Er ist seit hundert Jahren ein Geheimtip, auf den sie alle geschworen haben: Kurt Tucholsky, Hermann Hesse, Hugo Ball, Joseph Roth, Heinrich Mann, Walter Benjamin. Dabei wußten nicht einmal seine Zeitgenossen, wo und unter welchen Namen er überall schrieb. Mindestens vier Pseudonyme hat er geführt, und viele seiner Texte erschienen unter Kürzeln wie 'F. H.', 'F. Ha.' etc. Seine Wirkungsmöglichkeiten litten allerdings auch unter den poli tischen Verhältnissen; im 1. Weltkrieg ging Hardekopf ins Exil in die Schweiz, während des zweiten war er bereits in Frankreich, wurde interniert und überlebte nur knapp. Seine Manuskripte gingen jedoch verloren, so daß sein Werk auf immer Fragment bleiben wird.
Begonnen hat er als 25-Jähriger mit Berlin-Feuilletons in einer Provinz-Zeitung. Diese reizvollen Texte, erst kürzlich wieder entdeckt, schildern das Berliner Leben zur Jahrhundertwende: die großstädtische Atmosphäre der Straßen im Wechsel der Jahreszeiten, die Entwicklung des modernen Theaters und der literarischen Cabarets, das Entstehen einer 'Unterhaltungsindustrie' und viele mehr. Der Band bildet das Hors d'oeuvre zu einer umfassenden Werk- und Brief-Edition bei NIMBUS im Jahr 2016.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Begonnen hat er als 25-Jähriger mit Berlin-Feuilletons in einer Provinz-Zeitung. Diese reizvollen Texte, erst kürzlich wieder entdeckt, schildern das Berliner Leben zur Jahrhundertwende: die großstädtische Atmosphäre der Straßen im Wechsel der Jahreszeiten, die Entwicklung des modernen Theaters und der literarischen Cabarets, das Entstehen einer 'Unterhaltungsindustrie' und viele mehr. Der Band bildet das Hors d'oeuvre zu einer umfassenden Werk- und Brief-Edition bei NIMBUS im Jahr 2016.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Oliver Pfohlmann amüsiert sich mit den Berliner Feuilletons von Ferdinand Hardekopf aus den Jahren 1899-1902. Für ihn sind die Texte eine kleine Sensation, an Experimentierfreude und Beobachtungsgabe vergleichbar den "Berliner Briefen" von Alfred Kerr, meint er. Was Hardekopf ausgerechnet in einem Provinzblatt wie der "Eisenacher Tagespost" über Theater, Verkehr, Einkausgewohnheiten und Kaffeehaus-Kultur in der Reichshauptstadt zu berichten hat, scheint Pfohlmann geprägt von einem Sinn für die Moderne.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2016Ging Goethe ins Café Größenwahn?
Eine literarische Entdeckung aus dem Deutschen Reich des Fin de Siècle: Ferdinand Hardekopfs Zeitungskolumne "Berliner Briefe"
Ferdinand Hardekopf (1876 bis 1954) galt bislang als Verfasser eines nur schmalen Werks; der "heimliche König des Expressionismus" (so Paul Raabe) publizierte zu Lebzeiten keine 130 Druckseiten an Gedichten und Prosastücken. Kenner wussten längst, dass dies ein Missverständnis sein musste. Immerhin war dieser Prototyp eines Bohemiens, der seit den zwanziger Jahren der wichtigste Übersetzer für französische Autoren wie André Gide oder Jean Cocteau war, zeitlebens ein gefragter Feuilletonist und Rezensent für diverse Zeitungen und Zeitschriften: Hardekopf schrieb, versteckt hinter etlichen Pseudonymen oder Kürzeln, für Franz Pfemferts "Aktion" ebenso wie später für "Die Schaubühne" oder in den Exiljahren für Klaus Manns "Sammlung".
Die nun im Schweizer Nimbus Verlag erschienenen "Berliner Briefe" mit Feuilletons des jungen Hardekopf aus den Jahren 1899 bis 1902 sind dennoch eine kleine Sensation. Nicht nur aufgrund ihrer literarischen Qualität oder weil man von ihnen bislang nichts wusste. Sondern auch, weil wohl niemand einen solchen Schatz ausgerechnet in den vergilbten Jahrgängen eines Provinzblattes wie der "Eisenacher Tagespost" vermutet hätte. Doch der Herausgeber Bernhard Echte liefert für dieses Kuriosum eine einleuchtende Erklärung: Hardekopf verdingte sich damals als Parlamentsstenograph und dürfte über diesen Brotberuf Philipp Kühner (1858 bis 1922) kennengelernt haben, einen linksliberalen Landtagsabgeordneten, der Eigentümer der "Eisenacher Tagespost" war und offenbar dem damals dreiundzwanzigjährigen Autor sein Blatt als feuilletonistisches Experimentier- und Spielfeld zur Verfügung gestellt hat.
Drei Jahre lang erzählte Hardekopf im Monatstakt dem Publikum in der thüringischen Provinz von der gerade vom Taumel der Moderne gepackten und geschüttelten Reichshauptstadt und ihren Bewohnern. Vorbild für seine Feuilletons in Briefform waren wohl die "Berliner Briefe" Alfred Kerrs, die schon seit 1895 in der "Breslauer Zeitung" erschienen (und die ebenfalls erst spät, 1997, von Günther Rühle wiederentdeckt wurden). Allerdings bewunderte der junge Kollege den genialischen Stilisten Kerr mehr als den immer neue literarische Rangordnungskämpfe ausfechtenden Großkritiker.
Hardekopfs "Berliner Briefe" stehen denen Kerrs jedenfalls in nichts nach und bieten ein aufregendes Potpourri. Alles konnte für den leidenschaftlichen Flaneur zum Thema werden: die immer raffiniertere Eleganz der Damen im Tiergarten, die Frage, ob man sich Goethe beim Genuss des "Miniatur-Glücks" in einem modernen Kaffeehaus wie dem Café Größenwahn vorstellen könne, oder die aus Amerika schwappende Mode, "unendlich komplizierte Getränke" zu "mixen" und dabei eine "fast unglaublich scheinende Differenzierung und Verfeinerung der Geschmacksnerven" zu erzielen.
Bei all dem war der junge Ferdinand Hardekopf entschiedener Parteigänger der Moderne und warb für die moderne Malerei präsentierenden Kunstsalons wie den der Brüder Cassirer ebenso wie für sein von der Zensur verfolgtes Idol Frank Wedekind oder für das literarische Kabarett Ernst von Wolzogens, das nach seiner Gründung 1901 in Berlin eine regelrechte "Überbrettl-Epidemie" auslöste. Genüsslich aufgespießt wurden dagegen die sich in "freundlicher Harmlosigkeit" erschöpfenden Theaterinszenierungen eines Paul Lindau oder Ludwig Fulda.
Auch die sich zur Jahrhundertwende rasend schnell verändernden Berliner Verkehrsverhältnisse faszinierten Hardekopf. Beschreibt er im Juli 1899 zunächst das stumme Leid der Straßenbahnpferde in der Sommerhitze, so gleich darauf die ersten "Heuldroschken" als inzwischen "alltägliches Element" im Straßenverkehr, die Fahrer und - jawohl! - auch Fahrerinnen im einschlägigen "Automobilenkostüm": "langer schwarzer Gummimantel und die breite, ebenfalls schwarze Mütze mit dem bis auf die Nase herabreichenden Riesenschirm".
Nicht die ersten "shopping" fahrenden "Automobildamen" aber werden für Hardekopf zum Signum des modernen Großstadtmenschen, sondern der im Winter auf den verschneiten Straßen der Reichshauptstadt dahinwatschelnde "Gummischuh-Mensch": "Der Gummischuh-Gang giebt dem Wesen des Menschen etwas Dekadentes, Müde-Schleichendes, Vornübergebeugtes . . . Man muß die Menschen von hinten beim Gehen beobachten, um ihren Charakter zu erkennen. Die gerade, ungebrochene Bewegungslinie deutet auf eine Persönlichkeit von einheitlichem Stil, die geknickte Linie weist den Knax, den sie weg haben. Die meisten haben einen Knax weg."
OLIVER PFOHLMANN
Ferdinand Hardekopf:
"Berliner Briefe".
Feuilletons 1899-1902.
Hrsg. von Bernhard
Echte. Nimbus Verlag,
Wädenswil 2015. 224 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine literarische Entdeckung aus dem Deutschen Reich des Fin de Siècle: Ferdinand Hardekopfs Zeitungskolumne "Berliner Briefe"
Ferdinand Hardekopf (1876 bis 1954) galt bislang als Verfasser eines nur schmalen Werks; der "heimliche König des Expressionismus" (so Paul Raabe) publizierte zu Lebzeiten keine 130 Druckseiten an Gedichten und Prosastücken. Kenner wussten längst, dass dies ein Missverständnis sein musste. Immerhin war dieser Prototyp eines Bohemiens, der seit den zwanziger Jahren der wichtigste Übersetzer für französische Autoren wie André Gide oder Jean Cocteau war, zeitlebens ein gefragter Feuilletonist und Rezensent für diverse Zeitungen und Zeitschriften: Hardekopf schrieb, versteckt hinter etlichen Pseudonymen oder Kürzeln, für Franz Pfemferts "Aktion" ebenso wie später für "Die Schaubühne" oder in den Exiljahren für Klaus Manns "Sammlung".
Die nun im Schweizer Nimbus Verlag erschienenen "Berliner Briefe" mit Feuilletons des jungen Hardekopf aus den Jahren 1899 bis 1902 sind dennoch eine kleine Sensation. Nicht nur aufgrund ihrer literarischen Qualität oder weil man von ihnen bislang nichts wusste. Sondern auch, weil wohl niemand einen solchen Schatz ausgerechnet in den vergilbten Jahrgängen eines Provinzblattes wie der "Eisenacher Tagespost" vermutet hätte. Doch der Herausgeber Bernhard Echte liefert für dieses Kuriosum eine einleuchtende Erklärung: Hardekopf verdingte sich damals als Parlamentsstenograph und dürfte über diesen Brotberuf Philipp Kühner (1858 bis 1922) kennengelernt haben, einen linksliberalen Landtagsabgeordneten, der Eigentümer der "Eisenacher Tagespost" war und offenbar dem damals dreiundzwanzigjährigen Autor sein Blatt als feuilletonistisches Experimentier- und Spielfeld zur Verfügung gestellt hat.
Drei Jahre lang erzählte Hardekopf im Monatstakt dem Publikum in der thüringischen Provinz von der gerade vom Taumel der Moderne gepackten und geschüttelten Reichshauptstadt und ihren Bewohnern. Vorbild für seine Feuilletons in Briefform waren wohl die "Berliner Briefe" Alfred Kerrs, die schon seit 1895 in der "Breslauer Zeitung" erschienen (und die ebenfalls erst spät, 1997, von Günther Rühle wiederentdeckt wurden). Allerdings bewunderte der junge Kollege den genialischen Stilisten Kerr mehr als den immer neue literarische Rangordnungskämpfe ausfechtenden Großkritiker.
Hardekopfs "Berliner Briefe" stehen denen Kerrs jedenfalls in nichts nach und bieten ein aufregendes Potpourri. Alles konnte für den leidenschaftlichen Flaneur zum Thema werden: die immer raffiniertere Eleganz der Damen im Tiergarten, die Frage, ob man sich Goethe beim Genuss des "Miniatur-Glücks" in einem modernen Kaffeehaus wie dem Café Größenwahn vorstellen könne, oder die aus Amerika schwappende Mode, "unendlich komplizierte Getränke" zu "mixen" und dabei eine "fast unglaublich scheinende Differenzierung und Verfeinerung der Geschmacksnerven" zu erzielen.
Bei all dem war der junge Ferdinand Hardekopf entschiedener Parteigänger der Moderne und warb für die moderne Malerei präsentierenden Kunstsalons wie den der Brüder Cassirer ebenso wie für sein von der Zensur verfolgtes Idol Frank Wedekind oder für das literarische Kabarett Ernst von Wolzogens, das nach seiner Gründung 1901 in Berlin eine regelrechte "Überbrettl-Epidemie" auslöste. Genüsslich aufgespießt wurden dagegen die sich in "freundlicher Harmlosigkeit" erschöpfenden Theaterinszenierungen eines Paul Lindau oder Ludwig Fulda.
Auch die sich zur Jahrhundertwende rasend schnell verändernden Berliner Verkehrsverhältnisse faszinierten Hardekopf. Beschreibt er im Juli 1899 zunächst das stumme Leid der Straßenbahnpferde in der Sommerhitze, so gleich darauf die ersten "Heuldroschken" als inzwischen "alltägliches Element" im Straßenverkehr, die Fahrer und - jawohl! - auch Fahrerinnen im einschlägigen "Automobilenkostüm": "langer schwarzer Gummimantel und die breite, ebenfalls schwarze Mütze mit dem bis auf die Nase herabreichenden Riesenschirm".
Nicht die ersten "shopping" fahrenden "Automobildamen" aber werden für Hardekopf zum Signum des modernen Großstadtmenschen, sondern der im Winter auf den verschneiten Straßen der Reichshauptstadt dahinwatschelnde "Gummischuh-Mensch": "Der Gummischuh-Gang giebt dem Wesen des Menschen etwas Dekadentes, Müde-Schleichendes, Vornübergebeugtes . . . Man muß die Menschen von hinten beim Gehen beobachten, um ihren Charakter zu erkennen. Die gerade, ungebrochene Bewegungslinie deutet auf eine Persönlichkeit von einheitlichem Stil, die geknickte Linie weist den Knax, den sie weg haben. Die meisten haben einen Knax weg."
OLIVER PFOHLMANN
Ferdinand Hardekopf:
"Berliner Briefe".
Feuilletons 1899-1902.
Hrsg. von Bernhard
Echte. Nimbus Verlag,
Wädenswil 2015. 224 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
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