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Der berühmteste Häftling Russlands schreibt über sein Leben Wer ist Michail Chodorkowski, dämonisiert von den einen, verklärt von den anderen? Kommunist und Kapitalist, Gewinner der Perestroika und berühmtester Häftling Russlands. Im Oktober 2003 wurde der Oligarch und Jukos-Chef verhaftet und in einem kafkaesken Prozess zu mittlerweile 14 Jahren Haft verurteilt. Nun liegt sein erstes Buch vor. Im Oktober 2003 war sein letzter Tag in Freiheit. Man sagte ihm, Präsident Putin habe beschlossen, er solle acht Jahre lang "die Schleimsuppe" der Gefängnisse "löffeln". Seitdem sind sieben Jahre…mehr

Produktbeschreibung
Der berühmteste Häftling Russlands schreibt über sein Leben
Wer ist Michail Chodorkowski, dämonisiert von den einen, verklärt von den anderen? Kommunist und Kapitalist, Gewinner der Perestroika und berühmtester Häftling Russlands. Im Oktober 2003 wurde der Oligarch und Jukos-Chef verhaftet und in einem kafkaesken Prozess zu mittlerweile 14 Jahren Haft verurteilt. Nun liegt sein erstes Buch vor.
Im Oktober 2003 war sein letzter Tag in Freiheit. Man sagte ihm, Präsident Putin habe beschlossen, er solle acht Jahre lang "die Schleimsuppe" der Gefängnisse "löffeln". Seitdem sind sieben Jahre vergangen. Viel Zeit nachzudenken. Michail Chodorkowskis erstes Buch versammelt Briefe und Aufsätze des Unternehmers, des Politikers, aber auch des privaten Michail Chodorkowski. Sie zeichnen eine Entwicklung nach: vom erfolgsbewussten Mann, der "sich im Grunde nie um Ideologie gekümmert hat" zu einem Helden unserer Tage, der sagt: "Das Recht auf eine Chance ist das Wichtigste für alle Kinder Russlands. Für dieses Ideal würde ich mein Leben geben." Chodorkowski schreibt eindrucksvoll und leidenschaftlich über seine Hoffnung, Russland werde doch noch ein modernes Land mit einer entwickelten Zivilgesellschaft frei von Beamtenwillkür, Korruption und Gesetzlosigkeit. Er spricht darüber, welche Klarheit die Haft in sein Leben brachte, und was es bedeutet, dass der Kreml ihn nun seit Jahren von Frau, Kindern und jeglichem aktiven Leben isoliert und physisch zu zerstören versucht. Ein Herzstück des Buches ist der Briefwechsel mit der Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja, die Chodorkowski intellektuell und moralisch herausfordert und zu besonderer Offenheit in seinen Antworten bewegt.
Autorenporträt
Michail Borissowitsch Chodorkowski, geboren 1963 in Moskau, studierte Chemie und Volkswirtschaft, war zunächst Funktionär in der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol und gründete 1989 eine der ersten Privatbanken Russlands mit. 1997 wird er Vorstandsvorsitzender des Ölkonzerns Jukos, im Jahr 2001 initiiert er die Stiftung Offenes Russland , die u.a. Schulen und Waisenhäuser unterhält. 1992 gehörte er zum Beraterstab von Boris Jelzin, 1993 war er stellvertretender Energieminister. Seit 2003 ist er wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Diebstahl von Ölfördermengen in Sibirien und Moskau in Haft. Chodorkowski ist mit Inna Chodorkowskaja verheiratet und Vater von vier Kindern.

Ganna-Maria Braungardt,
geboren 1956 in Crimmitschau, Studium in Woronesh, übersetzt seit 1991 aus dem Russischen, u. a. Werke von Ljudmila Ulitzkaja, Boris Akunin und Polina Daschkowa.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2011

Berühmtester Häftling Russlands
In seinem Buch gibt Michail Chodorkowskij längst nicht alles über sich preis

Schon als Junge wollte Michail Chodorkowskij angeblich Direktor eines großen Betriebes werden. Er studierte Chemie am renommierten Moskauer Mendelejew-Institut und übernahm dort nach dem Diplom 1986 den Posten des stellvertretenden Sekretärs der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol. Es war die Zeit der von Generalsekretär Gorbatschow betriebenen Reformen und wirtschaftlichen Experimente. Für pfiffige, zupackende Leute lag damals das Geld auf der Straße. Der junge Parteifunktionär erkannte die Chancen. Er wurde Geschäftsmann. Seine Position und seine Kontakte nutzend, legte er in nicht einmal zwei Jahren mit Devisengeschäften und der Einfuhr von Computern (und französischem Brandwein) den Grundstein für die Anhäufung eines riesigen Vermögens. Erst der Untergang des Sowjetsystems und die Privatisierung der großen Staatsbetriebe in Russland zu Schleuderpreisen ermöglichten ihm aber den Aufstieg zum Chef und Hauptaktionär eines mächtigen, international tätigen Ölkonzerns. Im Jahr 2004 - wenige Monate nach seiner Festnahme durch ein maskiertes Sonderkommando der russischen Sicherheitskräfte - führte ihn das amerikanische Wirtschaftsmagazin "Forbes" als reichsten Mann Russlands: "NetWorth" angeblich 15 Milliarden Dollar.

Chodorkowskij war 40 Jahre alt, als er in die Mühlen der russischen Justiz geriet. Am 25. Oktober (dem Tag seiner Festnahme 2003) wird er acht Jahre in Gefängnissen und Arbeitslagern zugebracht haben. Ähnlich viel Zeit brauchte er, um das uneffektive, hochverschuldete Erdölunternehmen "Yukos", das er 1995 übernommen hatte, mit Hilfe westlicher Experten und Beraterfirmen in einen Weltkonzern umzubauen. Acht Jahre Freiheitsentzug wegen Betrugs und Steuerhinterziehung, so lautete das Urteil nach dem ersten Prozess. Doch Chodorkowskij wird vorerst nicht freikommen. Ein zweites Verfahren wegen Unterschlagung und Geldwäsche, das wiederum als Schauprozess inszeniert wurde, endete im Dezember 2010 mit der Verhängung einer Gesamtstrafe von vierzehn Jahren (unter Anrechnung der bisherigen Haft).

Durch die zum Teil absurdenVorwürfe und sein unbeugsames Auftreten vor Gericht ist der ehedem reichste Mann Russlands zum berühmtesten Häftling Russlands geworden. In dieser neuen Rolle attackiert er rücksichtslos die Rechtlosigkeit und Willkür der russischen Justiz (der selbst Präsident Medwedjew "Nihilismus" bescheinigt hat) und die Rückkehr zu einer autoritären Herrschaft unter Wladimir Putin. Aus dessen Äußerungen zum Fall Chodorkowskij lässt sich schließen, dass er ein persönliches Interesse an der Verfolgung des früheren Yukos-Chefs zu haben scheint. Putins Entschluss, 2012 noch einmal als Präsident anzutreten, ist für den Häftling jedenfalls keine gute Nachricht. Eine Handvoll schnell unvorstellbar reich gewordener "Oligarchen" hatte in den letzten Jahren der Ära Jelzin so großen Einfluss im Kreml, dass sie praktisch mitregierten. Als Putin - auch mit ihrer Unterstützung - die Macht übernahm, stellte er schnell klar (wie der Autor in seinem Buch bestätigt), er werde die Oligarchen nur ungeschoren lassen, wenn sie sich nicht mehr in die Politik einmischten. Einige, wie Boris Beresowskij und Wladimir Gusinskij, zu deren Firmenimperien auch die großen Fernsehsender gehörten, wurden durch drohende Strafverfahren gleichwohl so unter Druck gesetzt, dass sie sich schon bald ins Exil absetzten. Chodorkowskij, der einen weniger extravaganten Lebensstil pflegte, blieb.

Zum Bruch mit Putin kam es nach seiner Darstellung im Februar 2003, als er auf einer Konferenz des russischen Unternehmerverbandes im Kreml die "gigantische" Korruption im Lande anprangerte. Er hatte allerdings auch Oppositionsparteien und die Kommunisten finanziell unterstützt, eine Stiftung zur Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements gegründet und politische Vorträge gehalten. Noch kurz vor seiner Festnahme war er in den Vereinigten Staaten von Vizepräsident Cheney empfangen worden. Außerdem hatte er den Ölgiganten ExxonMobil und Chevron einen Aktientausch mit Yukos angeboten. Das Risiko, dass er deswegen "im Gefängnis landen und man mir den Konzern wegnehmen wird", sei er bewusst eingegangen, schreibt Chodorkowskij. Vielleicht hat er sich wegen guter internationaler Verbindungen aber auch unangreifbar gewähnt.

In seinem Buch - es enthält den aus der Gefängniszelle geführten Briefwechsel mit drei bekannten russischen Schriftstellern und seit 2004 in russischen Zeitungen veröffentlichte Artikel - gibt Chodorkowskij einiges, aber längst nicht alles über sich preis. Er bestreitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, räumt jedoch ein, er habe bei seinen Geschäften "jede Lücke im Gesetz ausgenutzt und den Mitgliedern der Regierung immer persönlich dargelegt, welche Lücke in ihren Gesetzen ich wie nutzen werde oder bereits nutze".

Das Nachdenken Chodorkowskijs über die Gegenwart und Zukunft Russlands - er spricht von "unfrisierten Gedanken" - trifft oft einen wunden Punkt, erinnert zuweilen aber auch an frühere Neigungen der Intelligenzija, am Küchentisch die Probleme der Welt zu lösen. In einem schon 2004 entworfenen "Programm 2020" fordert der Autor die "Rückkehr zu einer demokratischen Staatsführung" und zu einem "staatlichen Paternalismus" als "Anerkennung der Tatsache, dass Staat und Wirtschaft für die Belange der Menschen da sind". Damit zeigt Chodorkowskij nicht nur, dass er sich geändert habe, sondern auch, dass er eine politische Rolle spielen will: bis auf weiteres wohl als russischer Dissident.

Bereits 2004 schrieb er in der Zeitung "Wedomosti", die vom "Wall Street Journal" und der "Financial Times" herausgegeben wird: "Ich danke Gott, dass ich im Unterschied zu meinen Gegnern verstanden habe, dass viel Geld zu verdienen nicht der einzige (und bei weitem nicht der wichtigste) Sinn menschlicher Anstrengungen ist. Und jetzt, da ich mich von der Last der Vergangenheit befreit habe, will ich für das Wohl der Generationen arbeiten, denen unser Land bald gehören wird." Ein Hoffnungsträger? Wer Chodorkowskij wirklich ist, werden wir erst erfahren, wenn er eines Tages wieder in Freiheit wirken kann.

HORST BACIA

Michail Chodorkowski: Briefe aus dem Gefängnis. Mit einem Essay von Erich Follath. Albrecht Knaus Verlag, München, 2011. 288 S., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So richtig traut der Rezensent dem Autor nicht über den Weg. Michail Chodokowski, ehemals reichster Mann Russlands, unter Putin bis heute berühmtester Häftling Russlands, zieht Bilanz und schaut in die Zukunft - seine eigene und die seines Landes. Ist er geläutert vom Egoismus des Oligarchen, wie er schreibt? Wunde Punkte in Sachen Justiz, Staat und Wirtschaft, meint Horst Bacia, trifft der Autor allemal. Doch das reicht ihm nicht, die Kritik des Dissidenten C. scheint ihm mitunter wie vom Küchentisch. Nach Chodorkowskis Freilassung werden wir's wissen, schreibt Bacia.

© Perlentaucher Medien GmbH