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Jandls Briefe aus dem Krieg - ein sensationeller Fund.
Im Juni 2005 jährt sich Jandls Todestag zum fünften Mal. Im August wäre er 80 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass werden zum ersten Mal sämtliche Briefe veröffentlicht, die Ernst Jandl als Soldat als Kriegsgefangener an seinen Vater geschrieben hat. Diese Mitteilungen eines jungen Mannes sind das einzigartig erschütternde Dokument eines Dichters, der überleben will und der mit Erfahrungen konfrontiert wird, die sein Schreiben für den Rest seines Lebens prägen werden.
Am 30. Juli 1943 schickte Ernst Jandl den ersten Brief an seine
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Produktbeschreibung
Jandls Briefe aus dem Krieg - ein sensationeller Fund.

Im Juni 2005 jährt sich Jandls Todestag zum fünften Mal. Im August wäre er 80 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass werden zum ersten Mal sämtliche Briefe veröffentlicht, die Ernst Jandl als Soldat als Kriegsgefangener an seinen Vater geschrieben hat. Diese Mitteilungen eines jungen Mannes sind das einzigartig erschütternde Dokument eines Dichters, der überleben will und der mit Erfahrungen konfrontiert wird, die sein Schreiben für den Rest seines Lebens prägen werden.

Am 30. Juli 1943 schickte Ernst Jandl den ersten Brief an seine »Lieben Eltern, Brüder und Großeltern«. Diesem Brief folgten viele weitere, den letzten sandte er Anfang August 1946 aus einem Lager in Stockbridge, kurz bevor er aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. In dem vorliegenden Buch kann zum ersten Mal in Jandls privater Korrespondenz nachgelesen werden, wie er den Krieg erlebt und überstanden hat, jene Zeit, die wie keineandere tiefe Spuren in seinem Werk hinterließ.

Ernst Jandl hat als junger Mann damals, knapp achtzehn Jahre war er alt, als er die Uniform überstreifte, keineswegs seine Person abgelegt. Gedichte waren für ihn bereits ein Lebensstoff, den er so dringend benötigte wie Zigaretten und Alkohol, obwohl er in diesen Jahren als Dichter noch nicht zum Schreiben gefunden hatte. Ihn beschäftigte aber auch das Leben, das er in Wien zurücklassen musste und das ihn, sollte er den »Wahnsinn des Kriegs« überstehen und nicht als »Kanonenfutter« enden, in Wien wieder erwarten könnte: ein Studium, Beruf, eine Freundin vielleicht ...

Dabei rückt eine Figur, die in der Beschäftigung mit dem Werk von Ernst Jandl bisher allenfalls am Rande eine Rolle spielte, in das Zentrum der Aufmerksamkeit: der Vater. Mit diesem weichen, der Familie zugewandten und in seinem Beruf komplett erfolglosen Mann beschäftigt sich Jandl insgeheim in seinen "Briefen an den Vater" - eine Figur, die entgegen allem Anschein für sein Schreiben genauso wichtig war wie seine Mutter.

Nach der Lektüre dieser in ihrer Bedeutung für Jandls Sicht auf die Welt fundamentalen Briefe wird man sein Werk in neuem Licht sehen.

Autorenporträt
Ernst Jandl wurde 1925 in Wien geboren. Nach Schule, Militärdienst und Kriegsgefangenschaft studierte er Germanistik und Anglistik. Von 1949 bis 1974 arbeitete er als Gymnasiallehrer. Seit 1952 schrieb und veröffentlichte er Gedichte, seit 1954 bis zu seinem Lebensende war er mit Friederike Mayröcker befreundet. Sein Werk wurde mit vielen renommierten Preisen ausgezeichnet, darunter 1968 dem Hörspielpreis der Kriegsblinden (gemeinsam mit Friederike Mayröcker), 1982 dem Mülheimer Dramatikerpreis, 1984 dem Großen Österreichischen Staatspreis und dem Georg-Büchner-Preis. 1995 erhielt er den Friedrich-Hölderlin-Preis und ein Jahr danach das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2006

Stumm wanke ich mit
Inkubationszeit: Ernst Jandls Briefe aus dem Krieg

Aus der Kaserne von Olmütz schreibt der Rekrut Ernst Jandl Anfang August 1943 an seine Eltern und seine beiden jüngeren Brüder in Wien: "Wir haben nahezu keine Freizeit, immer putzen, putzen und wieder putzen . . . Draußen bist du wenigstens halbwegs ein Mensch." Der Achtzehnjährige hatte im Frühjahr die Gymnasialzeit mit der Matura abgeschlossen, und seine Erfahrungen als Rekrut teilte er mit so manchem Abiturienten seiner Generation: den Überdruß am geistlosen Drill in der Kaserne, den inneren Widerstand gegen die Versuche, das Individuum zum willenlosen Empfänger und Ausführenden von Befehlen zu dressieren.

Aber aus den von Klaus Siblewski erstmals herausgegebenen Briefen aus Krieg und Gefangenschaft und den gleichzeitig entstandenen poetischen Texten winkt uns noch nicht der spätere Großmeister des Sprachspiels und -experiments, der visuellen Gedichte und Lautcollagen, der die Sprechblasen durchlöchernde und die Doppeldeutigkeit der Wörter enthüllende Poet, nicht der Autor einer "Sprechoper" entgegen. Dennoch setzt mit einigen Textzeugnissen dieser Jahre schon die Inkubationszeit des Sprachoperateurs Jandl ein.

Die körperlichen Strapazen und die Stumpfheit des Dienstes können dem Lektüredrang des Soldaten Jandl nichts anhaben. Aber seine literarischen Interessen sind offensichtlich noch ganz bestimmt vom Deutschunterricht in der Schule, der nach dem sogenannten "Anschluß" Österreichs im Frühjahr 1938 wohl eher von Berlin als von Wien aus reglementiert wurde. Nicht einen einzigen österreichischen Autor erwähnt der Briefwechsel. Greifbar sind ihm sogenannte "Feldpostausgaben" von Autoren; ihn reißen die "unendlichen Schönheiten" der Gedichte von Mörike und Hölderlin und die "wunderbaren Balladen" von Börries von Münchhausen hin.

Daß ihn die Verse dieses Restaurators der Ritterballade bezaubern und daß in einem kurz nach der Matura entstandenen Gedicht, "Vor der Entscheidung", mächtig die Ritter- und Heldenballade nachhallt, zeigt ihn noch ganz im Bann des Deutschunterrichts. Doch bläht auch ein konventioneller, jugendlicher Poetisierungsdrang die Segel der Sprache Jandls, so in der Bekenntnisprosa "Gertrude". Nicht von ungefähr bleibt dieser Text Bruchstück. Die Sprache des jungen Lyrikers ist erschöpft, weil er schon zuviel "Ewigkeits"- und "All"-Poesie verbraucht hat.

Ganz anders dagegen das Gedicht, das er bei der Feier eines Reserveoffizierslehrgangs vorträgt:

Kotverkrustet, ausgemergelt,

wankt in wundenmüdem Tritt

graues Heer durch graue Straßen

und ich wanke mit . . .

Lippen, schmerzensmüd zerbissen,

Haar zerrauft und stur der Blick,

lumpeneingehüllt zerrissen -

stumm wanke ich mit . . .

Weiter geht es. Endlos, ewig

pulst der gleiche dumpfe Schritt

durch die Menschen aller Zeiten.

Doch ich - geh nicht ewig mit.

Diese Verse waren eine Brüskierung; Offiziere, Feldwebel und Unteroffiziere verließen wortlos den Raum. Der Skandal bestand in der völligen Deklassierung jenes Klischees von frohgemuter Tapferkeit des deutschen Soldaten, das die Kino-Wochenschauen, die Berichte der Propagandakompanien oder die Frontblätter den Menschen immer noch einzubleuen versuchten. Das Gedicht bei einem Offizierslehrgang vorzutragen hieß, mit dem Feuer zu spielen. So etwas galt als Ausdruck von Defätismus und kam mit zunehmender Verdüsterung der Kriegslage leicht in den Verdacht der "Wehrkraftzersetzung", und welche Folgen solcher Vorwurf haben konnte, erfuhr der junge und an den Folgen dann auch früh verstorbene Schauspieler und Dichter Wolfgang Borchert in der Strafkompanie.

Das titellose Gedicht nimmt fast prophetisch Bilder vom Rückzug geschlagener deutscher Truppen oder vom Marsch in die Gefangenschaft vorweg, und es kündigt am Ende die willenlose Gefolgschaft auf. Es ist, trotz der grammatisch noch geregelten Sprache und trotz der Vers- und Reimform, ein kühner Protest des Achtzehnjährigen, ein Vorgriff auf Jandls spätere Demontagen hehrer Kriegsbilder in seinen Sprachoperationen bis hin zum Schützengraben-Gedicht "schtzngrmm".

WALTER HINCK.

Ernst Jandl: "Briefe aus dem Krieg 1943-1946". Herausgegeben von Klaus Siblewski. Luchterhand Literaturverlag, München 2005. 173 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Für Sven Hanuschek erbringt dieser "erste" nach Ernst Jandls Tod erscheinende Briefband den Beweis, dass die "Kanonisierung" des österreichischen Lyrikers "voran schreitet", was Hanuschek offenbar begrüßt. Einzelne der Briefe, die Jandl zwischen 1943 und 1946 als Soldat schrieb, sind bereits anderswo zu lesen gewesen, aber erst in ihrer "Gesamtheit" würden sie ihre "Wirkung entfalten", freut sich der Rezensent. Neben manchen Details aus dem Alltag der Soldaten wird bei der Lektüre vor allem das von "existentieller Unsicherheit" geprägte "Lebensgefühl" Jandls deutlich, meint Hanuschek, der aus den Briefen zudem bereits den "Lyriker am Anfang seiner Laufbahn" herausliest. Die Illustrationen des Bandes, die neben Fotos auch faksimilierte Gedichte, Familiendokumente und ähnliches zeigen, findet der Rezensent "anrührend". Das ist aber schon das einzige Positive, das er über die Editionsarbeit von Klaus Siblewski zu sagen hat. Hanuschek klagt über die geringe Leserfreundlichkeit der Kommentare und moniert darin enthaltene sachliche Fehler und Widersprüche. Als "dickste philologische Kröte" aber erstaunt ihn der fehlende Nachweis, woher die Briefe denn eigentlich stammen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Man sieht unter der Uniform des Soldaten Jandl den Zivilisten Jandl. Und hört schon den Dichter. Eine schöne Geschichte. So long." Stuttgarter Nachrichten