Ist Poseidon überhaupt am menschlichen Treiben interessiert, verfolgt der Herrscher der Meere noch unser Tun? Cees Nooteboom lässt es darauf ankommen: Er schreibt Briefe an den Gott mit dem Dreizack, den er jeden Herbst, wenn er seine Sommerinsel verlässt, um Erlaubnis bittet, im nächsten Jahr zurückkehren zu dürfen. Darin erzählt er von seinen täglichen Beobachtungen, von seinen Gedanken über Götter und Gott, vom neuen Blick auf alte Mythen. So führt etwa eine zufällige Strandbegegnung zur Frage, ob ein kleiner Junge der Spiegel sein kann, in dem das eigene Alter verfliegt. Die Pflanzen im mediterranen Garten des Autors wiederum kümmert das wenig, sie führen ihr eigenes Leben: Hibiskus und Kakteen setzen sich geduckt zur Wehr, wenn das Radio die wuchtigen Klänge Bayreuths durch die Luft wehen lässt. Und die Agave, die vermutlich mit mexikanischem Akzent spricht, verfolgt ohnehin eine nur ihr bekannte Mission. Meisterhaft beherrscht Cees Nooteboom die Kunst, hinter den kleinen Dingen die großen Weltfragen aufblitzen zu lassen. Seine Korrespondenz mit dem Meeresgott bezaubert: Verspielt und tiefernst, lakonisch und poetisch, lässt sie das Erzählte in einem klaren, warmen Licht erscheinen.- Mit zahlreichen Abbildungen
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2012Ach Gottchen
Cees Nooteboom liebt das Meer, die graue heimische Nordsee ebenso wie das leuchtend blaue Wasser um seine Ferieninsel Menorca. So verfiel er in einem Anflug "ionischer Energie" darauf, seine maritimen Betrachtungen dem zuständigen Meeresgott Poseidon mitzuteilen. Dass mit Antwort nicht zu rechnen sei, gebe einem "das Gefühl phantastischer Freiheit". Sich an die Götter zu wenden aber ist von je nicht ungefährlich. Auch nach ihrem Ableben ist Hybris nicht zu empfehlen. Anders als viele der sinnlich eindrücklichen Reisebilder in dem vorliegenden Band berühren nämlich gerade die dreiundzwanzig Briefe an Poseidon den Leser oft peinlich. Darin wird der Gott in Nacherzählungen über seine überlieferten Taten belehrt und häufig auch dafür getadelt. Beim Kampf zwischen Aeneas und Achill habe er eine Rolle gespielt, die Nooteboom "schon als Schüler verachtenswert fand". Mit jovialer Überheblichkeit dem Mythischen gegenüber bekommt Poseidon die moderne Naturwissenschaft vorgehalten, "wir können alles, oder fast alles, sogar das, was früher nur ihr allein konntet". Da könne der sich "doch auch als Gott nur wundern, nicht wahr?". Schließlich muss sich der Herr der Meere noch fragen lassen, wie es denn mit seinen Kenntnissen der Philosophie und leider auch Theologie bestellt ist. Für alle Fälle erläutert der Federführer dem Dreizackschwinger noch schnell die Trinität. Das kann dem Gott nicht gefallen. Dem Leser, der Nootebooms Beschreibungskunst schätzt, wird diese als Fiktion kaschierte Bildungsprosa ziemlich angestaubt vorkommen. (Cees Nooteboom: "Briefe an Poseidon". Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen, Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 228 S., geb., 19,95 [Euro].) fap
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Cees Nooteboom liebt das Meer, die graue heimische Nordsee ebenso wie das leuchtend blaue Wasser um seine Ferieninsel Menorca. So verfiel er in einem Anflug "ionischer Energie" darauf, seine maritimen Betrachtungen dem zuständigen Meeresgott Poseidon mitzuteilen. Dass mit Antwort nicht zu rechnen sei, gebe einem "das Gefühl phantastischer Freiheit". Sich an die Götter zu wenden aber ist von je nicht ungefährlich. Auch nach ihrem Ableben ist Hybris nicht zu empfehlen. Anders als viele der sinnlich eindrücklichen Reisebilder in dem vorliegenden Band berühren nämlich gerade die dreiundzwanzig Briefe an Poseidon den Leser oft peinlich. Darin wird der Gott in Nacherzählungen über seine überlieferten Taten belehrt und häufig auch dafür getadelt. Beim Kampf zwischen Aeneas und Achill habe er eine Rolle gespielt, die Nooteboom "schon als Schüler verachtenswert fand". Mit jovialer Überheblichkeit dem Mythischen gegenüber bekommt Poseidon die moderne Naturwissenschaft vorgehalten, "wir können alles, oder fast alles, sogar das, was früher nur ihr allein konntet". Da könne der sich "doch auch als Gott nur wundern, nicht wahr?". Schließlich muss sich der Herr der Meere noch fragen lassen, wie es denn mit seinen Kenntnissen der Philosophie und leider auch Theologie bestellt ist. Für alle Fälle erläutert der Federführer dem Dreizackschwinger noch schnell die Trinität. Das kann dem Gott nicht gefallen. Dem Leser, der Nootebooms Beschreibungskunst schätzt, wird diese als Fiktion kaschierte Bildungsprosa ziemlich angestaubt vorkommen. (Cees Nooteboom: "Briefe an Poseidon". Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen, Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 228 S., geb., 19,95 [Euro].) fap
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Demut statt Kritik möchte Astrid Kaminski angesichts von Cees Nootebooms neuem Buch üben. Ob das eine so gute Idee ist? Nootebooms frei flottierende Reflexionen über Ewigkeit und Endlichkeit und seine luftleichten Gespräche mit Poseidon über das Götter- und Menschsein haben Kaminski jedenfalls tüchtig mit dem Odem des Göttlichen angehaucht, wie es aussieht. Nicht einmal Belegfotos und ein Glossar im Anhang und auch Nootebooms launige Erzählung zur eher profanen Entstehungsgeschichte des Bandes können die Rezensentin ernüchtern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Die unbeantworteten Briefe an den Meeresgott rahmen eine lose Folge von Reflexionen über Alter und Endlichkeit, Zeit und Ewigkeit und ihre Spiegelungen in einer ob ihrer Flüchtigkeit stets kostbarer werdenden Gegenwart ... So ist dieses dokumentierte Schreiben ehrlich und von großer Offenheit geprägt ...« Astrid Kaminski Frankfurter Rundschau 20121122
»Poetisch und klug.«