigung seiner Heimat in der Schweiz auf. Ein Korrespondentenvertrag mit der "Neuen Freien Presse" und Kulturpropaganda im Sinne der Donaumonarchie bildeten den Vorwand der Ausreise, die wahren Aktivitäten hingegen mißfielen den hohen Herrschaften in Wien bald beträchtlich: Der Propagandist entpuppte sich leider als Defätist. Eigenhändig notierte Österreich-Ungarns Außenminister Ottokar Graf Czernin auf einem Akt seine Überzeugung, "daß Dr. Zweig ein Drückeberger ist".
Gewiß präsentiert sich Stefan Zweig, der "Humanitätsapostel" (Richard Dehmel), in diesen Briefen selten als makellose Lichtgestalt. In einem Punkt gewann er indes Festigkeit jenseits romantisierender Selbststilisierung. Sein Bekenntnis zur jüdischen Herkunft ließ, zumindest in bewegenden Botschaften an Martin Buber, keinerlei Zweideutigkeit zu. Zwar sei ihm der Zionismus wesensfremd und er sei auch nicht stolz auf sein Judentum, "aber ich weiß, daß ich doch ruhe darin und nie ihm abtrünnig sein will und werde".
Den Umsturz 1918 verfolgte der liberale Bürger mit sehr gemischten Gefühlen. Deshalb drängte er Buber zu einem "Aufruf zur Bescheidenheit" und Besinnung. Ihm sei es "entsetzlich zu sehen, wie Alles - Revolution, Rote Garde, Ministerien - von Juden gestürmt wird, welche unreine Machtgier unreiner Menschen sich jetzt entlädt". Aus Zweig sprach hier die Angst eines Höchstsensiblen, der das kommende Unheil erahnte. Wie überhaupt in seinem Denken die Mischung aus prophetischer Klarsicht, diplomatischen Verrenkungen und manchmal geradezu kindlicher Naivität verblüfft. Mögen auch sein Schwanken und seine Anpassungsbereitschaft irritieren, so war er doch den meisten Intellektuellen in Deutschland und Österreich weit überlegen. Welch geistige Verwüstungen der Chauvinismus angerichtet hat, zeigen Zitate im Anhang, darunter eines des Nationalökonomen und Soziologen Werner Sombart. Der bekannte anno 1914 stolz, er habe die Japaner "nie eigentlich als Menschen, sondern immer nur als außerordentlich gelehrige Halbaffen angesehen".
In einem Brief an den Wiener Autor Raoul Auernheimer verabschiedete Zweig das Schreckens- und Freudensjahr 1918: "Es ist nur eines zu retten vorläufig: Hoheit, Haltung. Und gerade die fehlt Deutschland und Uns. Es ist etwas Jämmerliches in Unserem Besiegtsein, kleine Aufmuckereien abwechselnd mit niederen Anbiederungen: keine Linie. Und keine Größe." Daß Stefan Zweig Hoheit und Haltung anstrebte, steht außer Zweifel. Desgleichen, daß er beides zuweilen verfehlte. Aber er hat unerschütterlich um Linie und Größe gerungen. Hätte er das, vor sich selbst und seinen Zeitgenossen, minder hehr und hohltönend formuliert, wäre es ihm vielleicht besser gelungen.
Stefan Zweig: "Briefe 1914 - 1919". Hrsg. von Knut Beck, Jeffrey B. Berlin und Natascha Weschenbach-Feggeler. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 666 S., geb., 78,- DM.
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